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Grand Prix - Der neunte Fall für Bruno, Chef de police

Martin Walker

 

Verlag Diogenes, 2017

ISBN 9783257607895 , 384 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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10,99 EUR


 

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Dem Mondkalender zufolge war heute ein besonders guter Tag, um Brokkoli, Kopfsalat und Blumenkohl zu pflanzen. So wie die Tage davor, bei abnehmendem Mond, besonders geeignet gewesen waren, um Unkraut zu jäten und einen neuen Komposthaufen anzulegen. Bruno Courrèges fragte sich, ob das nicht alles in Wirklichkeit Hokuspokus sei, während er die Setzlinge, die er in seinem Treibhaus vorgezogen hatte, in die Erde steckte. Andere Hobbygärtner, die Bruno kannte und denen er vertraute, nahmen die Ratschläge des Mondkalenders jedenfalls ernst, allen voran der Bürgermeister der französischen Kleinstadt Saint-Denis, in der Bruno Chef de police war. Die Qualität der Produkte, die sie ernteten, gab ihnen recht. Darum wollte es auch Bruno auf einen Versuch ankommen lassen. Sein kleiner Hund Balzac, ein Basset, kauerte auf der anderen Seite des Gemüsebeetes, beobachtete sein Herrchen neugierig und schien sich zu fragen, warum er in diesem Teil des Gartens nicht spielen durf‌te.

»Das ist wissenschaftlich belegt«, hatte Bürgermeister Gérard Mangin beteuert. »Denken Sie nur an die Gezeiten des Meeres. Die Anziehungskraft des Mondes wirkt sich auf die Feuchtigkeit im Boden aus, mal mehr, mal weniger. Also pflanzt man Blattgemüse bei zunehmendem und {8}Wurzelgemüse bei abnehmendem Mond. Ich habe nur gute Erfahrungen damit gemacht.«

Als alle Setzlinge Reihe um Reihe gepflanzt waren, wässerte Bruno die zarten grünen Sprossen mit der Gießkanne. Dann reckte er sich, um den Rücken zu entspannen, und wandte sein Gesicht der Morgensonne zu. Wie vom Mondkalender empfohlen, hatte er das letzte Wintergemüse geerntet. Am Vorabend hatte er aus zwei geviertelten Hühnchen, Karotten, Zwiebeln und Kartoffeln ein einfaches, aber wohlschmeckendes Mahl für seine Freunde zubereitet. Jetzt wollte er die Reste mit einer weiteren Portion Gemüse, Knoblauch und grünen Linsen zu einem herzhaften Eintopf verlängern, der ihn und seinen Hund über die nächste Woche bringen würde.

Als er dann in der Küche stand, hörte Bruno seinen Besuch im neu ausgebauten Gästezimmer unterm Dach hin- und hergehen. Er steckte noch ein paar Scheite in den Herd, schloss die Klappe und öffnete sie dann wieder einen Spaltbreit, damit der Eintopf wie gewünscht den ganzen Tag still vor sich hin köcheln konnte. Zum Schluss goss er noch den vom Vorabend übriggebliebenen Rotwein und etwas heißes Wasser in den großen Suppentopf.

Bruno wollte seinen Landrover waschen und schon früh zum Tennisclub fahren, um an dem verabredeten Treffen und der anschließenden Oldtimer-Parade teilzunehmen, einer neuen Attraktion im Veranstaltungskalender von Saint-Denis. Seine Gäste würden im eigenen Wagen nachkommen. Bruno hatte viel Arbeit in die Vorbereitung der Parade gesteckt, konnte sich selbst aber nicht wirklich für Autos begeistern. Weder las er einschlägige Magazine, noch erkannte {9}er auf Anhieb die neuesten Automodelle. Bei Bedarf füllte er Treibstoff und Wasser in die dafür vorgesehenen Tanks und verließ sich ansonsten darauf, dass Autos funktionierten. Sie waren für ihn nichts weiter als Transportmittel für Personen und Güter. Reparatur und Wartung vertraute er Experten an. Er hatte schon viele verschiedene Fahrzeuge gesteuert, zivile und militärische. Heute fuhr er hauptsächlich seinen alten, von einem Jagdfreund geerbten Landrover sowie den Polizeitransporter, der ihm von seinem Arbeitgeber, dem Bürgermeister und Stadtrat von Saint-Denis, zur Verfügung gestellt wurde.

Zu seiner eigenen Überraschung hatte er fast so etwas wie Zuneigung zu seinem Landrover entwickelt. Der Wagen war fast zwanzig Jahre älter als er selbst, so dass er offiziell als Oldtimer galt. Er stammte noch aus einer Zeit vor der standardmäßigen Ausstattung von Kraftfahrzeugen mit verstellbaren Sitzen, Servolenkung oder Antiblockiersystem und war alles andere als bequem. Aber dafür war er geländegängig. Bruno konnte mit ihm Bachläufe durchqueren, steile, lehmige Anstiege bewältigen und holprige, von Felsbrocken übersäte Pfade in den wildreichen Wäldern, seinem Jagdrevier. Und der Wagen hatte ihn noch nie im Stich gelassen. Das konnte man von den schicken Autos seiner Freunde nicht behaupten, die kaum mehr von normalen Kfz-Mechanikern zu reparieren waren, sondern von der Expertise von Computerfachleuten abhingen. Während seiner Dienstjahre beim französischen Militär hatte Bruno Jeeps, Lastwagen, Motorräder, manchmal sogar Kettenfahrzeuge gefahren. In schrecklicher Erinnerung war ihm eine Testfahrt in einem AMX-30, dem ehemals wichtigsten {10}Kampfpanzer des französischen Heeres, eine ohrenbetäubende und markerschütternde Erfahrung auf dem Truppenübungsgelände bei Saumur. Vierzig Tonnen waren ihm einfach zu viel gewesen, zumal der Ausbilder die Luken geschlossen hatte, so dass der Blick nach draußen auf zwei enge Schlitze und ein eingegrenztes Prismensichtfeld reduziert war.

Bruno hielt sich auch nicht für einen besonders guten Fahrer. Es machte ihm keinen Spaß, aufs Gas zu treten, und er war schon zu häufig an Unfallorte gerufen worden, als dass er seine Fahrkünste überstrapazieren mochte. Einmal hatte ihn eine erfahrene Rallye-Pilotin – seine Freundin Annette, eine Staatsanwältin aus Sarlat – auf eine halsbrecherische Fahrt über einen Waldparcours mitgenommen. Sie waren durch enge Kurven geschlittert, haarscharf an Baumstämmen vorbeigesaust und über Bodenwellen gesprungen. Immer wieder war Bruno dabei mit dem Kopf gegen den Himmel ihres getunten Peugeot geprallt, so heftig, dass ihn, wie er glaubte, nur der von ihr zur Verfügung gestellte Sturzhelm davor bewahrt hatte, bewusstlos zu werden. Solche Fahrten waren nicht nach seinem Geschmack. Sein einziger Ehrgeiz am Steuer bestand darin, zuverlässig und sicher das Ziel zu erreichen.

Bruno beschloss, seine allmorgendliche Jogging-Runde ausfallen zu lassen, um stattdessen den Landrover waschen und polieren zu können. Zuerst kratzte er den festgebackenen Lehm aus den Radkästen und übermalte die tieferen Schrammen im leicht ausgeblichenen grünen Lack mit einem Lackstift. Dann wischte er den Stoffbezug der Sitze ab, putzte die Fenster innen und außen und saugte den Fußraum. Auch im Heck räumte er auf, steckte seine {11}Tennisausrüstung in einen Beutel, Rugbystiefel und Trainingsanzug in einen anderen und seine Regensachen sowie die Jagdmontur in einen dritten.

Zwischen die Beutel legte er eine frisch gewaschene Hundedecke für Balzac. Auch ein Napf und eine Flasche Wasser lagen für ihn bereit. Wenn Bruno am Steuer saß, machte es sich Balzac meist auf dem Beifahrersitz gemütlich, von wo er auf die Straße und die Landschaft hinausblicken und Bruno zuhören konnte, der in Ermangelung eines Autoradios gern vor sich hin sang. Von gelegentlichen Kirchenbesuchen oder geselligen Abenden im Rugbyclub abgesehen, ließ Bruno seine Singstimme ausschließlich in seinem Landrover oder unter der Dusche erklingen.

Auf der Fahrt in die Stadt schien Balzac allerdings an Herrchens Version von Que reste-t-il de nos amours durchaus Gefallen zu finden. Bruno versuchte, Charles Trenets beiläufige Gesangsstimme in der Originalaufnahme von 1943 zu imitieren. Eine andere Version kam für ihn nicht in Frage, denn die Interpretationen, wie sie fast alle französischen Chansonniers im Repertoire hatten, waren ihm entweder zu langsam oder zu traurig. Wenn er an seine vergangenen Liebesgeschichten zurückdachte, wurde ihm warm ums Herz, statt dass er unter dem Verlust litt. Seine Erinnerungen machten ihn vielmehr dankbar. Und so freute es ihn auch jetzt, als er mit seinem auf Hochglanz polierten Wagen auf den Parkplatz des Tennisclubs einbog und dort Pamelas alten Citroën 2 CV entdeckte.

Sie selbst stand in der Nähe und bewunderte den altehrwürdigen Citroën DS des Barons, eine Limousine, die immer noch moderner aussah als die meisten Autos auf {12}der Straße. Ihr Besitzer lehnte an seinem Auto, mit einem am Wagendach abgestützten Ellbogen, und machte Pamela voller Stolz auf seinen zweiten Oldtimer aufmerksam, einen französischen Militärjeep, den er für die Jagd nutzte und an dessen Steuer heute Sergeant Jules von der Gendarmerie saß. Pamela winkte Bruno zu sich. Er winkte nur kurz zurück, ließ Balzac aus dem Wagen springen, der geradewegs auf sie zurannte. Er selbst aber wartete, bis seine Gäste, die hinter ihm hergefahren waren, ausgestiegen waren, um gemeinsam mit ihnen seine Freunde zu begrüßen.

Es hatten sich überraschend viele Besucher zum Oldtimer-Treffen eingefunden, wie Bruno zufrieden feststellte; und obendrein war die Zusammensetzung recht international. Sein englischer Freund Jack Crimson saß am Steuer seines Jaguar Mark 2, neben ihm auf dem Beifahrersitz seine Tochter Miranda. Horst, ein deutscher Archäologe, der zur Feier des Tages weiße Handschuhe und eine flache Schirmmütze trug, half seiner Partnerin Clothilde, der Kuratorin des Prähistorischen Museums, aus ihrem Porsche 356 Speedster. Ein holländischer Architekt im Ruhestand hatte seinen eckigen DAF 66 Variomatic mitgebracht, jemand anders einen Saab älteren Baujahrs. Lespinasse von der örtlichen Kfz-Werkstatt fuhr mit einem Staubtuch über seinen perfekt restaurierten Citroën Traction Avant von 1938, den ältesten Wagen der hiesigen Oldtimer-Parade. Das auf‌fälligste Fahrzeug war für Bruno ein weißer Jaguar E. Auf dem Beifahrersitz saß Annette, die ihm zuwinkte, am Steuer ein gutaussehender Unbekannter mit blonden Haaren.

Annette legte ihre Hand auf den Arm des jungen Mannes, als Bruno auf sie zukam, und sagte:...