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Sklavin und Königin - Karl Mays Magischer Orient, Band 5

Alexander Röder, Karl-Ulrich Burgdorf, Friedhelm Schneidewind et al.

 

Verlag Karl-May-Verlag, 2018

ISBN 9783780214058 , 480 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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13,99 EUR


 

Erstes Kapitel


Von Kairo in die Wüste


Ich stand an der Reling des französischen Dampfers Hirondelle, der mich über das Mittelländische Meer geflogen hatte. Vor mir sah ich: Ägypten!

Doch ich kam nicht als Forscher in dieses Land, wollte nicht den Spuren von Richard Lepsius folgen, des aus Naumburg gebürtigen Begründers der deutschen Ägyptologie. Auch kam ich nicht als Tourist, mit dem Reiseführer von Baedeker in der Tasche. Gewiss kam ich auch nicht als Eroberer wie Napoleon. – Ich kam als Befreier. Dies mag groß und mächtig klingen, und tatsächlich verspürte ich auch ein erhebendes Gefühl, dass ich nicht allein als Abenteurer hierherkam, doch gab es da auch einen Fakt, der mich wiederum ernüchterte. Jene, die es zu befreien galt, waren mir gänzlich unbekannt. Ich wusste nicht, wo sie sich befanden, und auch nicht, wer sie gefangen und versklavt hatte. Was mein Wissen betraf, so herrschte in mir also die sprichwörtliche ägyptische Finsternis, doch war es mir wie stets gegeben, die Dunkelheit zu erleuchten, mit der Fackel der Rechtschaffenheit und der Flamme des Tatendrangs. Meine Leser mögen mir verzeihen, dass ich so sehr die Tugenden beschwöre und mich dem Pathos hingebe. Sie müssen aber eines verstehen, selbst wenn ich es ihnen kaum erklären muss. Ich war nun nach langer Zeit in der Heimat wieder in der Fremde, oder vielmehr: in der Ferne, denn der Orient ist mir keineswegs fremd.

Doch schwindet die Vertrautheit mit der Ferne, und jene knappe Hälfte eines Jahres, die ich jüngst in Deutschland, in Sachsen, im Meißner Land, in Radebeul verbracht hatte, war doch recht zehrend gewesen. Denn ich hatte lange Stunden, bei Tag und in der Nacht, in meiner Schreibstube gesessen und meine jüngsten Erlebnisse zu Papier gebracht; am Ende würden diese vier nicht wenig umfangreiche Romane füllen. Ich hatte während dieser Niederschrift noch einmal alles erlebt, was sich in der Wüste jenseits von Basra, in den Schluchten und Wäldern des Balkan und den Bergen Kurdistans und des Kaukasus zugetragen hatte: die Kämpfe gegen den Schut, gegen Al-Kadir und die Hexe Qendressa, die ich mit meinen Gefährten Halef, Haschim und Sir David gemeinsam gefochten hatte. Und die vielen Begebenheiten mit erstaunlichen Menschen und an seltsamen Orten.

Doch ein Stuhl am Schreibpult ist kein Sattel, und eine Schreibfeder ist kein Säbel. Die Feder mag auf ihre Art eine mächtige Waffe sein, doch spuckt sie nur Tinte und kein Blei wie Henrystutzen oder Bärentöter. Und die Stube, das Haus, die Straße, die Stadt sind beschauliche Orte im Vergleich zu den Höhlen und Burgen und Türmen, in denen allerlei Schurken hausten oder Hinterhalte legten. Die behagliche Wärme von Kamin und Herd ist kein vorsichtig geschürtes Lagerfeuer, ein Federbett ist keine Satteldecke. Und die karge Kost des Reisenden und Abenteuers schwindet vor der Fülle der sächsischen Speisen.

Es mag nun niemand glauben, ich hätte angesetzt und wäre faul gewesen. Aber nein! Wiegebraten und Wickelklöße, saure Fleck und Spinat mit Sardellen, Stockfisch mit Erbsen, Bratwurst mit Äpfeln, aber auch die bescheidenen Kartoffeln mit Quark und Leinöl waren mir köstliche Gerichte, mit denen ich mich für die geistige Arbeit stärkte. Aber so wie der Kopf viel Nahrung benötigt, braucht der Leib seine Betätigung. Und so wanderte ich zum Ausgleich durch die Sandsteinhöhen des Erzgebirges und den dunklen Tann und dachte mir beim Atmen der kühlen Luft so manches Mal: Dort, der Fels – gemahnt er nicht an die Karstgebirge im Land der Skipetaren? Der alte Turm, erinnert er mich nicht an den Karaul des Schut? Das verwitterte Forsthaus, scheint es nicht wie die Berghütte, in welcher ich die Hexe traf? Überall fühlte ich mich an meine Abenteuer erinnert und eilte sogleich wieder an den Tisch, um mit Wort und Schrift alles festzuhalten. Und wenn der Schweiß ebenso geflossen war wie die Tinte aufs Papier, belohnte ich mich hernach mit Kaffee und auch mit Kuchen.

Doch nun hatte ich die heimeligen Blümchentassen und schweren Hefegebäcke hinter mir gelassen. Es riefen Kahwe und Baklawa! Doch deren Süße würde ich mir erst verdienen müssen.

Die Seeluft hatte mich belebt und allen Schreibstubenstaub und Bücherseitendunst hinfortgeblasen. Ich hatte daheim alles aus mir herausgeschrieben, nun fühlte ich mich frisch und neu wie ein Bogen Papier, der jüngst aus der Bütte geschöpft worden war. Ich hatte zuhause kaum bemerkt, wie das Fernweh sich gemehrt hatte: Jetzt packte es mich mit Macht.

Und neu und ungewohnt war auch, wie bereits erwähnt, dass mich nun nicht die reine Abenteuerlust antrieb. Ich war nicht in meiner Profession als Reiseschriftsteller hier, sondern nahte als Helfer heran. Und dies auf den Ruf jener Frau hin, die ein schweres Schicksal erlitten hatte, welches sie mit meiner Hilfe jedoch glücklich hatte überwinden können, und die nun danach trachtete, auch anderen bedauernswerten entführten und versklavten Frauen zur deren Freiheit zu verhelfen: die tapfere und kluge holländische Dame Marijke van Beverningh.

Deshalb ihr brieflicher Ruf nach mir und deshalb meine Reise nach Kairo.

Drang und Not hatten aus den Zeilen gesprochen, und so eilte ich zu Beistand und Hilfe. Man mag mir nachsehen, dass ich daher nicht in schwelgende Beschreibungen verfalle, wie es dem Reiseerzähler gemeinhin geziemt. Doch wer kann Land und Leute, Sitten und Gebräuche, Bauten und Natur mit schönen Worten malen, wenn die harsche Ungerechtigkeit das Leben Unschuldiger bedroht?

Darum sei mein Weg nur knapp beschrieben: Ich ging von Bord, nutzte Bahn und Wagen – und stand dann vor der Botschaft der Briten in Kairo, zwischen den Zähnen eine Stange Bamberger Süßholz, denn wenn ich unterwegs bin, rauche ich nur in Gesellschaft.

Ich war vom Staub der Reise bedeckt, hatte eine kleine Tasche mit dem Nötigsten an der Hand und einen Seesack über der Schulter, aus dem zwei lederumhüllte Stangen ragten. So konnte es dem Unwissenden erscheinen. Mancher Brite, der mich sah, mochte an seinen nationalen Schlagballsport denken; wer mich kannte, wusste jedoch, dass es nur mein Henrystutzen und der Bärentöter sein konnten. Auf vielerlei mag ich auf Reisen und Abenteuern verzichten können, doch nicht auf diese treuen Gewehre.

Dass ich nun recht schwer, wenngleich nicht offen bewaffnet in eine Botschaft spazieren durfte, war allein der Tatsache zu verdanken, dass ich einen reichen und angesehenen Fürsprecher hatte und erwartet wurde.

Eilig führte mich eine Ordonnanz in einen kleinen Raum, der britisch und schlicht-orientalisch zugleich wirkte. Ich hatte keinen Blick für die Details, aus eingangs geschilderten Gründen, aber in diesem Augenblick des Eintretens konnte ich auch kaum einen Blick ringsum werfen, denn das Zimmer wurde von einer ganz bestimmten Person dominiert.

Sir David Lindsay kam mir entgegen, groß, dünn und in graukariertes Tuch gekleidet wie stets. Er begrüßte mich freundlich, auch erleichtert, aber ein wenig fahrig, sodass sich eine kurze Szene der Unbeholfenheit ergab:

Ich hatte im ersten Moment ja keine Hand zum Schütteln frei und musste doch das Gepäck ablegen, als ein Griffwechsel nicht taugte.

„Well“, begann Sir David eifrig, „Ihr seid da, glücklich und letztendlich. Die Fahrt war gut, ja? Aber was rede ich, Ihr seid ein erfahrener Reisender, so wie ich – warum mit small talk aufhalten, indeed!“

Er schritt zu einem kleinen Tisch und griff zu den Gläsern und Flaschen. Ich lehnte den Whisky ab, selbst wenn die Tageszeit angemessen war, und beschied mich mit Sodawasser. Sir David jedoch sah sich genötigt, seine Nerven zu stärken. Er schaute auf die kleine Uhr auf dem Schreibtisch.

„Es ist nicht mehr viel Zeit. Gleich kommt Mrs. van Beverningh …“

Der Lord schaute für meine Begriffe nicht wie jemand, der seine Sekretärin erwartet, sondern …

Ich muss an diesem Punkt wohl einiges erläutern: Sir David hatte mir vor einem halben Jahr einen Brief gesandt, in dem er mich über all das informiert hatte, was seit unserem Abschied geschehen war. Er hatte Marijke van Beverningh wie versprochen nach Istanbul begleitet und sich auch dort ihrer angenommen, was er in onkelhafter Anteilnahme schilderte: Zunächst hatte er einige Ärzte, sowohl örtliche hekims als auch ausländische doctors geprüft, um die Dame mit deren Hilfe von ihren Strapazen und Wunden genesen zu lassen. Dann hatte er sie zur Königlich-Niederländischen Botschaft begleitet, damit sie neue Papiere erhielt und von dort aus ein Lebenszeichen in die Heimat senden konnte – und auch die betrübliche Kunde übermitteln musste, dass der Ehemann und dessen Bruder zu Tode gekommen waren.

Während der Wartezeit und der Heilung zeigte Sir David sich großzügig und selbstlos wie gewohnt, sorgte für Kleidung, Nahrung, Logis. Doch die Dame...