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Die Macht des Präsidenten - Thriller

Tom Clancy, Mark Greaney

 

Verlag Heyne, 2018

ISBN 9783641206482 , 832 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Prolog

Die Norweger verkauften ihren geheimen U-Boot-Stützpunkt an die Russen, und zwar über eBay.

Kein Scherz.

Tatsächlich wurde die Transaktion über Finn.no, das regionale Pendant zu der Online-Handelsplattform, abgewickelt, und der Käufer war nicht der Kreml, sondern ein Privatmann, der die Anlage umgehend an einen russischen Staatskonzern verpachtete. Gleichwohl war der Stützpunkt die einzige nichtrussische militärische Dauereinrichtung an der strategisch wichtigen Barentssee, und allein die Tatsache, dass die Nato den Kauf überhaupt duldete, sagte alles über die Kriegsbereitschaft des Bündnisses.

Und der Vorgang verriet auch einiges über die russischen Absichten. Als der Käufer auf »kaufen« klickte, trat Norwegen den Stützpunkt der Königlich Norwegischen Marine Olavsvern für rund fünf Millionen Dollar ab, also für ein Drittel des Preises, den das Land eigentlich verlangt hatte, und für ein mickriges Prozent dessen, was die Nato einst in seinen Bau gesteckt hatte.

Mit diesem Geschäft schlugen die Russen zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie erwarben eine strategisch günstig gelegene Anlage, die sie nach Belieben nutzen konnten, und entzogen sie gleichzeitig dem Zugriff des Westens.

Olavsvern ist ein imposanter Komplex wie aus einem James-Bond-Film. Nördlich des Polarkreises nahe der Stadt Tromsø in eine Bergflanke gehauen, bietet er direkten Zugang zum Meer und verfügt über ein unterirdisches Tunnelsystem, massive U-Boot-Bunker mit sprengsicheren Toren, ein Trockendock, das große Kriegsschiffe aufnehmen kann, einen 3000 Quadratmeter großen Tiefwasserkai, Mannschaftsquartiere mit Notstromversorgung und 15 000 Quadratmeter Landfläche, die, da tief in den Fels getrieben, gegen einen direkten Atomangriff geschützt sind.

Zum Zeitpunkt des Verkaufs verdrehten die Befürworter – darunter auch der norwegische Ministerpräsident – jedes Mal die Augen, wenn jemand das Geschäft als unklug kritisierte: Der Käufer habe versprochen, dass die Russen die Einrichtung zur Versorgung ihrer Ölplattformen nutzen würden – schließlich bohrten sie überall in der Barentssee, sodass daran nichts Verwerfliches sei. Doch die Tinte unter dem Vertrag war kaum trocken, da war die Ölindustrie auch schon vergessen, und die gewaltige U-Boot-Höhle nahm eine Flotte von Forschungsschiffen auf, die im Auftrag eines von Kreml-Insidern geführten Staatskonzerns unterwegs waren. Und Kenner der russischen Kriegsmarine und der nachrichtendienstlichen Infrastruktur in der Arktis wussten, dass Forschungsschiffe häufig Hand in Hand mit Kreml und Staatskonzernen arbeiteten, Überwachungsmaßnahmen durchführten und sogar Mini-Kampf-U-Boote in internationalen Gewässern manövrieren ließen.

Der norwegische Ministerpräsident, der den Handel gebilligt hatte, schied bald darauf aus dem Amt und wurde neuer Nato-Generalsekretär. Wenig später versetzten die Russen ihre Nordflotte in volle Gefechtsbereitschaft und verstärkten ihre Aktivitäten in der Barentssee um das Fünffache gegenüber den letzten Tagen, als Olavsvern noch ein wachsames Auge auf sie gehabt hatte.

Der russische Präsident Walerij Wolodin stand mit zufriedener Miene in der arktischen Kälte, denn er dachte gerade an Olavsvern, obwohl er sich rund 400 Kilometer weiter östlich befand.

Es war ein verheißungsvoller Morgen hier in der Sajda-Bucht, der Heimat der 31. U-Boot-Division, und Wolodin dachte deshalb an den großen Stützpunkt in Norwegen, weil er sich völlig darüber im Klaren war, dass die heutige Operation nicht die geringsten Erfolgsaussichten gehabt hätte, wäre Olavsvern noch von der Nato betrieben worden.

Der russische Präsident stand im Bug der Pjotr Weliki, eines atomgetriebenen Raketenkreuzers der Kirow-Klasse, der das Flaggschiff der Nordflotte bildete. Er trug einen Burberry-Mantel, der bis oben hin zugeknöpft war, und eine Wollmütze, die dafür sorgte, dass ein Großteil der Körperwärme dort blieb, wo sie hingehörte, nämlich im Körper. Direkt hinter ihm stand der Kommandeur der 31. U-Boot-Division und deutete in den Nebel vor ihnen. Wolodin sah zunächst nichts, doch als er angestrengter spähte, bemerkte er einen riesigen Schatten, der sich aus den morgendlichen Dunstschleiern schälte.

Etwas Großes glitt gemächlich und geräuschlos in ihre Richtung.

Wolodin musste an einen bestimmten Augenblick beim Kauf von Olavsvern denken. Norwegische Medienvertreter hatten die für die Genehmigung des Deals zuständigen Minister in Erklärungsnot gebracht, als sie auf die Gefahr hinwiesen, die vom Nachbarn Russland ausgehe. Ein freimütigerer Minister hatte schulterzuckend geantwortet: »Wir sind Mitglied der Nato, aber wir sind auch ein kleines und friedliches Land. Amerika hingegen ist groß und kriegerisch. Jack Ryan wird Norwegens Sicherheit gewährleisten, falls es eines Tages nötig sein sollte. Was spricht dagegen, dass wir unser Geld für die wirklich wichtigen Dinge ausgeben und es Amerika überlassen, für uns zu kämpfen, wo es das doch so gerne tut?«

Wolodin schmunzelte jetzt, während er in den Nebel über dem grauen Wasser blickte. Jack Ryan würde keine Zeit für Norwegen haben. Schon wahr, der amerikanische Präsident liebte den Krieg, und eine Bedrohung Skandinaviens wäre ihm Vorwand genug, doch Wolodin wusste etwas, was nur wenige auf der Welt wussten, am wenigsten Jack Ryan.

Auf Amerika kam jede Menge Arbeit zu. Nicht hier in der Arktis, aber sonst fast überall.

Der lautlos nahende Schatten nahm langsam Gestalt an, und bald war er für alle an Deck der Pjotr Weliki zu erkennen. Es handelte sich um den Stolz der neuen russischen Kriegsmarine. Ein großes, neues, mit ballistischen Raketen bewaffnetes Atom-U-Boot der Borei-Klasse.

Hätte die Nato hier in der Arktis noch einen Stützpunkt unterhalten, so wäre das Boot möglicherweise bemerkt und von westlichen Schiffen über und unter Wasser verfolgt worden, bevor es sichere tiefere Gewässer erreicht hätte. Und das wäre aus Sicht des russischen Präsidenten jammerschade gewesen. Umso schöner, dass die Norweger ihre strategisch bedeutsame Basis für einen Appel und ein Ei verscherbelt hatten.

Wolodin strahlte vor Zufriedenheit. Fünf Millionen Dollar waren ein Schnäppchenpreis für die russische Seeherrschaft in der Arktis.

Das neue U-Boot hatte natürlich einen Namen, es hieß Knjas Oleg. Aber Wolodin bevorzugte für dieses wie auch für die vier anderen, die bereits im Dienst der Flotte standen, den ursprünglichen Code-Namen. »Projekt 955A« klang irgendwie gut und war für seinen Geschmack eine passende Bezeichnung für Russlands mächtigste und geheimste Waffe.

Dieses Boot der Borei-Klasse stand für die vierte Generation von strategischen, atomgetriebenen Unterwasserkreuzern, die von den Amerikanern SSBN genannt wurden (Ship Submersible Ballistic Nuclear). Mit seinen 170 Metern Länge und 13 Metern Breite war es sehr groß, wenn auch nicht das größte U-Boot, das Wolodin je gesehen hatte. An Größe wurde es von Booten der Typhoon-Klasse, einer der Vorgängerinnen der Borei, noch übertroffen. Dafür war die Knjas Oleg weitaus moderner. Sie konnte bis zu 480 Meter tief tauchen und unter Wasser bis auf 30 Knoten beschleunigen. Außerdem ermöglichte ihr der Wasserstrahlantrieb eine, wie U-Boot-Fahrer sagen, hohe Schleichfahrtgeschwindigkeit, was bedeutete, dass sie bei sehr geringer Geräuschentwicklung schnelle Fahrt machen konnte und deshalb verdammt schwer aufzuspüren war.

Die meisten ihrer neunzig Besatzungsmitglieder einschließlich Kapitän Anatolij Kudinow standen jetzt an Deck und salutierten ihrem Präsidenten, als sie an der Pjotr Weliki vorbeifuhren.

Projekt 955A war den Amerikanern kein Geheimnis, allerdings kannten sie weder die genaue Anzahl noch die Leistungsfähigkeit dieser Boote, noch wussten sie, dass die Knjas Oleg bereits in Dienst gestellt war. Wolodin war sich sicher, dass schon bald, und zwar etwas weiter nördlich in den eisigen Gewässern der Kola-Bucht, ein amerikanischer Satellit registrieren würde, dass ein Boot der Borei-Klasse den schützenden Hangar verlassen hatte und aus der Sajda-Bucht auf die Barentssee hinaussteuerte.

Aber das spielte keine Rolle. Es dürfte ein paar Stunden dauern, bis die Amerikaner realisierten, dass sie die Knjas Oleg vor sich hatten, dann aber würden sie das Interesse verlieren, da sie nicht ahnten, dass das neueste Boot der Borei-Klasse bereits im operativen Einsatz für die Flotte war. Tagelang würden sie glauben, es unternehme lediglich eine weitere Probefahrt, aber dabei würde es nicht bleiben, denn Wolodin hatte nicht die Absicht, diese Mission zu verheimlichen.

Nein … Wolodin schickte dieses U-Boot auf eine Einschüchterungsmission, und deren Erfolg hing davon ab, dass alle Welt erfuhr, worum es dabei ging und wo sich das Geschehen in etwa abspielte.

Ebenfalls hinter Wolodin an Deck des schweren Raketenkreuzers stand, umringt von seinen Stellvertretern, der kommandierende Admiral der 12. Hauptverwaltung des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation. Als Verantwortlicher für alle seegestützten Kernwaffenkräfte war er heute hierhergekommen, um nicht nur der Knjas Oleg eine gute...