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Die Phileasson-Saga - Totenmeer - Roman

Bernhard Hennen, Robert Corvus

 

Verlag Heyne, 2018

ISBN 9783641203870 , 672 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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11,99 EUR


 

1   UNTER FREIBEUTERN

Küstengewässer östlich vor Maraskan,

siebenundzwanzigster Tag im Midsonnmond

Lächelnd strich Abdul el Mazar über den Seeschlangenzahn, der fest verzurrt an der linken Seite der Treppe hing, die zum Deck hinaufführte. Das Geländer war gerade lang genug, um der geschwungenen Waffe Platz zu bieten, die sie aus dem Maul des Meeresungeheuers gebrochen hatten. Der Magier spürte die Kraft der Seeschlange im Zahn. Sie und ihre Schwestern waren keine gewöhnlichen Tiere, ihre Ahnenlinie reichte Äonen zurück in eine Zeit, in der die Magie die Welt stärker durchdrungen hatte. Sie hatten die Wogen schon durchpflügt, ehe die Echsen die Welt beherrscht hatten. Lange bevor sie ihren dunklen Göttern die Tempel errichtet hatten, die nun im Sand der Khôm versanken.

Abdul runzelte die Stirn. Er erinnerte sich an ein Relief, geschnitten in einen roten Felsen. Hammud ben Hassan und er hatten über seine Bedeutung gerätselt. Hammud war sein Freund gewesen … oder nicht? Wie weit lag diese Erinnerung zurück?

Er hatte die Wüste bereist … und jetzt … Abdul sah sich um. Durch die Bewegung im Oberkörper schmerzte seine Rippe, aber nicht so sehr wie noch gestern.

Zwei Laternen hingen an der Decke des Laderaums der Tiger von Maraskan. Sanft schaukelten sie im Seegang, sodass sie mal mehr die Steuerbord-, mal mehr die Backbordseite beschienen. Ballen, Truhen und Fässer waren an den Wänden und Masten verzurrt, Netze bündelten Tücher und eingewickelte Waren, Trockenfisch hing an Schnüren. Beinahe alle Hängematten baumelten leer, nur Lailath, die die Thorwaler jetzt Schlangenschlächterin nannten, lag in einer. Ihr Unterarm ruhte auf ihrer Stirn, die linke Hand auf dem Bauch. Selbst die sanften Wellen machten der Elfe zu schaffen.

Zwei maraskanische Piraten neckten die Gefangenen. Man hatte die Kaiserlichen jeweils zu dritt zusammengebunden. Es waren so viele, dass sie den freien Platz im Lagerraum vollständig ausfüllten. Die bunt gekleideten Seeräuber – eine Frau mit übergroßen Bronzeringen in den Ohren und ein Mann mit einem blauen Tuch auf dem Kopf, das mit weißen Blüten bedruckt war – kniffen die Gefesselten in die Wangen und zogen an ihren Nasen. Ein Soldat mit Pockennarben über dem schütteren Bart trat nach ihnen, was ihm eine Maulschelle einbrachte.

»Seid nicht so gemein!«, rief Abdul.

»Was mischstdudichein?«, haspelte die Piratin so schnell, dass Abdul den Eindruck bekam, die Silben wollten einander überholen. Viele Maraskaner sprachen so.

»Du solltest vorsichtiger mit deinen Worten sein«, riet er. »Wenn man die Silben vertauscht, während man einen Dämon beschwört, kann das übel ausgehen.«

Verdutzt sah die Frau ihn an. »Hast du mit den Hässlichen zu tun, Zaubererbruder?«

Abdul rieb sich über die Brust. Seine Narben juckten.

Er fragte sich, was er antworten sollte. Abdul erinnerte sich nicht daran, ob er einmal mit Dämonen Umgang gepflegt hatte. Er wusste nur, dass er sie nicht mochte.

»Lass ihn«, riet der Pirat seiner Gefährtin. »Wir müssen noch eine Menge Fesseln kontrollieren.«

Sie brummelte zustimmend und wandte sich dem nächsten Bündel Gefangene zu.

Der Anblick machte Abdul traurig. Gefangenschaft war eine schlimme Sache. Mit der Freiheit verlor man auch die Hoffnung.

Vor seinem geistigen Auge erschien ein Gesicht mit goldenen Iriden, wunderschön und schrecklich zugleich. Ihn schauderte. Er wollte nie wieder allein und gefangen sein.

Auf dem schwankenden Boden stieg er über die Beine der Gefesselten zu Lailath. Sie war seine Freundin.

Oder? Konnte er sicher sein, dass sie wirklich die Elfe war, die sich ihnen in den Drachensteinen angeschlossen hatte?

Skeptisch musterte er ihr altersloses Gesicht, so weit der Arm auf der Stirn es frei ließ. Ihre Haut hatte einen Bronzeton, die Augen waren größer als bei einem Menschen, die Wangenknochen verliehen ihr eine gewisse Härte. Ihr Haar war schwarz, nicht weiß wie bei dem Gesicht mit den goldenen Iriden, aber das beruhigte Abdul nicht. Eine Elfe … er glaubte, dass es eine Elfe gewesen war, die ihn schon einmal getäuscht hatte. Auch mit ihr hatte er sich im Laderaum eines Schiffs aufgehalten, dort hatte er mit ihr geredet, und dann in der Dunkelheit, die er gefürchtet hatte und die ihm doch eine Zuflucht gewesen war. Wenn sie ihn ins Licht geholt hatte, hatte sie ihm meistens Schmerzen zugefügt. Schreckliche Qualen, an denen er eigentlich hätte sterben müssen, aber ihre Kräfte hatten das verhindert.

Er hielt die Finger seiner linken Hand ins Licht der Laterne. Die Macht des Schlangenzahns prickelte noch darin.

Abdul gluckste. Früher hatte er Formeln sprechen müssen, um magische Ströme zu erkennen. Jetzt nahm er sie wahr, wie er Dinge sah oder roch oder schmeckte. Es war so einfach. Eine Mauer in seinem Geist war gefallen.

Doch Magie war gefährlich. Sie konnte täuschen.

Er kletterte auf eine Kiste, um eine der Lampen von ihrem Haken zu nehmen, und leuchtete damit Lailaths Gesicht an. Die fein geschwungenen Brauen … die langen Wimpern … die dunklen Lippen … es war makellos. So wie ihres. Abdul ächzte.

Lailaths Lider flatterten, sie blinzelte zu ihm herauf. »Was willst du?«, stöhnte sie. »Muss ich helfen?«

Die Anspannung wich aus Abduls Schultern. So eine Frage wäre der falschen Göttin niemals in den Sinn gekommen. Sie half niemandem, und erst recht fühlte sie sich zu nichts verpflichtet.

»Mir ist schlecht«, klagte Lailath. »Lass mich in Ruhe.«

Mochte sie ihn etwa nicht mehr? Enttäuscht wich Abdul einen Schritt von ihrer Hängematte zurück.

Seine Ferse blieb am Bein eines Gefangenen hängen. Er fiel auf den Hintern. Schmerz stach von der noch nicht verheilten Rippe in die Brust.

Ein wenig stolz war Abdul darauf, dass er die Laterne hochgehalten hatte, damit sie nicht zerbrach.

In ihrem Licht sah er das grimmige Starren des Gefangenen. Ein Verband umschlang seinen Kopf, über dem linken Ohr verdunkelte ein Blutfleck den Leinenstoff.

»Ich bin ein Sohn des Missgeschicks.« Abdul rappelte sich auf. »Ich hoffe, ich habe Euch nicht wehgetan.«

»Immerhin hast du mir keinen Säbel in den Schädel geschlagen«, murrte der Mann.

Ja … Klingen konnten schmerzhaft sein, daran erinnerte sich Abdul. Manchmal kam die Pein erst eine Weile nach dem Schnitt, aber dazu mussten die Messer sehr scharf sein. Er schluckte.

Zwischen den Gefangenen und in der Nähe von Lailath, die ihn nicht mochte, fühlte er sich unwohl. Zügig ging er zur Treppe und stieg die Stufen hinauf. Wieder spürte er das Prickeln der Magie in den Schlangenzähnen, die an beiden Seiten festgebunden waren.

Abdul trat ins Sonnenlicht an Deck, wo Phileasson einigen Piraten vom Kampf gegen die Seeschlange berichtete, während sich andere mit dem Dreieckssegel am Hauptmast mühten. Natürlich war die Sonne viel heller als das Flämmchen in Abduls Laterne, aber das orangefarbene tanzende Licht fand er hübscher.

Das ging wohl auch Shaya Lifgundsdottir so. Sie sah nicht ihn an, sondern seine Lampe. Die Kutte der Traviageweihten hatte in den Wochen im Dschungel gelitten, sie würde wohl nie wieder richtig sauber, was Abdul schade fand. Noch bedauerlicher war, dass die Helligkeit auch aus Shayas Antlitz gewichen war. Sie war nicht schmutzig, ihre Zöpfe waren sogar noch nass, weil sie sich mit Meerwasser gewaschen hatte. Dennoch lag ein Schatten auf ihrem sommersprossenübersäten Gesicht, als habe sich nur für sie eine Wolke vor die Sonne geschoben.

Abdul blinzelte nach oben. Ein paar Wolken zogen über den Himmel, aber keine von ihnen verdeckte die Sonne.

Er sah wieder Shaya an.

Sie streckte die Arme zur Seite, als wollte sie Praioslob zurückhalten, der hinter ihr stand.

Abdul war vorsichtig, wenn er sich in der Nähe des Geweihten des Sonnengottes aufhielt, obwohl dieser ihn stets freundlich behandelte. Aber das lag daran, dass Abdul ihm leidtat. Eigentlich verachteten die Diener des Praios die Magie, und Abdul war ein Magier. Dessen war er sich gewiss.

Mit vierundvierzig Jahren war Praioslob zwei Jahrzehnte jünger als Abdul, aber die Haare waren bei ihm zu einem blonden Kranz zurückgewichen, der noch nicht einmal mehr geschlossen war. In Mendena hatte er ein edles rotes Gewand geschenkt bekommen, doch auch dieses Kleidungsstück war dem Dschungel zum Opfer gefallen. Jetzt trug er eine Hose und ein Hemd aus einfachem Leinen. Nur das runde Amulett mit dem Auge zeigte, dass er kein alternder Seefahrer war.

Praioslob sah Shaya besorgt an. Dabei konnte er ihre Augen gar nicht sehen, weil er doch hinter ihr stand. Und Shayas Augen waren das eigentlich Seltsame.

Sie brannten im Orange des Flämmchens in Abduls Laterne. Ob es sich ein Feuer-Dschinn auf dem Docht bequem gemacht hatte? Ein solcher Geist könnte erklären, wieso das Feuer übersprang. Aber dann hätte Shaya vor Schmerz schreien müssen.

Ihr Gesicht wirkte jedoch feierlich. »Höre die Prophezeiung, Asleif Phileasson, den man den Foggwulf nennt«, rief sie, »und vernimm die sechste Aufgabe der Wettfahrt, die entweder dich oder Beorn Asgrimmson, den Blender, zum König der Meere machen wird!«

Augenblicklich wurde es still an Deck. Die Seeleute an den Leinen hielten inne, selbst das Segel erschlaffte.

Asleif Phileasson bückte sich unter der Leinwand hindurch. Er trug seine Krötenhaut, einen mit Nieten verstärkten Lederpanzer. Darauf sahen die Strähnen des weißblonden Haars besonders hell aus. Ernst lag in den eisgrauen Augen, und die Faust war um den Wolfsgriff des Breitschwerts geschlossen, als er sich stolz vor der Geweihten aufstellte.

»Wo die See, die weder Meer noch Land...