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Leis' erklingt die Abschiedsmelodie - Fürstenkrone 102 - Adelsroman

Beate Helm

 

Verlag Martin Kelter Verlag, 2018

ISBN 9783740925086 , 100 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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1,99 EUR


 

Gräfin Coletta Tihany stand vor dem hohen goldumrahmten Spiegel und warf einen letzten kritischen Blick über ihre schlanke Gestalt im schwarzen Nachmittagskleid, dessen einziger wertvoller Schmuck die dreireihige rosaschimmernde Perlenkette war, die ihr verstorbener Mann ihr noch vor wenigen Wochen geschenkt hatte.

Vor drei Minuten hatte ihr Kammerdiener Ludwig gemeldet, dass ihr Stiefsohn Sandor gekommen sei, den sie vor ein paar Tagen telegrafisch vom Tod seines Vaters benachrichtigt hatte.

Während Graf Sandor im Empfangssalon auf sie wartete, stand sie hier im eleganten Ankleidezimmer und versuchte, eine würdevolle Haltung einzunehmen.

Seit zehn Jahren hatte sie ihren Stiefsohn nicht gesehen. Damals war Sandor siebzehn gewesen und hatte auf der exklusiven Universität von Cambridge studiert, wohin ihn sein Vater geschickt hatte.

Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war damals schon sehr gespannt gewesen und hatte den endgültigen Bruch bekommen, als sie kurz nach dem Tod von Sandors Mutter als neue Herrin ins Schloss Tihany einzog. Von diesem Tag an gab es nur noch einen kühlen und kurzen Schriftwechsel zwischen Vater und Sohn. Sandor war dann nach seinem Studium nach Kanada gegangen, und die Verbindung war ganz abgerissen.

Gräfin Coletta war nicht ganz unschuldig daran, das wusste sie, und auch jetzt wäre ihr lieber gewesen, wenn der Stiefsohn ferngeblieben wäre. Aber es wäre unverantwortlich gewesen, ihn nicht vom plötzlichen Tod seines Vaters zu unterrichten und sein Kommen zu erbitten.

Zufrieden betrachtete sie ihr Spiegelbild. Sie war dreißig Jahre alt, und sie sah sehr gut aus. Sandor musste jetzt siebenundzwanzig Jahre alt sein. Wenn noch keine andere Frau sein Herz erobert hatte, konnte es ihr doch nicht schwerfallen, ihn um den Finger zu wickeln.

Im Empfangssalon, einem Raum mit dunkelgrünen Samtportieren und einer sonnengelben Sesselgarnitur, ging Graf Sandor Tihany ungeduldig auf und ab.

Mit Befremden hatte er die neue Adresse seiner Stiefmutter zur Kenntnis gekommen. Und mit dem gleichen Befremden war er hier in diesem kleinen Palais erschienen, das in der vornehmsten Gegend der Stadt lag, umgeben von einem großen Garten, der von hohen Eisengittern umzäunt war.

Gedankenverloren starrte er auf verschiedene Gegenstände, die ihm seltsam bekannt vorkamen. Dann wurde ihm ganz plötzlich bewusst, dass dies alles Dinge waren, die ihm aus der Kindheit und frühen Jugend vertraut waren. Alle diese Gegenstände hatten damals Schloss Tihany geziert, in dem er großgeworden war. Die vergoldete Rokokouhr hatte ihren Platz auf dem Marmorkamin im Salon seiner geliebten Mutter gehabt, das Gemälde von Degas hatte im Musikzimmer gehangen, und der riesige Bronzeleuchter hatte in der Halle gestanden.

Wie war sein Vater dazu gekommen, diese Gegenstände aus Tihany zu entfernen und sie hier in seinem neuen Palais aufzustellen? Oder hatte seine Stiefmutter das veranlasst?

In seine Gedanken hinein öffnete sich beinahe lautlos die Tür, und Gräfin Coletta trat ein.

Sie hatte ein Taschentuch in der Hand und hielt es sekundenlang gegen ihre Lippen, als ob sie einen schmerzlichen Aufschrei unterdrücken wollte. Ihre ganze Miene drückte tiefe Trauer aus. Einige Momente stand sie da und mus­terte Sandor, wobei sie feststellte, dass er ein ausgesprochen schöner Mann geworden war. Dann ging sie schwankend auf ihn zu und sank ihm mit einem Wehlaut an die Brust.

Graf Sandor war derart überrascht, dass er wie gelähmt dastand, ehe er ein paar beruhigende Worte murmeln konnte. Er fasste seine Stiefmutter sanft an den Armen und schob sie etwas zurück, denn die Berührung war ihm sehr peinlich.

»Bitte«, sagte er leise, aber eindringlich, »fassen Sie sich, Gräfin.«

Sie hob den Kopf und starrte ihn an.

»Aber, Sandor, warum redest du mich mit Sie an? Das darfst du nicht tun! Es ist entsetzlich genug für mich, jetzt allein zu sein.«

»Ich habe nie das Du gebraucht«, erwiderte er, »wir sind uns fremd. Ich entsinne mich, dass auch Sie nie den Wunsch äußerten, mich mit Du anzureden.«

»Ach, das war damals«, entgegnete sie mit einer wegwerfenden Geste, »da warst du auch so abweisend zu mir. Vergessen wir das alles, bitte! Der Schmerz um deinen Vater, meinen geliebten Gatten, muss uns vereinigen. Ich bin so froh, dass du da bist.«

Ihre Augen hingen an seinem rassigen Gesicht mit den graublauen Augen und dem dunklen Haar.

»Du bist allein gekommen, Sandor. Bist du nicht verheiratet oder verlobt?«

Sein braungetöntes Gesicht verfins­terte sich leicht.

»Ich hatte wenig Zeit, mich nach einer passenden Lebensgefährtin umzusehen. Und eine leichtfertige Wahl kann ich nicht treffen, denn ich bin nicht mit Reichtümern gesegnet.«

Sie lachte leise auf, sah seinen erschreckten Blick und wurde sofort wieder ernst.

»Du bist doch nicht arm«, meinte sie und fasste nach seinem Arm. »Komm, ich werde dir das schönste Gästezimmer des Hauses zeigen! Dort machst du dich etwas frisch, und dann essen wir eine Kleinigkeit, ja?«

»Wo ist mein Vater aufgebahrt?«, fragte er dumpf.

»In der Friedhofskapelle natürlich. Dorthin fahren wir später. Ach, es war entsetzlich für mich! Ich war so allein. Nie hätte ich geglaubt, dass Stefan mich so früh verlassen würde.«

Graf Sandor sah seine Stiefmutter prüfend an. Sie war immer noch sehr hübsch, ja, beinahe auffallend reizvoll. Das Schwarz stand ihr gut, und ihr dunk­les, schimmerndes Haar lag in weichen Wellen um den Kopf. Sie gefiel ihm besser als damals. Oder lag es da­ran, dass der Tod seines Vaters ihn versöhnlicher stimmte?

Sie schien wirklich sehr um den Vater zu trauern.

»Sie hätten bedenken müssen, dass mein Vater fünfundzwanzig Jahre älter war als Sie.«, sagte er sanft.

»Warum kannst du dich nicht an das Du gewöhnen«, entgegnete sie, während sie seinen Arm festhielt und ihn hinausführte. »Lass uns gute Freunde sein und den alten Hader vergessen.«

Ihre braunen Samtaugen flehten ihn an.

»Wenn du es willst«, murmelte er nachgebend.

Sie atmete sichtlich auf.

Das Gastzimmer war wirklich sehr gemütlich. Sein Koffer war bereits ausgepackt, Blumen standen auf dem kleinen Tisch, und einige ausgesuchte Bücher lagen zum Lesen bereit.

»Sehr aufmerksam von dir«, bemerkte er, und fast war er nahe daran, sich zu schämen, dass er sie nie gemocht hatte.

»Na siehst du«, schmeichelte sie. »Ich lasse dich ein Stündchen allein. Wir speisen dann unten im Esszimmer.«

»Wohnt ihr hier schon lange? Hat mein Vater dieses Palais erworben?«, fragte er, als sie schon an der Tür war.

»Seit einem Jahr etwa haben wir uns jeweils einige Monate hier aufgehalten. Dein Vater konnte es günstig erwerben. Natürlich musste eine Menge Geld hi­neingesteckt werden. Es war arg vernachlässigt.«

Sie winkte ihm noch kurz zu, und ehe er weitere Fragen an sie richten konnte, war sie hinausgeschlüpft.

Er brauchte nicht lange, um sich von den Strapazen der Reise zu erholen. Eine seltsame innere Unruhe hatte ihn erfasst. Wieso hatte sein Vater dieses Palais gekauft, da er doch Schloss Tihany und das etwa sieben Kilometer von diesem entfernte Jagdschloss Erlau besaß? Die Erhaltung von drei Schlössern muss­te doch riesige Summen verschlingen.

Graf Sandor verließ sein Gastzimmer. Er schlenderte die Gänge entlang, durchmaß eine langgestreckte Zimmerflucht und stellte immer wieder mit Betroffenheit fest, dass wertvolle Gemälde, kostbare Porzellane und Teppiche aus Schloss Tihany jetzt dieses Haus hier schmückten.

Die Gräfin erwartete ihn im Esszimmer, das mit dunklen Mahagonimöbeln ausgestattet war.

Auf seine Bitte hin erzählte sie ihm von den letzten Stunden seines Vaters.

»Die Trauerfeier wird doch sicher in Tihany stattfinden, nicht wahr?«, fragte Graf Sandor.

Seine Stiefmutter schüttelte den Kopf und sagte: »Nein! Sie findet hier statt. Wir haben hier eine Menge guter Freunde. Die kleine Kapelle in Tihany würde die Trauergemeinde nicht fassen. Erst die Urne wird im Erbbegräbnis von Tihany beigesetzt. Dein Vater wollte es so, und ich werde seinen letzten Wunsch getreulich erfüllen. Verstehst du das?«

»Ja, natürlich«, murmelte er tonlos.

»Tihany wird dir allein gehören, Sandor. Das weißt du doch, nicht wahr? Da aus meiner Ehe mit deinem Vater leider keine Kinder entsprossen sind, fällt Tihany an dich.«

Graf Sandor verfärbte sich.

»Daran habe ich nie mehr gedacht. Ich nahm an, dass du dort leben würdest und dass es dir auch so lange gehört.«

»Nein! An diesem Erbfolgerecht konnte niemand etwas ändern.«

»Das tut mir leid«, sagte er hastig, »ich habe auf keinen Fall die Absicht, dich dort zu verdrängen.«

Gräfin Coletta lachte leise auf.

»Habe keine Angst, ich werde nicht dort leben. Ich habe hier mein Palais, das mir dein Vater zum Geschenk gemacht hat. Es gefällt mir. Für mich wäre die Einsamkeit in Tihany jetzt besonders bedrückend. Hier habe ich Menschen um mich, die mich in meinem großen Schmerz aufrichten. Ich werde dich öfter besuchen kommen, wenn du magst.«

»Du bist jederzeit willkommen«, sagte er offen.

»Wie lieb von dir.« Sie fuhr zart über seine Hand. »Ich bedaure sehr, dass wir all die Jahre so wenig voneinander gehört haben. Aber du warst ein großer Trotzkopf, Sandor. Dein Vater war einfach noch zu jung, um allein zu bleiben. Du bist jetzt älter geworden und wirst das nötige Verständnis dafür aufbringen.«

»Ja, natürlich«, sagte er knapp.

Sie lächelte ihn gewinnend an.

»Ich vermute, du wirst auch nicht immer auf Tihany...