dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Die romantische junge Dame - und andere Erzählungen

Die romantische junge Dame - und andere Erzählungen

W. Somerset Maugham

 

Verlag Diogenes, 2018

ISBN 9783257609394 , 368 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

{14}Masterson


Als ich Colombo verließ, hatte ich nicht die Absicht, nach Kengtung zu fahren, aber auf dem Schiff traf ich einen Mann, der mir erzählte, er habe fünf Jahre dort gelebt. Er sagte, es gebe dort einen bedeutenden Markt, der alle fünf Tage abgehalten werde und zu dem Eingeborene aus einem halben Dutzend Ländern und einem halben Hundert Stämmen kämen. Es gebe großartige, geheimnisumwobene Pagoden und eine Einsamkeit, die den suchenden Geist von seiner Furcht befreie. Er sagte, er wolle lieber dort als irgendwo anders auf der Welt leben. Ich fragte ihn, was diese Stadt ihm gegeben habe, und er antwortete: Zufriedenheit. Er war ein großer, dunkler Mann, und seine Gesten waren zurückhaltend wie die von Menschen, die lange allein an abgelegenen Orten gelebt haben. Solche Männer werden in Gesellschaft anderer ein wenig ruhelos, und obwohl sie im Rauchsalon eines Schiffes oder in der Bar eines Klubs redselig und gesellig sein können, wie alle anderen ihre Geschichten erzählen, Späße machen und sich manchmal freuen, von ihren ungewöhnlichen Erfahrungen erzählen zu können, scheinen sie immer etwas für sich zu behalten. In ihrem Inneren haben sie ein Leben, das sie vor anderen verborgen halten, und in ihren Augen liegt ein Blick, der nach innen gerichtet scheint und einem klarmacht, daß ihr verborgenes Leben das einzig Bedeutungsvolle für sie ist. Und ab und zu {15}verraten ihre Augen den Überdruß an der Gesellschaft, in die der Zufall oder die Angst, anders zu wirken, sie für einen Moment gezwungen hat. Sie scheinen sich dann nach der öden Einsamkeit eines geliebten Ortes zu sehnen, an dem sie mit der Wirklichkeit, die sie dort gefunden haben, wieder alleine sein können.

Ebenso wie die Art dieser Zufallsbekanntschaft bewog mich das, was er mir erzählte, die Reise durch die Schan-Staaten zu machen, zu der ich nun aufbrach. Vom Anfang der Eisenbahnstrecke in Oberburma bis zu deren Ende in Siam, von wo ich nach Bangkok hinuntergelangen konnte, waren es sechs- bis siebenhundert Meilen. Freundliche Leute hatten alles nur mögliche getan, um mir den Ausflug bequem zu machen, und der Resident in Taungine hatte mir telegraf‌iert, daß bei meiner Ankunft Maultiere und Pferde bereitstehen würden. In Rangun hatte ich die Sachen gekauft, die mir nötig schienen, Klappstühle und einen Tisch, einen Trinkwasserfilter, Lampen und was weiß ich noch alles. Ich fuhr mit dem Zug von Mandalay nach Thaza, um dort einen Wagen nach Taungine zu mieten, und ein Mann, den ich im Klub in Mandalay getroffen hatte und der in Thaza lebte, lud mich ein, vor meiner Abreise mit ihm einen Brunch (die herrliche burmesische Mahlzeit, die Breakfast und Lunch gleichzeitig ist) einzunehmen. Er hieß Masterson. Er war ein Mann in den frühen Dreißigern, mit freundlichem Gesicht, dunklem, angegrautem, lockigem Haar und schönen dunklen Augen. Er sprach mit einzigartig melodiöser Stimme, sehr langsam, und das ließ einen, ich weiß kaum, warum, Vertrauen zu ihm haben. Man fühlte, daß ein Mann, der sich so viel Zeit nahm, um das zu sagen, was er sagen {16}wollte, und erfahren hatte, daß die Leute sich Zeit genug nahmen, ihm zuzuhören, Qualitäten haben mußte, die ihn seinen Mitmenschen sympathisch machten. Er war überzeugt, daß die Menschheit liebenswert sei, und ich nehme an, das gelang ihm nur, weil er selbst liebenswert war. Er hatte einen feinen Sinn für Humor, natürlich ohne Hieb und Parade, aber mit angenehmem Sarkasmus; deshalb angenehm, weil er auf die Wechselfälle des Lebens mit gesundem Menschenverstand reagierte und ihnen so einen leicht lächerlichen Aspekt abgewann. Sein Geschäft führte ihn fast das ganze Jahr über kreuz und quer durch Burma, und auf seinen Reisen war er Sammler geworden. Er erzählte mir, daß er alles Ersparte für burmesische Antiquitäten ausgebe, und in diesem Zusammenhang lud er mich zum Essen ein, um sie mir zu zeigen.

Der Zug kam früh am Morgen an. Er hatte mir gesagt, daß er mich nicht abholen könne, da er in seinem Büro sein müsse; aber der Brunch sollte um zehn sein, und er sagte mir, ich solle zu ihm nach Hause gehen, wenn ich mit den ein oder zwei Dingen, die ich in der Stadt zu erledigen hatte, fertig sei.

»Fühlen Sie sich wie zu Hause«, sagte er, »und wenn Sie einen Drink wollen, sagen Sie dem Boy Bescheid. Ich komme, sobald ich meine Arbeit erledigt habe.«

Ich machte eine Autogarage ausfindig und verabredete mit dem Besitzer eines sehr heruntergekommenen Ford, mich und mein Gepäck nach Taungine zu bringen. Ich ließ meinen Madras-Diener da, der darauf achten sollte, daß soviel wie möglich eingepackt und der Rest auf den Trittbrettern festgezurrt wurde, und schlenderte zu Mastersons Haus. Es war {17}ein hübscher kleiner Bungalow in einer von großen Bäumen beschatteten Straße und sah im frühen Licht des sonnigen Tages sauber und anheimelnd aus. Ich ging die Treppe hinauf und wurde von Masterson begrüßt.

»Ich bin schneller fertig geworden, als ich dachte. Ich habe Zeit, Ihnen meine Sachen zu zeigen, bevor der Brunch fertig ist. Was möchten Sie? Ich fürchte, ich kann Ihnen nur einen Whisky-Soda anbieten.«

»Ist es dafür nicht ein bißchen früh?«

»Ein bißchen schon. Aber es ist eine Hausregel, daß niemand die Schwelle überschreitet, ohne etwas zu trinken.«

»Was soll ich machen? Ich beuge mich der Regel.«

Er rief nach dem Boy, und sofort brachte ein adretter Burmese eine Karaffe, einen Siphon und Gläser herein. Ich setzte mich und sah mich im Zimmer um. Obwohl es noch so früh war, brannte die Sonne draußen heiß, und die Jalousien waren zugezogen. Das Licht war angenehm kühl nach der brennend hellen Straße. Das Zimmer war mit Rohrstühlen bequem eingerichtet, und Aquarelle mit englischen Szenen hingen an den Wänden. Sie waren ein wenig steif und altmodisch, und ich vermutete, daß sie von der unverheirateten ältlichen Tante meines Gastgebers in ihrer Jugend gemalt worden waren. Es waren zwei von einer Kathedrale, die ich nicht kannte, zwei oder drei von einem Rosengarten und eins von einem georgianischen Haus. Als er sah, daß ich es länger betrachtete, sagte er:

»Das war unser Haus in Cheltenham.«

»Oh, stammen Sie von dort?«

Dann war da seine Sammlung. Das Zimmer war voller Buddhas und Holz- oder Bronzefiguren von Buddhas {18}Schülern; es gab Schachteln in allen Formen, Utensilien der einen oder anderen Art, alle möglichen Raritäten, und obwohl es viel zu viele waren, waren sie mit gewissem Geschmack arrangiert. Er besaß einige sehr schöne Stücke. Er zeigte sie mir voller Stolz, erzählte mir, wie er dieses oder jenes Objekt bekommen hatte, wie er von einem anderen gehört und es erjagt hatte, und von der unglaublichen Raffinesse, die er angewendet hatte, um einen sich sträubenden Besitzer zu überreden, sich davon zu trennen. Seine freundlichen Augen strahlten, wenn er einen großartigen Kauf beschrieb, und funkelten düster, wenn er über die Unvernunft eines Händlers schimpf‌te, der, anstatt einen guten Preis für eine Bronzeschale zu akzeptieren, sie wieder mitgenommen hatte. In dem Zimmer waren Blumen, und es machte nicht den verlorenen Eindruck so vieler Junggesellenbehausungen im Osten.

»Sie haben sich’s sehr gemütlich eingerichtet«, sagte ich.

Er sah sich flüchtig im Zimmer um.

»Es war gemütlich. Jetzt kaum noch.«

Ich verstand nicht genau, was er meinte. Dann zeigte er mir eine lange, vergoldete, mit Glasmosaik geschmückte Holzschachtel, wie ich sie in dem Palast von Mandalay bewundert hatte, aber sie war feiner gearbeitet als alles, was ich dort gesehen hatte, und ihre schmuckähnliche Pracht besaß tatsächlich etwas von der kunstvollen Feinheit der italienischen Renaissance.

»Man hat mir erzählt, sie sei ungefähr zweihundert Jahre alt«, sagte er. »Man hat schon lange nichts Derartiges mehr gefunden.«

Es war ein Stück, das offensichtlich für den Palast eines Königs gemacht worden war. Es war ein Juwel.

{19}»Wie sieht sie innen aus?« fragte ich.

»Ach, nichts Besonderes. Sie ist einfach nur lackiert.«

Er öffnete sie, und ich sah, daß sie drei oder vier gerahmte Fotografien enthielt.

»Oh, ich hatte vergessen, daß die da drin waren«, sagte er.

Seine weiche, musikalische Stimme hatte einen seltsamen Unterton, und ich sah ihn von der Seite an. Er war von der Sonne gebräunt, aber dennoch konnte man sehen, daß er errötete. Er wollte die Schachtel schließen, änderte dann aber seine Meinung. Er nahm eine der Fotografien heraus und zeigte sie mir.

»Manche dieser burmesischen Mädchen sind wirklich süß, wenn sie jung sind, oder?« fragte er.

Das Foto zeigte ein junges Mädchen, das recht selbstbewußt vor dem konventionellen Hintergrund, einer Pagode und einer Gruppe Palmen, in einem Fotoatelier stand. Sie trug ihre besten Kleider und hatte eine Blume im Haar. Aber die Verlegenheit, die sie sichtlich empfand, weil ein Bild von ihr gemacht wurde, verhinderte nicht ein scheues, zitterndes Lächeln auf ihren Lippen, und ihre großen, ernsten Augen zwinkerten schelmisch. Sie war sehr klein und sehr zart.

»Was für ein hinreißendes kleines Ding«, sagte ich.

Dann nahm Masterson ein anderes Foto heraus, auf dem sie mit einem Baby in den Armen dasaß und einen Jungen neben sich stehen hatte, der seine Hand furchtsam auf ihr Knie legte. Der Junge starrte geradeaus, mit ängstlicher Miene, er konnte nicht verstehen, was diese Maschine und der Mann dahinter, mit dem Kopf unter einem schwarzen Tuch, vorhatten.

»Sind das ihre Kinder?« fragte ich.

{20}»Und meine«, sagte Masterson.

In dem Moment kam der Boy herein und sagte, der Brunch sei fertig. Wir gingen...