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Lockwood & Co. - Das Grauenvolle Grab - Gänsehaut und schlaflose Nächte garantiert - für Fans von Bartimäus!

Jonathan Stroud

 

Verlag cbj Kinder- & Jugendbücher, 2017

ISBN 9783641208745 , 512 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

Kapitel 1

Geistergeschichte gefällig? Aber gern. Ich kenne da ein paar.

Wie wär’s mit der Geschichte von dem augenlosen blauen Gesicht, das sich an ein Kellerfenster drückte? Oder mit der von dem Geist des Blinden, der mit einem Taststock aus Kinderknochen vorantappte? Wollt ihr die Geschichte von dem angriffslustigen Schwan hören, der mich durch den menschenleeren, verregneten Park bis nach Hause verfolgte, oder lieber die von dem riesigen körperlosen Maul, das sich plötzlich mitten in einem Betonfußboden auftat? Wie wär’s mit dem Milchkrug, aus dem Blut geflossen kam, oder dem leeren Badezimmer, in dem nach Anbruch der Dunkelheit ein unheimliches Gurgeln zu hören war? Ich hätte auch noch das kreiselnde Bett des Waisenkindes anzubieten oder das Skelett im Kamin oder das bösartige Phantomschwein mit den gelben Hauern und den stachligen Borsten, das plötzlich hinter der schmuddeligen Tür zu einem Duschraum herumschnoberte.

Sucht euch eine aus. Ich habe sie alle erlebt. So oder so ähnlich verlief in jenem langen, schrecklichen Sommer fast jeder Monat bei Lockwood & Co. Die meisten dieser Geschichten notierte George am Morgen nach dem betreffenden Einsatz zwischen kleinen Schlucken kochend heißen Tees in unser Auftragsbuch. Und zwar nur mit Boxershorts bekleidet im Schneidersitz auf dem Wohnzimmerfußboden – ein Anblick, der verstörender war als sämtliche noch so gruseligen Geistererscheinungen zusammen.

Unser Schwarzes Auftragsbuch befindet sich mittlerweile längst als Kopie im Nationalarchiv, in der neuen Anthony-Lockwood-Galerie. Die Kopie hat den Vorteil, dass keine zerbröselten Chips rausfallen, wenn man etwas nachschlagen will. Der Nachteil? Die Kopie ist nicht vollständig. Denn ein bestimmter Einsatz war schlicht zu grauenvoll, um ihn schriftlich festzuhalten.

Wie dieser Einsatz letztendlich ausging, ist inzwischen allgemein bekannt. Es sprach sich schon an jenem entsetzlichen Morgen herum, als sich der Rauch über den mit Toten übersäten Trümmern des Fittes-Hauses noch nicht verzogen hatte. Doch wie das alles seinen Anfang nahm? Nein, das gehört bis jetzt noch nicht zum Allgemeinwissen. Denn diese geheime Geschichte von Mord, Verschwörung und Verrat – und ja, Geister kommen auch darin vor! – kann nur jemand erzählen, der das Ganze überlebt hat. Jemand wie ich zum Beispiel.

Ich heiße Lucy Joan Carlyle. Ich kann sowohl mit den Lebenden als auch mit den Toten sprechen und manchmal merke ich den Unterschied schon selbst nicht mehr.

* * *

Also bitte sehr: der Anfang vom Ende. Da wäre ich also, vor zwei Monaten. Ich bin von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet, in Rock, Leggings und Jacke, dazu die schweren Arbeitsschuhe, mit denen man Sargdeckel eintreten und aus Gräbern herausklettern kann. In meinem Waffengürtel, den ich diagonal über der Brust trage, sind Leucht- und Salzbomben verstaut. Der Degen baumelt an meiner Hüfte, auf meiner Jacke zeichnet sich der versengte Umriss einer Geisterhand ab. Das Haar trage ich kinnlang und damit kürzer als früher, aber man sieht trotzdem, dass in letzter Zeit ein paar Strähnen weiß geworden sind. Sonst sehe ich aus wie immer. Gerüstet für übersinnliche Ermittlungen. Denn das ist mein Beruf.

Draußen schienen die Sterne, die Wärme des Tages war verflogen. Es war kurz nach Mitternacht – jene Stunde, in der die Geister auf Wanderschaft gehen und jeder vernünftige Mensch im Bett liegt.

Ich nicht. Meine Wenigkeit krabbelte auf allen vieren, den Hintern in die Luft gereckt, durch ein muffiges Mausoleum.

Zu meiner Verteidigung muss gesagt werden, dass ich nicht die Einzige war. Meine Kollegen Lockwood, George und Holly hatten die gleiche Haltung eingenommen. Wir hielten die Köpfe so tief gesenkt, dass unsere Nasen beinahe die Steinfliesen streiften, und leuchteten mit unseren Kerzen systematisch Wände und Boden ab. Wir sprachen nicht, hielten nur ab und zu inne und bohrten prüfend den Finger in einen verdächtigen Spalt oder Winkel. Wir suchten nach dem Eingang zu einer Gruft.

»Müsst ihr euch so weit vorbeugen?«, fragte jemand. »Mir tränen schon die Augen!«

Auf einem Granitblock in der Mitte des Raumes thronte ein schmächtiger junger Mann mit rotem Haarschopf. Genau wie wir trug er schwarze Kleidung – in seinem Fall klobige Schuhe, knallenge Jeans und einen Rollkragenpulli. Im Gegensatz zu uns jedoch hatte er eine riesige Brille mit dicken, gewölbten Gläsern vor die Augen geschnallt, mit der er wie ein verschreckter Grashüpfer aussah. Er hieß Quill Kipps und sortierte gerade unsere Gruftknackerausrüstung, indem er Brecheisen und Seilrollen auf dem Steinblock ausbreitete. Außerdem hielt er uns den Rücken frei, denn die Brille gestattete es ihm, im Halbdunkel Geister auszumachen, falls sich welche zeigen sollten.

»Siehst du denn was, Quill?« Lockwood pulte mit seinem Taschenmesser in einer Ritze zwischen den Steinfliesen herum. Dabei hing ihm das dunkle Haar ins Gesicht.

Kipps zündete eine Petroleumlampe an und stellte die Blenden so, dass ihr Licht gedämpft wurde. »Mehr, als mir lieb ist«, gab er zurück. »Vor allem, wenn Cubbins in mein Blickfeld gerät. Das ist wie Wale beobachten.«

»Ich meinte, ob du Geister siehst.«

»Noch nicht. Außer unseren zahmen Freund hier.« Er klopfte an den großen Glasbehälter, der neben ihm stand. Sogleich leuchtete es darin giftgrün auf. Ein durchscheinendes, äußerst abstoßendes Gesicht materialisierte sich und glitt von Ektoplasma umstrudelt an die Glaswand heran.

»Zahm?« Die körperlose Stimme, die nur ich hören konnte, klang entrüstet. »Zahm?! Lasst mich hier raus, und ich zeige diesem dürren Wicht, wie zahm ich bin!«

Ich hockte mich auf die Fersen und strich mir den Pony aus den Augen. »Nenn den Schädel nicht zahm, Kipps«, sagte ich. »Er mag das nicht.«

Das Gesicht im Glas bleckte die spitzen Zähne. »Richte diesem glotzäugigen Gnom aus, dass ich ihm das Fleisch von den Knochen reiße und mit seiner abgenagten Haut ein Tänzchen aufführe, wenn ich erst mal aus diesem Kerker befreit bin! Los, sag’s ihm, Lucy!«

»Ist er beleidigt?«, fragte Kipps. »Ich sehe, dass er sein scheußliches Maul bewegt.«

»Sag’s ihm!«

Ich zögerte. »Keine Sorge«, erwiderte ich dann. »Er hat sich schon wieder beruhigt.«

»Wie bitte? Von wegen! Und wieso klopft er eigentlich dauernd an mein Glas, als wäre ich ein Goldfisch? Ich schwör’s – wenn ich hier rauskomme, schnappe ich ihn mir und ziehe ihm die …«

Ich schaltete auf Durchzug. »Bist du sicher, dass es hier eine Falltür gibt, Lockwood?«, fragte ich. »Wir haben nicht mehr viel Zeit.«

Anthony Lockwood richtete sich auf. In der einen Hand hatte er das Taschenmesser, mit der anderen fuhr er sich geistesabwesend durchs Haar. Wie üblich war unser Anführer wie aus dem Ei gepellt. Statt seines langen Mantels trug er heute allerdings einen schwarzen Pullover und statt seiner üblichen Halbschuhe Turnschuhe mit weichen Sohlen. Das waren aber auch schon die einzigen Zugeständnisse an die Erfordernisse dieses Einsatzes, bei dem wir gerade in ein Nationaldenkmal einbrachen.

»Hast ja recht, Luce.« Sein blasses, schmales Gesicht war so gleichmütig wie immer, doch der elegante Knick in seiner Augenbraue verriet mir, dass auch er angespannt war. »Wir suchen schon ewig und haben immer noch nichts entdeckt. Was meinst du, George?«

George Cubbins kam ächzend hinter dem Granitblock zum Vorschein. Sein schwarzes T-Shirt war schmutzig, die Brille saß ihm schief auf der Nase, und sein rotblondes Haar war zerzaust und schweißverklebt. Seit einer Stunde tat er genau das Gleiche wie Lockwood und ich, hatte es aber geschafft, sich dabei von oben bis unten mit Staubflocken, Mäuseköteln und Spinnweben einzusauen. Typisch. »In allen Unterlagen zum Mausoleum wird eine Falltür erwähnt«, sagte er. »Wir suchen einfach nicht intensiv genug. Besonders Kipps, der sucht nämlich überhaupt nicht.«

»Ich mache, was ich machen soll!«, konterte Kipps. »Und was ist mit dir? Wir setzen heute Nacht unser Leben aufs Spiel, bloß weil du behauptet hast, dass man in die Gruft reinkommt!«

George zupfte sich eine Spinnwebe von der Brille. »Kommt man ja auch. Der Sarg wurde damals durch diesen Fußboden in die Krypta hinuntergelassen. Ein Silbersarg übrigens. Für sie war natürlich nur das Beste gut genug.«

Mir fiel auf, dass er es vermied, den Namen jener Person auszusprechen, für die das Mausoleum errichtet worden war. Außerdem fiel mir auf, dass mir beim bloßen Gedanken an den bewussten Silbersarg flau im Magen wurde. So wie mir jedes Mal flau wurde, wenn mein Blick auf das Sims an der hinteren Wand des Raumes fiel – und auf das, was darauf stand.

Es handelte sich um die gusseiserne Büste einer älteren Frau. Ihre Züge waren streng und herrisch, das Haar war aus der hohen Stirn frisiert. Sie hatte eine schmale Adlernase, einen ebenso schmalen Mund und einen durchdringenden Blick. Es war kein schönes Gesicht, aber ein eindrucksvolles, und meine Freunde und ich kannten es nur zu gut. Es schaute uns von allen Briefmarken und vom Einband unseres Auftragsbuches an, es begleitete uns seit frühester Kindheit und verfolgte uns bis in unsere Träume.

Man erzählte sich viele ungewöhnliche Geschichten über Marissa Fittes, die erste und bedeutendste übersinnliche Ermittlerin des Landes. Wie sie zusammen mit ihrem Partner Tom Rotwell die meisten Methoden zur...