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Tödliche Sehnsucht - Thriller

Sandra Brown

 

Verlag Blanvalet, 2018

ISBN 9783641171483 , 512 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

1

Fünf Tage zuvor

Crawford Hunts erster Gedanke nach dem Aufwachen war, dass endlich der Tag gekommen war, auf den er so lange hingefiebert hatte. Noch bevor er die Augen aufschlug, spürte er, wie eine glückselige Blase in seiner Brust aufstieg und gleich darauf von einem Stich der Angst zum Platzen gebracht wurde.

Vielleicht würde es nicht so laufen, wie er es sich vorstellte.

Er duschte so effizient wie immer, doch für die Körperpflege nahm er sich heute mehr Zeit als sonst: Er verwendete Zahnseide, rasierte sich gründlicher als üblich und föhnte seine Haare, statt sie wie üblich an der Luft trocknen zu lassen. Allerdings war er nicht besonders gut in Letzterem, und so sahen seine Haare letztendlich aus wie immer – ungebändigt. Warum hatte er nicht daran gedacht, zum Friseur zu gehen?

Er bemerkte ein paar graue Strähnen an seinen Schläfen. Zusammen mit den Fältchen in den Augen- und Mundwinkeln verliehen sie ihm eine gewisse Reife.

Allerdings würde die Richterin sie wahrscheinlich als Relikte eines aufzehrenden Lebens betrachten.

»Drauf gepfiffen.« Der Selbstbetrachtung überdrüssig, wandte er sich vom Badezimmerspiegel ab, ging ins Schlafzimmer zurück und zog sich an.

Er hatte überlegt, ob er einen Anzug tragen sollte, war dann aber zu dem Schluss gekommen, dass das aufgesetzt gewirkt hätte, so als würde er sich zu sehr bemühen, die Richterin zu beeindrucken. Außerdem kam er sich in dem dunkelblauen Wollgemisch vor wie ein Bestatter. Er begnügte sich mit einem Sportjackett und einer Krawatte.

Obwohl ihm der Druck des Holsters am Rücken fehlte, beschloss er, keine Waffe einzustecken.

In der Küche machte er sich Kaffee und eine Schüssel mit Frühstücksflocken, doch kippte er gleich darauf beides in den Ausguss, weil ihm alles auf den Magen schlug. Gerade als die letzten Cheerios verschwanden, rief sein Anwalt an.

»Alles gut?« Dieselben Eigenschaften, die William Moore zu einem guten Anwalt machten, machten die Sympathien für ihn zunichte. Er hatte keine Manieren und null Charme, und obwohl er sich mit seinem Anruf nur nach Crawfords Befinden erkundigen wollte, klang seine Frage wie eine Kampfansage, auf die er eine positive Antwort erwartete.

»Geht schon.«

»Das Gericht tritt um Punkt zwei Uhr zusammen.«

»Weiß ich. Ich wünschte, es würde früher losgehen.«

»Fahren Sie davor in Ihr Büro?«

»Hab’s mir überlegt. Vielleicht. Weiß ich noch nicht.«

»Tun Sie’s. Die Arbeit wird Sie von der Anhörung ablenken.«

Crawford ließ es offen. »Mal sehen, wie es heute Morgen läuft.«

»Nervös?«

»Nein.«

Der Anwalt schnaubte skeptisch. Crawford gab zu, ein leichtes Bauchflattern zu spüren.

»Halten Sie sich genau an das, was wir besprochen haben«, sagte der Anwalt. »Schauen Sie allen in die Augen, vor allem der Richterin. Seien Sie aufrichtig. Sie schaffen das schon.«

Das klang zwar simpel, trotzdem atmete Crawford lang und tief aus. »Ich bin an dem Punkt angekommen, an dem ich alles getan habe, was ich kann. Jetzt liegt alles in der Hand der Richterin, und die hat ihr Urteil wahrscheinlich längst gefällt.«

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Die Entscheidung könnte davon abhängen, wie Sie sich im Zeugenstand schlagen.«

Crawford starrte stirnrunzelnd auf die Basisstation seines Telefons. »Nur gut, dass Sie mir keinen Druck machen.«

»Ich habe ein gutes Gefühl.«

»Besser als andersrum, schätze ich. Aber was ist, wenn ich heute nicht gewinne? Was mache ich dann? Falls ich nicht direkt einen Killer auf Richterin Spencer ansetze.«

»Denken Sie nicht mal daran, dass Sie verlieren könnten.« Als Crawford darauf nichts erwiderte, begann Moore zu dozieren: »Wir können es gar nicht gebrauchen, dass Sie mit Verlierermiene in den Gerichtssaal schleichen.«

»Richtig.«

»Das meine ich ganz ernst. Wenn Sie unsicher wirken, sind Sie erledigt.«

»Richtig.«

»Sie müssen mit Selbstvertrauen und Zuversicht auftreten, so als hätten Sie denen schon längst in den Arsch getreten.«

»Ich hab’s kapiert, okay?«

Endlich reagierte Moore auf den gereizten Tonfall seines Mandanten und trat den Rückzug an. »Wir treffen uns kurz vor zwei vor dem Gerichtssaal.« Dann legte er auf, ohne sich zu verabschieden.

Da Crawford bis zu seinem Gerichtstermin noch Stunden totzuschlagen hatte, unternahm er einen letzten Inspektionsgang durch das Haus. Kühlschrank, Gefrierschrank und Vorratskammer waren gut gefüllt. Gestern hatte er einen Reinigungsservice kommen lassen, und die drei fleißigen Frauen hatten das gesamte Haus blitzblank geputzt. Er räumte noch mal das Bad auf und machte das Bett. Ihm fiel beim besten Willen nichts ein, was er jetzt noch verbessern konnte.

Zuletzt ging er in das zweite Schlafzimmer, das er wochenlang für Georgias Heimkehr vorbereitet hatte, doch er gestattete sich keinen Gedanken daran, dass seine kleine Tochter ab sofort möglicherweise nicht jede Nacht unter diesem Dach verbringen würde.

Die Einrichtung des Kinderzimmers hatte er der Verkäuferin im Möbelgeschäft überlassen. »Georgia ist fünf. Sie kommt in die Vorschule.«

»Lieblingsfarbe?«, hatte sie gefragt.

»Rosa. Zweite Lieblingsfarbe Pink.«

»Haben Sie Preisvorstellungen?«

»Tun Sie sich keinen Zwang an.«

Sie hatte ihn beim Wort genommen. Alles im Zimmer war rosa, bis auf das cremeweiße Bettgestell, die Wäschekommode und den Frisiertisch mit dem ovalen Spiegel, der zwischen zwei gedrechselten Spindeln aufgehängt war.

Er hatte all das ergänzt, was Georgia hoffentlich gefallen würde: Bilderbücher mit pastellfarbenen Umschlägen voller Regenbögen und Einhörner, die reinste Menagerie aus Stofftieren, ein Tutu mit dazu passenden glitzernden Ballettschuhen und eine Puppe mit rosa Prinzessinnenkleid und goldener Krone. Die Verkäuferin hatte ihm versichert, so sehe das Traumzimmer einer jeder Fünfjährigen aus.

Die Einzige, die noch fehlte, war Georgia.

Er ließ den Blick ein letztes Mal durch das Kinderzimmer wandern, verließ dann das Haus und stellte wenig später fest, dass er, ohne es bewusst vorgehabt zu haben, in Richtung Friedhof gefahren war. Zuletzt war er am Muttertag dort gewesen, als er und seine Schwiegereltern Georgia dorthin gebracht hatten, um das Grab ihrer Mutter zu besuchen, an die sie sich aber nicht mehr erinnerte.

Nachdem Georgia mit tiefernstem Gesicht wie angewiesen einen Rosenstrauß auf das Grab gelegt hatte, hatte sie zu ihm aufgesehen und gefragt: »Können wir jetzt Eis essen gehen, Daddy?«

Er hatte seine Schwiegereltern am Grab stehen lassen, damit sie ihrer verstorbenen Tochter gedenken konnten, Georgia auf den Arm genommen und sie zurück zum Auto getragen. Jedes Mal, wenn er so getan hatte, als würde er strauchelnd und stolpernd unter ihrem Gewicht zusammenbrechen, hatte sie fröhlich gequietscht. Beth hätte sich wohl nicht daran gestört. Es wäre ihr doch bestimmt lieber gewesen zu sehen, wie sich Georgia lachend auf ihr Eis gefreut hätte, als dass sie weinend an ihrem Grab stand?

Irgendwie erschien es ihm passend, Beth heute einen Besuch abzustatten, auch wenn er mit leeren Händen kam. Ihm wollte nicht einleuchten, welchen Nutzen jemand von einem Blumenstrauß haben könnte, der bereits unter der Erde lag. Auch richtete er keine Worte an den Geist seiner toten Frau, während er am Grab stand. Er hatte ihr schon vor Jahren alles gesagt, was er zu sagen hatte, und sich nach diesen verbalen Reinwaschungen nie besser gefühlt. Und Beth halfen sie definitiv nicht.

Also starrte er stumm auf das in den Granitstein gemeißelte Datum und verfluchte es, verfluchte sich für seine Schuld und gelobte anschließend, dass er alles in seiner Macht Stehende unternehmen würde, um seine Fehler wiedergutzumachen, falls ihm Georgia zugesprochen werden sollte. Hoffentlich schenkte ihm irgendein kosmischer Puppenspieler Gehör.

Holly sah kurz auf ihre Uhr, während sie im Erdgeschoss des Gerichtsgebäudes auf den Aufzug wartete. Als er ankam und die Tür aufglitt, verkniff sie sich ein Stöhnen, weil sie zwischen den Fahrgästen Greg Sanders entdeckte.

Sie machte einen Schritt zur Seite, damit alle aussteigen konnten. Sanders trat nur bis an die Schwelle, dann blieb er stehen und hinderte sie so am Einsteigen.

»Richterin Spencer«, begrüßte er sie genüsslich. »Wie schön, dass wir uns hier treffen. So können Sie mir als Erste gratulieren.«

Sie rang sich ein Lächeln ab. »Gibt es denn einen Grund zum Gratulieren?«

Er legte die Hand an die Tür, sodass sie sich nicht schließen konnte. »Ich komme gerade aus der Verhandlung. Das Urteil im Mallory-Fall? Nicht schuldig.«

Holly zog die Stirn in Falten. »Für mich wäre das kein Grund zum Feiern. Ihr Mandant stand vor Gericht, weil er einen bewaffneten Raubüberfall begehen wollte und dabei eine Supermarktangestellte niedergeschlagen hat. Die Angestellte hat dabei ein Auge verloren.«

»Aber mein Mandant hat den Laden nicht ausgeraubt.«

»Weil er glaubte, dass er die Angestellte erschlagen hat und darauf in Panik flüchtete.« Sie war mit dem Fall vertraut, doch weil der Verteidiger, Sanders, bei den Wahlen für das Richteramt am District Court gegen sie antrat, war das Verfahren an eine andere Kammer weitergeleitet worden.

Greg Sanders ließ ein selbstzufriedenes Schmunzeln aufblitzen. »Der stellvertretende Staatsanwalt hat es nicht fertiggebracht, seine Anklagepunkte zu...