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Auf ewig in Hitlers Schatten? - Über die Deutschen und ihre Geschichte

Heinrich August Winkler

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2018

ISBN 9783406721069 , 222 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

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1 Revolutionen machen in Preußen nur die Könige


Rückblick auf einen untergegangenen Staat


Das formelle Ende war kurz und bündig. Am 25. Februar 1947 löste der Alliierte Kontrollrat in seinem Gesetz Nr. 46 den Staat Preußen mit der Begründung auf, dieser sei «seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland» gewesen und habe in Wirklichkeit zu bestehen aufgehört.[1] Das letztere zumindest war unstrittig. Man konnte allenfalls unterschiedlicher Meinung über den Zeitpunkt sein, seit es den Staat Preußen nicht mehr gab: War es der «Preußenschlag» vom 20. Juli 1932 – dem Tag, an dem Reichspräsident von Hindenburg durch eine Notverordnung die nur noch geschäftsführend amtierende preußische Regierung unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Otto Braun absetzte und den Reichskanzler Franz von Papen zum Reichskommissar für Preußen ernannte? War es die «Gleichschaltung» Preußens durch die Nationalsozialisten am 6. Februar 1933? War es die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945?

Die Behauptung, daß Preußen «seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland» gewesen sei, war nicht aus der Luft gegriffen. Dem Grafen Mirabeau wird ein Wort zugeschrieben, das in Wirklichkeit von einem deutschen Militärschriftsteller des 18. Jahrhunderts, Georg Heinrich von Behrenhorst, stammt: «Die preußische Monarchie ist nicht ein Land, das eine Armee hat, sondern eine Armee, die ein Land hat, in welchem sie gleichsam nur einquartiert steht.»[2] Zu jener Zeit waren zwar alle absolutistisch regierten Länder immer auch Militärstaaten, aber Preußen war es in besonderem Maß. In Österreich etwa war Mitte des 18. Jahrhunderts nur jeder sechzigste, in Preußen hingegen jeder dreizehnte Einwohner Soldat.

Preußens Hang zum Militärischen entsprang nicht bloß einer Laune seiner Herrscher. Die Kurfürsten von Brandenburg aus dem Haus der Hohenzollern regierten, seit ihnen 1618 durch Erbschaft das weltliche Herzogtum Preußen, der ehemalige Staat des Deutschen Ritterordens, zugefallen war, Territorien, die von der Memel im Osten bis zum Rhein im Westen reichten, sie verfügten aber über kein zusammenhängendes Staatsgebiet. Entsprechend stark war das Gefühl von äußerer Bedrohung und der Bedarf an militärischer Sicherheit. Als sich Kurfürst Friedrich III., der Sohn des Großen Kurfürsten, am 18. Januar 1701 mit Zustimmung Kaiser Leopolds I. in Königsberg zum «König in Preußen» krönte, war Brandenburg-Preußen noch keine Großmacht. Aber es hatte einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel getan.

Deutsche Großmacht


Als Preußen unter Friedrich II., dem Enkel des ersten Hohenzollernkönigs, dann tatsächlich zur Großmacht aufstieg, gab es zwei deutsche Großmächte. Die andere und ältere war Österreich. Anders als die Habsburger in Wien regierten die Hohenzollern in Berlin bis zu den polnischen Teilungen im späten 18. Jahrhundert fast nur über deutsch sprechende Untertanen. Ein anderer wichtiger Unterschied zum Kaiserhaus lag darin, daß die Habsburger Katholiken, die Hohenzollern Protestanten waren. Mit der Glaubenszugehörigkeit der brandenburg-preußischen Herrscher hatte es freilich eine besondere Bewandtnis: Im Jahre 1613 war Kurfürst Johann Sigismund vom lutherischen zum reformierten Bekenntnis übergetreten.

Ein Calvinist, der über lutherische Untertanen regierte: Das war, wie Alfred Müller-Armack, der Schöpfer des Begriffs «Soziale Marktwirtschaft», 1941 schrieb, eine «weltgeschichtlich einmalige Verbindung».[3] Im Jahr 1905 hatte Max Weber seine berühmte Studie über die Zusammenhänge zwischen dem Calvinismus und dem «Geist des Kapitalismus» veröffentlicht. An Weber und den Historiker Otto Hintze anknüpfend, versuchte Müller-Armack das Phänomen Preußen religionssoziologisch zu erklären: Politische Dynamik aus calvinistischem Geist von oben, lutherisch geprägter Gehorsam von unten sind in der Geschichte wirklich nur einmal aufeinandergetroffen – im Staat der Hohenzollern.

Wäre Preußen nur ein Militärstaat gewesen, es hätte sich schwerlich als Großmacht durchgesetzt. Aber schon unter dem Vater Friedrichs II., dem «Soldatenkönig» Friedrich Wilhelm I., galt der absolutistische Hohenzollernstaat in ganz Europa als Modell einer leistungsfähigen Verwaltung. Die Machtpolitik Friedrichs unterschied sich, was die Methoden anging, kaum von der anderer absolutistischer Herrscher. Was freilich im Fall des Preußenkönigs besonders ins Auge fiel, war das krasse Mißverhältnis von Risiken und Ressourcen. Brandenburg-Preußen war um 1740, als Friedrich den Thron bestieg, noch immer ein territorial zersplittertes, fragiles Gebilde. Friedrich setzte in seinen Kriegen immer wieder alles aufs Spiel und wurde schließlich nur durch einen historischen Zufall gerettet, der als «Mirakel des Hauses Brandenburg» in die Geschichte einging: den Tod von Friedrichs gefährlichster Gegnerin, der russischen Zarin Elisabeth, im Januar 1762. In den Krisen des Siebenjährigen Krieges bewies Friedrich Größe. Zu einem Mythos aber wurde er, weil er mit seiner Politik des Alles oder Nichts am Ende Erfolg hatte. Er gab damit ein Beispiel, das katastrophenträchtig war.

Den Beinamen «der Große» hätte Friedrich kaum erhalten und behauptet, wäre er nicht noch anderes gewesen als ein Kriegsherr. Im Europa seiner Zeit galt er zu Recht als Repräsentant, ja als die Verkörperung eines neuen Staatstyps, des aufgeklärten Absolutismus. Vernunft von oben zu verwirklichen: Dieser Vorsatz unterschied sich grundlegend von der Selbstzweckhaftigkeit der üblichen Art absoluter Herrschaft. «Travailler pour le roi de Prusse», für den König von Preußen arbeiten, bedeutete schon zu Friedrichs Lebzeiten, eine Sache um ihrer selbst willen tun. Doch die Sache, um die es ging, mußte im Interesse des Staates, mithin vernünftig sein, und der regierende Philosoph von Sanssouci, der der erste Diener seines Staates sein wollte, schien ebendies zu verbürgen.

«Nicht die deutsche Reaktion, sondern der deutsche Fortschritt hat Deutschland gegenüber dem Westen zurückgeworfen»: In diesem gestochenen Paradoxon hat der Historiker Rudolf Stadelmann 1948 die Ursachen für das Ausbleiben einer erfolgreichen Revolution in Deutschland zu bündeln versucht.[4] Das Verdikt bezog sich auf die Folgen des aufgeklärten Absolutismus im allgemeinen und die des friderizianischen im besonderen. Selbst Immanuel Kant, der Königsberger Philosoph der reinen und der praktischen Vernunft, der den Ideen der Französischen Revolution von 1789 über die Schreckensherrschaft der Jakobiner hinaus die Treue hielt, konnte sich eine Überwindung des aufgeklärten Absolutismus nur durch «Staatsweisheit», durch eine Revolution von oben, vorstellen. Der Adressat seiner Appelle war also nicht so sehr das Volk als vielmehr der Staat des aufgeklärten Absolutismus.[5]

Der hörte auf Kant, als es fast schon zu spät war – nach den schweren Niederlagen, die Napoleon Preußen 1806 und 1807 beifügte. Die Reformen, die den Namen zweier Wahlpreußen, des nassauischen Reichsfreiherrn Karl vom und zum Stein und des Hannoveraners Karl August von Hardenberg, tragen, beseitigten zwar nicht die absolute Herrschaft. Aber sie trugen dazu bei, die gesellschaftlichen Kräfte freizusetzen, die vier Jahrzehnte später, 1848, die Wahl eines preußischen Landtags erzwangen. Preußen wurde zum Verfassungsstaat: Das war einer der wenigen Erfolge der deutschen Revolution von 1848/49.

Preußische Schatten


Einheit und Freiheit, die beiden Hauptziele der Revolution, wurden aber nicht erreicht. Bismarck verwirklichte zwei Jahrzehnte später eine dieser Forderungen. Er löste die Einheitsfrage gegen Österreich und Frankreich, weil sie mit ihnen nicht zu lösen war. Die Freiheitsfrage aber löste er nicht, und er konnte sie nicht lösen, weil eine parlamentarisch verantwortliche Regierung mit den Interessen des alten Preußen, der Dynastie, des Junkertums und des Heeres, nicht vereinbar war. Immerhin führte Bismarck, erst 1867 im Zwischengebilde des Norddeutschen Bundes, dann 1871 im deutschen Kaiserreich, das allgemeine, gleiche Reichstagswahlrecht für Männer ein. Das war einer der Gründe, die es rechtfertigen, die preußisch-deutsche Reichsgründung eine «Revolution von oben» zu nennen. Bismarck selbst hatte gegen eine solche Bezeichnung nichts einzuwenden. «Revolutionen machen in Preußen nur die Könige», erklärte er auf dem Höhepunkt des preußischen Verfassungskonflikts der Jahre 1862 bis 1866 gegenüber Napoleon III., dem Kaiser der Franzosen, als ihn dieser vor einer neuen Revolution von unten warnte.[6]

Eine parlamentarisch verantwortliche Regierung erhielt Deutschland erst im Oktober 1918, als feststand, daß das Reich den Ersten Weltkrieg verloren hatte. Die...