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Der verborgene Stern

Nora Roberts

 

Verlag MIRA Taschenbuch, 2019

ISBN 9783745750973 , 256 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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4,99 EUR


 

2. KAPITEL


Cade nahm Bailey mit zu sich nach Hause. Etwas Besseres fiel ihm auf die Schnelle nicht ein. Außerdem wollte er die Stofftasche samt Inhalt so schnell wie möglich in seinem Safe verstauen.

Sie hatte nicht protestiert, als er sie aus dem Gebäude geführt hatte, und sie hatte auch keinen Kommentar abgegeben, als er sie auf den Beifahrersitz seines Jaguars gesetzt hatte. Normalerweise zog er es vor, mit seinem alten, ziemlich verbeulten Sedan zur Arbeit zu fahren, aber nachdem der gerade in Reparatur war, war ihm nur der auffällige Jaguar geblieben.

Die ganze Zeit über sagte sie nichts, auch nicht, als er in eine wunderschöne Wohngegend mit einer Allee schattenspendender Bäume einbog und vor einem würdevollen, im typischen Südstaatenstil errichteten Gebäude hielt. Er wollte ihr schon erklären, dass er das Haus von einer Großtante geerbt hatte, die eine Schwäche für ihn hatte – was ja auch stimmte. Und dass er hier wohnte, weil ihm die Ruhe und der Komfort der Wohngegend gefielen.

Aber sie fragte gar nicht erst.

Cade hatte den Eindruck, dass sie vollkommen erschöpft war. Die Energie, die sie gebraucht hatte, um durch den Regen zu laufen, sein Büro zu finden und ihre Geschichte zu erzählen, war endgültig aufgebraucht. Sie wirkte beinahe teilnahmslos.

Und wieder so zerbrechlich. Er musste sich zwingen, sie nicht einfach auf seine Arme zu heben und ins Haus zu tragen. Dabei hatte er das Bild schon genau vor Augen: Er, der tapfere Ritter, der die Jungfrau in die Sicherheit seiner Burg brachte. Weg von all den bösen Drachen, die hinter ihr her waren.

Er musste wirklich aufhören, solchen Blödsinn zu denken.

Also schulterte er die Stofftasche, nahm Bailey an der Hand und zog sie mit sich zum Eingangsbereich, dann den Flur hinunter und direkt in die geräumige Wohnküche.

„Rührei“, sagte er, schob ihr einen Stuhl zurecht und drückte sie sanft darauf.

„Ja. Gut. Danke.“

Sie fühlte sich steif und desorientiert, gleichzeitig war sie ihm unendlich dankbar. Er löcherte sie nicht mit Fragen, er schien auch nicht besonders schockiert oder abgestoßen von ihrer Geschichte zu sein. Vielleicht lag es an seinem Beruf, dass er das alles so gelassen hinnahm. Egal, woran es lag, sie war einfach nur froh, dass er ihr Zeit gab, sich zu erholen.

Geschickt schlug er ein paar braune Eier in eine Schüssel, dann steckte er Brotscheiben in den Toaster. Ich sollte ihm meine Hilfe anbieten, dachte sie. Das wäre das Mindeste. Aber sie war so schrecklich müde, und es war so angenehm, einfach nur in dieser großen Küche zu sitzen, während der Regen aufs Dach prasselte, und ihm beim Bereiten des Frühstücks zuzusehen.

Er kümmerte sich um sie. Und sie ließ es geschehen. Bailey schloss die Augen. Sie fragte sich, ob sie zu den Frauen gehörte, die von einem Mann versorgt werden wollten, die gerne die Rolle des hilflosen Weibchens spielten.

Sie konnte nur hoffen, dass es nicht so war. Zugleich wunderte sie sich darüber, dass ihr ein so unbedeutender Charakterzug wichtig schien, wo sie doch noch nicht einmal wusste, ob sie eine gemeine Diebin oder Mörderin war.

Sie ertappte sich dabei, wie sie ihre Hände musterte. Sie hatte kurze, rund gefeilte und transparent lackierte Fingernägel. Bedeutete das, dass sie ein praktischer Mensch war? Ihre Hände waren zart und weich, ohne Schwielen. Also arbeitete sie nicht damit.

Die Ringe … sehr hübsch, schlicht und gleichzeitig ungewöhnlich. Zumindest glaubte sie das. Sie erkannte die Steine: Granat, Zitrin, Amethyst. Wieso nur wusste sie die Namen von Edelsteinen, aber nicht die ihrer engsten Freunde?

Hatte sie überhaupt Freunde?

War sie eine nette Person oder eine boshafte, großzügig oder engstirnig? Lachte sie viel und weinte sie im Kino? Gab es einen Mann, den sie liebte? Der sie liebte?

Hatte sie über eine Million Dollar gestohlen und diese hässliche kleine Pistole benutzt?

Sie zuckte zusammen, als Cade einen Teller vor sie hinstellte, wurde aber gleich wieder ruhig, als er eine Hand auf ihre Schulter legte.

„Sie müssen etwas essen.“ Er ging zurück zum Herd, um eine Tasse zu holen. „Ich könnte mir vorstellen, dass Sie lieber Tee als Kaffee trinken.“

„Ja. Vielen Dank.“ Sie nahm die Gabel zur Hand, schaufelte etwas Ei darauf und probierte. „Schmeckt gut.“ Ihr gelang ein Lächeln, ein zögerndes, schüchternes Lächeln, das sein Herz berührte.

„Na, das ist doch schon mal was.“ Nachdem er sich selbst einen Becher Kaffee eingeschenkt hatte, setzte er sich ihr gegenüber. „Ich bin auf der halben Welt bekannt für mein Rührei.“

Ihr Lächeln wurde breiter. „Und ich weiß auch, warum. Der Hauch Dill und Paprika macht den Unterschied.“

„Warten Sie erst mal, bis Sie mein spanisches Omelette versucht haben.“

„Ein Meister der Eier.“ Sie aß weiter, genoss die Leichtigkeit, mit der sie sich unterhielten. „Kochen Sie oft?“

Sie blickte sich in der Küche um. Natursteinfarbene Schränke und warmes, helles Holz. Ein Fenster ohne Vorhänge über einer Doppelspüle aus weißem Porzellan. Kaffeemaschine, Toaster und eine auseinandergefaltete Tageszeitung.

Der Raum war ordentlich, aber nicht übertrieben sauber. Und stand in krassem Gegensatz zu dem Durcheinander in seinem Büro. „Ich habe Sie gar nicht gefragt, ob Sie verheiratet sind.“

„Geschieden, und ich koche, wenn ich keine Lust mehr habe, essen zu gehen.“

„Ich frage mich, was ich wohl lieber mache – ausgehen oder selbst kochen.“

„Sie haben Paprika und Dill herausgeschmeckt.“ Er lehnte sich zurück und musterte sie, während er einen Schluck Kaffee trank. „Sie sind schön.“ Sie sah zu ihm auf, überrascht und, wie er bemerkte, mit einem Mal sehr wachsam. „Das ist nur eine Beobachtung, Bailey. Wir müssen mit den Tatsachen arbeiten, die wir kennen. Sie sind schön – auf eine ruhige, natürliche Art. Sie mögen nichts Grelles, und Sie können ein Kompliment über Ihr Aussehen nicht einfach annehmen. Im Gegenteil, es macht Sie nervös.“

Sie nahm ihre Tasse in beide Hände. „Ist es das, was Sie erreichen wollen?“

„Nein, aber ich finde es interessant. Und süß – wie Sie rot werden und mich gleichzeitig so misstrauisch ansehen. Sie können sich entspannen, ich mache Sie nicht an.“ Allerdings war der Gedanke gar nicht so abwegig. Eher faszinierend und, wie er zugeben musste, ein bisschen erregend. „Ich glaube allerdings nicht, dass Sie schüchtern sind“, fuhr er fort. „Ein Mann würde bei Ihnen bestimmt nicht weit kommen, nur indem er Ihnen erzählt, dass Ihre Augen die Farbe von warmem Brandy haben und dass der Kontrast zu Ihrer kühlen, kultivierten Stimme verdammt sexy ist.“

Sie hob die Tasse und ließ ihn nicht aus den Augen – obwohl es ihr schwerfiel. „Das klingt aber schon so, als ob Sie mich anmachen wollten.“

Seine Grübchen wurden tiefer, als er lächelte. „Sehen Sie, gar nicht schüchtern. Aber höflich, sehr höflich und sehr gut erzogen. Aus Ihrer Stimme höre ich New England heraus, Bailey.“

Sie starrte ihn an. „New England?“

„Connecticut, Massachusetts – ich bin nicht sicher. Aber da liegt ein Hauch von Ostküsten-Erziehung in Ihrer Stimme, vor allem, wenn sie so kühl wird.“

„New England.“ Sie suchte nach einer Verbindung. „Das bedeutet mir nichts.“

„Das ist noch ein Puzzleteil, das mir bei meiner Arbeit hilft. Sie riechen förmlich nach Klasse. Entweder sind Sie schon hineingeboren worden, oder Sie haben diese Klasse entwickelt, wie auch immer, sie ist da.“ Er erhob sich, um ihren Teller wegzuräumen. „Genauso wie Ihre Erschöpfung. Sie müssen schlafen.“

„Ja.“ Bei dem Gedanken, zurück in ihr Hotelzimmer zu gehen, musste sie ein Schaudern unterdrücken. „Soll ich später in Ihrem Büro anrufen und einen weiteren Termin vereinbaren? Ich habe die Nummer des Hotels und die Zimmernummer aufgeschrieben. Sie können mich anrufen, sobald Sie etwas herausgefunden haben.“

„Sie gehen nicht zurück ins Hotel.“ Energisch nahm er sie bei der Hand und zog sie auf die Füße. „Sie bleiben hier. Hier ist genügend Platz.“

„Hier?“

„Ich halte es für das Beste, wenn ich ein Auge auf Sie haben kann. Zumindest vorläufig.“ Er führte sie aus der Küche und schob sie die Treppe hinauf. „Das hier ist eine ruhige und sichere Gegend, und bis wir herausgefunden haben, wie Sie an 1,2 Millionen Dollar und einen faustgroßen Diamanten gekommen sind, möchte ich nicht, dass sie allein durch die Stadt wandern.“

„Sie kennen mich doch gar nicht.“

„Sie sich auch nicht. Daran müssen wir arbeiten.“

Er öffnete die Tür zu einem Raum, wo durch Spitzenvorhänge gedämpftes Licht auf den polierten Eichenboden fiel. Ein Tisch mit vier Stühlen stand vor dem Kamin, das Himmelbett war mit einer bestickten Decke und vielen großen und kleinen Kissen dekoriert.

„Schlafen Sie ein wenig“, sagte er. „Dort drüben ist das Badezimmer. Ich werde Ihnen etwas hinlegen, das sie später anziehen können.“

Wieder spürte sie Tränen in sich aufsteigen. „Laden Sie all Ihre Klienten zu sich nach Hause ein?“

„Nein.“ Er berührte ganz leicht ihre Wange, dann ließ er seine Hand wieder fallen, obwohl er Bailey am liebsten an sich gezogen und ihren Kopf an seine Schulter gebettet hätte. „Nur die, die es brauchen. Ich bin unten, falls was ist. Es gibt noch ein paar Dinge zu erledigen.“

„Cade.“ Sie griff nach seiner Hand und hielt sie einen Moment lang fest....