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Frittenmafia - Kriminalroman

Bernhard Wucherer

 

Verlag Gmeiner-Verlag, 2018

ISBN 9783839257944 , 476 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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11,99 EUR


 

Kapitel 1


»Merde!«, fluchte Monsieur Frederic Le Maire, der leitende commissaire de criminelle in Liège, nachdem er kurz vor Mitternacht den Telefonhörer abgehoben hatte.

Damit Fabienne Loquie möglichst wenig von der miesen Stimmungslage ihres Chefs mitbekam, hatte der schlaftrunkene belgische Kriminalhauptkommissar eine Hand fest auf die Muschel seines Telefonhörers gepresst. Er konnte es sich nicht verkneifen, nochmals seinen Lieblingsfluch auszustoßen: »Merde! … Muss mir das ausgerechnet jetzt noch passieren?« Leise grummelte er »Verfluchter Job« hinterher.

Aber es half alles nichts. Der normalerweise in der Wallonie tätige Kriminalbeamte kam nicht umhin, sich dem soeben Gehörten zu stellen und seiner Mitarbeiterin gegenüber trotz der unchristlichen Uhrzeit angemessen höflich zu antworten. Immerhin war er ihr Chef und musste als solcher zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar sein, ob er wollte oder nicht. »In Ordnung, Locki, ich komme gleich! … Ja: Ich beeile mich! Verdammt!« In Momenten wie diesen fiel Le Maire gerne in seine deutsche Muttersprache zurück.

»Qu’est-ce que c’est? … Je ne compends pas?«, kam es deswegen etwas irritiert von der diensteifrigen jungen Frau am anderen Teil der Leitung zurück.

»Schon gut, Locki, ich weiß, dass du ebenfalls aus dem Bett geklingelt wurdest«, beschwichtigte der Hauptkommissar seine Mitarbeiterin, nachdem er sich wieder etwas beruhigt hatte. »Aber du kannst mir glauben, dass auch mir der Tote gerade jetzt sehr ungelegen kommt! … Salut!« Er hatte wieder seine ursprüngliche Haltung eingenommen und den Hörer unsanft auf die Gabel seines altmodischen Telefons zurückgeknallt.

Zur selben Zeit waren direkt unterhalb seines geöffneten Schlafzimmerfensters zwei Männer vorbeigetorkelt. »Der alte Monsieur commissaire hat wohl Probleme mit seinem ›Manneken Pis‹ und kann nicht mehr …«, hob einer der beiden amüsierten Zecher zu lästern an und blickte nach oben, bevor er sich an der Ecke des grau getünchten Hauses an die Wand lehnte, um sich zu übergeben.

Der völlig betrunkene Mann war mit seinem Kameraden von einer Kneipentour am Place du Marché in Richtung La Meuse unterwegs. Und ausgerechnet in dem Augenblick, als das resigniert klingende Geschimpfe Le Maires seinen Weg in die laue Sommernacht hinaus gefunden hatte, waren sie direkt unterhalb seiner Wohnung vorbeigetorkelt.

Dummerweise hatten die beiden das, was ihr Vereinskamerad Frederic soeben von sich gegeben hatte, total missverstanden. »Wahrscheinlich hat der alte Schwerenöter Ärger mit seiner Angelika, weil eine gewisse ›Locki‹ bei ihm ist«, wurde der eine von seinem Kameraden unterbrochen, während er selbst bemüht war, den durch das unheilvolle Gemisch aus zu viel Rotwein und Pastis verursachten Würgereiz loszuwerden. Dies wollte ihm allerdings nicht so schnell gelingen, wie er es gerne gehabt hätte. Dass Frederic sich lediglich telefonisch mit seiner Sekretärin unterhalten hatte und er sie wegen ihres lockigen Kurzhaarschnittes und in Anlehnung an ihren Nachnamen »Locki« nannte, konnten die beiden Saufkumpane nicht wissen.

Die zwei Männer kannten Frederic und auch seine Lebensgefährtin Dr. Angelika Laefers vom Verein der »Königstreuen« her. Wie die meisten anderen Vereinsmitglieder, nahmen sie das beruflich perfekt eingespielte Duo privat als absolut ungleiches Paar wahr. Dennoch brachten sie den beiden eine hohe Wertschätzung entgegen. Deswegen unterließen sie es trotz ihres beachtlichen Alkoholpegels, sich weiter über den meist ungepflegt wirkenden Monsieur commissaire de criminelle lustig zu machen und zogen stattdessen hämisch lachend weiter. Zudem wollten sich die Trunkenbolde nicht unnötig mit der Polizei anlegen. »Man weiß ja nie, oder?«, meinte der eine zum anderen, während er mühsam versuchte, seinen Hosenschlitz zu öffnen, um sich ungeniert an der nächsten Hauswand erleichtern zu können.

Währenddessen schimpfte der 46-jährige Kriminaler immer noch vor sich hin und drehte sich erst einmal eine Zigarette, bevor er sich das bisschen Schlaf, den er hinter sich hatte, aus dem Gesicht wusch. Mit der Selbstgedrehten zwischen den Lippen suchte er die im ganzen Zimmer herumliegenden Klamotten zusammen. Im Gegensatz zur perfekt durchgestylten und äußerst gepflegten Penthousewohnung seiner Geliebten in einer der feinsten Gegenden Aachens herrschte hier das reinste Chaos: in der Küche stapelte sich fortwährend frisch gespültes, aber noch nicht eingeräumtes Geschirr. Überall stand oder lag etwas herum, von dem der manchmal konfus wirkende Staatsbeamte nicht immer wusste, was er damit hatte tun wollen. Und in einem großen Weidekorb neben dem Bügelbrett vor dem Fernsehgerät im Wohnzimmer lag stets frisch gewaschene Wäsche, die geduldig aufs Bügeln, oder besser gesagt, auf Angelika wartete. Zu Le Maires Ehrenrettung muss allerdings gesagt werden, dass er zwar mit dem Aufräumen auf Kriegsfuß stand, seine Wohnung aber immer sauber geputzt war. Und genau so, wie er mit seiner Wohnung umging, behandelte der Gesetzesdiener auch sich selbst. Dies zeigte sich in erster Linie darin, dass er zwar meistens schäbig aussehende Klamotten trug, dafür aber einen fast schon überspitzten Wert auf Hygiene und Körperpflege legte. Und ein Dreitagesbart war ja schließlich modern – in seinen Augen der einzige Tribut, den er der Mode zollte. Auch mental war dieser Mann ein einziger Widerspruch in sich, was sein Umfeld gelegentlich irritierte. Gerade seine knubbelige Sekretärin Fabienne Loquie hatte es nicht immer leicht mit dem von ihr vergötterten Chef.

*

»Merde!«, drang es eine knappe Stunde später gute 40 Kilometer entfernt durch das Lüftungsrohr einer Fritüre heraus. Ansonsten war es im ostbelgischen Grenzort La Calamine ziemlich still. Selbst in der um diese Uhrzeit ansonsten nicht immer ruhigen Rue Albert hörte man außer Le Maires kurzem Standardfluch, der immer herhalten musste, wenn ihm etwas nicht passte, keinen Ton. Wären da nicht die beiden Polizeifahrzeuge mit ihren nervtötenden Blaulichtern und der Notarztwagen, dessen Fahrer so vernünftig gewesen war, das schlafraubende Warnsignal auszuschalten, könnte man sagen, dass es totenstill war. Denn ein weiteres Fahrzeug mit belgischem Kennzeichen fiel da schon weniger auf als die drei Dienstfahrzeuge. Nur der alte mintfarbene Citroën des aus Liège herbeigerufenen Ermittlers zog die Blicke der »Fensterkucker« magisch auf sich. Im Moment aber spielte sich nichts auf der Straße, sondern nur innerhalb der kleinen Fritüre und an den Fenstern der umliegenden Häuser ab. Lediglich ein paar zur Tatortsicherung abgestellte Dorfpolizisten ließen ein spekulierendes Murmeln und Zigarettenrauch zu den neugierig vor und hinter den Gardinen liegenden Anwohnern hoch.

»Merde!«, entfuhr es commissaire Le Maire erneut, dieses Mal allerdings wesentlich gedämpfter und aus einem anderen Grund als zuvor. Es war kurz vor ein Uhr. Eigentlich hätte er an diesem Freitag – missmutig schaute er auf die Uhr – seit genau 51 Minuten Urlaub. Er wollte mit dem von ihm gegründeten Verein »Die Königstreuen« übers Wochenende einen Kurztrip nach Brüssel unternehmen. Da er aber kurz vor Mitternacht, also gestern noch zu diesem Einsatz gerufen worden war, musste er sich nun auch um diesen ganz besonders scheußlichen Fall kümmern, mit dem er es jetzt zu tun bekommen würde. Dementsprechend hatte der sonderbare Ermittler eine Stinkwut im Bauch, der auch reichlich Platz dafür bot. Denn hätte ihn der Anruf erst nach Mitternacht erreicht, wäre er urlaubsbedingt nicht ans Telefon gegangen. Er wäre am Vormittag frohgelaunt in den Bus Richtung Antwerpen – der ersten Rast auf dem Weg quer durch sein geliebtes Belgien – gestiegen und hätte sicherlich drei informative und fröhliche Tage mit seinen Vereinskameraden erlebt, die mit einem von ihm organisierten kleinen Empfang im Königspalast in Brüssel gekrönt worden wären. Aber er, der königstreue Vereinspräsident, konnte nun wegen eines Mordes nicht dabei sein. »Merde!«

Stattdessen wusste der bekennende Hedonist, der für original belgische Fritten selbst töten könnte und auch die belgischen Biere über alles liebte, dass sein freies Wochenende gestrichen war und er somit seine Beteiligung am Vereinsausflug canceln musste, was er gleich in der Früh mit einem Telefonat beim Schriftführer seiner »Königstreuen« tun würde.

Mit seinem letzten Fluch hatte er nicht nur das bevorstehende, voraussichtlich arbeitsreiche Wochenende, und das selbst für einen abgebrühten Kriminalbeamten Unfassbare gemeint, weswegen man ihn gerufen hatte und was er gerade vor sich sah. Vielmehr war es das Frittenfett vor ihm, das ihn fast aus der Fassung gebracht hätte. Denn dem leidenschaftlichen Fan der bereits 1781 auf dem Gebiet des heutigen Belgiens erfundenen goldgelb frittierten Kartoffelstäbchen tat es leid, dass der Kopf eines Mannes ausgerechnet in einer Friteuse stecken musste, weswegen es ihm künftig den Appetit auf Fritten verderben könnte. Aber Le Maire arbeitete bereits mental daran, nicht ständig an diesen Anblick denken zu müssen, wenn er Lust auf Fritten haben würde.

»Bonjour, Monsieur commissaire!«, rief ihm ein Inspecteur de police, also ein uniformierter Kollege der hiesigen Polizeizone Weser-Göhl, eifrig auf Französisch entgegen, obwohl hier vorwiegend Deutsch gesprochen wurde. Er grüßte zackig mit der Hand an der Dienstmütze und setzte gleich an, den griesgrämig dreinschauenden Kriminalbeamten über den Stand der Dinge...