dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Cherringham - Ein Gentleman verschwindet - Landluft kann tödlich sein

Matthew Costello, Neil Richards

 

Verlag beTHRILLED, 2018

ISBN 9783732553860 , 120 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

4,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

Derzeit können über den Shop maximal 500 Exemplare bestellt werden. Benötigen Sie mehr Exemplare, nehmen Sie bitte Kontakt mit uns auf.


 

1. »Great Cotswolds Steam Railway« –
Die großartige Dampfeisenbahn


Reg Syms griff in seine enge Westentasche und zog seine Elgin hervor, eine klassische Uhr, die durch ihre unpraktische Größe nur noch schöner und – als Accessoire für einen echten »Bahnhofsvorsteher« – angemessener wirkte.

In genau diesem Moment öffnete sich die Seitentür zu seinem Büro – seiner »Domäne«, wie er es gern nannte. Und herein kam, nun ja … der Neue.

Ein Praktikant, der sämtliche Hindernisse und Hürden überwunden hatte, um in die rein ehrenamtliche Vereinigung der Dampflok-Begeisterten aufgenommen zu werden. Ja, man machte es Neuen nicht leicht, denn es mussten die bloß Gelangweilten oder Neugierigen von den wahren Enthusiasten getrennt werden.

Bei dieser sehr besonderen, wenn auch kurzen Bahnlinie zu arbeiten, einem echten Relikt aus einer hundert Jahre zurückliegenden Epoche, erforderte Wissen, Leidenschaft, Hingabe und – bei einer Bahnlinie unerlässlich – Pünktlichkeit.

Und während Reg weiter auf seine Uhr schaute, die exakt acht Uhr dreißig anzeigte, hörte er den Neuen sagen: »Guten Morgen, Mr Syms!«

Reg blickte auf. Er führte eine kleine Inspektion durch, als er Tim Waites Aufmachung betrachtete: Jackett, Krawatte, Weste – die Standarduniform, bei der alles in Ordnung war. Zuletzt fiel sein Blick auf das sauber gefaltete Taschentuch, natürlich in Signalrot, in der Jackentasche.

»Pünktlich. Gut, gut«, lobte er. »Die erste Fahrt heute – dann geben wir mal unser Bestes.«

Und Reg lehnte sich vor, um durch das Fenster des Fahrkartenschalters zum bleigrauen Himmel über dem historischen Bahnhofsgebäude zu sehen.

»Ziemlich grau und trübe heute. Es wird trotzdem viel los sein, und Sie werden reichlich zu tun haben …« –- die nächsten Worte sagte er ganz besonders gern –- »auf der Great Cotswolds Steam Railway. Na dann, auf geht’s!«

Und Reg Syms begann sich ans Werk zu machen. Nun, wenn man ehrlich war, bestand es hauptsächlich darin, auf Fahrgäste zu warten. Und Tim Waite schaute ihm dabei zu.

Während sein Praktikant zusah – sich »im Schatten hielt«, wie es der jüngere Mann bezeichnete –, begrüßte Reg die alten wie die neuen Fahrgäste, stellte Quittungen aus und überreichte Fahrkarten aus festem Karton durch das kleine Loch in der Glasscheibe.

Wahrer Kundenservice!

Schließlich war der erste Ansturm vorbei, und als die Fahrgäste über den Bahnsteig eilten, vorbei an den wartenden Waggons, um zu sehen, wie die Lokomotive Dampf aufstaute, wandte Reg sich dem neuen Praktikanten zu.

Obwohl er gerade erst bei der Eisenbahn anfing, war Waite alles andere als ein junger Mann: ein Mittvierziger, der wahrscheinlich darauf erpicht war, dem Trubel zu Hause bei Frau und Kindern zu entkommen, um dieses … Abenteuer zu erleben.

Wer wollte das nicht?

»Merken Sie es sich genau, Mr Waite: das Lächeln, die Begrüßung – das alles ist außerordentlich wichtig.« Er reckte einen Finger in die Höhe. »Stellen Sie sich dieses kleine Büro, den Bahnsteig hier, die großartige Lokomotive da vorn – einfach alles – als eine wunderbare Zeitmaschine vor. Wir versetzen die Menschen in eine vollkommen andere Zeit zurück. Und ich wage zu behaupten – in eine bessere Zeit!«

Waite nickte. »Ich werde darauf achten …«, begann er.

Er verstummte, weil in diesem Moment ein Geräusch immer lauter wurde, das Reg wohlvertraut war. Das wummernde Dröhnen eines Mercedes-Motors.

Und Reg wusste genau, wer das war.

Bernard Mandeville – dessen Ankunft hier so verlässlich war wie der antiquierte Fahrplan dieser Bahnlinie.

Es wäre kein richtiger Sonntagmorgen, ohne dass Mr Mandeville ans Fahrkartenfenster trat und einen Fahrschein kaufte. »Nur für eine Person, bitte«, pflegte er in seinem sanften Singsang zu sagen, während er den Fahrschein erstand, so als geschähe es nicht zum hundertsten Mal.

Und Regs Antwort ebenfalls immer gleich; dazu ein Lächeln, ein Tippen an die Mütze, als würde er jemanden zum ersten Mal zu diesem großartigen Erlebnis begrüßen.

»Einer unserer besten und treuesten Fahrgäste«, sagte Reg, »also passen Sie jetzt gut auf.«

Dann wartete er auf Bernard Mandeville. Dieser Tage war er nicht mehr so flott auf den Beinen – oder flott bei irgendwas –, während er sich auf den Weg zum Fahrkartenschalter von Cherringham Junction machte.

»Guten Morgen, Reg«, grüßte Bernard.

Eine Vertraulichkeit, die in diesem Fall durchaus angemessen war.

Zumindest vonseiten des Fahrgastes.

»Mr Mandeville, wie schön, Sie zu sehen.«

Als wäre es eine Überraschung. Ein unerwartetes Vergnügen.

Bernard war gekleidet wie immer, und zwar perfekt abgestimmt auf das nostalgische Ambiente der Eisenbahn: langer Tweed-Mantel, klassischer, kurzkrempiger Hut, dreiteiliger Anzug mit Fischgrätmuster und sogar eine Nelke im Knopfloch. Als würde ihn der Zug nach Paris bringen, nicht zum Bahnhof Cheltenham Racecourse – gerade mal fünfundzwanzig Meilen entfernt.

Die Lokomotive war kraftvoll, doch gemessen an den schwindelerregenden Ansprüchen der heutigen Zeit, tuckerte sie viel zu langsam dahin.

Bernard bestellte seinen Fahrschein wie nach einem sorgfältig verfassten Drehbuch.

»Ah ja«, antwortete Reg. »Einmal Cheltenham und zurück. Sehr gerne.«

Und während Bernard seine Geldbörse hervornahm, um wie üblich einen Zwanzig-Pfund-Schein zu zücken, sah Reg hinter ihm …

Vielleicht ist das ja sein Sohn?

Er wusste nie, was für ein Verwandter von Bernard – es schienen drei zu sein – es jeweils war, der den Mann zum Bahnhof fuhr und dort wartete, bis er wieder zurück war.

Sein heutiger »Chauffeur« rauchte eine Zigarette und wirkte ein wenig ungeduldig. Reg dachte: Der soll mir ja nicht die Kippe auf den Bahnsteig werfen.

»Ah, hier haben wir es«, sagte Bernard und reichte den frischen Geldschein durch die Öffnung. »Diese neuen Scheine sind so glatt! Aus Plastik oder so, was? Noch ein Beweis, wie sich die Zeiten ändern. Gutes britisches Geld wird zu Zellophan!«

Reg gab Bernard seine kleine Fahrkarte aus Karton und anschließend sein Wechselgeld.

»Genießen Sie die Fahrt, Mr Mandeville«, sagte er.

Worauf Bernard antwortete: »Tue ich immer, Reg, tue ich immer.«

Dann drehte der Mann sich um und ging langsam auf das Erste-Klasse-Abteil zu, wo sein Verwandter bereits an der offenen Tür wartete. Reg beobachtete, wie der junge Mann Mr Mandeville stützte und ihm die Stufen hinauf ins Abteil half.

In dem Zug gab es keine richtigen Klassen mehr; man durfte sitzen, wo immer man wollte. Doch Reg nahm an, dass Bernard Mandeville sich immer in den warmen, abgewetzten Wagen der ehedem teuren und glamourösen ersten Klasse am wohlsten fühlen würde.

Nachdem er eingestiegen war, konnte Reg sehen, wie er sich im Abteil auf den Fensterplatz in Fahrtrichtung setzte. Sein Verwandter legte dem alten Mann eine Decke über die Beine.

Tim war neugierig.

»Also, dieser Typ, Bernard …«

»Mr Mandeville.«

»… nimmt jeden Sonntag den Zug nach Cheltenham Racecourse und zurück?«

»Verlässlich wie ein Uhrwerk. Seit die Linie in Betrieb ist, hat er noch keinen Sonntag verpasst.«

»Verblüffend. Er muss den Zug lieben!«

»Oh ja. Ich denke, wären da nicht seine diversen Gebrechen, würde er bei uns mitmachen. Sie wissen schon, als Ehrenamtlicher.«

»Gebrechen?«

»Ach, viel weiß ich darüber nicht, nur, dass der Arzt regelmäßig bei ihm ist. Es muss etwas ziemlich Ernstes sein. Ich habe das Gefühl, sein einziges Vergnügen ist diese kleine Ausfahrt einmal die Woche.«

»Und was ist mit dem Typen?«

Reg sah den jungen Mann aus dem Abteil steigen und den Bahnsteig hinuntergehen.

»Sein Sohn, glaube ich.«

Reg nickte. Thema erledigt, dachte er und fing an, die Fahrgäste für die erste Tour am Morgen zu zählen.

»Wirkte ganz schön mürrisch, fand ich«, merkte Tim Waite an.

Reg hielt grundsätzlich nichts davon, sich in die Angelegenheiten anderer einzumischen. Trotzdem …

»Mürrisch? Kann sein. Es sind drei verschiedene Leute, die ihn bringen. Sie sehen die alle, wenn Sie erst fest im Dienstplan sind. Zwei Frauen – Schwestern, vermute ich.«

Reg holte seine Taschenuhr hervor.

Es reicht mit dem Fragespiel, dachte er.

Dann ertönte das laute Pfeifen der Dampflok. So satt, so volltönend.

Ein basso profundo, ging es Reg durch den Kopf. Ganz anders als das schrille Kreischen der modernen Züge.

Sein Blick wanderte zu der großen Bahnhofsuhr unter dem Bahnsteigdach – ja, pünktlich auf die Sekunde.

Er wandte sich zu Waite um, denn nun stand ein wichtiger, ja entscheidender Teil des traditionellen Ablaufs an.

»Wollen wir?«, fragte Reg schlicht, als wären sie im Begriff, etwas absolut Offensichtliches zu tun.

Er stand auf, wies mit einer Handbewegung Tim Waite an, zur Tür hinauszugehen, und folgte ihm auf den Bahnsteig, ehe er die Bürotür hinter ihnen schloss.

Dann drehte er sich um, atmete die rauchige Luft tief ein, blickte nach links zum Dienstwagen und nach rechts zum Ende des Bahnsteigs, wo die große Lokomotive wartete – dampfend und rauchend. Sie erschien ihm wie ein wildes Tier, das an seiner Leine zerrte.

Während er die hektische Betriebsamkeit beobachtete – die letzten Fahrgäste, die rasch einstiegen, das laute Zuknallen der alten, schweren Türen sowie das Geplapper von Kindern, die sich vor den...