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21 Lektionen für das 21. Jahrhundert

Yuval Noah Harari

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2018

ISBN 9783406727795 , 460 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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11,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet freigegeben

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Einleitung


In einer Welt, die überflutet wird von bedeutungslosen Informationen, ist Klarheit Macht. Theoretisch kann sich jeder an der Diskussion über die Zukunft der Menschheit beteiligen, aber es ist ziemlich schwer, dabei den Durchblick zu behalten. Häufig bemerken wir noch nicht einmal, dass eine Debatte im Gange ist oder welches dabei die Kernfragen sind. Milliarden von uns können sich gar nicht den Luxus erlauben, sich näher damit zu befassen, weil wir dringlichere Dinge zu tun haben: Wir müssen arbeiten gehen, wir müssen uns um die Kinder oder um unsere alt werdenden Eltern kümmern. Leider gewährt die Geschichte keinen Rabatt. Wenn über die Zukunft der Menschheit in unserer Abwesenheit entschieden wird, weil wir zu sehr damit beschäftigt sind, unsere Kinder zu ernähren und mit Kleidung zu versorgen, werden wir und sie dennoch nicht von den Folgen verschont bleiben. Das ist ausgesprochen unfair; aber wer will behaupten, die Geschichte sei fair?

Als Historiker kann ich den Menschen weder Essen noch Kleidung geben – aber ich kann versuchen, ihnen ein wenig Klarheit zu verschaffen, und damit einen Beitrag dazu leisten, das globale Spielfeld etwas einzuebnen. Wenn das auch nur ein paar mehr Menschen in die Lage versetzt, sich an der Diskussion über die Zukunft unserer Spezies zu beteiligen, so habe ich meine Aufgabe erfüllt.

Mein erstes Buch, Eine kurze Geschichte der Menschheit, befasste sich mit der menschlichen Vergangenheit und fragte danach, wie ein unbedeutender Affe zum Herrscher über den Planeten Erde werden konnte. Homo Deus, mein zweites Buch, erkundete die langfristige Zukunft des Lebens und dachte darüber nach, inwiefern Menschen irgendwann zu Göttern werden könnten und wie die eigentliche Bestimmung von Intelligenz und Bewusstsein aussehen könnte.

In diesem Buch will ich das Hier und Jetzt in den Blick nehmen. Mein Fokus richtet sich auf das aktuelle Geschehen und auf die unmittelbare Zukunft menschlicher Gesellschaften. Was geschieht jetzt gerade? Was sind heute die größten Herausforderungen und Möglichkeiten? Worauf sollten wir achten? Was sollten wir unseren Kindern beibringen?

Natürlich haben sieben Milliarden Menschen sieben Milliarden Absichten und Vorstellungen, und wie schon erwähnt ist das Nachdenken über das große Ganze ein relativ seltener Luxus. Eine alleinstehende Mutter, die in einem Slum von Mumbai unter großen Mühen zwei Kinder großzieht, hat vor allem eines im Kopf, nämlich die nächste Mahlzeit; Flüchtlinge auf einem Boot irgendwo im Mittelmeer suchen den Horizont nach irgendeinem Anzeichen von Land ab; und ein Sterbender in einem überfüllten Londoner Krankenhaus sammelt all seine noch verbliebene Kraft für den nächsten Atemzug. Sie alle haben weit dringlichere Probleme als den Klimawandel oder die Krise der liberalen Demokratie. Kein Buch kann all dem gerecht werden, und Menschen in solchen Situationen kann ich keine Lehren mit auf den Weg geben. Ich kann allenfalls hoffen, von ihnen zu lernen.

Meine Agenda ist eine globale. Ich richte den Blick auf die zentralen Faktoren, die Gesellschaften überall auf der Welt prägen und die vermutlich die Zukunft unseres gesamten Planeten beeinflussen werden. Die Sorge um den Klimawandel mag Menschen, bei denen es um Leben und Tod geht, fern liegen, aber er könnte irgendwann die Slums in Mumbai unbewohnbar machen, riesige neue Flüchtlingsströme über das Mittelmeer schicken und zu einer weltweiten Krise im Gesundheitswesen führen.

Die Wirklichkeit besteht aus vielen Fäden, und dieses Buch versucht, verschiedene Aspekte unserer globalen Gegenwart zu erfassen, ohne dabei den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Anders als Eine kurze Geschichte der Menschheit und Homo Deus ist dieses Buch nicht als historische Erzählung angelegt, sondern als eine Sammlung von Lektionen. Diese Lektionen münden nicht in einfache Antworten. Sie wollen zum Weiterdenken anregen und dem Leser dabei helfen, sich an einigen der zentralen Debatten unserer Zeit zu beteiligen.

Dieses Buch ist denn auch im Gespräch mit der Öffentlichkeit entstanden. Viele der Kapitel sind eine Reaktion auf Fragen, die mir von Lesern, Journalisten und Kollegen gestellt wurden. Frühere Versionen einiger Abschnitte wurden bereits in anderer Form veröffentlicht, was mir die Möglichkeit bot, Reaktionen darauf zu erhalten und meine Argumente zu schärfen. Einige Abschnitte konzentrieren sich auf die Technologie, einige auf Politik, einige auf Religion und einige auf Kunst. Manche Kapitel feiern die menschliche Weisheit, andere betonen die zentrale Rolle menschlicher Dummheit. Doch die übergreifende Frage ist stets die gleiche: Was geschieht heute in der Welt und welche tiefere Bedeutung steckt in den Ereignissen?

Wofür steht der Aufstieg von Donald Trump? Wie sollen wir mit der seuchenartigen Ausbreitung von Fake News umgehen? Warum steckt die liberale Demokratie in der Krise? Ist Gott wieder da? Stehen wir vor einem neuen Weltkrieg? Welche Zivilisation beherrscht die Welt – der Westen, China oder der Islam? Sollte Europa seine Grenzen für Zuwanderer offen halten? Kann der Nationalismus die Probleme von Ungleichheit und Klimawandel lösen? Wie sollen wir auf den Terror reagieren?

Zwar nimmt dieses Buch eine globale Perspektive ein, aber die persönliche Ebene will ich dabei keineswegs vernachlässigen. Im Gegenteil, ich will bewusst zeigen, wie eng die Verbindungen zwischen den großen Umwälzungen unserer Zeit und dem Innenleben des Einzelnen sind. So ist beispielsweise der Terror ein globales politisches Problem und zugleich ein innerer psychologischer Mechanismus. Terror funktioniert, indem er tief in uns drinnen den Angstknopf drückt und die private Vorstellungskraft von Millionen Individuen in Geiselhaft nimmt. Ähnlich spielt sich die Krise der liberalen Demokratie nicht nur in Parlamenten und Wahllokalen ab, sondern auch in Nervenzellen und Synapsen. Es ist ein Gemeinplatz, wonach das Private politisch ist. Doch in einer Zeit, in der Wissenschaftler, Unternehmen und Regierungen lernen, wie man das menschliche Gehirn «hackt», klingt diese Binsenweisheit düsterer denn je. Entsprechend finden sich hier im Buch Beobachtungen über das Verhalten von Individuen genauso wie von ganzen Gesellschaften.

Eine globale Welt setzt unser persönliches Verhalten und unsere individuelle Moral auf beispiellose Weise unter Druck. Jeder von uns ist in unzählige Spinnennetze eingewoben, die einerseits unsere Bewegungsfreiheit einschränken, gleichzeitig aber noch die geringste unserer Zuckungen an weit entfernte Orte übermitteln. Unsere Alltagsroutinen beeinflussen das Leben von Menschen und Tieren auf der anderen Seite des Erdballs, und manche persönlichen Gesten können ganz unerwartet die gesamte Welt in Brand setzen, wie die Selbstverbrennung von Mohamed Bouazizi in Tunesien, die den arabischen Frühling auslöste, oder die Frauen, die ihre Erfahrungen des sexuellen Missbrauchs öffentlich machten und die #MeToo-Bewegung in Gang setzten.

Diese globale Dimension unseres persönlichen Lebens bedeutet, dass es wichtiger denn je ist, unsere religiösen und politischen Voreingenommenheiten, unsere rassen- und geschlechtsspezifischen Privilegien und unsere unwissentliche Komplizenschaft bei der institutionellen Unterdrückung sichtbar zu machen. Aber ist das ein realistisches Unterfangen? Wie kann ich festen moralischen Boden finden in einer Welt, die meinen Horizont weit übersteigt, die sich vollständig menschlicher Kontrolle entzieht und die alle Götter und Ideologien misstrauisch beäugt?

***

Das Buch beginnt mit einem Überblick über das aktuelle politische und technologische Dilemma. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts hatte es den Anschein, als hätten die großen ideologischen Auseinandersetzungen zwischen Faschismus, Kommunismus und Liberalismus mit dem überwältigenden Sieg des Liberalismus ein Ende gefunden. Demokratische Politik, Menschenrechte und freie Marktwirtschaft schienen dazu bestimmt, die gesamte Welt zu erobern. Doch wie so oft nahm die Geschichte eine unerwartete Wendung, und nach dem Zusammenbruch von Faschismus und Kommunismus befindet sich heute der Liberalismus in der Bredouille. Wohin also steuern wir?

Diese Frage ist besonders dringlich, weil der Liberalismus genau zu der Zeit an Glaubwürdigkeit verliert, da die doppelte Revolution in der Informationstechnologie und in der Biotechnologie uns vor die größten Herausforderungen stellt, mit denen unsere Spezies je konfrontiert war. Die Verschmelzung von Infotech und Biotech könnte schon bald Milliarden von Menschen aus dem Arbeitsmarkt drängen und sowohl Freiheit wie Gleichheit untergraben. Big-Data-Algorithmen könnten digitale Diktaturen...