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Trackers: Buch 1 - Thriller

Nicholas Sansbury Smith

 

Verlag Festa Verlag, 2019

ISBN 9783865527424 , 100 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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4,99 EUR


 

1

18 Monate später

Polizeichef Marcus Colton stand am Ausgangspunkt des Wanderwegs zum Mount Ypsilon und Lawn Lake, den Reißverschluss seines marineblauen Polizei-Anoraks bis zum Kinn hochgezogen. Er setzte seine Flieger-Sonnenbrille ab, um die Rocky Mountains zu betrachten. Sein Instinkt sagte ihm, dass das gesuchte Mädchen irgendwo da draußen war, in den grün-braunen subalpinen Wäldern. Das mulmige Gefühl im Bauch verriet ihm aber, dass es nicht mehr am Leben war.

Oberhalb der Rottannengrenze schienen die Gipfel des Ypsilon, des Fairchild und der Rest des Mummy Range mit Schnee besprüht zu sein. Der blutrote Sonnenuntergang blitzte hinter den grauen Wolken auf, die über zerklüfteten Bergspitzen dahintrieben. Es wirkte so, als würde er ein Gemälde betrachten.

Es war Anfang September, aber im Rocky-Mountain-Nationalpark war es kälter als um diese Jahreszeit üblich. Colton war in der malerischen Touristenstadt Estes Park in Colorado geboren und hatte sein ganzes Leben dort verbracht. An die Temperaturen war er gewöhnt, daher wusste er, als er zu zittern begann, dass es nicht am Wind lag.

Die kleine Melissa Stone. Die sechs Jahre alte Tochter seines Freundes Rex Stone wurde jetzt seit drei Tagen vermisst. Mit jeder Sekunde wurde ihr Tod wahrscheinlicher. Insbesondere jetzt, wo die Temperaturen rapide fielen.

Melissa war zuletzt gesehen worden, als sie an der Prospect Avenue aus dem Schulbus stieg. Ein halbes Dutzend Polizisten und eine 100 Mann zählende Schar von Freiwilligen durchkämmten die Ausläufer des Prospect Mountain.

Das Handy in Coltons Hosentasche vibrierte. Es hatte die ganze Nacht lang geklingelt. Er rechnete mit einem Anruf von einem seiner Beamten oder der Bürgermeisterin Andrews, doch es war seine Frau Kelly. Sie wartete zu Hause mit ihrer sieben Jahre alten Tochter Risa. Die Luft war erfüllt von Zedernduft. Er atmete noch einmal tief ein, bevor er über den Bildschirm strich und sich das Gerät ans Ohr hielt.

»Hallo, Schatz.«

»Ich habe seit Stunden nichts von dir gehört«, begann Kelly.

»Ich stehe gerade am Aufstieg zum Ypsilon und warte auf Raven. Es sieht ganz danach aus, als würde sich das Wetter verschlechtern. Wie geht’s dir? Und wie geht’s Risa?«

»Mir geht’s gut. Risa hält sich auch ganz gut, aber sie fragt mich ständig, wann du Melissa findest. Ich will sie gleich ins Bett bringen. Wir haben einen Teller Suppe gegessen und vermissen dich. Wann kommst du nach Hause?«

»Das könnte noch etwas dauern. Raven ist schon eine Stunde überfällig.«

Sie antwortete nicht sofort und Colton wusste, was die Pause bedeutete.

Seine Frau war auch sein bester Freund und größter Fan. Nach 20 Ehejahren konnte er in ihren Gedanken lesen wie in einem Buch.

»Was überlegst du?«, fragte er sie.

»Vertraust du Raven tatsächlich? Schließlich hast du ihn zwei Mal verhaftet.«

»Er ist nur ein junger Mann, der ein wenig den Boden unter den Füßen verloren hat. Du weißt, dass er nach dem Ende seiner Dienstzeit und seiner Rückkehr aus Übersee eine schwere Zeit durchgemacht hat. Deswegen habe ich ihm Anfang des Jahres angeboten, die Anklage wegen Trunkenheit am Steuer fallen zu lassen, wenn er mir dafür bei der Suche nach Sarah Kirkland hilft.«

»Aber das hier ist kein Fall, wo sich ein Kind einfach nur verirrt hat, oder?«

Colton seufzte. Seine Frau war clever. Viel cleverer als er. »Ich fürchte, nein. Ich habe einen Tipp bekommen, der mich heute Abend auf den Berg geführt hat, mehr kann ich dazu nicht sagen.«

»Die Leute vergessen, wie gefährlich es sein kann, hier draußen zu leben.«

»Das kann man wohl sagen. Erst letzte Woche hat mich ein Ranger angerufen, weil ein Tourist zugelassen hat, dass sein kleiner Sohn einen Elch tätschelt. Der Kerl hat den Elch für eine Art Pferd gehalten.«

»Was für ein Idiot.«

Eine erneute Pause trat ein, und in diesem Augenblick war er wieder zu Hause bei seiner Frau und seiner Tochter. Allerdings war er mehr als ein liebender Ehemann und Vater: Er war ein Soldat und ein Gesetzeshüter. Jemand musste hier draußen sein und die Schafe vor den Wölfen beschützen.

»Raven ist der beste Fährtenleser in der ganzen Gegend«, sagte Colton. »Er hat Sarah gefunden, bevor es zu spät war. Er kann mir hoffentlich auch dabei helfen, Melissa zu finden.«

»Er sollte seinen Hintern besser zügig zu dir in Bewegung setzen. Ich will nicht, dass du ganz allein auf dem Berg bist.«

»Ich kann auf mich aufpassen, das weißt du besser als jeder andere. Und jetzt gib Risa einen Kuss von mir. Ich komme nach Hause, so schnell ich kann.«

»Na gut. Ich liebe dich, Marcus. Pass gut auf dich auf.«

»Ich liebe dich.« Colton hielt kurz inne und betrachtete die Regenwolken. Normalerweise redete er mit seiner Frau nicht über die Arbeit, aber diesmal fühlte es sich anders an. »Kelly, schließ die Türen ab, ja? Und schlaf heute Nacht mit deiner Glock in Reichweite.«

»Ist es so schlimm?«

»Ich hoffe, nicht, aber Vorsicht ist besser als Nachsicht.«

Colton schob seine Sonnenbrille in die Tasche und erwog zu versprechen, dass er das Mädchen nach Hause bringen würde, doch nach zwei Dienstzeiten in Afghanistan und zehn Jahren Dienst als Polizeichef wusste er, dass die Dinge nicht immer gut ausgingen.

Er verstaute das Handy wieder in der Tasche. Verschwiegen hatte er seiner Frau, dass er Sam »Raven« Spears aus Verzweiflung angerufen hatte. Raven hatte sich nach seiner Entlassung bei den Marines ein paar schlechte Angewohnheiten zugelegt und dumme Entscheidungen getroffen, aber der Mann war der beste Jäger und Führer in der ganzen Gegend. Colton brauchte seine Fähigkeiten als Fährtenleser. Raven war seine letzte Hoffnung, Melissa in diesen Wäldern zu finden.

Am Horizont zog sich der feurige Schein des Sonnenuntergangs zurück und der Berg verschluckte die letzten Sonnenstrahlen. Wind ließ die Äste und Zweige der Pinien schwanken. Das Rauschen von Kiefern, Fichten und Douglastannen steigerte sich zu einer Kakofonie, die wie ein Wasserfall klang. Ein Passagierflugzeug umflog, auf dem Weg nach Denver im Südwesten, den für den Flugverkehr gesperrten Luftraum über dem Rocky-Mountain-Nationalpark. Hier draußen sah man nicht viele davon. Die Positionslampen blinkten, als es die Berge überflog.

Das Dröhnen eines Motors durchbrach die Stille. Auf der tiefer gelegenen Straße tauchte Scheinwerferlicht auf. Ein Jeep Cherokee, Baujahr irgendwann in den 70ern, fuhr den Weg empor und wirbelte dabei eine Wolke aus Staub und Abgasen auf.

Colton warf einen Blick auf seine Armbanduhr und schnaubte. Es war beinahe sechs Uhr. Er nahm sein Colt AR-15 mit ACOG-Zieloptik, lehnte sich an seinen Wagen und wartete darauf, dass Raven seinen Jeep abstellte.

Ein Regentropfen landete auf Coltons Schulter. Das Unwetter zog von Westen herauf. Er verwünschte ihr Pech und öffnete die Tür seines Wagens, um seinen Poncho herauszuholen. Es würde eine lange, kalte und nasse Nacht werden.

Raven erreichte den Parkplatz. Der Jeep war über 40 Jahre alt, doch das wenige Licht reichte aus, um zu erkennen, dass der metallgraue Lack keine Spur von Rost aufwies. Er hatte den Jeep mit übergroßen Geländereifen und einem Frontschutzbügel mit integrierter Winde ausgerüstet.

»Chief«, sagte Raven, als er die Tür öffnete und ausstieg. Er ging zur Beifahrertür und ließ seinen Hund Creek heraus. Der Akita sprang aus dem Wagen und sah Colton mit seinen dunkelbernsteinfarbenen, von weißem Fell umringten Augen an. Dann lief er zum Straßenrand und hob ein Bein.

»Schöner Jeep«, erwiderte Colton, wobei er sich bemühte, freundlich zu klingen.

Raven grinste und tätschelte die Motorhaube. »Ein Cherokee für einen Cherokee.«

»Ich dachte, Sie wären ein Sioux.«

»Halb und halb.« Raven zuckte mit den Schultern.

Colton grunzte. Genug geplaudert. »Wir haben eine gute Stunde Tageslicht vergeudet«, begann er. »Jetzt müssen wir uns nassregnen lassen.«

»Eine Stunde mehr hätte daran nichts geändert.« Raven warf sich einen Rucksack über die Schulter.

»Ihnen ist schon klar, warum ich Sie herbestellt habe, oder?«

Raven durchstöberte auf der Suche nach mehr Ausrüstung den Kofferraum des Jeeps. »Es geht um das verschwundene Mädchen«, antwortete er, ohne sich umzudrehen.

»Sie heißt Melissa«, entgegnete Colton. »Je schneller wir in die Gänge kommen, desto eher finden wir sie.«

Raven straffte die Tragegurte seines Rucksacks, sodass er ein wenig enger saß, und band sich die langen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Seine Lippen über dem Grübchenkinn verzogen sich zu dem Lächeln, das die Hälfte der Mädchen in der Stadt schwach werden ließ. Anders als Colton hatte Raven es geschafft, seinen Dienst abzuleisten, ohne größere Narben im Gesicht davonzutragen, und er sah fast zehn Jahre jünger aus als die 33, die er tatsächlich war.

»Ich habe ein paar Fragen«, sagte Raven. »Erst mal – sind wir hier nicht außerhalb Ihrer Zuständigkeit? Wo ist dieser Kerl, der uns beim Kirkland-Fall geholfen hat? Ranger Fry?«

»Ranger Field«, korrigierte Colton. »Der geht Spuren weiter oben auf der Trail Ridge Road nach.«

»Schön. Was können Sie mir sonst noch sagen, Chief?« Raven zündete sich eine Zigarette an, zog daran und ließ den Rauch durch die Nasenlöcher entweichen. »Ich musste eine Verabredung mit einer süßen...