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Der 47. Samurai - Thriller

Stephen Hunter

 

Verlag Festa Verlag, 2017

ISBN 9783865525314 , 512 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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4,99 EUR


 

1 — Die Insel

20. Jahr, zweiter Monat, 21. Tag der Ära des Himmlischen Friedens

21. Februar 1945

Stille breitete sich im Bunker aus. Staub rieselte von der Decke. Der schwefelige Geruch nach faulen Eiern überlagerte alles andere.

»Captain?«

Es war ein Gefreiter. Takahashi, Sugita, Kanzaki, Asano, Togawa, Fukuyama, Abe – wer behielt da noch den Überblick? Es hatte schon so viele Namen gegeben.

»Captain, der Beschuss hat aufgehört. Heißt das, sie kommen?«

»Ja«, erwiderte er. »Das heißt, sie kommen.«

Der Offizier hieß Hideki Yano. Ein Captain des 145. Infanterieregiments, zweites Bataillon unter Yasutake und Ikeda, ein Teil von Kuribayashis 109. Division.

Die Decke war niedrig und es stank nach Schwefel und Fäkalien, weil alle Männer wegen des verschmutzten Wassers die Ruhr hatten. Es handelte sich um eine typische Festungsanlage der Kaiserlichen Armee, einen flachen Betonbunker. Über lange Monate hatte man diesen mit Eichenstämmen aus dem einzigen Eichenwald der Insel verstärkt, der inzwischen nicht mehr existierte.

Mittlerweile behalf man sich damit, Sand über ihn zu schütten. Es gab drei Schießscharten. Hinter jeder ruhte eine Typ-96-Maschinenkanone auf einem Stativ, die von einem Richtschützen und mehreren Ladeschützen bedient wurde. Jedes Schussfeld deckte fächerförmig Hunderte Meter einer eintönigen Landschaft ab, geprägt von schwärzlichen Sandhügeln und spärlicher Vegetation. Der Bunker unterteilte sich wie die Hülle eines Perlboots in drei Kammern. Selbst wenn eine oder zwei dieser Kammern zerstört wurden, konnte die letzte Kanone noch bis zum Ende weiterfeuern. Überall schmückten die jüngsten Weisungen aus dem Hauptquartier von General Kuribayashi die Wände, Auszüge aus einem Dokument mit dem Titel ›Schlachtgelübde der Tapferkeit‹. Darin wurden die Pflichten eines jeden Soldaten gegenüber dem Kaiserreich zusammengefasst:

Vor allem anderen widmen wir uns der Verteidigung dieser Insel.

Wir wollen mit Bomben die feindlichen Panzer stürmen und sie zerstören.

Wir wollen uns mitten unter die Feinde schleichen und sie vernichten.

Mit jeder Salve werden wir, ohne Fehl, den Feind töten.

Jeder Mann nimmt die Pflicht auf sich, zehn feindliche Kämpfer zu töten, ehe er selbst in den Tod geht.

»Ich habe Angst, Captain«, gestand der Gefreite.

»Die habe ich auch«, antwortete Yano.

Draußen setzte sich das kleine Reich des Captains fort. Sechs Gräben mit Nambu-Maschinengewehren, jeder bemannt mit einem Schützen, einem Ladeschützen und zwei oder drei Gewehrschützen, die die Flanken bewachten. In weiteren Vertiefungen lauerten Märtyrer mit Gewehren. Für sie gab es kein Entrinnen; sie wussten, dass sie bereits so gut wie tot waren. Sie lebten nur noch, um diese zehn Amerikaner zu töten, bevor sie ihr eigenes Leben opferten. Diese Männer hatte es am schlimmsten erwischt. In den Bunker konnten keine Granaten eindringen. Er bestand aus 1,20 Meter dickem Beton, von Stahlstangen durchzogen. Aber dort draußen konnten die Geschosse der Schiffsartillerie der Flotte vor der Küste einen Mann in Sekundenschnelle zerfetzen. Bei einer präzise treffenden Granate fand niemand mehr Zeit für ein Todesgedicht.

Der unmittelbar bevorstehende Angriff verlieh dem Captain neue Energie. Er schüttelte die monatelange Erstarrung ab, die Verzweiflung, die Gedanken an das miese Essen, den ständigen Durchfall und die Sorgen. Jetzt nahte endlich der Moment des Ruhms.

Nur dass er nicht länger an den Ruhm glaubte. Das taten nur Narren. Alles, woran er noch glaubte, war die Pflicht.

Er schwang selten große Reden. Aber jetzt rannte er von Stellung zu Stellung, vergewisserte sich, dass jedes Maschinengewehr gespannt und richtig ausgerichtet war, dass die Lader mit frischen Munitionsgurten bereitstanden und die Gewehrschützen kauernd darauf warteten, jeden amerikanischen Dämon auszuschalten, der sich hierher verirrte.

»Captain?«

Ein Junge zog ihn beiseite.

»Ja?« Wie lautete sein Name? Auch an ihn konnte er sich nicht erinnern. Aber sie alle waren gute Kerle, Jungs aus Kagoshima. Die Leute der 145. wurden aus Kyushu eingezogen, der Heimat der besten Soldaten Japans.

»Ich habe keine Angst vor dem Sterben. Ich brenne darauf, für den Kaiser zu sterben«, behauptete der junge Obergefreite.

»Das ist unsere Pflicht. Du und ich, wir sind nichts. Unsere Pflicht ist alles.«

Aber der Junge wirkte trotzdem unruhig.

»Ich habe Angst vor den Flammen. Ich habe solch eine Angst vor Feuer. Erschießen Sie mich, wenn ich brenne?«

Alle fürchteten sich vor den Flammenwerfern. Diese schrecklichen Biester kämpften unehrenhaft. Sie brachen Goldzähne aus den Mündern toter Japaner, bleichten japanische Schädel, machten Aschenbecher aus ihnen und schickten sie nach Hause. Sie töteten die Japaner nicht mit Anstand, mit Gewehr und Schwert – sie hassten die Klinge! –, sondern oft aus meilenweiter Entfernung mit den großen Schiffsgeschützen, mit den Flugzeugen. Und dann, im Näherkommen, setzten sie diese schrecklichen Schläuche ein, die brennendes Benzin verspritzten, das einem Mann das Fleisch von den Knochen brannte und ihn langsam hinrichtete. Wie konnte ein Krieger ehrenhaft sterben, wenn man ihn in Brand steckte?

»Oder mit dem Schwert, Captain. Ich flehe Sie an. Wenn ich brenne, dann köpfen Sie mich.«

»Wie ist dein Name?«

»Sudo. Sudo aus Kyushu.«

»Sudo aus Kyushu. Du wirst nicht durch Feuer sterben. Das verspreche ich dir. Wir sind Samurai!«

Das Wort Samurai ließ nach wie vor jeden Mann Haltung annehmen. Es stand für Stolz, Ehre, Selbstaufopferung. Es war mehr wert als das Leben. Das, was ein Mann sein musste, wofür er zu sterben bereit war. Das hatte er sein ganzes Leben lang gewusst; sich danach gesehnt, so wie er sich nach einem Sohn sehnte, der diesem Ideal gerecht wurde.

»Samurai!«, rief der Junge mit Leidenschaft. Er fühlte sich ermutigt, denn er glaubte daran.

Die Able-Kompanie führte den Hauptangriff. Sie war ganz einfach an der Reihe. Die Kompanien Charlie, Item und Hotel beteiligten sich mit Unterstützungsfeuer und Flankiermanövern an der Attacke und sollten den Artilleriebeschuss koordinieren, aber die Able ging diesmal voran. Geleitete sie in die Schlacht. Semper fi und dieser ganze herrliche Blödsinn.

Aber es gab ein Problem. Es gab immer eins. Heute dieses: Der kommandierende Offizier der Able-Kompanie zitterte. Ganz neu bei der 28. eingestiegen, Gerüchten zufolge der Sohn eines Vaters mit Beziehungen, der ihn auf diesen Posten gehievt hatte. Sein Name lautete Culpepper. Ein Collegeboy aus irgendeiner schicken Stadt, der ein bisschen wie eine Frau redete. Niemand konnte genau sagen, woran es lag; er schien nicht schwul zu sein oder so was – einfach nur ein bisschen anders als die übrigen Offiziere. Durch die Bank vornehm – aus einer vornehmen Stadt, aus einem vornehmen Haus, der Sohn vornehmer Eltern. War Culpepper der Aufgabe gewachsen? Niemand wusste das, aber der Bunker musste zerstört werden, sonst saß das Bataillon den ganzen Tag hier fest und die großen Kanonen auf dem Suribachi zerschmetterten mit ihren Salven weiterhin den Landekopf. Deshalb hatte Colonel Hobbs den First Sergeant seines Bataillons, Earl Swagger, angewiesen, Captain Culpepper an diesem Morgen zu begleiten.

»Culpepper, hören Sie auf den First Sergeant. Er ist ein alter Hase. Er kennt sich aus. Hat schon viele Strände gestürmt. Er ist der beste Anführer, den ich habe, verstehen Sie?«

»Ja, Sir.«

Der Colonel nahm Earl beiseite.

»Earl, helfen Sie Culpepper. Lassen Sie nicht zu, dass er stehen bleibt, seine Jungs müssen sich ununterbrochen bewegen. Tut mir leid, dass ich Ihnen das antun muss, aber ich brauche jemanden, der diese Jungs den Hügel hinaufbringt, und Sie sind der Beste, den ich dafür habe.«

»Ich bring sie rauf, Sir«, versprach Swagger. Er wirkte wie ein 140-prozentiges Mitglied des United States Marine Corps, mit jeder Faser seines Körpers. Eine sehnige Bohnenstange von einem Mann, alterslos, wie Sergeants es sind, ein Veteran der Schlachten um Guadalcanal, Tarawa und Saipain – manche behaupteten sogar, er sei schon an den Schlachten um Troja, die Thermopylen, Agincourt und die Somme beteiligt gewesen. Man sagte, niemand könne so gut mit einer Thompson umgehen wie der First Sergeant. Angeblich hatte er die Japsen schon vor dem Krieg in China bekämpft.

Swagger kam aus dem Nichts. Er hatte keine Heimatstadt, keine Erinnerungen, an denen er andere teilhaben ließ, keine Geschichten aus der guten, alten Zeit, als ob es für ihn nie eine gute, alte Zeit gegeben hätte. Es hieß, er habe bei seiner letzten Rückkehr in die Heimat, auf einer Art Werbetour für Kriegsanleihen, ein Mädchen geheiratet. Angeblich eine Augenweide, aber er zeigte nie Fotos herum oder redete über sie. Mehr als Listigkeit, Energie und Konzentration gab er nach außen nicht preis und wirkte unzerstörbar. Einer dieser Profis, die das besaßen, was man als Funkeln in den Augen bezeichnete. In der Lage, jedem Soldaten, jedem Lieutenant Mut zu machen, der noch grün hinter den Ohren war, egal in welcher Situation. Swagger war ein regelrechter Kriegsfürst und wenn ihm Unheil drohte, registrierte er es entweder gar nicht oder es kümmerte ihn nicht sonderlich.

Culpepper hatte...