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Preppy - Er wird dich zerstören

T. M. Frazier

 

Verlag LYX, 2017

ISBN 9783736305410 , 322 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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2


DRE

Ich stand auf der Zufahrt vor Mirnas Haus und atmete tief ein. All die Gerüche, die ich in den vergangenen Jahren vermisst hatte, nahm ich in mich auf. Das salzige Wasser des nicht allzu weit entfernten Golfs von Mexiko, die Orangen auf den zehn oder zwölf Plantagen in der nächsten Stadt, und der köstliche Duft nach gegrilltem Fleisch, der von einer Feuerstelle an der Straße herüberwehte und den ich in der Luft fast schmecken konnte.

Das Aroma von Logan’s Beach.

Der Duft meiner Heimat.

Aber irgendwie fühlte es sich seltsam an. Als hätte der Himmel nicht so blau sein sollen. Auch hätten keine Schäfchenwolken wie aus dem Bilderbuch über diesen Himmel ziehen sollen. Es fühlte sich falsch an, dass die Ampeln immer noch von Rot auf Grün und wieder zurücksprangen, und dass auf der Straße Kinder auf rostigen Rädern den Eiswagen verfolgten, aus dessen zerbeulten Lautsprechern die eindringliche Melodie irgendeines Gute-Laune-Lieds ertönte.

Ganz zu schweigen von den verdammten Kirchenglocken.

Das Lustige am Leben ist doch: Sogar, wenn etwas absolut Weltbewegendes passiert, etwas, das dich bis ins Mark erschüttert und aus der Bahn wirft – die Welt um dich herum kriegt es irgendwie nicht mit.

Oder es interessiert sie einen Dreck.

Da stand ich jedenfalls in der glühend heißen Sonne, an einem wundervollen Tag mitten im Sommer, und wartete darauf, von dem Meteoriten getroffen zu werden, der die Dinosaurier getötet hatte. Meine Nerven lagen blank, sie zuckten, als wäre es nicht schon Jahre her, dass ich zuletzt meinem Verlangen nach Heroin nachgegeben hatte. Ich liebte alles an Logan’s Beach, aber ich konnte es einfach nicht genießen. Fast fühlte ich mich schuldig, weil ich all diese fantastischen Dinge riechen konnte, während Preppy das nicht konnte. Nicht, solange er in diesem Bett lag, und wahrscheinlich auch nicht an dem Ort, an dem er das letzte Jahr verbracht hatte.

Ich musste meinen Grübeleien ein Ende setzen, bevor sie mich noch überholten. Ich kniff die Augen zu und schüttelte die zahllosen schrecklichen Gedanken ab, die mir durch den Kopf rasten.

Ausgerechnet in diesem Moment rannten zwei Kinder, lachend wie tollwütige Hyänen, die Straße hinunter. Einer der Jungen saß auf einem Fahrrad und zog den anderen, der auf einem Skateboard stand, hinter sich her. Die beiden erinnerten mich daran, wie viel Spaß ich früher immer mit meiner Stiefschwester gehabt hatte.

In Gedanken zeigte ich ihnen den Mittelfinger.

Natürlich nicht, weil sie es verdienten, sondern weil ich keine Ahnung hatte, wie ich einen Fuß vor den anderen setzen sollte, während sie die beste Zeit ihres Lebens genossen.

Vielleicht sollte ich einfach ein bisschen mit ihnen abhängen.

Ich schätze, es war gut, dass die Welt sich weiterdrehte, denn wäre sie stehen geblieben und hätte so ausgesehen wie ich in meinem Inneren, dann hätte ich keinen blauen Himmel und keine Fahrräder, sondern Zombies und den Weltuntergang vor Augen gehabt.

Reiß dich zusammen, Dre, beschimpfte ich mich selbst. Du musst dich konzentrieren. Für Dad.

»Hey, Dre, bist du noch da?«, fragte Brandon und wedelte mit einer Hand dicht vor meinem Gesicht herum. »Du bist ja völlig weggetreten.«

Ich schlug seine Hand weg, und er lachte. »Tut mir leid, ich bin gerade mit den Gedanken komplett woanders.«

»Wir müssen das nicht unbedingt heute erledigen«, sagte Brandon. »Was da passiert ist, scheint ziemlich heftig zu sein. Das würde jedem zu schaffen machen, du musst nicht …«

»Nein, ich werde es tun. Mit irgendetwas muss ich meinen Kopf beschäftigen, sonst werde ich noch verrückt, weil ich dauernd an …« Ich zögerte und verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen.

»… an ihn denke«, beendete Brandon den Satz für mich. Er wusste immer, was ich als Nächstes sagen wollte, und er ließ nicht zu, dass ich meiner Neigung nachgab und die Dinge in mich hineinfraß. »Du fragst dich, wie es jetzt weitergehen soll, stimmt’s? Jetzt, wo du weißt, dass er noch lebt?« In seiner Stimme lag keine Missbilligung. Nur Besorgnis.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Ich meine … Ja?«

Brandon verdrehte die Augen, fasste mich an den Schultern und drehte mich so, dass ich ihm ins Gesicht sehen musste. Wieder wedelte er mit der Hand, als wollte er sagen: Nun spuck’s schon aus! Ich wusste, dass er mich zum Weiterreden aufforderte, denn das tat er immer, wenn ich bockig war und schwieg. Also atmete ich tief ein und sagte: »Was ich meinte, war: Ja, ich weiß nicht, wie es jetzt weitergehen soll. Und ehrlich gesagt weiß ich nicht mal, ob er je wieder gesund wird, nicht einmal die Ärzte wissen das. Darum will ein Teil von mir nicht glauben, dass er lebt, denn das könnte sich ja auch wieder ändern …« Meine Stimme brach, und ich senkte den Blick auf den Kiesboden.

»Hey, sieh mich an«, sagte Brandon. Er hob mein Kinn an und zwang mich, ihm wieder in die Augen zu sehen. »Sprich weiter.«

»Und sogar, wenn er …« Ich räusperte mich. »… überlebt. Das ändert gar nichts. Es ändert nichts daran, dass er mich weggebracht hat. Dass er absichtlich Dinge gesagt und getan hat, die mich verletzt haben, weil er mich nicht wollte.«

»Doch, er wollte dich. Er hat dir diesen Brief geschrieben, und zwar Jahre, nachdem du fortgegangen bist.«

»Ja, aber das ist jetzt auch schon wieder ein Jahr her. Wer weiß, was Preppy inzwischen für lebensverändernde Situationen durchlebt hat. Selbst wenn all das keine Rolle spielte, gäbe es immer noch einen triftigen Grund dafür, dass zwischen uns nie eitel Sonnenschein herrschen wird. Können wir also jetzt bitte wieder über das Haus reden?«, fragte ich und lächelte auf eine alberne, ungeschickte Art, die meine oberen und unteren Zähne entblößte, sodass mein Gesicht aussah, als steckte es in einem Windkanal.

»Okay. Aber es ist noch nicht vorbei, wir reden noch mal darüber«, sagte Brandon und kniff mir leicht in die Wange, damit mein Gesicht wieder seinen normalen Ausdruck annahm.

»Oh ja! Versprochen?«, fragte ich sarkastisch.

»Klugscheißerin«, murmelte er. Brandon deutete mit dem Kinn auf das Haus. »Weißt du, dein Dad verlangt das hier nicht von dir«, erklärte er. »Und ich bin mir sicher, dass er ziemlich sauer wäre, wenn er es wüsste.«

»Na, dann erzählen wir es ihm eben nicht.«

»Ich dachte, bei diesem Narcotics-Anonymous-Programm lernt ihr auch, dass ihr nicht lügen sollt.«

»Na, hör mal, ich habe ja nicht behauptet, ich wollte mir sein Auto für einen Trip zur Shopping-Mall leihen, während ich tatsächlich vorhabe, es einer illegalen Autowerkstatt zu verkaufen, um meine Tagesration an Drogen zu finanzieren. Ich lüge nicht mal; ich verschweige ihm nur die Wahrheit, und zwar zu seinem Wohl, nicht zu seinem Schaden.«

»Na, Hauptsache, du kannst nachts noch ruhig schlafen«, sagte Brandon und verdrehte theatralisch die Augen. Er schob sich die Ärmel seines Button-down-Hemds über die Unterarme hoch. »Du solltest mit deiner Therapeutin darüber reden, Andrea. Ich bin sicher, sie wird dir etwas zur Logik der Begründung sagen, die du dir da zurechtgelegt hast.«

»Lass bloß Edna aus dem Spiel«, warnte ich ihn scherzhaft und wedelte mit dem Zeigefinger vor seinem Gesicht herum.

Ich schirmte meine Augen gegen die Sonne ab, als ich mich von Brandon abwandte, um zärtlich zu etwas anderem aufzublicken, das ich liebte. Ein viel älteres Wesen, mit viel mehr Abnutzungsspuren.

Mirnas Haus.

Und, weil Preppy Wort gehalten hatte, mein Haus.

Als wäre ich auf dem Weg zu einem ersten Date, setzte mein Herz einen Schlag aus. Schon beim Näherkommen sah ich die Kerben im Pfosten der Veranda, mit denen mein Großvater zu markieren pflegte, wie groß sein Enkelkind geworden war. Ich sah die Lampe an der Seite des Hauses, die schief hing, seitdem ich einmal Pfeil und Bogen ausprobiert hatte, ein Geburtstagsgeschenk von meiner Großmutter. Mir gefiel sogar, wie sich die Bäume vor dem Haus alle nach links neigten, Folge eines Hurrikans, der in dem Sommer getobt hatte, in dem ich neun Jahre alt geworden war. Das Haus, meine alte Freundin, war leicht reparaturbedürftig, weil es einige Jahre lang vernachlässigt worden war, aber ich fand es nach wie vor schön. Und so würde es immer bleiben.

Obwohl es mir nicht mehr sehr lange gehören würde.

Die Stufe der Verandatreppe, die ich repariert hatte, hatte sich schon wieder verzogen. Diesmal wölbte sie sich an der Außenseite nach oben wie ein Flügel, es sah aus, als wollte die Stufe sogleich abheben und wegfliegen. Das Dach hatte etliche Schindeln eingebüßt, an deren Stelle fleckige, ausgeblichene Teerpappe hervorlugte.

Das ganze Haus war so etwas wie eine Figur im Roman meines Lebens.

Eine wichtige Figur.

Während der gesamten Entwöhnungszeit und als ich am örtlichen College darauf hinarbeitete, mein Abitur nachzuholen, hatte ich ständig an dieses Haus gedacht. Nach dem Abschluss wollte ich dauerhaft in Logan’s Beach leben. Ich würde das Haus renovieren und zu einem Ort machen, auf den ich stolz sein konnte in dieser Stadt, von der ich mich nie ganz lösen konnte.

Was auch immer geschehen mochte, Logan’s Beach war ein Teil von mir.

Der Ort, an dem mein Leben fast geendet hätte und an dem es gerade neu begann.

Doch wenn ich durch das Leben nach der Entwöhnung irgendetwas gelernt hatte, dann war es, dass Pläne sich ändern und dass man sich den...