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Triple Crown

Felix Francis

 

Verlag Diogenes, 2019

ISBN 9783257609820 , 416 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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14,99 EUR


 

2


»Duretika!«

»Ja. Hauptsäch‌lich Diuretika, dazu ein paar Abführmittel.«

»Kein Kokain?«

»Nicht ein Stäubchen.«

»Amphetamine? Oder Ecstasy?«

»Nein. Nichts dergleichen.«

»Mist!«

Das war am darauf‌folgenden Morgen in meinem Büro in der BHA-Zentrale in Mittellondon. Nigel überbrachte Tony und mir die traurige Nachricht vom Inhalt des beschlagnahmten Päckchens.

»Der Polizei schmeckt das weiß Gott auch nicht besonders«, sagte Nigel. »Meinem Kontaktmann zufolge haben sie die Ermitt‌lung eingestellt, Jimmy Robinson ohne Anschuldigung laufen lassen und ihn tausendmal um Verzeihung gebeten. Der Hauptkommissar ist echt sauer und will Paul Maldini dafür noch den Marsch blasen.« Paul Maldini war der Einsatzleiter der BHA – unser Vorgesetzter. »Der Kommissar meint, wir hätten sie wie einen Haufen Amateure aussehen lassen.«

Das stimmte, muss man sagen. Aber wir hatten uns auch selbst blamiert.

Nigel hatte von einem seiner langjährigen Informanten den Tipp bekommen, Jimmy Robinson sei wieder mit Drogen zugange. Vielleicht war es naiv oder voreilig von mir, anzunehmen, es handele sich dabei um verbotene Mittel, aber mit solchen war Jimmy eben schon mal aufgefallen. Ich hatte die Polizei eingeschaltet und nicht lockergelassen, bis der Leiter der National Crime Agency beim Innenministerium eine Abhörgenehmigung für Robinsons Mobiltelefon einholte. So hatten wir erfahren, wann und wo die Übergabe stattfinden sollte.

»Konnten sie Robinson denn gar nichts anhängen?«, fragte Tony.

»Erwerb von Medikamenten ohne Rezept?« Nigel zog die Brauen hoch. »Das ist nicht gerade ein Schwerverbrechen. Sie und ich könnten das einfach übers Internet machen.«

»Wozu dann die Nacht-und-Nebel-Aktion auf einem abgelegenen Rastplatz?«, fragte ich. Aber die Antwort kannte ich schon. Die gekauf‌ten Medikamente fielen zwar nicht unters Betäubungsmittelgesetz, aber sowohl Diuretika wie auch Abführmittel waren laut Rennordnung für Jockeys verbotene Substanzen.

»Hat Jimmy Robinson Gewichtsprobleme?«, fragte ich.

»Hat die nicht jeder Jockey?«, fragte Nigel zurück.

Wohl wahr.

Die Renngewichtsvorgaben hatten nie mit der Zunahme an Körpergröße und Gewicht in der Gesamtbevölkerung Schritt gehalten. Bevor harntreibende Mittel 1999 auf die Liste der verbotenen Substanzen gesetzt wurden, hatten Jockeys aller Klassen sie zur Gewichtskontrolle angewendet.

Ein ehemaliger Champion Jockey hatte mir einmal im Spaß erzählt, er habe jeden Tag zum Frühstück nichts als eine Handvoll Pinkelpillen zu sich genommen. »Das Schlimme war, die haben mir so viel Wasser entzogen, dass ich furchtbare Krämpfe bekam«, sagte er. »Einmal warf mich jemand im Führring aufs Pferd, und ich kriegte wegen der Krämpfe den Fuß nicht ins Eisen. Erst als wir zum Start geruckelt waren, ging es dann.«

Ein anderer erzählte mir von regelmäßig und päckchenweise eingenommenen Abführmitteln. »Explosionsartige Entladung«, meinte er lachend. »Ich hätte die Decke bespritzt, wenn ich nicht aufgepasst hätte.«

Auf meine Frage, was die Jockeys denn jetzt nach dem Verbot dieser Mittel machten, antwortete er: »Finger in den Hals, mein Freund. Man frisst die Hungerschmerzen weg und lässt dann alles wieder hochkommen, damit man nicht zunimmt. Klug ist anders.«

»Bestimmt nicht gut für die Zähne.«

»Zähne?« Noch ein Lachen. »Pfeif drauf. Die schlägt man sich bei irgendeinem Sturz sowieso aus.«

Ich kam auf die vorliegende Angelegenheit zurück.

»Jimmy musste doch klar sein, dass wir ihn auf Diuretika testen würden«, sagte ich.

»Laut Polizeilabor haben wir hier was Neues. Ein Thiazid zwar, was immer das heißt, aber ein synthetisches. Vielleicht dachte Jimmy, davon sieht man im Test nichts. Und vielleicht hat er recht.«

»Warum kommt die Pharma-Industrie mit immer neuen, dubiosen Präparaten an?«, seufzte ich. »Ist denen nicht klar, dass wir versuchen, die Betrügerei zu unterbinden?«

»Anscheinend nehmen Millionen Herzkranke und unter Bluthochdruck Leidende tagtäg‌lich harntreibende Mittel ein.«

»Ich gehöre auch dazu«, sagte Tony kleinlaut und tippte sich an die Jackentasche.

Man konnte den Pharma-Unternehmen wohl nicht gut vorwerfen, dass sie uns das Leben schwer machten, wenn sie es Millionen Menschen erleichterten.

Ich seufzte erneut. »Warum ist denn der Lieferant ge‌türmt? Und warum hat er ein Messer gezückt?«

»Er behauptet, nicht gewusst zu haben, was in dem Päckchen war«, sagte Nigel.

»Dann haben sie ihn also gefasst?«

»Mein Polizeikontakt sagt, der Mann ist mit erhobenen Händen aus dem Wald spaziert, als er die Hunde kommen hörte. Das Messer hatte er natür‌lich entsorgt, und die Polizei war nicht bereit, im großen Stil nach einer nicht benutzten Waffe zu suchen. Der Mann behauptet, er sei nur Mittelsmann gewesen und habe das Päckchen für einen Freund überbracht.«

»Warum ist er dann abgehauen?«

»Man hätte ihm gesagt, es seien Medikamente drin, und er sei von Betäubungsmitteln ausgegangen.«

Da war er nicht der Einzige.

Umso erleichterter war ich jetzt, dass Tony auf dem Rastplatz kein »Schießeisen« dabeigehabt hatte. Ich konnte mir vorstellen, was für einen Wirbel es gegeben hätte, wenn jemand bei der Weitergabe zugelassener Arzneimittel erschossen worden wäre.

Der Wagen des Mannes war in einem kriminaltechnischen Labor überprüft worden, und laut Nigels Polizeispezi hatten sich keine verbotenen Substanzen gefunden. Der Mann durf‌te ihn jederzeit abholen.

Das Telefon auf meinem Schreibtisch klingelte.

»Jef‌f, hier ist Paul Maldini«, sagte die Stimme in der Leitung. »Kommen Sie bitte sofort in mein Büro.«

O Gott, dachte ich. Der Hauptkommissar hat ihn angerufen.

»Schon unterwegs«, sagte ich.

»Und bringen Sie Tony mit.«

»Nigel auch?«, fragte ich.

»Nein. Nur Sie und Tony.«

Seltsam, dachte ich. Nigel und ich waren für die traurige Geschichte verantwort‌lich gewesen, nicht Tony. Der hatte das Debakel nur mitangesehen und nichts dafür gekonnt. Ungerecht, dass er jetzt mit mir vors Erschießungskommando treten sollte.

Tony und ich gingen durch den Flur zu Pauls Büro. Es kam mir vor, als wären wir zwei wegen Rauchens hinterm Fahrradunterstand zum Rektor bestellte, missratene Schüler – ein mehr als mulmiges Gefühl.

»Ah, rein mit euch, Herrschaften«, sagte Paul, als ich klopf‌te und die Tür öffnete. »Nehmen Sie Platz«. Er wies auf die beiden Stühle vor seinem Schreibtisch.

Mussten die Verurteilten ihre Strafe nicht immer stehend entgegennehmen?

Tony und ich setzten uns.

»Also, Jef‌f«, sagte Paul lächelnd und wies mit einer Kopfbewegung auf Tony. »Tony möchte Sie etwas fragen.«

»Bitte?« Ich hatte keine Ahnung, was los war.

»Ich hätte gern, dass Sie in die Staaten kommen«, sagte Tony halb zu mir gewandt.

»Bitte?«, sagte ich noch einmal. »Sind wir nicht wegen der Jimmy-Robinson-Geschichte hier?«

»Nein«, sagte Paul.

»Hat Sie der Hauptkommissar nicht angerufen?«, fragte ich.

»Doch, hat er«, erwiderte Paul. »Und er war auch ziem‌lich ungehalten. Also hab ich ihn mal daran erinnert, was wir schon alles richtig gemacht haben und dass wir schließ‌lich in gutem Glauben ihre Hilfe angefordert hatten. Wir bräuchten uns für nichts zu entschuldigen.«

»Und was hat er darauf geantwortet?«, fragte ich.

»Nichts weiter.« Paul lachte, als fände er die Erinnerung lustig. »In Zukunft sind sie vielleicht nicht mehr so hilfsbereit, aber damit können wir leben. Genug davon. Tony hat gestern Abend mit mir gesprochen, und gerade haben mir der Direktor und der Präsident ihre Einwilligung zu dem Vorschlag gegeben.«

»Welchem Vorschlag?«, fragte ich verwirrt.

Ich kam mir vor wie in einem Paralleluniversum. Ich hatte eine kräftige Standpauke erwartet, und Paul Maldini, der Mann, der so leicht in die Luft ging, lächelte mich an und scherzte, als wäre ich der Hit des Monats.

»Ich möchte, dass Sie mitkommen und für mich arbeiten«, sagte Tony.

Ich drehte mich um und starrte ihn an.

»Auf Dauer?«

»So lange wie nötig«, erwiderte er.

»Nötig wozu?«

»Fangen wir vorne an«, sagte Tony. »Aber was ich erzähle, ist streng vertrau‌lich. Nicht mal der BHA-Präsident und der Direktor sind genau im Bilde. Verstehen wir uns?«

»Vollkommen«, sagte ich, auch wenn er mir zu viel Aufhebens machte. Für mich als ehemaligen Nachrichtenof‌fizier war Geheimhaltung etwas Selbstverständ‌liches.

»Sie wissen, dass ich Stellvertretender Direktor der FACSA bin, einer Bundesagentur, die sich der Korruptionsabwehr im Sport verschrieben hat.« Er sprach FACSA als Wort aus, nicht als fünf Einzelbuchstaben.

Ich nickte.

»Unser besonderes Anliegen ist es, das organisierte Verbrechen aus dem US-Galopprennsport herauszuhalten. Wir haben in den USA ja keine staat‌liche Rennsportbehörde wie die BHA. Jeder Bundesstaat hat seine eigenen Regeln und muss sie auch selbst durchsetzen. Meine Agentur ist eine bundesweite Anlaufstelle im Kampf gegen die Korruption, und ein wesent‌licher Teil unserer Bemühungen gilt der Vollblutindustrie – der Zucht wie auch den Rennen. Wir haben dafür eine eigene Abtei‌lung.«

»Ja«,...