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Der verbotene Liebesbrief - Roman

Lucinda Riley

 

Verlag Goldmann, 2017

ISBN 9783641174279 , 704 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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10,99 EUR


 

Kapitel 1

London

5. Januar 1996

Keuchend und mit rasselnder Lunge rannte Joanna Haslam durch Covent Garden. Immer wieder musste sie Touristen und Grüppchen von Schulkindern ausweichen und hätte mit ihrem Rucksack über der Schulter fast einen Straßenmusiker umgerissen. Sie erreichte die Bedford Street, als gerade eine Limousine vor dem schmiedeeisernen Tor zur St. Paul’s Church anhielt. Fotografen drängten sich um den Wagen, als der Chauffeur ausstieg und den Verschlag öffnete.

Verdammt! Verdammt!

Mit letzter Kraft sprintete Joanna die wenigen Meter zum Tor und über den gepflasterten Innenhof; die Uhr an der roten Ziegelfassade der Kirche bestätigte ihr, dass sie zu spät kam. Während sie auf den Eingang zusteuerte, ließ sie den Blick über die Schar der Paparazzi schweifen. Steve, ihr Fotograf, hatte tatsächlich einen Logenplatz hoch oben auf den Stufen ergattert. Sie winkte ihm zu, er wünschte ihr mit dem Daumen nach oben viel Glück, und sie zwängte sich durch das Gedränge der Fotografen, die die berühmte Persönlichkeit aus der Limousine umlagerten. Beim Betreten der Kirche sah sie im Schein der von der hohen Decke hängenden Lüster, dass die Kirchenbänke voll besetzt waren. Im Hintergrund spielte feierliche Orgelmusik.

Nachdem sie dem Kirchendiener ihren Presseausweis gezeigt und einmal tief durchgeatmet hatte, ließ sie sich dankbar auf die hinterste Kirchenbank sinken und durchwühlte ihren Rucksack nach Stift und Notizblock. Mit jedem japsenden Atemzug hoben und senkten sich ihre Schultern.

Trotz der eisigen Kälte, die in der Kirche herrschte, stand ihr der Schweiß auf der Stirn, der Rollkragen des schwarzen Wollpullovers, den sie hastig übergestreift hatte, klebte ihr auf der Haut. Sie putzte sich die laufende Nase, fuhr sich durch die zerzausten langen, dunklen Haare, lehnte sich zurück und versuchte, ruhig durchzuatmen.

Das Jahr hatte so verheißungsvoll begonnen, aber jetzt, nur wenige Tage später, hatte sie das Gefühl, als wäre sie ohne jede Vorwarnung von der Aussichtsplattform des Empire State Building geschleudert worden.

Der Grund dafür war Matthew, ihre große Liebe – oder vielmehr, seit gestern, ihre große Ex-Liebe.

Joanna biss sich auf die Unterlippe, damit sie nicht wieder in Tränen ausbrach, und machte einen langen Hals, um einen Blick auf die Kirchenbänke direkt vor dem Altar zu erhaschen. Mit Erleichterung stellte sie fest, dass die Angehörigen noch nicht eingetroffen waren. Als sie sich zur Kirchentür umdrehte, sah sie die Paparazzi warten, die draußen rauchten und an ihren Objektiven herumfummelten. Vor ihr rutschten die Trauergäste unruhig auf den unbequemen Holzbänken hin und her und tuschelten mit ihren Sitznachbarn. Joanna warf einen prüfenden Blick über die Versammelten, bemüht, die bekanntesten zu entdecken, damit sie deren Namen in ihren Artikel einfließen lassen konnte. Allerdings war es nicht leicht, die Personen von hinten zu erkennen, zumal die meisten grau- oder weißhaarig waren. Während Joanna die Namen in ihren Notizblock kritzelte, kamen ihr wieder Bilder des vergangenen Tags in den Sinn …

Gestern Nachmittag hatte Matthew bei ihr in Crouch End unerwartet vor der Wohnungstür gestanden. Weihnachten und Neujahr hatten sie gemeinsam gefeiert und waren dann übereingekommen, noch ein paar ruhige Tage getrennt zu verbringen, jeder in seiner eigenen Wohnung, bevor es wieder mit der Arbeit losging. Zu ihrem Leidwesen hatte sie sich aber die scheußlichste Erkältung seit Jahren eingefangen und Matthew bei seinem Überraschungsbesuch daher in einem uralten Pyjama empfangen, mit Ringelsocken an den Füßen und ihrer Pu-der-Bär-Wärmflasche im Arm.

Sie hatte sofort gewusst, dass etwas nicht stimmte. Er war gleich hinter der Tür stehen geblieben und hatte es abgelehnt, den Mantel auszuziehen. Sein Blick war hin und her geschossen und hatte sich auf alles Mögliche gerichtet, nur nicht auf sie.

Dann hatte er ihr mitgeteilt, dass er »nachgedacht« habe. Dass er nicht den Eindruck habe, ihre Beziehung hätte eine Zukunft. Und dass es vielleicht an der Zeit sei, sie zu beenden.

»… Wir sind seit sechs Jahren zusammen, seit Ende des Studiums«, hatte er gesagt und mit den Handschuhen gespielt, die sie ihm zu Weihnachten geschenkt hatte. »Ich weiß nicht, ich hatte immer gedacht, dass ich mir irgendwann wünschen würde, dich zu heiraten – du weißt schon, dass wir uns offiziell verbinden. Aber das habe ich nicht …« Er zuckte mit den Schultern. »Und wenn ich es mir jetzt nicht wünsche, kann ich mir nicht vorstellen, dass sich das noch ändert.«

Joanna hielt sich an ihrer Wärmflasche fest, während er sie schuldbewusst ansah. Sie kramte in ihrer Pyjamatasche nach dem feuchten Taschentuch und putzte sich kräftig die Nase. Dann sah sie ihm direkt ins Gesicht.

»Wie heißt sie?«

Er würde über und über rot. »Ich wollte das nie«, murmelte er. »Aber jetzt ist es passiert, und ich kann nicht mehr so tun, als wäre zwischen uns beiden alles in bester Ordnung.«

Joanna dachte an die gemeinsame Silvesternacht vor vier Tagen. Zumindest da war es ihm aber sehr gut gelungen.

Offenbar hieß sie Samantha und arbeitete in derselben Werbeagentur wie er. Immerhin als Account Director. Angefangen hatte es an dem Abend, an dem Joanna wegen einer Korruptionsgeschichte einem Tory-Abgeordneten nachgestellt und es nicht zur Weihnachtsparty in Matthews Agentur geschafft hatte. Sofort war ihr das Wort »Klischee« durch den Kopf geschossen. Aber, fragte sie sich jetzt, was waren Klischees denn anderes als der gemeinsame Nenner menschlichen Verhaltens?

»Bitte glaub mir, ich habe versucht, nicht mehr an Sam zu denken«, sagte Matthew. »Ich habe mich über Weihnachten wirklich bemüht. Es war so schön bei deiner Familie in Yorkshire. Aber dann habe ich sie letzte Woche wieder getroffen, nur auf einen kurzen Drink, und …«

Joanna war passé, jetzt war Samantha angesagt. So einfach war das.

Sie starrte ihn nur sprachlos an, während er einfach weiterredete; ihre Augen brannten vor Schock, Wut und Angst.

»… Zuerst dachte ich, ich hätte mich bloß verknallt. Aber wenn ich für eine andere Frau so viel empfinde, kann ich doch keine Beziehung mit dir haben. Das liegt doch auf der Hand. Ich tue nur das Richtige.« Er sah sie an, als erwarte er Dank für seinen Edelmut.

»Das Richtige …«, wiederholte sie dumpf. Dann brach sie in fiebrige Tränen aus. Wie aus weiter Ferne hörte sie, wie er noch mehr Ausreden anführte. Mühsam riss sie ihre verquollenen Augen auf und starrte ihn an, während er klein und beschämt in ihren abgewetzten Ledersessel sank.

»Raus«, brachte sie schließlich krächzend hervor. »Du mieser, verlogener, schmieriger Betrüger! Raus! Verschwinde!«

Diese eine Aufforderung hatte genügt, was Joanna rückblickend am meisten kränkte. Er war aufgestanden, hatte noch etwas von diversen, bei ihr deponierten Habseligkeiten gemurmelt und dass man sich zusammensetzen müsse, wenn sich alles etwas beruhigt habe, und dann hatte er regelrecht die Flucht ergriffen.

Den Rest des vergangenen Abends hatte sich Joanna erst bei ihrer Mutter am Telefon und anschließend auf der Voicemail ihres besten Freundes Simon ausgejammert und dabei das zunehmend durchweichte Fell ihrer Pu-der-Bär-Wärmflasche vollgeheult.

Dank Unmengen von Hustensaft und Brandy war sie schließlich weggesackt, dankbar, dass sie wegen der vor Weihnachten in der Nachrichtenredaktion angesammelten Überstunden die nächsten Tage frei hatte.

Morgens um neun hatte ihr Handy geklingelt und sie aus ihrem betäubten Schlaf gerissen. Sie betete, es möge ein am Boden zerstörter, reumütiger Matthew sein, dem gerade bewusst geworden war, was er eigentlich getan hatte.

»Ich bin’s«, bellte eine Stimme mit Glasgower Akzent.

Joanna fluchte lautlos. »Hallo, Alec«, schniefte sie. »Was willst du? Ich hab heute frei.«

»Hast du nicht, bedauere. Alice, Richie und Bill haben sich krankgemeldet. Du musst deine Überstunden ein anderes Mal abfeiern.«

»Dann sind wir zu viert.« Joanna hustete übertrieben laut in den Hörer. »Tut mir leid, Alec, aber ich liege halb im Sterben.«

»Sieh’s so: Wenn du heute arbeitest, hast du frei, wenn du wieder gesund bist und etwas Schönes unternehmen kannst.«

»Nein, es geht wirklich nicht. Ich hab Fieber. Ich kann mich kaum auf den Beinen halten.«

»Perfekt. Es ist ein Auftrag im Sitzen, in der Schauspielerkirche in Covent Garden. Um zehn findet dort der Gedenkgottesdienst für Sir James Harrison statt.«

»Alec, das kannst du mir nicht antun, bitte nicht. Eine zugige Kirche ist das Letzte, was ich jetzt brauche. Ich bin todkrank. Als Nächstes besuchst du dann einen Gedenkgottesdienst für mich.«

»Sorry, Jo, du musst dahin. Ich bezahle dir auch ein Taxi hin und zurück. Du darfst hinterher sofort nach Hause und mailst mir deinen Artikel von dort. Versuch ein paar zitierfähige Kommentare von Zoe Harrison zu kriegen, ja? Ich habe Steve zum Fotografieren hingeschickt. Wenn sie sich richtig auftakelt, kommt sie auf die Titelseite. Also, bis später.«

»Verdammt!« Verzweifelt ließ Joanna den Kopf wieder ins Kissen sinken. Dann bestellte sie sich ein Taxi und wankte zum Kleiderschrank, um ein passendes schwarzes Outfit zusammenzustellen.

Sie mochte ihren Job, sie lebte für ihn, wie Matthew oft angemerkt hatte, aber an diesem Morgen fragte sie sich ernsthaft, weshalb. Nach zwei Anstellungen bei Lokalzeitungen war sie vor einem Jahr bei der Morning Mail, einer der auflagenstärksten englischen...