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Mainkurtod - Ein Frankfurt-Krimi

Franziska Franz

 

Verlag Verlag edition krimi, 2019

ISBN 9783946734246 , 280 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

8,99 EUR


 

3


11.März 2016


Kaum hatte Viktor seinen Laptop hochgefahren, da kam schon das Geräusch, auf das er gehofft hatte, jenes Geräusch, dass eine Nachricht in seinem Facebook-Account ankündigte. Eine Nachricht oder eine Freundschaftsanfrage, eigentlich egal. Für ihn führte das eine zum anderen. Er mochte die Anonymität des Internets. Man konnte sich ungehemmt ausleben. Es gab genügend dumme Weiber, die sich auf einen Flirt im Internet einließen. Er hatte schon eine ansehnliche Anzahl an Frauen in seinem Account gesammelt. Da fiel die Auswahl schwer, und oft verbrachte er Stunden am Computer, in denen er sich mit einigen dieser „Freundinnen“ austauschte. Ein großartiger Zeitvertreib, wie er fand, und seinem Selbstwertgefühl kam es zugute. Doch es hatte noch einen anderen Grund, weshalb er diesen Facebook-Account brauchte: Sein Chef schrieb ihm hier häufig.

Selbstverständlich hatte er sein Profil ein wenig bearbeitet. Das war heutzutage im Internet ja alles kein Problem mehr; ein wenig Unschärfe hier, ein bisschen vollere Haare und das Gesicht etwas verschmälern, schon sah ihm ein recht attraktiver Mann entgegen, der dennoch irgendwie er selbst war.. Wenn er hier eines Tages wirklich die Frau seines Lebens kennenlernen sollte, würde es sich für ihn gelohnt haben.

Er war noch keine vierzig Jahre alt, doch sein Haar lichtete sich bereits. Auch war er wesentlich zu kräftig und unsportlich, sodass seine Haut schlaff und schwammig wirkte. Aber er war groß und gab daher eine eindrucksvolle Erscheinung ab – so meinte er zumindest. Und nicht nur das, er war stark. Bevor er krank wurde, hatte er sich in so manchem Hinterhof mit ehemaligen Kollegen Boxkämpfe geliefert. Einmal war es schlecht ausgegangen. Nicht für ihn, sondern für den armen Kerl, der ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Viktor hatte ihm das Jochbein zertrümmert, das waren noch schöne Zeiten. Viktor selbst hatte nur eine Narbe davongetragen. Eine Narbe unter dem linken Auge und ein leichtes Nervenzucken.

Er sah erneut auf den Bildschirm und grinste. Wieder eine Freundschaftsanfrage und täglich kamen einige neue hinzu. Was würde sein Boss nun dazu sagen?

Er öffnete die neueste Nachricht: Hey Nick. Gerne würde ich mit dir befreundet sein. Ich habe gesehen, du wohnst auch in Frankfurt, das trifft sich gut, ich bin neu hier. Eigentlich bin ich Polin, doch bin ich in Deutschland aufgewachsen, und nun suche ich hier einen Job, möglichst in einem Maklerbüro, bin nämlich Immobilienfachfrau, musst du wissen, verzeih, wenn ich so viel plaudere, aber die Jobsuche beschäftigt mich zur Zeit einfach sehr.

Viktor lehnte sich in seinem Sessel zurück und klickte die Bilder von Irina an. Eine attraktive Schwarzhaarige. Interessantes Profil, das musste er zugeben, so eine würde sich niemals für ihn interessieren, also für sein wahres Gesicht.

Er schrieb zurück: Hallo Irina, das klingt ja interessant, da bist du bei mir genau an der richtigen Adresse. Wie der Zufall so spielt, kenne ich tatsächlich einige Maklerbüros in Frankfurt, kann ja mal meine Fühler für dich ausstrecken, vielleicht treffen wir uns einfach mal.

Er drückte auf senden.

Die Antwort kam postwendend: Gern.

Er grinste. Manchmal machte es einem das Leben ja doch recht leicht. Dann klickte er das Profil an, das ihn am meisten interessierte: Anja Malmann. Er schmunzelte. Sie war auch Maklerin. Mittlerweile kannte er sie schon recht gut.

Gerade wollte er den Laptop schließen, da kam eine Nachricht von seinem Boss: Hey Nick, hast du alles vorbereitet? Sehen uns morgen gegen zwölf, wie besprochen.

Wird alles zu Ihrer Zufriedenheit erledigt, schrieb er zurück, dann fuhr er den Laptop herunter. Er war sich sicher, es würde heute keine weitere Nachricht kommen.

Viktor stand auf und streckte sich. Jetzt zur Beruhigung erst mal ein kühles Bier. Er öffnete den Kühlschrank. Ein typischer Männerhaushalt, wie er zugeben musste. Außer einem Glas Würstchen befanden sich nur Bierflaschen in den Kühlfächern. Er nahm sich eine und ging zum Fenster. Von hier aus blickte man direkt auf die Cassella, das Chemiewerk. Er lebte in einer Wohnung im dritten Stock, im Stadtteil Fechenheim.

Er löste den Kronkorken am Griff einer Schublade, das leise Zischen begeisterte ihn. Er trank einen großen Schluck direkt aus der Flasche. Dann nahm er sich das Glas mit den kalten Würstchen aus dem Kühlschrank, öffnete es und aß, während er aus dem Fenster schaute. Der triste Blick auf das Chemiewerk vermittelte ihm seltsamerweise eine gewisse innere Gelassenheit. Diese immerwährende Tristesse hatte für ihn etwas Bodenständiges, während viele andere den Anblick sicher als deprimierend empfunden hätten. Viktor jedoch interessierte sich nicht für die Natur.

Er war mit diesem Blick aufgewachsen. Sie hatten von dieser Fabrik gelebt, er und seine Familie. Mehr schlecht als recht zwar, dennoch hatte sein Vater die vier Kinder durchgebracht, als Fließbandarbeiter. Seine Eltern waren vor vierzig Jahren aus Kroatien nach Deutschland gekommen. Der Vater sprach damals kaum Deutsch und hatte keine gute Ausbildung erhalten. Dass er gleich einen Job in der Fabrik bekam, war ein reiner Glücksfall. Seine Eltern hatten damals eine Wohnung im sogenannten „Russländche“, einer Arbeitersiedlung der Cassella bezogen. Ein Segen für die Familie.

Doch als Viktor sieben Jahre alt war, wurden die Häuser abgerissen. Für die Familie begannen harte Zeiten. Kurzfristig mussten sie zu Nachbarn ziehen, um nicht auf der Straße wohnen zu müssen, doch schließlich fanden sie auf der gegenüberliegenden Seite des Fabrikgeländes eine kleine Unterkunft. Die Wohnung, in der Viktor heute noch lebte. Er schnaubte verächtlich, wenn er daran dachte, wie eng er mit seinen Geschwistern zusammengepfercht worden war. Wie Tiere hatten sie gehaust! Nur um bessergestellten Leuten Platz für schönere Wohnungen zu machen, mussten die alten Häuser weichen. Heute wurden diese Teile Fechenheims von einer einzigen Immobilienfirma bedient, Immobilien Richter. Auch, wenn es in seinen Augen keine Verbesserung für das Viertel bedeutet hatte, so war ihm klar, dass die maroden Bauten von damals kaum auf den heutigen Standard hätten gebracht werden können. So sehr er sich damals auch über den Abriss geärgert hatte.

Jedenfalls hatte er irgendwann damit angefangen, sich für Immobilien zu interessieren, auch wenn er sich niemals etwas Besseres hätte leisten können. Doch man durfte ja träumen und wer weiß – wenn er es seinem Boss immer Recht machen würde, dann konnte er sich vielleicht irgendwann einmal als Makler qualifizieren.

Er öffnete das Fenster und warf eine der leeren Bierflaschen mit Schwung hinaus. Klirrend zerschmetterte sie auf dem Industriegelände. Sein Blick glitt in die Ferne. Viktor zündete sich eine Zigarette an, inhalierte den Rauch tief in seine Lunge, wölbte seine Zunge und blies kleine blaue Ringe aus.

Er hatte Glück gehabt, schließlich war er in Deutschland geboren. Während seine Geschwister alle zurück nach Kroatien gegangen waren, war er geblieben. All die Jahre war er der Cassella treu geblieben, hatte als Lagerarbeiter gearbeitet. Eine Freundin hatte er damals auch gehabt, Adina. Sie war ebenfalls Kroatin. Eine dralle Brünette. Auch sie hatte in der Fabrik gearbeitet, hatte am Fließband gestanden. Sie hatten heiraten wollen. Er grinste fatalistisch: Sie hätte ihn nie verlassen sollen. Er war so glücklich gewesen damals. Sie hatten perfekt zueinander gepasst, das hatten wirklich alle gesagt. Sie hätte ihm gewiss Kinder geschenkt, er wollte immer Kinder haben; wollte, dass es ihnen einmal besser ging. Er verzog verächtlich das Gesicht. Ja, und dann kam diese Dreckskrankheit, die seine Mutter auszehrte. Wieder zog er an seiner Zigarette. Er hatte sich hingebungsvoll um seine Mutter gekümmert, damals. Da hatte Adinas Liebe dann wohl irgendwann nicht mehr ausgereicht.

Er drehte sich um. Durch die offene Küchentür hatte man einen Blick in das kleine, spärlich eingerichtete Wohnzimmer mit der zerschlissenen Couch und dem falschen Perserteppich davor. Die Tapeten waren vom Rauchen längst vergilbt, wahrlich kein schöner Anblick. Das Schlafzimmer befand sich in ähnlich schlechtem Zustand. Er schlief in dem alten Bett seiner Mutter. Darin war sie auch gestorben, ihm machte das nichts aus.

All das hatte Adina damals nicht gestört. Selbst der Krebs seiner Mutter hatte sie anfänglich nicht abgeschreckt. Na ja, es war alles noch in besserem Zustand gewesen, damals, doch war es nie gemütlich, wie er zugeben musste, und wahrscheinlich wäre Adina über kurz oder lang unzufrieden geworden. Er schüttelte verständnislos den Kopf. Frauen waren stets unzufrieden.

Am Ende jedenfalls hatte Adina das Siechtum seiner Mutter nicht länger ertragen. Er hasste sie noch heute dafür. Und da hieß es nun: In guten wie in schlechten Zeiten – pah! Sie war dann weggezogen aus Frankfurt und so viel er wusste, war sie heute verheiratet. Das ging alles immer so leicht. Man lernte einfach einen Neuen kennen, zum Kotzen. Man wechselte einfach, ganz nach Belieben, seinen Partner.

Und jetzt, nach all den Jahren, war er selbst an Krebs erkrankt; Lungenkrebs. Auf jeden Fall war er vorerst auf unbestimmte Zeit krankgeschrieben. Er tätigte jedoch nebenbei kleine private Botengänge für den neuen Boss. Das machte ihm Spaß, er fühlte sich wichtig und gefragt. Man...