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Hotel Amerika - Roman

Maria Leitner

 

Verlag Null Papier Verlag, 2019

ISBN 9783962810566 , 233 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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0,49 EUR


 

1


Shir­leys Kopf hängt schräg aus dem schma­len Bett. Eine un­be­que­me Lage. Doch ihre schla­fen­den Züge sind von ei­nem Lä­cheln be­lebt. Shir­ley hat an­ge­neh­me Träu­me …

Sie tanzt und schwebt da­hin auf ei­ner Spie­gel­flä­che, die tau­send­fach ihr Bild zu­rück­wirft. Sie sieht sich so, wie sie es sich im­mer ge­wünscht hat: schön, strah­lend, in ei­nem wun­der­voll flie­ßen­den Kleid, ge­schmückt mit Stei­nen, in de­nen sich das Licht in al­len Far­ben herr­lich bricht.

Sie schwebt da­hin am Arm ei­nes jun­gen Man­nes, der sie nun be­hut­sam eine brei­te, glit­zern­de Mar­mor­trep­pe hin­ab­führt. Blu­men leuch­ten an ih­rem Wege.

Un­ten er­war­tet sie ein Auto – so groß, wie sie noch kei­nes ge­se­hen hat. Und Kof­fer sind hin­ten im Auto auf­ge­türmt! Sie ha­ben die merk­wür­digs­ten For­men; alle sind far­big, und Shir­ley weiß im Traum: sie sind voll­ge­packt mit den schöns­ten Sa­chen, die alle ihr, nur ihr ge­hö­ren. Sie weiß, sie wird durch die gan­ze Welt ja­gen mit die­sem Un­ge­heu­er von Auto.

Shir­ley fühlt – je­mand hält ih­ren Kopf zwi­schen den Hän­den und flüs­tert lei­se ih­ren Na­men. Sie lä­chelt. Sie wird ge­liebt …

Shir­leys Kopf ruht wie­der auf dem Kis­sen.

Ihr Name dringt jetzt lau­ter in sie.

»Shir­ley, du musst auf­ste­hen, du kommst zu spät zur Ar­beit.«

Sie möch­te wei­ter­träu­men, will nichts hö­ren von der Au­ßen­welt, aber von al­len Sei­ten rüt­teln die Geräusche an ihr – sie muss die Au­gen öff­nen.

Zu­erst sieht Shir­ley eine große, star­ke Hand, die sich warm und ein biss­chen rau auf ih­ren Arm ge­legt hat, eine Hand mit vie­len di­cken Adern und ei­ner von Lau­ge zer­fres­se­nen Haut. Die Hand strei­chelt leicht ih­ren Arm. Sie muss auf­bli­cken und in das brei­te, ru­hi­ge Ge­sicht ih­rer Mut­ter se­hen.

Ce­les­ti­na trägt ein blau­weiß ge­streif­tes Ar­beits­kleid, das die Art ih­rer Be­schäf­ti­gung hier im Ho­tel ver­rät; sie ist Scheu­er­frau. Wie­der flüs­tert sie Shir­ley auf­mun­ternd zu.

»Komm, du musst ma­chen, dass du aus dem Bett kommst. – So ein Faul­pelz!«

Wenn Shir­ley er­wacht, ist das fast im­mer ihr ers­ter An­blick: die Mut­ter, die an ih­rem Bett sitzt und sie aus dem Bett zu ja­gen ver­sucht.

Aber sie möch­te wei­ter­träu­men und nicht die­ses Zim­mer se­hen. Wie gut sie es kennt, wie sie es hasst!

Erst sieht sie die Fah­nen­stan­ge auf dem fla­chen Vor­sprung des Da­ches. Bei star­kem Wind knarrt die Stan­ge, und Shir­ley hat dann das Ge­fühl, als flö­ge das Zim­mer wie der Raum ei­nes Luft­schif­fes zwi­schen den Wol­ken­krat­zern. Sie schei­nen ganz nahe zu sein. Man­che der Ge­bäu­de sind wie mäch­ti­ge Ber­ge, an­de­re, die schma­len wei­ßen Tür­me, ra­gen wie über­ge­wal­ti­ge Eis­blö­cke in die Luft.

Das Zim­mer ist sehr hell, hier im höchs­ten Stock­werk des Ho­tels Ame­ri­ka. Der Trakt des Per­so­nals be­fin­det sich in ei­nem ab­seits ge­le­ge­nen Teil des Dach­ge­schos­ses, fern vom pom­pö­sen Dach­gar­ten.

Shir­leys Au­gen keh­ren zu­rück von den Wol­ken­krat­zern. Dicht ne­ben dem Fens­ter be­merkt sie die alte Nan­ny, die äl­tes­te Scheu­er­frau des Ho­tels. Auch die­sen An­blick ist sie ge­wöhnt. Im­mer, wenn Shir­ley er­wacht, sitzt Nan­ny da, auf­recht, mit stei­fem Rücken, als wäre sie aus Holz ge­schnitzt, aus ei­nem dun­kel­brau­nen, sehr har­ten Holz. Sie hält eine Tas­se in der Hand und tunkt von Zeit zu Zeit lang­sam ein Stück Brot in den Tee. Nan­ny kocht schon um vier Uhr mor­gens ih­ren Tee und sitzt nun da, den Tee­topf in der Hand, und war­tet auf das Klin­gel­zei­chen, das sie zur Ar­beit ruft. Dann er­wacht sie erst wirk­lich. Nan­ny ist schon fünf­zig Jah­re Scheu­er­frau, aber im­mer noch kann sie ar­bei­ten; wie eine Ma­schi­ne reibt und wischt und wringt und bürs­tet sie. Nach der Ar­beit wird ihr Kör­per wie­der höl­zern; dann sitzt sie be­we­gungs­los und starrt auf die Wol­ken­krat­zer.

Shir­leys Bli­cke fal­len auf Pa­tri­zia. Je­den Mor­gen bie­tet auch die­se Zim­mer­ge­nos­sin den glei­chen An­blick. Sie kniet, Ge­be­te flüs­ternd, vor ih­rer Kom­mo­de, auf der sich Hei­li­gen­bil­der und eine Fo­to­gra­fie des Paps­tes be­fin­den. Shir­ley kann die großen Füße in den aus­ge­tre­te­nen, schie­fen Schu­hen se­hen und den dün­nen, klei­nen Haar­kno­ten, der et­was ver­rutscht auf ih­rem Kopf sitzt. Und je­den Mor­gen drin­gen die glei­chen sä­gen­den Lau­te aus der Rich­tung des Bet­tes, in dem das Nacht­stu­ben­mäd­chen Bes­sie, er­löst von der Ar­beit und von ei­nem al­ten Pan­zer­kor­sett, zu­frie­den sei­ne Lei­bes­fül­le aus­brei­tet.

Ce­les­ti­na möch­te Shir­ley wie­der dar­an er­in­nern, dass es Zeit sei, auf­zu­ste­hen, aber sie wagt es nicht.

So kalt, so voll Hass wan­dern die Au­gen Shir­leys wei­ter.

Sie prü­fen jetzt das Bett. Die Wä­sche ist zer­ris­sen. Das Per­so­nal auf der letz­ten Stu­fe in der Rang­fol­ge der An­ge­stell­ten be­kommt Bett­zeug, das nicht mehr aus­ge­bes­sert wer­den kann. Die auf­ge­ris­se­ne Ma­trat­ze zeigt die See­gras­fül­lung durch zer­ris­se­ne La­ken. Das Pols­ter, hart wie Stein, blickt gleich­falls neu­gie­rig aus dem Über­zug. Das Ge­stell des schma­len Bet­tes, das auf klei­nen Rä­dern steht, ist ver­bo­gen.

Shir­ley muss la­chen, wenn sie die­ses Bett sieht, aber es ist ein har­tes, ein bit­te­res La­chen. Im Zim­mer hat sie nur auf die­ses Bett und auf ein Fach des ei­ser­nen Schran­kes ein An­recht. Die Kom­mo­de dür­fen nur die bei­den äl­tes­ten Mit­be­woh­ne­rin­nen, Nan­ny und Pa­tri­zia, be­nut­zen. Bes­sie hat einen Schau­kel­stuhl, in den sie sich nur mit Schwie­rig­kei­ten hin­ein­zwän­gen kann; Ce­les­ti­na ver­fügt über einen klei­nen Tisch.

Shir­ley muss sich schüt­teln. Hier hat­te sie nun sechs Jah­re lang ge­lebt!

Un­ter den Bet­ten la­gern di­cke Staub­flo­cken. Scha­ben wan­dern, trotz der Hel­lig­keit, ge­mäch­lich um­her. Kein Wun­der! Das Per­so­nal hat wohl eine ei­ge­ne Be­die­nung – je­doch eine Frau rei­nigt hun­dert Zim­mer in sie­ben Stun­den! Kei­ne der Be­woh­ne­rin­nen aber hat Lust, wenn sie von der Ar­beit kommt, das Zim­mer noch selbst in Ord­nung zu brin­gen. Wozu? Und dann muss man noch um Be­sen bet­teln und um Scheu­er­lap­pen. Wozu? Hier ist ja nur der Trakt des Per­so­nals. Hier kann es schmut­zig sein, hier darf es dre­ckig blei­ben.

Shir­ley setzt sich plötz­lich auf, ver­schränkt die Arme über dem Kopf und jauchzt: »Heu­te der letz­te Tag. Gott sei Dank, der letz­te Tag!«

Alle bli­cken sie er­staunt an, so­gar Pa­tri­zia wen­det den Kopf von den Hei­li­gen ihr zu.

Ce­les­ti­na aber ist erst ganz starr, sie be­greift nicht, wor­auf Shir­ley ab­zielt. Hat ihre Toch­ter et­was vor, was sie ihr nicht ver­ra­ten will, ver­heim­licht sie et­was vor ihr?

Die Mut­ter beugt sich über Shir­ley, sie dringt in sie. »Was willst du denn tun, Shir­ley? Glaubst du, ich weiß nicht, du hast es schwer hier, dass ich dir nicht et­was Bes­se­res gön­ne? Du kannst mir doch sa­gen, was du vor­hast!«

Shir­ley be­dau­ert schon, dass sie ge­spro­chen hat. Sie hat­te sich fest vor­ge­nom­men zu schwei­gen; nun, mehr wird man aus ihr nicht her­aus­be­kom­men.

»Ich habe das nur so ohne Sinn her­ge­sagt.«

Ce­les­tinas Miss­trau­en ist da­mit nicht be­sei­tigt, doch sie will nicht wei­ter fra­gen. Pa­tri­zia aber winkt...