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Maschinen wie ich

Ian McEwan

 

Verlag Diogenes, 2019

ISBN 9783257609585 , 416 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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11,99 EUR


 

Eins


Es war der Hoffnungsschimmer einer religiösen Sehnsucht, es war der Heilige Gral der Wissenschaft. Unsere höchsten und niedersten Erwartungen wurden geweckt von diesem wahr gewordenen Schöpfungsmythos, diesem ungeheuer‌lichen Akt der Selbstverliebtheit. Kaum war es machbar, blieb nichts weiter übrig, als unserem Verlangen nachzugeben und auf die Folgen zu pfeifen. Pathetisch gesagt strebten wir danach, unserer Sterb‌lichkeit zu entrinnen, Gott mit seinem perfekten Ebenbild zu konfrontieren oder gar zu ersetzen. Praktischer gedacht wollten wir eine verbesserte, modernere Version unserer selbst schaffen und die Freuden des Erfindens genießen, das Hochgefühl wahrer Meisterschaft. Im Herbst des zwanzigsten Jahrhunderts war es end‌lich so weit: Der erste Schritt zur Erfül‌lung eines uralten Traums war getan, und es begann jene lange Lektion, die uns lehrte, dass wir – wie kompliziert wir auch sein mochten, wie fehlerhaft und selbst in unseren einfachsten Hand‌lungen, unserem sch‌lichtesten Sein so schwer zu beschreiben – dennoch kopiert und verbessert werden konnten. Und ich war dabei in jener kühlen Morgendämmerung, ein eifriger Nutzer der ersten Stunde.

Künst‌liche Menschen waren ein K‌lischee schon lange, bevor es sie gab, weshalb sie manche, als sie dann end‌lich da waren, enttäuschend fanden. Die Phantasie, so viel schneller als die Historie, als jeder technologische Fortschritt, hatte diese Zukunft bereits in Büchern durchgespielt, dann im Kino und Fernsehen, als könnten uns mensch‌liche Schauspieler mit glasigem Blick, ruckartigen Kopfbewegungen und steifem Kreuz auf das Leben mit unseren Vettern aus der Zukunft vorbereiten.

Ich gehörte zu den Optimisten und sah mich nach dem Tod meiner Mutter und dem Verkauf des Familienhauses, das, wie sich erwies, auf wertvollem Bauland stand, mit unverhoff‌tem Reichtum gesegnet. Der erste wirk‌lich funktionsfähige künst‌liche Mensch mit überzeugender Intelligenz und glaubhaftem Äußeren, mit lebensechter Motorik und Mimik kam auf den Markt, eine Woche ehe unsere Truppen zu ihrer hoffnungslosen Falkland-Mission aufbrachen. Adam kostete 86000 Pfund. Ich brachte ihn in einem gemieteten Transporter zu meiner schäbigen Wohnung in North Clapham. Es war eine leichtsinnige Entscheidung gewesen, befeuert von Berichten, dass sich Sir Alan Turing, Kriegsheld und größtes Genie des digitalen Zeitalters, dasselbe Modell hatte liefern lassen. Bestimmt wollte er es in seinem Labor auseinandernehmen, um genau zu sehen, wie es funktionierte.

Zwölf Exemplare dieser ersten Produktionsreihe hießen Adam, dreizehn Eve. Nicht gerade originell, da war man sich einig, aber verkäuf‌lich. Da biologische Vorstel‌lungen von Rasse wissenschaft‌lich in Verruf geraten waren, hatte man beim Design der fünfundzwanzig darauf geachtet, eine mög‌lichst große Bandbreite an Ethnien abzudecken. Es gab erst Gerüchte, dann Beschwerden, dass der Araber nicht vom Juden zu unterscheiden war. Zufallsprogrammierung in Kombination mit Lebenserfahrung würde jedem Exemplar hinsicht‌lich sexueller Präferenzen eine freie Wahl garantieren. Die Eves waren nach einer Woche schon ausverkauft. Meinen Adam hätte man flüchtig besehen für einen Türken oder Griechen halten können. Da er 85 Kilo wog, musste ich Miranda, meine Nachbarin, bitten, mir zu helfen, und gemeinsam schleppten wir ihn auf einer mitgelieferten Einmal‌trage von der Straße in die Wohnung.

Während sich die Batterien auf‌luden, setzte ich uns Kaffeewasser auf und scrollte dann durch das 470 Seiten starke Online-Handbuch. Es las sich größtenteils klar und präzise. Allerdings hatte man Adam in verschiedenen Werkstätten zusammengesetzt, weshalb manche Instruktionen den Charme eines Unsinnsgedichts besaßen: »Vorderteil des B347k Leibchens entblößen, um mit dem sorglos Emoticon des Motherboard Outputs die Stimmungsschwankungen der Penumbra zu mindern.«

End‌lich saß er, einen Haufen Styropor und Plastik um die Knöchel, an meinem kleinen Esstisch, nackt, die Augen geschlossen. Ein schwarzes Stromkabel schlängelte sich von der Buchse, seinem Bauchnabel, zu einer Dreizehn-Ampere-Steckdose an der Wand. Ihn voll aufzuladen, würde sechzehn Stunden dauern. Dann noch die Update-Downloads und die Festlegung persön‌licher Präferenzen. Ich wollte ihn jetzt, sofort, Miranda auch. Wie aufgeregte junge Eltern waren wir begierig, seine ersten Worte zu hören. Es gab keinen billigen, in seiner Brust versenkten Lautsprecher. Aus der enthusiastischen Werbung wussten wir, dass er mit Atemluft, Zunge, Zähnen und Gaumen Töne formte. Seine lebensechte Haut fühlte sich bereits warm und so weich an wie die eines Kindes. Miranda behauptete, ein Zucken seiner Wimpern beobachtet zu haben. Ich war mir sicher, dass es nur die Vibrationen der Untergrundbahn waren, die dreißig Meter unter uns dahindonnerte, sagte aber nichts.

Adam war kein Sexspielzeug. Dennoch war er zu Sex fähig und besaß funktionierende Schleimhautmembranen, für deren Versorgung er jeden Tag einen halben Liter Wasser benötigte. Mir fiel auf, dass er unbeschnitten war, recht gut bestückt, das Schamhaar voll und dunkel. Dieses hochentwickelte Modell eines künst‌lichen Menschen verkörperte vermut‌lich, was seinen jungen Programmierern gefiel, und den Adams und Eves wurde nachgesagt, überaus temperamentvoll zu sein.

Die Werbung pries ihn als Gefährten an, als intellektuellen Sparringspartner, als Freund und ein Faktotum, das den Abwasch machen, Betten beziehen und ›denken‹ konnte. Jeden Augenblick seiner Existenz, alles, was er hörte und sah, nahm er auf, jederzeit wieder abrufbar. Auto fahren konnte er noch nicht, und er durf‌te auch nicht schwimmen, duschen, ohne Schirm im Regen stehen oder unbeaufsichtigt mit einer Kettensäge hantieren. Was die Laufzeit betraf, konnte er, dank einem Durchbruch in der Batterieentwick‌lung, mit einer Akkuladung siebzehn Kilometer in zwei Stunden rennen oder sich – das energetische Äquivalent – zwölf Tage lang pausenlos unterhalten. Seine Lebensdauer war auf zwanzig Jahre angelegt. Er war kompakt gebaut, breitschultrig, hatte einen dunklen Teint und dichtes, schwarzes, nach hinten gekämmtes Haar, ein schmales Gesicht mit einer leicht gekrümmten Nase, die ihn hochintelligent wirken ließ, einen grüblerischen Blick unter schweren Lidern und feste Lippen, die in diesem Moment, vor unseren Augen, ihren töd‌lich gelbweißen Farbton verloren und eine satte, lebhafte Farbe annahmen, sich in den Mundwinkeln sogar ein wenig entspannten. Miranda meinte, er sähe aus wie »ein Hafenarbeiter vom Bosporus«.

Vor uns saß das ultimative Spielzeug, der wahrgewordene Traum vieler Jahrhunderte, der Triumph des Humanismus – oder sein Todesengel. Unfassbar aufregend, aber auch frustrierend. Sechzehn Stunden waren eine lange Zeit, wenn man nur warten und zusehen konnte. Bei der Summe, die ich nach dem Mittagessen für ihn hingeblättert hatte, hätte er auch geladen und betriebsfertig sein können, fand ich. Es war ein später Nachmittag im Winter. Ich machte Toast, und wir tranken noch einen Kaffee. Miranda, die Sozialgeschichte studierte und promovieren wollte, sagte, sie wünschte, die junge Mary Shelley könnte bei uns sein und mitverfolgen, wie nicht etwa ein Ungeheuer à la Frankenstein, sondern dieser attraktive junge Mann mit dem Bronzeteint zum Leben erwachte. Ich sagte, in jedem Fall aber würden beide Kreaturen die beseelende Kraft der Elektrizität brauchen.

»Genau wie wir«, sagte sie, als meine sie nur sich und mich und nicht die gesamte, elektrochemisch aufgeladene Menschheit.

Sie war zweiundzwanzig, ziem‌lich erwachsen für ihr Alter und zehn Jahre jünger als ich. Mit ein wenig Abstand betrachtet schien mir das vernachlässigbar. Wir waren beide so herr‌lich jung. Doch sah ich mich in einem ganz anderen Lebensabschnitt als sie. Die Ausbildung hatte ich längst abgeschlossen und bereits eine Reihe beruf‌licher, finanzieller und persön‌licher Fehlschläge hinter mir. Für eine junge, liebenswerte Frau wie Miranda fand ich mich zu abgebrüht und zynisch. Obwohl sie schön war mit ihrem hellbraunen Haar und dem langen, schmalen Gesicht, den oft vor verhaltener Heiterkeit zusammengekniffenen Augen, und auch wenn ich sie in bestimmten Stimmungen manchmal staunend anstarrte, hatte ich sehr früh entschieden, ihre Rolle in meinem Leben auf die der netten, nachbar‌lichen Freundin zu beschränken. Ihre winzige Wohnung lag gleich über meiner. Wir teilten uns den Eingang und trafen uns manchmal auf einen Kaffee, um über Beziehungen, Politik, Gott und die Welt zu reden. Mit perfekt austarierter Neutralität schien sie entspannt all dem entgegenzusehen, was da kommen mochte, als wäre ihr ein nachmittäg‌liches Schäferstündchen mit mir gerade so recht wie unsere keuschen, kameradschaft‌lichen Gespräche. Sie wirkte in meiner Gegenwart völlig entspannt, und ich sagte mir, Sex würde das nur ruinieren. So blieben wir gute Kameraden. Trotzdem strahlte sie etwas verlockend Geheimnisvolles, Reserviertes aus. Vielleicht war ich ja, ohne es zu wissen, schon seit Wochen in sie verliebt. Ohne es zu wissen? Was war das denn für eine fadenscheinige Formulierung?

Widerstrebend beschlossen wir, Adam und einander eine Weile sich selbst zu überlassen. Miranda musste zu einem Seminar auf der Nordseite der Themse und ich einige Mails beantworten. Schon Anfang der siebziger Jahre war die digitale...