dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Geschichte der Welt Die Welt vor 600 - Frühe Zivilisationen

Akira Iriye, Jürgen Osterhammel, Hans-Joachim Gehrke

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2017

ISBN 9783406641114 , 1083 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

39,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet freigegeben

Derzeit können über den Shop maximal 500 Exemplare bestellt werden. Benötigen Sie mehr Exemplare, nehmen Sie bitte Kontakt mit uns auf.


 

1. ANTIKE WELTGESCHICHTE ALS PROBLEM


Vor etwa 2,7 Millionen Jahren begannen die frühesten Vertreter der Gattung Homo mit den ältesten Artefakten, die die Menschheit hervorgebracht hat, ihre Welt – unsere Welt – zu gestalten. So beginnt auch mit ihnen der erste Band dieser neuen Weltgeschichte. Er endet an der grob festgelegten Grenze um 600 n. Chr.; bereits die runde Zahl verrät den konstruierten Charakter dieser Schwelle. Doch ist sie insofern nicht ganz willkürlich gewählt, als sich jenseits der in diesem Buch vorzustellenden Zivilisationen das Heraufziehen einer neuen Epoche beschreiben lässt – denkt man beispielsweise an die Anfänge des Islam. Für den nahöstlich-europäischen Kulturkreis lässt sich in etwa um diese Zeit das Ende des Altertums ansetzen – auch wenn man sich im Hinblick auf manche Kontinuitäten, wie etwa die Nachhaltigkeit der lateinischen Sprache, grundsätzlich der Problematik und der Offenheit solch einer epochalen Grenzziehung bewusst bleiben muss.[1]

Wir setzen also tiefer an als Yuval Noah Harari in seinem bemerkenswerten Buch,[2] der die «cognitive revolution» des Homo sapiens als Ausgangspunkt wählt. Wie bei diesem Autor spielen aber auch in dem vorliegenden Band die mit dem anbrechenden Neolithikum verbundenen Umwälzungen, die sogenannte Neolithische (oder «Landwirtschaftliche») Revolution vor rund 12.000 Jahren, eine große Rolle. Die Zeit danach, in der sich zunehmend komplexere gesellschaftliche Organisationsformen herausbilden und sich damit die Menschheitsgeschichte insgesamt erheblich differenziert, gelangt dann ausführlicher zur Darstellung – sie stellt uns vor ihre eigenen, nicht ganz trivialen Schwierigkeiten. Von ihnen soll zunächst die Rede sein.[3]

Grundsätzliche Probleme, die sich bei jedem Zugriff auf die Geschichte, in ihrer Erfassung wie ihrer Präsentation, stellen, werden nämlich im Fall einer weltgeschichtlichen Annäherung erheblich verschärft, wenn nicht potenziert – zumal wenn sich der Betrachter weit zurückliegenden Epochen zuwendet. Dies betrifft zunächst die Quellenfrage. Unsere Informationsmöglichkeiten sind gerade im Hinblick auf den in diesem Buch zu erschließenden Zeitraum äußerst beschränkt; zudem sind die wenigen Quellen auch noch ganz unterschiedlicher Natur. Auf schriftliche Zeugnisse können wir erst für die letzten rund fünf Jahrtausende zurückgreifen; sie werden mitunter von Relikten der materiellen Kultur, aber auch von natürlichen Überresten flankiert. Für alle früheren Zeiträume sind wir ausschließlich auf nichtschriftliche Quellen dieser Art angewiesen. Oft genug funktioniert die allein im Hinblick auf den Gebrauch der Schrift etablierte Unterscheidung zwischen dem Prä-Historischen und dem Historischen in dieser Phase der Menschheitsgeschichte nicht. Es zeigt sich vielmehr, dass beides in allerengster Beziehung zueinander steht und dementsprechend ausgewertet werden muss.

Dabei sind unsere Erkenntnismöglichkeiten zudem sehr häufig von Zufälligkeiten der Entdeckungen (vor allem im Falle archäologischer Forschungen) und den Wirkungsabsichten (gerade im Falle von schriftlicher Überlieferung) abhängig. Hinter unseren Quellen, Funden und Befunden stecken also entweder gar keine oder ganz andere Interessen als die des forschenden Historikers: Wir mögen in der Archäologie noch so gezielt prospektieren, wichtige kulturelle Hinterlassenschaften kommen nicht selten dort zum Vorschein, wo aus ganz anderen als wissenschaftlichen Gründen ‹ausgegraben› wird – etwa beim Anlegen von Straßen oder beim Bau von Pipelines. Und wenn wir auch die schriftlichen Hinterlassenschaften der Alten noch so rationaler Quellenkritik unterziehen, so können wir uns doch nicht vollständig der gezielten Lenkung durch monumentale Herrscherinschriften oder rhetorisch-ideologisch geprägte Texte entziehen.

Schlimmer noch: Oft genug fehlen Informationen für größere geographische Räume und längere Zeiträume völlig. Das Ganze, auf das wir Historiker immer von unserem Quellenbestand aus zu schließen haben, ist im Falle einer Weltgeschichte denkbar groß, die empirischen Möglichkeiten, dazu zu kommen, sind aber gerade für uns Altertumswissenschaftler nicht selten denkbar klein – ja, gleichsam umgekehrt proportional: Zur Rekonstruktion eines gigantischen (und in diesem Falle auch noch mehrdimensionalen) Mosaiks müssen wenige Steinchen genügen. Bei aller methodischen Sorgfalt, die man aufzuwenden hat, ist es unvermeidlich, dass solche versprengten Steinchen das Gesamtbild stärker bestimmen, als es der Sache nach angemessen wäre. So erklären sich manche Unterschiede in den folgenden Kapiteln bereits durch die heterogene Quellenlage – etwa wenn im Fall Indiens bzw. Südostasiens besonders viel von Religion die Rede ist oder in den Abschnitten über die Ur- und Frühgeschichte und den alten Nahen Orient von Technologien. Doch auch wenn angesichts all der zuvor genannten Schwierigkeiten Skepsis und ein methodischer Generalzweifel stets angebracht bleiben, schien es den Herausgebern und Autoren dieses Unternehmens doch keine Alternative, deshalb auf den Versuch der Rekonstruktion ganz zu verzichten. Sie haben nach Kräften versucht, sich dieser Problematik bei der Ausarbeitung ihrer Kapitel stets bewusst zu bleiben; sie sind sich auch der Vorläufigkeit ihrer Darstellungen bewusst und hoffen auf Leserinnen und Leser, die ihren Ausführungen eine kritische Offenheit entgegenbringen.

Mindestens ebenso bedenklich ist das Problem des «historischen Ganzen», auf das man die empirisch gewonnenen Informationen beziehen möchte. Wie alles Geschichtliche präsentiert es sich dem Betrachter nicht unmittelbar, und auch aus den Quellen ist es nicht direkt zu erschließen. Es ist ein gedachtes, ja, ein konstruiertes Kontinuum, in dem die zuvor erwähnten Informationen und Informationssplitter ihren Platz erst finden müssen. Es muss aber auch als Abstraktum vorgestellt werden und bildet zugleich den Gegenstand narrativer Darstellung.[4] Dieses Vorstellen geschieht in der Regel modellhaft – und damit kommen Theorien und Systeme ins Spiel, die sich auf dieses Ganze beziehen, Konzeptionen der Anthropologie, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Religions- und Kulturwissenschaften usw. Darüber hinaus haben wir es bei der Weltgeschichte nicht mit relativ klar umgrenzten Subjekten wie bei traditionellen Nationalgeschichten zu tun, sondern mit einem vielschichtigen und vielgesichtigen, schier grenzenlosen Zusammenhang, einer wahrhaften histoire totale.

Der Zugriff auf dieses Ganze ergibt sich also nicht ohne weiteres; und dies gilt zumal, seitdem sich die Menschheit im Gefolge der bereits erwähnten Agrarischen Revolutionen, der Sesshaftwerdung des Menschen, ausdifferenziert hat. Noch mehr als sonst in der Geschichte kommt es also in diesem Kontext auf die Perspektive an, auf die schon von Johann Martin Chladenius (1710–1759) beschworenen «Sehe-Punkte». Nicht zuletzt sie bestimmen, wie der Schritt von der Betrachtung und Verteilung der einzelnen Steinchen auf den Entwurf des gesamten Mosaiks ausfällt, welcher Teil des historischen Szenarios stärker beleuchtet wird, welche Momente im historischen Narrativ fokalisiert werden. Der Blick des Historikers bestimmt Auswahl und Arrangement, und es handelt sich dabei immer auch um eine subjektive Perspektive. Sie ist, wenn alles gut geht, durch die Regeln der wissenschaftlichen Praxis methodisch kontrolliert, aber sie lässt sich nicht ausschalten, wenn wir nicht das erkennende Subjekt selbst ausschalten wollen. Letzte Gewissheiten im Sinne reiner Objektivität dürfen wir also nicht erwarten.[5]

Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass selbst bei der größten methodischen Umsicht immer wieder unterschiedliche Deutungen eines Sachverhalts möglich sind. Sie hängen zum Teil mit unterschiedlichen fachlichen Traditionen zusammen. Diese mussten in dem vorliegenden Band Berücksichtigung finden, weil keine einzelne Person alle für eine Globalgeschichte notwendigen Kompetenzen in sich vereinigt. Die verschiedenen Autoren sind unter diesem Gesichtspunkt ohnehin schon bis an ihre Grenzen...