dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Liebe ist die beste Therapie

John Jay Osborn

 

Verlag Diogenes, 2018

ISBN 9783257609226 , 288 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

{5}1


»Gibt es organisatorische Dinge, um die wir uns vielleicht als Erstes kümmern sollten?«, fragte Sandy.

Charlotte hob die Hand wie eine Studentin in einem Seminar.

Es war lange her, dass bei Sandy jemand die Hand gehoben hatte, um etwas zu sagen.

»Bitte.«

»Ich mache mir Sorgen, wie lange das Geld noch reicht«, sagte Charlotte. »Seitdem ich ausgezogen bin, muss ich Miete zahlen, ich musste Möbel kaufen, und ich muss den Kindergarten bezahlen.«

»Wie viel Geld haben Sie denn?«

»Keine Ahnung«, antwortete Charlotte. »Auf meinem Konto habe ich im Moment dreitausend Dollar. Was den Rest angeht, also unser gemeinsames Geld, darum hat sich Steve immer gekümmert.«

Sandy drehte sich zu Steve um, Charlottes Mann. Er saß in sich zusammengesunken im Sessel, seiner Frau gegenüber.

{6}»Also, Steve«, sagte Sandy. »Wie sieht denn die finanzielle Situation aus?«

»Ich bin gerade Teilhaber bei Simpson Weaver geworden. Ich musste dafür Eigenkapital in die Firma investieren. Dafür ist alles draufgegangen, was wir flüssig hatten.«

»Wollen Sie damit sagen, dass Sie und Charlotte kein Geld mehr haben?«

»Nein, natürlich haben wir noch was«, antwortete Steve. »Soweit ich weiß, haben wir noch etwa zwanzigtausend in unserem Geldmarkt-Fonds. Und es gibt eh kein echtes Problem. Als Teilhaber kann ich mir so viel Geld von der Firma leihen, wie ich will.«

Du musstest dir die Teilhaberschaft erkaufen, aber kannst dir jetzt so viel Geld leihen, wie du willst?, ergänzte Sandy im Kopf.

»Sagten Sie nicht, Sie hätten gerade ein Haus in Ross verkauft? Wo ist denn das Geld hin?«

»Der Vertragsabschluss kam heute Morgen gerade zustande«, sagte Steve. »Wir haben zweihunderttausend Dollar bekommen.«

Sandys Mutter war eine Maklerlegende und ein Fuchs auf ihrem Gebiet gewesen. Das Gebäude, in dem sich Sandys Praxis befand, war beispielsweise ein Geschenk von ihr. Sandy kannte sich also bei dem Thema etwas aus.

{7}»Sie haben ein Haus in Ross verkauft und nur zweihunderttausend Dollar dafür bekommen?«, hakte sie nach.

»Ich hatte eine Hypothek auf das Haus aufnehmen müssen«, erklärte Steve. »Ich brauchte wirklich jeden Cent.«

»Damit Sie Teilhaber in der Firma werden konnten?«

»Ja, das klingt verrückt, das weiß ich. Aber so funktioniert das nun mal.« Steve beugte sich ein Stück vor. »Sie halten das für Blödsinn, stimmt’s? Sie denken, ich würde Charlotte über den Tisch ziehen oder so.«

»Ich kenne Sie ja erst seit einer halben Stunde«, gab Sandy ruhig zurück. »Ich habe überhaupt keine Ahnung, was Sie mit Charlotte anstellen. Ich weiß lediglich, dass sie sich Sorgen ums Geld macht.«

»Dann teilen wir uns einfach das Geld vom Hausverkauf.«

»Machen Sie sich gar keine Sorgen um Geld?«

»Eigentlich nicht, nein. In einem halben Jahr bekomme ich meine erste Gewinnbeteiligung ausgezahlt.«

»Und bis dahin können Sie sich etwas leihen, wenn Sie es brauchen.«

»Genau.«

{8}»Dann finde ich, Sie sollten Charlotte die kompletten zweihunderttausend geben.«

Treffer, versenkt. Steve wäre fast aufgesprungen, das sah man ihm an, er riss sich aber zusammen.

»Hm, interessanter Vorschlag«, sagte er nur. Damit hatte Sandy nicht gerechnet. Sie wartete, ob noch etwas kommen würde.

»Die kompletten zweihunderttausend?«, fragte Steve.

»Ja, alles«, erwiderte Sandy. »Charlotte hat ganz schön viel auf sich genommen, indem sie mit den Kindern ausgezogen ist. Soll sie sich jetzt etwa auch noch Sorgen machen, wie sie finanziell über die Runden kommt?«

Ganz genau, Steve, dachte Sandy. Sie hat dich verlassen, und ich will trotzdem, dass du ihr die ganzen zweihunderttausend gibst. Verstehst du, warum?

»Aber die Hälfte davon gehört doch ihm«, wandte Charlotte ein. Sie sah so ehrlich aus, so blond, so blauäugig, so absolut amerikanisch. Sie fragte sich offensichtlich, was sie hier eigentlich zu suchen hatte, als wäre sie im falschen Film.

»Wie meinen Sie das?«, fragte Sandy.

»Na, wenn wir uns scheiden lassen würden, dann würde er doch die Hälfte davon bekommen.«

»Wollen Sie sich denn scheiden lassen?«

{9}»Weiß ich nicht. Wahrscheinlich. Aber wir haben zwei Kinder …«

»Ich bin Eheberaterin. Mir ist ehrlich gesagt völlig egal, was im Gesetz steht. Da können sich gern Anwälte drum kümmern. Im Moment sehe ich nur, dass Sie Geldsorgen haben, und diese zweihunderttausend würden sie Ihnen nehmen. Zumindest für eine Weile. Sie sagten doch, dass hauptsächlich Sie sich um die Kinder kümmern. Und dann arbeiten Sie auch noch Vollzeit. Da brauchen Sie ohnehin jede Hilfe, die Sie kriegen können. Und mit dem Geld hätten Sie schon mal eine Sorge weniger.«

Der Gedanke gefiel Charlotte sichtlich. »Sie finden wirklich, ich sollte das ganze Geld bekommen?«

»Ja.«

Sandy drehte sich wieder zu Steve um. Hemd und Hose waren ordentlich gebügelt, und seine Schuhe glänzten. Er versuchte, die Fassade seines Lebens aufrechtzuerhalten. Aber er hatte tiefe Augenringe, und seine Hände zitterten.

»Wie sehen Sie das denn, Steve?«

»Die meisten Männer würden garantiert sagen: Meine Frau lässt sich scheiden, und dann will die Eheberaterin auch noch, dass ich meiner Frau das ganze Geld aus dem Hausverkauf gebe? Obwohl mir vom Gesetz her die Hälfte zusteht? Warum {10}sollte ich? Das würden die meisten Männer sagen, denke ich.«

»Würden sie wahrscheinlich, ja. Und Sie?«

Zu ihrer Überraschung lächelte Steve.

»Als Sie das eben gesagt haben, dachte ich erst mal, äh, Moment, was soll das denn jetzt? Ich habe mich überrumpelt gefühlt. Ich dachte, wenn wir hier diskutieren, ob wir uns scheiden lassen oder nicht, dann wäre es doch am besten, wenn alles beim Status quo bleibt.«

Für Sandy war der Status quo das am wenigsten Erstrebenswerte.

»Wollen Sie sich denn scheiden lassen?«, fragte sie Steve.

Steve blieb stumm. Was geht bloß in ihm vor, überlegte Sandy Und fragte ihn schließlich genau das.

»Was in mir vorgeht?«, fragte Steve zögerlich, als hätte er kein Recht, über seine Gefühle zu sprechen. »Ich bin gerade Teilhaber einer großen Private-Equity-Firma geworden, aber trotzdem geht’s mir so dreckig wie noch nie. Ich habe seit Tagen nicht geschlafen.«

Er verstummte und betrachtete Charlotte, als wolle er kurz Bilanz ziehen. Wer war diese Frau? Er schien sich nicht mehr ganz sicher.

Sie ist eine wunderschöne, schlaue Eisprinzessin, {11}und du hast es leider so richtig verbockt, dachte Sandy bei sich.

»Steve?«, erinnerte sie ihn. »Sie wollten mir sagen, was Sie verstanden haben.«

Wieder lächelte er. Sandy wurde klar, dass ihn die Situation tatsächlich auf gewisse Weise amüsierte. Er fragte sich, wie das alles bloß hatte passieren, wie er so dumm hatte sein können, und musste dabei lachen. Er konnte gleichzeitig unglaublich leiden und trotzdem lächeln. Ein gutes Zeichen. Noch nicht wirklich genug, aber schon nah dran.

Sollte sie die beiden als Klienten nehmen? Sie war sich nicht sicher. Wo waren bloß die melancholischen Künstler mit den trüben Gedanken? Solche bekam sie nie. Hatte Steve trübe Gedanken? Dachte er überhaupt genug nach, reflektierte er seine eigenen Handlungen, war er zu Veränderungen bereit? Schrieb er spätnachts Gedichte? Malte er? War ihm bewusst, wie wunderschön die Stadt zu dieser Jahreszeit war? Sie sah zu Charlotte hinüber. Und du, bist du bereit für Veränderungen? Dir fällt das Ganze vielleicht sogar noch schwerer als ihm, Prinzessin, überlegte sie.

Steve hatte ihre Frage immer noch nicht beantwortet. Er sah sich im Zimmer um, betrachtete den Schreibtisch in der Ecke, die IKEA-Sessel und dahinter den großen grünen im viktorianischen Stil. {12}Ob er den wohl unpassend fand für ihre Praxis? Durch die beiden Fenster sah man den Wipfel des Pfefferbaums vor dem Haus. Sandy wurde klar, dass Steve jetzt erst richtig wahrnahm, wo er sich befand. Er war vorhin einfach hier hereingestolpert, hatte seine liebe Mühe gehabt, es überhaupt zu seinem Sessel zu schaffen.

»Steve?«, erinnerte ihn Sandy.

»Ach so, Entschuldigung. Was ich sagen wollte: Warum sollte ich Charlotte auch meinen Anteil aus dem Verkaufserlös geben?«

»Weil Charlotte sich Sorgen macht.«

»Ich will mich nicht scheiden lassen«, sagte Steve ruhig und beantwortete damit auch endlich Sandys Frage.

»Aber Sie stehen kurz davor«, sagte Sandy. »Was Sie bis jetzt getan haben, um eine Scheidung zu verhindern, hat offensichtlich nicht funktioniert. Warum versuchen Sie nicht was Neues? Etwas, das Ihnen erst mal total gegen den Strich geht? Warum nicht? Sie haben doch nichts zu verlieren, oder?«

»Doch, Geld«, antwortete Steve.

Falsche Antwort, Steve, dachte Sandy und sah ihn einfach nur an. Es steht alles auf dem Spiel, siehst du das denn nicht?

»Ich soll also etwas tun, was mir total gegen den Strich geht?«, fragte Steve nach einer Weile.

{13}»Warum denn nicht?«, gab Sandy zurück.

Er denkt immer noch darüber nach, wie die meisten Männer an seiner Stelle reagieren würden, merkte Sandy. Vergiss es doch einfach, Steve!, dachte sie, während Steve weiter vor sich hin starrte.

»Ich bin müde«, sagte er.

»Ich weiß«, gab Sandy zurück und ergänzte innerlich: ›Lass einfach los!‹

Und siehe da, er ließ los, sowohl das, was die meisten Männer an seiner Stelle getan hätten, als auch ihre halbgaren Ratschläge. Steve wagte den Sprung ins Unbekannte.

»Okay, ich...