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Land im Sturm - Roman

Ulf Schiewe

 

Verlag Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2018

ISBN 9783732560547 , 925 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

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DIE JOHANNISNACHT


Den ganzen Nachmittag über waren die Männer damit beschäftigt gewesen, nicht weit vom Flussufer Holz für ein gewaltiges Feuer zusammenzutragen und aufzuschichten. Alle im Dorf hatten dafür gespendet. Die Kinder hatten davorgestanden und ungeduldig gewartet, dass es dunkel wurde. Die Johannisnacht war für sie das aufregendste Ereignis des Jahres. Zum Glück blieb der Himmel klar. Das Wetter würde ihnen nicht den Spaß verderben.

Und nun war es endlich so weit. Flammen loderten in den Nachthimmel. Funken stoben davon wie winzige Glühwürmchen. Das brennende Holz zischte, knackte und knisterte. Alle hatten sich versammelt. Die Kinder tobten rund ums Feuer, Hunde bellten erregt, und die Mütter mussten immer wieder eingreifen und ihre Jüngsten ermahnen, sich nicht zu nahe ans Feuer zu wagen. In einem großen Kessel dampfte ein Gemüseeintopf. Jeder durfte seinen Napf füllen und sich ein Stück vom frischen Brot nehmen, das die Weiber ausgelegt hatten. An einem Tag wie diesem gab es sogar Fleisch. Spanferkel hingen am Spieß, und der Duft trieb einem den Speichel in den Mund. Auch Käse gab es und jede Menge frisch gebrautes Bier.

Nach dem Essen gaben Sackpfeife und Trommeln den Takt vor. Die jungen Leute fassten sich an den Händen und tanzten im Kreis, es wurde geklatscht und gesungen. Ab und zu trieben die Burschen ihren Spaß mit den Mägden. Dann unterbrach Johlen und Kreischen den Reigen. Schmunzelnd schauten die Alten zu, erinnerten sich an die eigene Jugend und ließen sich ihr Bier schmecken. Dabei taten sie, als merkten sie nicht, wenn sich heimlich ein Pärchen ins Dunkel der Büsche verzog. Schließlich war Johannisnacht, und überall in den Dörfern im Flusstal ging es ähnlich zu. Kein Wunder, wenn im Frühjahr nicht nur die Bäume ausschlugen, sondern auch die Säuglingsernte reichlicher ausfiel als sonst im Jahr.

Arnulf bückte sich, um einen angekohlten Scheit zurück in die Lohe zu werfen. Mit einem Mal hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Als er sich umwandte, blickte er in die Augen eines jungen Mädchens. Hoch zu Ross, mit einigem Abstand zum Geschehen, sah sie dem wilden Treiben zu. Lange hielt sie seinen Blick, dann sah sie zur Seite. Es war die junge Dame Gisela. Dass sie ausgerechnet ihn anstarrte, erstaunte ihn und schmeichelte ihm. Aber es erfüllte ihn auch mit Unbehagen, denn der Mann an ihrer Seite war Vogt Eberlin, Herr über mehrere Dörfer diesseits des Flusses, und ihr Vater. Ein Blick auf die geringschätzige Miene, mit der er den Tänzen ums Feuer zusah, ließ ahnen, dass er es gewiss nicht leiden würde, wenn seine Tochter einen wie ihn überhaupt beachtete.

Die Spielleute stimmten ein neues Lied an, als eine der Mägde ihm zurief: »Was stehst du so rum, Arnulf?« Es war Lole, die Tochter eines leibeigenen Bauern. Dem hatte Gott keinen Sohn geschenkt, sondern ihn stattdessen mit vier Töchtern geschlagen. Lole war die jüngste und die wildeste, wie es hieß. So manche Gerüchte rankten sich um sie. Jetzt trat sie dicht an ihn heran, drückte ihm einen feuchten Kuss auf den Mund und packte ihn am Arm. »Komm, tanz mit uns!«

Lachend ließ er sich mitziehen und in die Kette der Frauen einreihen, die sich von Neuem gebildet hatte. Sie hüpften und tanzten und sangen die alten Lieder. Zwischendurch auch deftige Beschwörungen, bei denen sich der Bischof in Brixen vor Scham die Ohren zugehalten hätte, wäre er anwesend gewesen. Dann wieder hielten sie inne, stampften mit den nackten Füßen auf und brüllten Zaubersprüche in die Nacht zur Verbannung der bösen Geister, auf dass Mensch und Vieh gesund blieben und die Neugeborenen heil an Leib und Gliedern zur Welt kommen würden. So war es Brauch.

Unter fröhlichem Gekreische zogen sie noch mehr der jungen Männer in den Kreis. Auch Volkmar, Arnulfs Bruder, war darunter, obwohl er längst verheiratet und seine Frau hochschwanger war. Doch in der Johannisnacht galt das nicht. Da durften die Weiber – und nicht nur die ledigen – über die Stränge schlagen und sich ihre Tanzpartner suchen, wie sie es gerade mochten. Und mit etwas Glück tat eine hübsche Magd in dieser Nacht mehr, als einem schöne Augen zu machen.

Jedes Mal, wenn er im Kreis der tanzenden Weiber beim Umrunden des Feuers an der gleichen Stelle vorbeikam, sah er den Blick der Vogttochter auf sich gerichtet. Das machte ihn ganz zappelig. Oder war es das viele Bier, das er in sich hineingeschüttet hatte? Es nahm ihm die Hemmungen, machte ihn verwegen. Er löste sich aus dem Kreis und wanderte leicht schwankend zu den beiden Reitern hinüber.

Freundlich grinsend verneigte er sich vor dem Edelfräulein. »Herrin Gisela, warum steigt Ihr nicht vom Pferd und tanzt mit uns?«

Als der Pfeifer sah, mit wem Arnulf sprach, vergaß er vor Erstaunen, den Dudelsack zu pumpen, worauf die Melodie mit einem wehleidigen Ton erstarb. Auch der Trommler hörte auf. Und schon blieben die Tänzer stehen, starrten herüber, wunderten sich, warum die Musik verklungen war.

Das Fräulein Gisela hatte bei der unerwarteten Frage ein erschrockenes Gesicht gemacht mit kurzem Seitenblick zu ihrem Vater. Dann aber fasste sie sich und blickte hochmütig auf Arnulf hinab, bevor sie das Gesicht ganz abwandte und so tat, als habe sie ihn nicht gehört.

»Was zum Teufel fällt dir ein, du verdammter Lümmel?«, fuhr der Vogt ihn an. »Noch ein Wort, und ich lasse dich auspeitschen.« Einen Augenblick lang sah es so aus, als würde er sein Schwert ziehen, aber dann riss er am Zügel seines kostbaren Pferdes. »Komm, Tochter, es reicht jetzt. Wir haben uns diesen gottlosen Unsinn schon lang genug angesehen.«

Er wendete sein Pferd und ritt davon. Gisela folgte ihm. Bevor sie jedoch in der Dunkelheit verschwand, drehte sie sich noch einmal im Sattel um. Hatte sie gegrinst? Arnulf war sich nicht sicher.

Sein Bruder Volkmar packte ihn am Arm. »Bist du dämlich? Du kannst doch nicht den Vogt herausfordern.«

»Ich wollte nur freundlich sein.«

»Zu denen ist man nicht freundlich. Die verstehen das als Anmaßung.« Volkmar legte ihm den Arm um die Schultern. »Nimm dir lieber die kleine Lole vor. Die hat’s auf dich abgesehen.« Er lachte ausgelassen und winkte dem Pfeifer zu. »Was glotzt du so blöd? Spiel endlich weiter!«

Da begann die Musik aufs Neue.

Das Tanzen und Feiern hielt an bis in die frühen Morgenstunden, bis das Feuer fast ganz heruntergebrannt war. Die Alten waren schon vor einer Weile in ihren Hütten verschwunden, wo sie bierselig schnarchten. Auch die meisten Kinder schliefen längst in den Armen ihrer Mütter. Selbst den Älteren fielen die Augen zu. Die Familien zogen sich zurück, und nur die jungen Leute blieben, legten ein wenig Holz nach, erzählten sich Geschichten, lachten und scherzten noch lange in der Dunkelheit.

Schließlich wurde es still. Nur noch ein gelegentliches Flüstern und Kichern war zu hören und ein Rascheln in den Büschen. Einmal auch ein leises Stöhnen aus weiblicher Kehle, das die anderen mit unterdrücktem Gelächter quittierten. Alle waren sich einig, es war ein schönes Fest gewesen.

Arnulf schlief tief und fest, bis seine Mutter Jelscha ihn weckte. »Steh auf, du Faulpelz. Zeit für die Messe.«

Er fuhr hoch und wischte sich schlaftrunken mit der Hand übers Gesicht. Dann schob er das warme Schaffell beiseite und erhob sich. Sein Kopf schmerzte noch von dem vielen Bier. Dorela, Volkmars hochschwangeres Weib, beäugte seinen nackten Oberkörper.

»Zieh dir endlich dein Hemd über«, knurrte die Mutter.

Mit Mutter legte man sich am besten nicht an. Sie hatte eine scharfe Zunge und herrschte über Haus und Hof mit eiserner Hand. Arnulf trat vor die Tür, goss sich Wasser aus dem Viehtrog über den Kopf und zog sich das saubere Leinenhemd über, das seine Mutter ihm gereicht hatte.

Die Hütte der Familie war größer als die meisten anderen im Dorf, hatte aber trotzdem nur einen einzigen, großen Raum, in dem gekocht, gegessen und geschlafen wurde. Der Boden bestand aus festgestampfter Erde, inzwischen hart wie Stein. Ein paar dicke Holzpfeiler und Querbalken trugen das strohgedeckte Dach. An denen hingen Pfannen und Töpfe und ganze Bündel von Kräutern zum Trocknen. Über der offenen Feuerstelle in der Mitte des Raumes war eine Öffnung im Dach, die als Rauchabzug diente. Darunter hingen ein paar Schinken vom Schlachtfest im letzten Herbst. An der Seite und im hinteren Bereich befanden sich Bettstellen – die meisten offen, denn für Prüderie war in der Wohnenge kein Platz. Im Winter schlief sogar der Knecht im Haus, ansonsten in der Scheune. Nur die Lagerstatt von Arnulfs Eltern war mit einem Vorhang vor neugierigen Blicken geschützt. In einer Ecke waren Bretter bis zum Dach angebracht, auf denen die Käselaibe reiften, die Jelscha an abwechselnden Tagen herstellte, an denen die Milch nicht für Butter oder anderes gebraucht wurde.

An einer Seite führte eine niedrige Tür in den Stall. Darin befand sich der ganze Reichtum der Familie – ein Maultier, zwei Milchkühe und ein Zugochse kauten dort an ihrem Heu. Daneben war ein Schweinekoben, in dem eine Sau ihre Ferkel säugte. Ein paar Ziegen besaßen sie auch, und im Hof pickten Hühner die Körner auf, die Jelscha ihnen hingeworfen hatte. Sie hatte schon die Kühe gemolken und die Tiere gefüttert. Auf der anderen Seite des Hofs befanden sich Vater Linards Schmiedewerkstatt, ein Geräteschuppen und die Scheune, frisch gefüllt mit dem duftenden Heu der ersten Mahd. Und neben dem Stall türmte sich der Mist, den sie im Herbst vor der Aussaat auf die Felder fahren würden. Ein alter Hirtenhund bewachte den Hof, aber in Wirklichkeit lag er meist faul im Schatten...