dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Die Phileasson-Saga - Schlangengrab - Roman

Bernhard Hennen, Robert Corvus

 

Verlag Heyne, 2018

ISBN 9783641203863 , 624 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

11,99 EUR


 

1   DIENST AN DEN GÖTTERN

Wildnis südwestlich von Salderholt,

neunter Tag im Vinmond

»Sie gefällt mir nicht.« Pardona die Vielgestaltige beobachtete die in schwarzes Leder gekleidete Frau, Zidaine Barazklah, die abseits des Lagerfeuers am Seeufer hockte. »Was macht sie da?«

»Wasser holt sie jedenfalls nicht«, sagte Selime.

Pardona betrachtete die Novadi im Licht der Abenddämmerung. Beinahe alles an ihr war sechzehn Jahre alt, aber ihr Blick war nicht der einer Heranwachsenden. Die braunen Augen hatten Dinge geschaut, die Sterblichen für gewöhnlich verwehrt blieben, und ihr Körper hatte in der Qual, die Pardona ihm zugefügt hatte, einen Schritt auf die Vollkommenheit zugemacht. Pein konnte läutern wie Feuer, sie brannte weg, was niedrig und erbärmlich war.

»Ich glaube, sie liest«, meinte Galayne, den die Thorwaler der-im-Schildwall-steht nannten, weil er im Totenmoor an ihrer Seite gekämpft hatte. Ob Beorn wirklich dachte, der stets weiß gekleidete Elf sei jetzt einer von ihnen?

Mit einem schadenfrohen Lächeln betrachtete Pardona Galaynes feine Züge. Menschen glaubten stets, was sie glauben wollten. Ihre Helden verfielen dieser Narretei noch häufiger als die gewöhnlichen Sterblichen. Vielleicht lag es an ihrer naiven Zuversicht, ihre Träume Wirklichkeit werden zu lassen. So wie bei Beorn, diesem Plünderfahrer, dessen Namen man an jeder Küste Aventuriens kannte.

Sie vergaßen leicht, dass für jeden, der den Berg seiner Träume erklomm, tausend in tiefen Schluchten verschwanden, wo sich niemand an sie erinnerte.

Galayne war Pardonas Geschöpf. Er gehörte ihr, auch wenn er das in den letzten Monden manchmal vergessen hatte.

Pardona sah wieder zu Zidaine hinüber. Eine entzündete Laterne stand vor ihr, obwohl es auch für Menschenaugen noch hell genug war. Eigentlich hätte ihr das Licht lästig sein müssen, es lockte die Mücken an, die die Hitze dieser Tage am Seeufer ausbrütete.

»Ist das ein Pergament auf ihrem Schoß?«, fragte Selime.

»Du hast scharfe Augen«, lobte Pardona.

Galayne lüpfte eine Braue.

»Damit habe ich nichts zu tun«, wiegelte Pardona ab. »Diese Augen hat sie mit in den Himmelsturm gebracht.«

Die junge Novadi war eitel. Sie trug das wohl kostspieligste Rüstungsstück in Beorns Ottajasko, eine Brigantina, eine Weste, zwischen deren zwei Lagen aus edlem, rotem Leinen Eisenschuppen genietet waren. Der eiserne Schutz blieb unter der äußeren Stoffschicht verborgen. Zu sehen waren lediglich die Schmucknieten, die wie Schneeflocken gestaltet waren. Selime ging ein paar Schritt den sanften Hügel hinab, wohl, um besser sehen zu können, was die Neue tat. »Was liest sie da?« Das wuchtige Krummschwert der Novadi lag bei den Zelten, aber die Rüstung trug sie noch. Das Gewicht der eingenähten Metallplatten schien ihr nichts auszumachen.

»Sie liest nicht.« In Galaynes Stimmen schwang eine Spur Ungeduld mit. »Sie malt oder sie schreibt.«

»Sie benutzt ein Stück Holzkohle«, bestätigte Pardona.

Zidaine öffnete das Windglas ihrer Laterne und hielt das Pergament an die Flamme. Sie hob es auf Kopfhöhe an und sah zu, wie das Feuer verzehrte, was immer sie notiert hatte, und der sanfte Wind die Asche auf den See hinaustrug. An der Rechten trug sie keinen Handschuh, also musste sie die Hitze unvermindert spüren, als die Flammen sich näherten. Dennoch ließ sie nicht los, sondern wartete ab, bis ihnen die Nahrung ausging. Erst dann zerriss sie das letzte Stückchen, warf die Reste ins Wasser, nahm die Laterne auf und kehrte zum Lagerfeuer zurück.

»Sie scheint Gefallen an Schmerzen zu finden«, stellte Pardona fest. »Schade, dass sie den Himmelsturm so übereilt verlassen hat.«

»Ich dachte, du magst sie nicht?« Offen sah Selime ihr in die Augen. Das Heldenherz in ihrer Brust verlieh ihr Mut.

Pardona lächelte. »Möglicherweise hätten wir gemeinsame Vorlieben entdeckt.«

»Dann hätte sie nicht für den Blender spionieren können«, gab Galayne zu bedenken.

»Aber ihr zu helfen, ihren Geist zu befreien, hätte mir Vergnügen bereitet«, sagte Pardona. »Ich habe die Vielfalt unartikulierter Laute lange studiert. Manchmal haben sie etwas Animalisches, selten sogar etwas Kindliches, und doch drücken sie das, was in einem Herzen vorgeht, besser aus als wohlgesetzte Worte. Wenn man gut achtgibt, hört man am Stöhnen den Moment heraus, in dem die Hoffnung stirbt. Es ist faszinierend. Mit ihr wäre ich wohl einen langen Weg gegangen …«

»Mir scheint, Beorn ist sehr zufrieden damit, sie zurückzuhaben.« Galayne klang für Pardonas Geschmack einen Hauch zu herablassend.

»Du wirst doch den lächerlichen Eid, den du auf ihn geschworen hast, nicht ernst nehmen?«, spottete die Göttin. »Wirst du mir etwa zu einem jener Mimen, die vergessen, wann sie auf der Bühne stehen und wann im wirklichen Leben? Beginnst du dich in deiner Rolle zu verlieren, Galayne, der im Schildwall steht?«

»Ohne Zidaines Hilfe wäre der Punkt für die letzte Aufgabe möglicherweise an den Foggwulf gegangen«, warf Selime in dem plumpen Versuch ein, dass Gespräch wieder in ein sicheres Fahrwasser zu lenken.

»Denkt ihr, mich interessiert, wer diesen albernen Titel gewinnt? König der Meere … dieser König hat keinen Palast, keinen Hofstaat, kein Volk, noch nicht einmal ein Heer.«

»Bei den Thorwalern ist es eine große Ehre, wenn …«

Mit einer knappen Geste brachte sie Galayne zum Schweigen.

Selime war nicht so leicht ruhigzustellen. »Sollen wir dem Blender etwa unsere Unterstützung versagen?«

»Für den Moment verhaltet ihr euch so, wie er es erwartet«, befahl Pardona.

»Indem wir uns mit der Traviageweihten auf einen Hügel zurückziehen, wo sie in vertraulichem Plausch unsere Seelen stärkt?«, fragte Selime ironisch.

Pardona zog ihr orangefarbenes Gewand zurecht. »Die Stunde, die Masken fallen zu lassen, ist noch nicht gekommen. Spielt dem Blender vor, ganz die Seinen zu sein, solange es mir gefällt.«

Am Lagerfeuer prahlten die Thorwaler lautstark mit ihren Taten. Beorn ermunterte sie dazu, er wusste, wie man den Mut simpler Gemüter hochhielt. Im richtigen Moment machte er sich gemein mit seinen Leuten. Jetzt etwa hatte er den geflügelten Helm abgelegt und auch das Kettenhemd ausgezogen. Es lag vor dem an sein Zelt gelehnten Rundschild, der eine graue Schlange auf schwarzem Grund zeigte. Dieser Schild war der einzige, der mit einer Eisenfassung beschlagen sein durfte. Das war ein Symbol der Hetmannswürde, noch so etwas, das mit thorwalscher Ehrsucht zusammenhing. Er war sichtbar, stand aber abseits … Ob Beorn diese Zeichen absichtlich setzte, oder war das ein Instinkt wie bei einem Affen, der sein Rudel führte?

Er ließ Selflanatil herumgehen, die Silberflamme, das Elfenschwert. Eine wundervolle Arbeit, meisterlich geschmiedet, sie verband sphärische Eleganz mit tödlicher Härte. Pardona empfand es als überaus ärgerlich, dass sie das Artefakt nicht berühren konnte. Sie durfte sich ihm noch nicht einmal nähern, solange es nicht in seiner Scheide steckte. Trotz der Armreife, die sie vor dem Blick der Götter verbargen, würde Selflanatil ihren Bund mit ihrem namenlosen Herrn verraten. Man hatte es geschmiedet, um gegen Ihresgleichen zu Felde zu ziehen.

Die Thorwaler behandelten die Silberflamme wie gewöhnliches Plündergut. Tjorne Warulfson, der nach mehreren Humpen unsicher auf den Beinen stand, führte damit Schläge gegen unsichtbare Feinde.

Olav Stirson, der Steuermann, dessen breite Schultern nicht zu seiner drahtigen Gestalt passen wollten, bewies immerhin einiges Geschick. Er suchte den Schwerpunkt der Klinge knapp vor dem Handschutz und ließ sie um seine Finger kreisen. Verblüfft stellte er fest, dass sie seinen Handschuh zerschnitt.

Das veranlasste Eilif Sigridsdottir zu röhrendem Gelächter. Sie war die massigste Frau, die Pardona jemals erblickt hatte, und die vieltausendjährige Elfe hatte viele Frauen gesehen. Dabei konnte man Eilif noch nicht einmal fett nennen, ihre Muskeln standen ihren gewaltigen Brüsten in nichts nach. Beorn brachte sie eine seltsame Art von Respekt entgegen, die auch eine stets schwelende Herausforderung einschloss. Er wiederum hatte ihr den Ehrennamen Donnerfaust zuerkannt, neckte sie aber auch manchmal, indem er sie vor aller Ohren mit einem brünstigen Wasserbüffel verglich.

Iskir Svenson, der Jüngste in der Runde, war ebenfalls sehr kräftig. Er fasste Selflanatil mit der Linken am Griff und legte die Rechte vorsichtig nahe der Spitze um das Metall. Zum Entsetzen der anderen bog er das Schwert, als versuchte er, es zu zerbrechen. Ihre protestierenden Schreie ignorierte er. Mit lautem Lachen ließ er den Stahl zurückschnellen und reichte die Waffe an Eimnir Hermson weiter.

Der Rothaarige spielte nicht mit Selflanatil herum. Stattdessen richtete er die Spitze auf das Lagerfeuer und beobachtete, wie sich die tanzenden Flammen im Metall spiegelten.

Zidaine schien seltsam abwesend. Auch jetzt setzte sie sich nur stumm in den Kreis.

»Ich war mir nicht sicher, ob sie den Stich überleben würde, den ich ihr versetzt habe«, sagte Galayne.

»Hat deine Treffsicherheit gelitten?«, fragte Pardona.

»Nach ein paar Hundert Jahren auf dem Meeresgrund könnte ihm das schwerlich jemand verübeln«, warf Selime ein.

»Um mein Auge und meine Hand braucht sich niemand zu sorgen«, erwiderte Galayne kühl. »Aber es musste lebensbedrohlich sein. Hätten die Heiler des Foggwulfs sie nur ein wenig später...