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Die Humusrevolution - Wie wir den Boden heilen, das Klima retten und die Ernährungswende schaffen. Mit Praxistipps zu Humusaufbau und Permakultur

Ute Scheub, Stefan Schwarzer

 

Verlag oekom Verlag, 2017

ISBN 9783960061823 , 240 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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17,99 EUR

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Kapitel 1
Die Geschichte von David und Goliath – neu erzählt


»Wir sind an den allermeisten Orten dieser Erde nur knapp 15 Zentimeter von der Ödnis entfernt.
Denn gerade einmal so viel misst die Schicht Humus, von der das gesamte Leben auf diesem Planeten abhängt.«
NEIL SAMPSON
Über lange Jahre unserer Geschichte – ungefähr 99 Prozent davon – lebten die Menschen als Sammlerinnen und Jäger. In dieser Reihenfolge. Unsere Ahnin »Lucy«, ein Australopithecus afarensis, durchquerte vor gut drei Millionen Jahren bereits im aufrechten Gang die Savannen des ostafrikanischen Rift Valley. Aus Knochen und Gebiss kann man schließen, dass sie sich von Samen, Nüssen, Früchten, Blättern und Wurzeln ernährte – und zum Sammeln zur Not auch noch auf Bäume kletterte. Das Jagen kam wohl erst zwei Millionen Jahre später durch Homo erectus in Mode. Sammeln und Jagen erforderte ein hohes Maß an Kooperation, was bei Homo sapiens, der sich vor ungefähr 200.000 Jahren entwickelte, ein Gehirn entstehen ließ, das soziale Umgangsformen mit dem Ausschütten von Glückshormonen belohnte. Das machte ihn menschlich – im besten Sinne.
Diese Menschen lebten in kleinen, nomadischen Gruppen zusammen – weitestgehend ohne Rangordnung. Kriege gab es kaum, warum auch, es gab kein Eigentum zu verteidigen. Der Anthropologe Robin Dunbar belegte mit Studien, dass eine Einzelperson zu ungefähr 150 Menschen egalitäre Beziehungen unterhalten kann, ein Mehr überfordert noch heute unser steinzeitgeformtes Gehirn und lässt als Konsequenz Hierarchien entstehen.
Auch heute leben Menschen in versteckten Winkeln der Welt immer noch als Sammlerinnen und Jäger – und zwar erstaunlich gut. Richard Lee hat beobachtet, dass ein afrikanischer Dobe-Buschmensch im Schnitt nur gut zwei Stunden täglich arbeitet. »Eine Frau sammelt an einem Tag genug Nahrung, um ihre Familie drei Tage zu ernähren«, schreibt der Anthropologe. Den Rest der Zeit verbringe sie im Dorf oder besuche andere Dörfer oder unterhalte Besucher aus anderen Dörfern. Ein Mann gehe auch mal eine Woche lang jagen, die nächsten zwei bis drei Wochen verbringe er dann aber mit Besuchen, Klatsch und Tratsch, Sex, Tanz und Gesang. Viele traditionell lebende Menschen gehören zu den gesündesten und besternährten der Welt. Ihr Speiseplan ist abwechslungsreich. Mangelernährung, Angst vor Hunger oder Krebs kennen die wenigsten. Landwirtschaft? Uninteressant! »Warum sollen wir pflanzen, wenn es so viele Mongo-Mongo-Nüsse in der Welt gibt?«, fragt ein Dobe-Buschmann.1

Wie Goliath so groß werden konnte


Doch nach der letzten Eiszeit vor etwa 12.000 Jahren begannen Menschen in der neolithischen Revolution mit dem Ackerbau. Sie säten wilde Grassamen; daraus entstanden Urgetreide wie Emmer oder Einkorn. Sie domestizierten Ziegen, später auch Schafe, Schweine und Rinder. Diese Entwicklung verlief zwischen 10.000 und 4.500 Jahren vor unserer Zeitrechnung mehr oder weniger parallel in Nord- und Südamerika, China, Indien, Lateinamerika und dem Vorderen Orient. Das Einlagern der Ernte und ein vom Wasserpegel abhängiges Bewässern erforderten zunehmend Planung und Kontrolle. Also wuchsen an Euphrat, Tigris oder Nil erste hierarchische Stadtstaaten – mit Getreidelagern und Kanälen, verwaltet von ersten Beamten, die eine Schrift benutzten; überwacht von Polizei, Oberhäuptern, Priestern und Göttern. Patriarchat und Erbrecht, Eigentum und Geld entstanden und schnell auch Schuldenknechtschaft und Sklaverei.2
Die herrschende Fortschrittserzählung behauptet, Landwirtschaft sei für die Menschheit unentbehrlich gewesen, um mit dem Agrarüberschuss eine »denkende Schicht« zu ernähren, die Kunst und Kultur entwickelte. Mag sein. Aber Skelettuntersuchungen weisen darauf hin, dass es sesshaften Bauern damals schlechter ging als frei umherschweifenden Sammlerinnen. Bauern hatten brüchigere Knochen, öfter Arthritis, Karies, Eisenmangel, epidemische Krankheiten – Letztere vor allem durch das enge Zusammenleben mit Nutztieren. Ihre Körpergröße schrumpfte, sie lebten kürzer als früher, im Schnitt nur noch 28 statt 37 Jahre.3 Während Sammlerinnen und Jäger wohl ein einfaches, aber entspanntes Leben führten, mussten Bauern sprichwörtlich ackern. Dieses Drama spiegelt sich auch in der Bibel wider: Gott jagte Adam und Eva aus dem Paradiesgarten mit seiner Überfülle: »Verflucht sei der Acker, mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang.«
Jäger und Sammlerinnen der San in der Kalahariwüste: Sie arbeiten kaum und leben gut.
Foto: Aino Tuominen, Wikimedia
Die Ausbreitung der Landwirtschaft ließ die Bevölkerung schnell ansteigen: Mütter konnten Babys mit Getreidebrei füttern und früher abstillen, was zu mehr Schwangerschaften führte. Mehr Menschen pflanzten dann noch mehr an, rodeten mehr Wald, bauten neue Städte. Peter Farb formulierte daraus das Paradox: »Die Intensivierung der Produktion mit dem Ziel, eine größere Bevölkerung zu ernähren, führt zu einem noch stärkeren Wachstum der Bevölkerung.«4 Auch deshalb nannte der Biologe Jared Diamond die Landwirtschaft »den größten Irrtum der Menschheitsgeschichte«.5
Nun ist für uns eine Rückkehr in die Zeiten der Jägerinnen und Sammler natürlich unmöglich. Aber wir sollten uns dessen bewusst sein, dass der historische »Sinn« von Landwirtschaft weitaus unklarer ist, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Der US-Autor Richard Manning argumentiert sogar, dass es in Agrarsystemen stets weniger um Nahrungs- als vielmehr um Machtproduktion ging.6 Herrscher der antiken Großreiche ließen den nötigen Nahrungsüberschuss mit Sklaven produzieren. Im Mittelalter wurden Bauern zu Leibeigenen. Im Kolonialismus kehrte die Sklaverei zurück, als weiße Europäer die Völker in Amerika, Afrika und Asien blutig unterwarfen, um Zuckerrohr, Baumwolle und »Kolonialwaren« zu produzieren. Das markierte den Beginn der globalisierten Landwirtschaft.
Unsere westliche Zivilisation – aber nicht nur die – hat eine unselige Tradition entwickelt, Geist und Natur als hierarchische Gegensätze zu sehen und Letztere der Ausbeutung preiszugeben. Mutter Erde und die Natur sind weiblich, weil reproduktiv, und befinden sich »unten«. Geist und Kultur sind männlich und stehen »oben«, in der Sphäre des Himmels, der Götter und Genies. Schon Aristoteles glaubte, »das Weib« sei bloß Stoff, nur ein Gefäß für die männliche Kraft des Samens. Die Weltreligionen – genauer gesagt, ihre fundamentalistischen Auslegungen – trugen zur Misere das Ihre bei. Für traditionelle Christen wohnen Vater, Sohn und Heiliger Geist im Himmel, die Mutter aber kam ihnen schmerzlich abhanden. »Macht euch die Erde untertan!«, befahl dieser Wüstengott angeblich. Judentum und Islam kennen ebenfalls jenen männlichen Herrscher der Wüste, der über allem thront, über der Natur, dem Weiblichen und der regenerativen Fruchtbarkeit, die doch die Welt immer wieder aufs Neue hervorbringt.
Auch der britische Naturforscher Francis Bacon sah die Natur als Frau. Er forderte, sie müsse »auf die Folterbank« gespannt werden, um ihr die weiblichen Geheimnisse abzupressen, sie »zu versklaven« und »zu bezwingen«.7 Der französische Philosoph René Descartes vertiefte die Kluft zwischen Geist und Körper, Verstand und Emotion, Männlichem und Weiblichem. Er behauptete, nichtmenschliche Lebewesen seien ohne Geist und somit nur »Automaten«. Das war die Rechtfertigung für ihre Versklavung. Die sogenannte menschliche Zivilisation beruht in ungeheurem Ausmaß auf tierischen Knochen und Knochenarbeit. Ohne Zugochsen, Lastesel und Ackergäule, ohne ihre Felle, Häute und Wolle, ohne ihre Sehnen und Knorpel, ohne Milch und Eier, Fleisch und Blut der Nutztiere hätte sich die Menschheit niemals urbanisieren können. Millionen von Pferden wurden in Kriegen niedergemetzelt, Milliarden Schlachttiere werden heute unter schlimmen Umständen gehalten und getötet. Ein Blutstrom und Opfergang ohnegleichen – für den es nirgendwo ein Denkmal gibt.
In Großbritannien bahnte sich im 16. Jahrhundert eine ökonomische Revolution an – der Kapitalismus. Grundherren verlangten von ihren Subsistenzbauern immer höhere Beträge. Wenn sie nicht zahlen konnten, nahmen ihnen »Landlords« die Äcker weg und vergaben sie an andere. Immer mehr Menschen wurden enteignet, der Rest musste miteinander konkurrieren und versuchen, »profitabel« zu wirtschaften. Zudem begann eine rücksichtslose Einhegung der Allmenden kleiner Leute, die zuvor auf solchen Gemeingütern (engl: Commons) frei sammeln, jagen, weiden und fischen konnten. Ihrer Existenzgrundlage beraubt und bitterarm, mussten sie als Lohnarbeiter anheuern – zuerst auf Äckern, später in Webereien, Kohlebergwerken und Fabriken.
Die stoffliche Seite der agroindustriellen Revolution aber geht auf den Gießener Chemiker Justus von Liebig zurück, der den Kunstdünger erfand. Als Jugendlicher hatte er 1816 ein dunkles »Jahr ohne Sommer« erlebt, bedingt durch Asche- und Schwefelteilchen eines Vulkanausbruchs in Indonesien mit der Folge einer globalen Hungersnot. Eine solche wollte er mit seinen Mineralsalzen für alle Zukunft verhindern helfen. Die Öffentlichkeit war begeistert, ein Patentrezept für die Ernährung der wachsenden Erdbevölkerung schien gefunden. Liebig selbst aber wurde mit zunehmendem Alter immer skeptischer: Er machte sich schwerste Vorwürfe, dass er als »kleiner Erdenwurm« sich angemaßt habe, die Schöpfung zu verbessern. Und entwickelte den »Liebig-Ozean«, ein frühes Öko-Modell der Gemeinschaft von Boden, Wasser, Pflanze und...