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Transformationsdesign - Wege in eine zukunftsfähige Moderne

Bernd Sommer, Harald Welzer

 

Verlag oekom Verlag, 2017

ISBN 9783960061939 , 240 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz frei

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1  Einleitung:
Was warum zu transformieren ist


Im 20. Jahrhundert wurde weltweit zehnmal mehr Energie verbraucht als während der kompletten Menschheitsgeschichte zuvor (McNeill 2005: 29). Die aus den Böden, den Wäldern, den Meeren entnommenen Mengen an Material, fossilen Rohstoffen und Biomasse haben sich, insbesondere seit den 1950er-Jahren, exponentiell gesteigert (Steffen/Crutzen/McNeill 2007). Der globale Rohstoffverbrauch und die Emissions- und Müllmengen wachsen weiterhin von Jahr zu Jahr an; der weltweite Siegeszug der kapitalistischen Wirtschaftsweise schafft neuen Reichtum, lässt neue Mittelklassen entstehen, ignoriert aber die planetarischen Grenzen (Rockström et al. 2009), die die prinzipiell endliche Menge an Ressourcen und Senken1) setzt. Die Übernutzung von Ökosystemen und Ressourcen sowie die Einschränkung der langfristigen Überlebensbedingungen von Menschen führt dazu, dass die Gesellschaften zunehmend unter Stress geraten: Dazu gehören erhöhte Ressourcenkonkurrenz, ebenso geopolitische Machtverschiebungen, Extremwetterereignisse oder steigende Nahrungs- und Energiepreise.
Vor diesem Hintergrund ist in den vergangenen Jahren in der interdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung und sozialökologischen Forschung unter dem Schlagwort der »Transformation« ein neuer Forschungszweig entstanden, der sich mit der Frage beschäftigt, wie sich moderne Gesellschaften, die sich in einem Zustand struktureller Nicht-Nachhaltigkeit befinden, in Richtung Nachhaltigkeit transformieren können.2) Im Gegensatz zur »Transformationsforschung« in den Politikwissenschaften (Merkel 2010), die sich mit der Transformation der politischen und wirtschaftlichen Regime in den ehemals sowjetkommunistischen Staaten befasst, wird hier also der Transformationsprozess nicht retrospektiv oder begleitend analysiert, sondern als Zukunftsaufgabe verstanden.
Dies ist der Ausgangspunkt der nachfolgenden Überlegungen, und damit stehen Fragen der Möglichkeit der Gestaltung gesellschaftlicher Veränderungsprozesse im Zentrum, die von der politischen Steuerung (Governance) über Stadtplanung und Architektur bis hin zur Produktgestaltung reichen. Es geht also um Transformationsdesign, die Gestaltung eines notwendigen Transformationsprozesses – eine Aufgabe, vor der vor allem die Gesellschaften stehen, deren ökologische Fußabdrücke und CO2-Emissionen pro Kopf rechnerisch um ein Vielfaches über dem liegen, was für eine nachhaltige und zukunftsfähige Weiterentwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft möglich ist (WBGU 2009). Wir beschränken den Geltungsbereich unserer Ausführungen zur Gestaltung von Transformationen damit auf die wohlhabenden frühindustrialisierten Gesellschaften. Diese haben sich ihre materiellen und organisatorischen Vorteile gegenüber nachrückenden Gesellschaften dadurch erworben, dass sie früher als andere den kapitalistischen Wachstumspfad eingeschlagen, diesen vor allem mit fossiler Energie befeuert und damit eine expansive Kultur begründet haben, die sich im Zuge des Globalisierungsschubs der letzten drei Jahrzehnte weltweit ausgebreitet hat.
Auch wenn mittlerweile bis auf wenige Ausnahmen beinahe alle Volkswirtschaften der Welt dem expansiven Prinzip der kapitalistischen Wachstumswirtschaft folgen, konzentrieren sich unsere Überlegungen aus drei Gründen auf moderne, also freiheitliche und demokratische Gesellschaften westlichen Typs: Erstens, weil Gesellschaften dieses Typs vor anderen Entwicklungsaufgaben stehen als etwa die sogenannten Schwellenländer – Armuts- und Hungerbekämpfung oder die Einrichtung von basalen Versorgungsinfrastrukturen stehen hier nicht im Vordergrund, sondern viel eher die Bewahrung eines erreichten zivilisatorischen Niveaus. Zweitens hat ein Großteil der Bewohnerinnen und Bewohner solcher Gesellschaften aufgrund ihrer in vielerlei Hinsicht relativ komfortablen Lebensbedingungen Spielräume zur Gestaltung ihrer beruflichen und privaten Handlungsbedingungen, die wir definieren können und die die Voraussetzung für unsere Überlegungen bilden, wie notwendige Transformationen gestaltet werden können. Schließlich ergibt sich drittens aus diesen Gestaltungsspielräumen sowie dem historischen und aktuellen Niveau des Naturverbrauchs auch die Verantwortung für Transformationen in Richtung Nachhaltigkeit. Für Gesellschaften mit anderen Entwicklungsaufgaben möchten wir uns weder die Kompetenz noch das moralische Mandat anmaßen, Designs für wünschenswerte Entwicklungen vorzugeben.3) Es ist, wie sich im Weiteren zeigen wird, ohnehin schwierig genug, so etwas für die eigene Gesellschaft zu versuchen. Wir entwickeln unsere Ideen also nicht »für die Welt«, schon gar nicht »für die Menschheit«; wir beanspruchen auch nicht, sie »retten« zu wollen, und was dergleichen politfolkloristische Nebelkerzen immer sein mögen. Wir sprechen über die konkreten Notwendigkeiten, Möglichkeiten und Blockierungen des Übergangs einer expansiven zu einer reduktiven Moderne und damit über ein Thema, das weder theoretisch noch praktisch hinreichend ausgeleuchtet ist. Denn es ist zwar bekannt, wie es auf Basis einer fossil befeuerten Wachstumswirtschaft zu jenen enormen materiellen und zivilisatorischen Fortschritten gekommen ist, die uns zu den Privilegierten der Welt gemacht haben, aber es existiert einstweilen allenfalls fragmentarisches Wissen darüber, wie sich ein solcher Typ Zivilisation unter Bedingungen aufrechterhalten lässt, in denen der Material- und Energieverbrauch sowie die Emissions- und Müllmengen um den Faktor fünf bis zehn reduziert sind. Vor diesem Hintergrund ist Transformationsdesign zunächst einmal die Heuristik einer reduktiven, zukunftsfähigen Moderne.
Die bisherige Entwicklung moderner Gesellschaften ist grundsätzlich durch eine expansive Dynamik gekennzeichnet – und zwar nach innen wie nach außen. Die Expansionsbewegung »nach außen« bedarf vor dem Hintergrund von Kolonialisierung sowie anhaltender Globalisierung des Wirtschafts- und Kulturmodells, das vor etwa 250 Jahren in Europa und Nordamerika seinen Ausgang nahm, kaum weiterer Erläuterung. Aber auch »nach innen« zeichnen sich diese Gesellschaften durch ungeheure Zuwachsraten in der Güterproduktion und Konsumption und damit einhergehend beim Ressourcen- und Energieverbrauch aus (siehe Abbildung 1).
Wie sich diese Expansionsdynamik auf der individuellen Ebene darstellt, hat Wolfgang Uchatius (2013) in einem Essay für Die ZEIT herausgearbeitet: Während Ende des 19. Jahrhunderts ein typischer deutscher Jugendlicher zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern einen einzigen Raum bewohnte und eine sehr überschaubare Anzahl persönlicher Gegenstände sein Eigen nennen konnte, besitzt der typische deutsche 18-Jährige zum beginnenden 21. Jahrhundert, wie Marktforschungsergebnisse zeigen, ca. 500 verschiedene Produkte: »ein Flachbildfernseher, 32 Zoll, ein Computer mit Monitor, zwei angeschlossene Lautsprecherboxen, ein Kopfhörer, ein Smartphone, ein CD-Radio-Kassettenrekorder, eine Playstation für Videospiele mit integriertem DVD-Spieler, eine Wii-Konsole, eine tragbare Playstation, mit der man auch unterwegs spielen kann. Außerdem: ein Bett, ein Kleiderschrank, ein Schreibtisch mit Stuhl, ein Taschenrechner, ein Funkwecker, zwei Fußbälle, ein Basketball, ein Volleyball, ein Rucksack, ein Globus, mehrere Paar Sportschuhe sowie Hemden, Hosen, Jacken, Bücher, Spiele, Stifte, DVDs« (ebd.).
Abbildung 1, Teil 1
Die Zuwachsraten in ausgewählten gesellschaftlichen Bereichen zwischen 1750 und 2000 (Quelle: Steffen et al. 2011).
Abbildung 1, Teil 2
Eine derartige Anhäufung materieller Konsumgüter wirft nicht allein vor dem Hintergrund der Endlichkeit der natürlichen Ressourcen und Senken Fragen auf, sondern auch in Bezug auf die für Menschen grundsätzlich begrenzte Zeit. Wann sollen die Videospiele gespielt, die Bücher gelesen, die DVDs geschaut und die verschiedenen Sportarten betrieben werden? Steigt die Anzahl an Handlungsoptionen, die diesen Artefakten jeweils eingeschrieben ist, auch an, so bleibt die verfügbare Zeit eines Menschen doch auf 24 Stunden pro Tag und 365 Tage pro Jahr beschränkt. Und in dieser gilt es noch zu schlafen sowie andere körperliche Bedürfnisse zu befriedigen und die wachsenden Selbstoptimierungsanforderungen moderner Gesellschaften zu bewältigen, die Schüler und Jugendliche zusätzlich unter Stress und Zeitdruck geraten lassen (Beisenkamp et al. 2012). Damit die Wirtschaft aber weiter wachsen kann, muss jemand all die Waren kaufen, die beständig neu kreiert und produziert werden. Nach Hartmut Rosa löst der Kapitalismus dieses Dilemma dadurch, dass er Menschen hervorgebracht hat, die zwar noch kaufen, aber zunehmend weniger konsumieren (im Sinne von »nutzen«): »Anstatt die Bücher zu lesen, die CDs zu hören oder die Musikinstrumente zu spielen (oder auch nur die Nahrungsmittel zuzubereiten), die wir längst nach Hause getragen haben, erwerben wir […] neue Produkte, und es kann kein Zweifel daran herrschen, dass dabei ein Kompensationsverhältnis zwischen dem entgangenen Realkonsum und den gesteigerten Kaufraten besteht: Weil es zu zeitaufwendig ist, Shakespeare zu lesen oder Mozart zu hören, kaufen wir stattdessen Goethe und Beethoven noch dazu« (Rosa 2011: 129 f.).
Kurz, die Menschen in Gesellschaften unseres Typs konsumieren nicht mehr, was sie kaufen. Eine Folge dieser Entwicklung ist, dass allein die Deutschen jährlich »6,7 Millionen Tonnen Lebensmittel in den Abfall, 800.000 Tonnen Kleider in den Container, eine Million Tonnen veraltete...