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Valley - Tal der Wächter

Jonathan Stroud

 

Verlag cbj Kinder- & Jugendbücher, 2009

ISBN 9783641025205 , 496 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

WENN DU VERSPRICHST, gut aufzupassen, erzähl ich dir noch einmal von der Schlacht am Troldfelsen. Aber wehe, du zappelst wieder so herum und machst Unsinn, dann hör ich gleich wieder auf!
Damals, kurz nachdem die Siedler hergekommen waren, es ist schon lange, lange her, trieben die Trolde noch im ganzen Tal ihr Unwesen, von der Flussmündung bis zum Steilgebirge. Nach Einbruch der Dunkelheit waren kein Haus, kein Kuhstall, kein Heuschober vor ihnen sicher. Ihre unterirdischen Gänge führten kreuz und quer unter den Feldern und Wiesen hindurch bis unter die Türen der Höfe. Kaum eine Nacht verging, ohne dass Kühe von den Weiden und Schafe von den Berghängen verschwanden. Männer, die spätabends noch unterwegs waren, wurden in Sichtweite ihrer Häuser unter die Erde gezerrt. Frauen und Kleinkinder wurden aus ihren Betten geholt, und am nächsten Morgen fand man ihre Decken, die nur noch zur Hälfte aus dem Boden schauten. Niemand wusste, wo sich das nächste Troldloch auftun würde oder was man dagegen unternehmen sollte.
Als Erstes machten sich die Angehörigen jedes Hauses daran, ihre Anwesen mit schweren Granitplatten zu pflastern – die Halle, den Stall, die Innenhöfe und so weiter, damit die Trolde nicht mehr durchkamen. Anschließend errichteten sie hohe Mauern rings um die Gebäude und stellten Wachposten auf. Das schuf Abhilfe. Trotzdem hörte man nachts die Trolde immer noch unter den Steinfliesen klopfen und scharren und nach irgendeinem Durchschlupf suchen. Es war kein schönes Leben.
Sven, der bedeutendste Held des Tals, ein vor Kraft strotzender junger Mann, hatte schon so manchen Trold im Zweikampf erschlagen und die Straßen von Wegelagerern, Wölfen und anderen Gefahren gesäubert. Aber nicht jeder war so tüchtig wie er, und Sven fand, es sei nun an der Zeit, dem Elend ein für alle Mal ein Ende zu bereiten.
Darum rief er eines schönen Mittsommertags die anderen Helden zusammen. Alle zwölf versammelten sich auf einem Feld auf halber Höhe des Tales, ungefähr dort, wo heute Eiriks Hof liegt. Anfangs ließen sie erst einmal tüchtig die Muskeln spielen und hantierten rauflustig mit ihren Schwertknäufen.
Dann erhob Sven die Stimme: »Freunde, es ist kein Geheimnis, dass wir seinerzeit so manche Meinungsverschiedenheit hatten. Mein Bein trägt immer noch die Narbe von deinem Speer, Ketil, und ich könnte mir vorstellen, dass dir immer noch der Hintern von meinem Pfeil wehtut. Heute jedoch plädiere ich für einen Waffenstillstand. Die Trolde geraten allmählich außer Rand und Band. Ich schlage vor, dass wir uns zusammentun und sie aus dem Tal vertreiben. Was haltet ihr davon?«
Wie nicht anders zu erwarten, fingen alle erst einmal an, zu hüsteln und zu brummeln, und gaben sich alle Mühe, Svens Blick auszuweichen, aber schließlich trat Egil vor. »Sven«, sagte er, »deine Worte haben mein Herz getroffen wie Pfeile. Ich bin dabei.« Da schlossen sich ihm auch die Übrigen, teils aus Verlegenheit, teils, um ihren Mut zu beweisen, einer nach dem anderen an.
Dann fragte Thord: »Was du sagst, ist alles schön und gut, aber was springt für uns dabei heraus?«
»Wenn wir einen Pakt schließen, das Tal zu schützen«, antwortete Sven, »wird es uns von da an für alle Zeiten gehören. Na, wie hört sich das an?«
Die anderen waren der Meinung, das klänge sehr gut.
Dann fragte Orm: »Wo wollen wir uns ihnen zum Kampf stellen?«
»Ich wüsste schon, wo«, erwiderte Sven und führte die anderen über das Feld zu einem mächtigen Felsen, der halb umgestürzt im Lehm lag. Weiß der Himmel, wie er dort hingekommen war. Er war so groß wie ein halbes Haus, gerade so, als hätte ein übermütiger Riese ein Stück aus dem Bergmassiv oberhalb des Tals herausgebrochen und durch die Gegend geschleudert. Der Felsen liegt so auf der Seite, dass er wie ein Keil aus dem Feld ragt.
Damals hieß der Felsen nur »der Keil«, heute ist er allgemein als »Troldfelsen« bekannt. Unten ist er mit Gras und Moos bewachsen, der obere Teil ist kahl. Er ist von niedrigen Kiefern umstanden und ein, zwei Bäume haben sogar obendrauf Halt gefunden. Das Haus Eirik hält heutzutage dort seine Versammlungen ab.
»Freunde«, sagte Sven, »lasst uns vor unserem gemeinsamen Kampf gegen die Trolde Blutsbrüderschaft schließen. Damit wir uns hinterher im Kampf gegenseitig, so gut es geht, beschützen.«
Sie zogen die Schwerter und jeder ritzte damit in den Unterarm seines Nebenmannes, sodass ihr Blut am Fuß des Felsens auf die Erde tropfte. Die Sonne ging gerade unter.
»Das passt ja gut«, sagte Sven. »Jetzt brauchen wir nur noch abzuwarten.«
Die Männer standen Seite an Seite am Fuße des Felsens und spähten über die Felder.
Nun war es so, dass sich die Mauern um die Höfe als ausgesprochen nützlich erwiesen hatten, um die Trolde fernzuhalten. Deshalb wütete der Hunger in ihren Mägen und sie gierten nach Menschenfleisch. Als sie das vergossene Blut witterten, eilten sie von nah und fern herbei. Aber zunächst hörten die Männer davon nichts.
Nach einer Weile meinte Sven: »Die Trolde sind faul geworden. Wenn wir die ganze Nacht hier rumstehen, erkälten wir uns noch.«
Und Rurik meinte: »Bis wir wieder heimkommen, haben die Frauen das ganze Bier ausgetrunken. Das macht mir Sorgen.«
Und Gisli meinte: »Dein Feld ist aber ganz schön holprig, Eirik. Ich finde, wenn wir mit den Trolden fertig sind, sollten wir dir einen Gefallen tun und es alle zusammen pflügen.«
Im selben Augenblick vernahmen sie ein leises Geräusch, eine Art heiseres anhaltendes Summen. Es kam ringsum aus der Erde.
»Prima«, sagte Sven. »Mir wurde schon langweilig.«
Während sie gewartet hatten, war über Styrs Witwe (das ist der Berg mit dem Buckel, den man aus Gudnys Fenster sieht) der Mond aufgegangen und goss sein helles Licht über das Land. Jetzt sah man überall auf dem Feld die Nesseln und Grasbüschel wackeln, als sich die Trolde darunter durch die Erde buddelten. Schon bald wogte das ganze große Feld wie ein aufgewühlter See. Obwohl die Männer mit ihren Stiefeln auf massivem Felsgestein standen, wichen sie ein Stückchen zurück.
Dann meinte Gisli: »Tja, die Arbeit haben wir uns schon mal gespart. Bis morgen früh ist Eiriks Feld bestens umgepflügt.«
Während Gisli noch sprach, barst plötzlich der Boden vor seinen Füßen, dass die Erdklumpen nur so flogen, ein Trold schnellte hervor, packte ihn mit seinen langen mageren Händen am Genick und zog ihn hinunter auf das Feld. Dann biss er ihm die Kehle durch. Das alles geschah so schnell, dass Gisli nicht mal mehr ein Schrei entfuhr.
Im selben Augenblick schob sich eine Wolke vor den Mond und die Männer konnten nichts mehr sehen.
Mit gezückten Schwertern wichen sie noch ein Stück auf dem Felsen zurück und lauschten, wie Gisli sich im Todeskampf wand. Er war nicht sofort tot.
Da schwoll das unterirdische Summen mit einem Mal zu einem wahren Gebrüll an und rings um den Felsen flogen die Erdklumpen. Hunderte Trolde schnellten aus dem Boden und griffen mit ihren Klauenfingern nach den Männern. Sven und seine Gefährten kletterten den Felsen noch ein Stück weiter hinauf, denn sie wussten, dass Trolde den Erdboden nur höchst ungern verlassen. Doch schon bald hörten sie deren Klauen am Stein scharren.
Daraufhin schwangen sie ihre Schwerter – auch wenn sie die Hand vor Augen nicht sehen konnten – und konnten zu ihrer Genugtuung etliche Troldköpfe den Felsen hinunterpoltern hören. Aber für jeden gefallenen Trold schnellte ein weiterer aus dem aufgewühlten Feld. Es wurden immer mehr, die mit gefletschten Zähnen und ausgestreckten langen, dürren Armen die Männer bedrängten.
Stück für Stück zogen sich diese weiter auf den Felsen zurück, und obwohl dessen Flanken steil und schroff abfielen, kletterten die Trolde hinterher. Der Held Gest, der am Ende der Reihe stand, trat zu nah an den Rand. Ein Trold packte ihn am Knöchel und zerrte ihn in die tobende Meute hinunter. Er wurde nicht wiedergesehen.
Die übrigen zehn Helden waren allmählich erschöpft und fast alle verwundet. Inzwischen waren sie beinahe schon auf der mit Kiefern bestandenen Kuppe des Felsens angelangt, und ihnen war klar, dass es hinter ihnen steil in die Tiefe ging. Aber die Trolde drangen unaufhaltsam auf sie ein, bleckten die Zähne, fuchtelten mit den Klauenhänden und jaulten vor Gier.
»Tja«, sagte Sven da, »schade, dass es nicht heller ist, damit wir endlich wach werden und ordentlich kämpfen. Ich bin nämlich ein bisschen eingedöst und die kleine Erholung hat mir gutgetan.«
Er hatte kaum ausgeredet, da kam der Mond hinter den Wolken hervor und tauchte das Schauspiel in seinen kalten Schein, als habe er Svens Worte vernommen. Darum tragen Svens Nachfahren bis heute schwarzsilberne...