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Die Klage des Friedens

Erasmus von Rotterdam

 

Verlag Diogenes, 2017

ISBN 9783257607840 , 128 Seiten

Format ePUB

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14,99 EUR


 

{59}Erasmus von Rotterdam

Die Klage des Friedens


{61}Die Klage der Friedensgöttin, die von allen Nationen verbannt und niedergeschlagen wird


(Pax spricht:)

Wenn mich unschuldig zu verjagen für die Sterblichen günstig wäre, würde ich nur beklagen, dass mir Unrecht und Härte zuteil wird. Nun aber verstopfen sie mit meiner Vertreibung sich selbst die Quelle alles menschlichen Glücks und verschaffen sich eine Flut von Unheil, da muss ich über das Unglück jener mehr Tränen vergießen als über meinen Schaden. Ich bin bewegt, die zu bedauern, über deren viele Übeltaten ich, ihr trauriges Opfer, in Zorn geriet. Es ist nämlich in jedem Fall unmenschlich, einen lieben Freund fortzustoßen, ist undankbar, sich abzuwenden von einem, der sich löblich verdient machte, ist ruchlos, den Stif‌ter und Erhalter von allem in Ketten zu legen. Die außerordentlichen {62}Annehmlichkeiten, die ich mit mir bringe, sich selbst vorzuenthalten und sich stattdessen ein viermal Verderben bringendes Ungeheuer herbeizurufen, grenzt das nicht an Wahn? Schurken zürnt man, aber den von Furien Getriebenen kann man doch nur noch beweinen. Ja, sie sind namentlich zu beweinen, weil sie sich selbst nicht beweinen, und sie sind deshalb besonders unglücklich, weil sie ihr eigenes Unglück nicht wahrnehmen, da es der erste Schritt zur Genesung ist, wenn man erkennt, wie krank man ist.

Denn wenn ich da die Pax bin, die Götter- und Menschenstimmen lobten, die Quelle, die Mutter, die Amme, die Förderin und Beschützerin aller guten Dinge, die der Himmel und die Erde haben, wenn ohne mich nichts je blüht, nichts sicher, nichts rein oder heilig ist, nichts den Menschen förderlich noch den Göttern gefällig: Wenn all diesem entgegen der Krieg ein für alle Mal die Wurzel allen Übels ist, wenn durch seine Schuld die Blumen plötzlich welken, das Gediehene zerfällt, die Stützpfeiler wanken, das Wohlgegründete umkommt, das Süße verbittert, schließlich, wenn die Sache dermaßen unheilig ist, dass sie wie eine große Pest auf Frömmigkeit {63}und Religion wirkt, wenn nichts für Menschen so unglückselig ist wie bereits ein einziger Krieg, nichts den Himmlischen verhasster, ich frage beim unsterblichen Gott, wer glaubt, dass dies Menschen seien, wer glaubt, dass irgendein Körnchen gesunden Verstandes in denen sei, die mich in meiner Beschaffenheit mit solchem Aufwand, solchem Eifer, derartigen Anstrengungen, so viel Technik, Vorsorge und Wagemut zu vertreiben trachten und so sehr wünschen, das Schlechte zum höchsten Preis zu erwerben?

Würden mich die wilden Tiere in der Weise verschmähen, trüg ich’s leichter, rechnete es ihrer angeborenen, unsanf‌ten Natur zu. Wäre mir das sprachlose Vieh feindlich, vergäbe ich den Unverstand, deswegen nämlich, weil es keine Geisteskraft hat, mit der allein es meine Vorzüge erkennen könnte. Aber! O schmachvoller und ganz ungeheuerlicher Zustand, ein Lebewesen erzeugte die Natur, das mit Vernunft begabt und empfänglich für göttlichen Geist ist, eines brachte sie hervor für Wohlwollen und Herzensfreundschaft – und dennoch: Bei den grimmigen Wildtieren oder bei dem stumpfsinnigen Stallvieh würde ich eher einen Platz finden als bei den Menschen.

{64}Bereits bei den vielen Gestirnen, denen weder der gleiche Lauf noch dieselbe Stärke möglich ist, herrscht, trotz ihrer großen Zahl, doch schon eine übereinstimmende Welt und ein Gesetzesbündnis. Der Elemente sich widerstrebende Kräf‌te bewahren durch Gleichgewicht einen ewigen Frieden und bringen, bei allem Zwist, durch Zusammenstimmen und Wechselbeziehung eine Harmonie hervor. Bilden nicht im Körper eines Lebewesens die Glieder unter sich eine zuverlässige Einheit, bereit zu gegenseitigem Schutz? Was ist so verschieden wie Leib und Seele? Mit welcher Notwendigkeit die Natur diese beiden fest verknüpf‌te, bekundet jedoch zweifellos deren Trennung. Wie demnach das Leben nichts anderes ist als die Gemeinschaft von Körper und Seele, so ist die Gesundheit der Zusammenklang aller körperlichen Qualitäten. Die vernunftlosen Tiere sind innerhalb ihrer eigenen Art friedsam und einig. In Herden leben die Elefanten, in Scharen weiden die Schweine und Schafe, im Schwarm fliegen Kraniche und Dohlen, die Störche – immer noch Inbegriff des Familiensinns – haben ihre Sammelplätze, die Delphine beschützen sich mit gegenseitiger Hilfe; bemerkenswert sind die unter {65}sich einträchtigen Staaten der Ameisen und Bienen. Aber was zähle ich deren alle auf, obgleich ihnen die Vernunft fehlt, so fehlt ihnen doch nicht das Gefühl.

Gar bei Bäumen und Kräutern ist Freundschaft erkennbar. Einige bleiben fruchtlos, wenn kein männliches Exemplar dazwischensteht; der Wein umschlingt die Ulme, den Wein liebt der Pfirsich. Allenthalben scheinen die, die nichts fühlen, doch die Wohltaten des Friedens zu spüren. Aber, ob ohne Denkkraft, ob ohne Sinne, sie sind sich verwandt, weil sie doch Leben haben.

Was ist so unbeweglich wie die Klasse der Gesteine? Es lässt sich dennoch sagen, dass ihnen irgendwelche Wahrnehmungen von Friede und Eintracht innewohnen müssen. Wie denn zieht der Magnet das Eisen an?

Wie verhalten sich selbst die schrecklichsten Raubtiere? Die Löwen lassen ihre Rohheit nicht unter sich aus. Der Eber stößt seine mörderischen Zähne nicht in einen Eber, der Luchs hat Frieden mit dem Luchs, die Schlange versehrt nicht die Schlangen, die Eintracht der Wölfe ist sogar sprichwörtlich. Ich möchte hinzufügen, was noch erstaunlicher ist, dass die bösen Geister, durch {66}welche die Einigkeit von Gott und Menschen zuerst zerrissen wurde und noch heute zerrissen wird, gleichwohl unter sich ein Bündnis haben und durch Konsens ihre wie nur immer beschaffene Tyrannei behaupten.

Einzig die Menschen, denen unter allen am meisten die Einmütigkeit gemäß wäre und die ihrer auch zuallererst bedürfen, verbindet weder die sonst so mächtige und einigende Natur noch die Erziehung, weder der Wunsch nach Fortschritt leimt sie zusammen, noch zwingt sie schließlich die Wahrnehmung und Erfahrung des Unheils zur Nächstenliebe. Alle gleichen sich in Gestalt und Stimme, dagegen sind andere Tierarten unter sich hauptsächlich in der Körperform verschieden; nur Menschen besitzen ein Denkvermögen, das nur ihnen und nicht den übrigen Tieren eigen ist. Allein diesem Lebewesen ist die Sprache gegeben, die besonders als Freundschafts-Stif‌ter geeignet ist. Eingepflanzt sind das Gemeingut des Wissens und der Keim der Tugend sowie ein sanftes und friedliches Naturell, das für ein gegenseitiges Wohlwollen wichtig ist und die Liebe füreinander fördert; auch ist es liebenswert, anderen sogar gratis zu dienen, wenn nur keiner durch {68}schlimme Habsucht verführt, wie unter Circes Drogen, vom Menschen zum Ungeheuer entarten würde. Hier ist offensichtlich, warum allgemein alles, was das gegenseitige Wohlwollen betrifft, als ›menschlich‹ bezeichnet wird, so dass das Wort ›Humanität‹ nicht schon unsere Natur darlegt, sondern die seiner Natur würdige Gesittung eines Menschen. Man nehme die Tränen als Beweis, wie bewegbar die Gemütsart ist, wodurch, wenn jemandem etwa eine Kränkung widerfährt und die Heiterkeit der Freundschaft durch Wölkchen verdunkelt wird, er zur Versöhnung bereit ist. Sieh, auf wie viele Art und Weise lehrte die Natur die Eintracht? Doch mit diesen Reizen zu gegenseitigem Wohlwollen nicht genug, wollte sie, dass Freundschaft den Menschen nicht nur angenehm sei, sondern obendrein ein Bedürfnis. Darum sind bald die körperlichen, bald die geistigen Gaben derart verteilt, dass niemand mit allem voll ausgestattet ist, ja sogar durch den Dienst der Geringsten wird auch ein Beitrag geleistet. Es kommt nicht allen das Gleiche zu, auch nicht gleich viel, auf dass diese Ungleichheit mit gegenseitigen Freundschaften ausgeglichen wird.

Die zweite Seite des Widmungsbriefes an Philipp von Burgund wurde in Form eines Kredenzbechers dargereicht.

In verschiedenen Gebieten wächst {69}Verschiedenes, daher lehrt wohl die Nutznießung selbst den wechselseitigen Handel. Den übrigen Lebewesen verlieh die Natur eigene Waffen und Schutzvorrichtungen, mit denen sie sich verteidigen können, einzig den Menschen erzeugte sie wehrlos und schwach, nicht anders geschützt als durch Bündnis und gegenseitige Beziehungen. Der Mangel ließ die Gemeinden erfinden und lehrte die Gemeinschaft untereinander, wodurch sie mit vereinten Kräf‌ten den Angriff von wilden Tieren und Räubern abwehrten. Soweit gibt es nichts in menschlichen Angelegenheiten, was sich selbst genügt. In seinen ersten Anfängen des Lebens wäre das Menschengeschlecht sogleich erloschen, wenn nicht die eheliche Eintracht die Schöpfung fortgepflanzt hätte. Der Mensch würde sicherlich nicht geboren werden oder würde frisch geboren umkommen und unmittelbar an der Schwelle seines Lebens das Leben verlieren, wenn nicht die Hebamme mit lieber Hand und wenn nicht die Amme mit lieber Pflichterfüllung dem Kindchen zu Hilfe eilten. Und noch dazu sind zu dessen Vorteil die sehr gewaltigen Keime der Elternliebe eingesät, damit die Eltern jenes sogar schon lieben, bevor sie es sehen. Hinzu kommt {70}die Anhänglichkeit der Kinder an ihre Eltern; sie fordern durch ihre Hilf‌losigkeit deren Schutz heraus; damit sind dann allesamt gleichermaßen zufrieden. Bei den Griechen wird solche enge Verbundenheit übrigens ›Antipelargosis‹ genannt, d.h. Storchenliebe. Auch kommen noch die Bande der Verwandtschaft hinzu. Außerdem besteht bei sehr vielen eine Ähnlichkeit im Temperament, in den Vorlieben und im...