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Wofür wir kämpfen - Wie der Krieg in Afghanistan unser Leben veränderte

Tino Käßner, Antje Käßner

 

Verlag Irisiana, 2011

ISBN 9783641059934 , 320 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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15,99 EUR


 

Die Druckwelle erreicht Murnau (S. 172-173)

In der Heimatkaserne unserer Männer in Murnau hatten die Ereignisse tiefe Betroffenheit ausgelöst. Spieß Markus Eng machte sich zunächst Sorgen um die Moral der Truppe, entdeckte dann aber, dass das Leid, das auch mich und Tino näher zueinander brachte, die Einheit zusammenschweißt. Für uns war es später ein ganz besonderer Trost, als er über seine Erfahrungen berichtete: »Ich war insgesamt drei Tage in Koblenz.

Als ich nach all dem Bangen und Hoffen Stefan und Tino auf der Intensivstation sehen konnte, hat mich das am stärksten berührt. Man hatte ja alle möglichen Befürchtungen, was da auf einen zukommt, wie schlimm sie zugerichtet sind. Einerseits war ich erleichtert, dass die beiden lebten und in Sicherheit waren. Andererseits habe ich zum ersten Mal unmittelbar erfahren, was es bedeutet, das ›heiße Ende‹ eines nicht gerade gewöhnlichen Berufs zu erreichen: Verletzung, Invalidität – und Tod.

Bis heute erinnere ich mich an das erste Telefonat, das ich nach dem Besuch auf der Intensivstation in Koblenz am Abend des 15. 11. 2005 mit meiner Frau Daniela in Murnau führte, nachdem wir die grausame Wahrheit über die Verletzungen der beiden erfahren hatten. Es waren fast zwei Stunden des Weinens, der Hoffnung sowie des Mitgefühls für die beiden, in denen ich mit meiner Frau versucht habe, diese Flut von Gefühlen, meine Wut und meine Trauer zu bewältigen. Und nicht nur wir waren tief berührt. Als ich am nächsten Tag mit meinem Stellvertreter in der Werdenfelser Kaserne in Murnau telefonierte, klang der besorgt: ›Du, die gehen gar nicht mehr heim – die sitzen den ganzen Tag bis spät in die Nacht zusammen, reden, liegen sich in den Armen und weinen.

Der Aufenthaltsraum ist gesteckt voll, keiner will weg und irgendeine Nachricht verpassen, wie es in Koblenz um die verletzten Kameraden steht.‹ Alle waren aufgewühlt von den Ereignissen. Die fünfte Kompanie war im Bataillon schon immer als ein sehr eingeschworener Haufen bekannt gewesen mit einem sehr guten Zusammenhalt. Dass da zwei Kollegen und Freunde um ihr Leben kämpfen, musste natürlich eine tiefe Wirkung zeigen in unserem Team, aber das hatte es so noch nicht gegeben. Als Soldat und Vorgesetzter muss man natürlich auch auf die Moral der Truppe schauen. Da macht man sich als Spieß der Kompanie dann doch Gedanken: Was passiert da? Bröckelt da etwa die Moral? Werden wir erleben, dass viele den Dienst quittieren?

Durch das Telefonat mit meiner Frau hatte ich selbst erfahren, wie wichtig es jetzt sein würde, Trauer einfach mal zuzulassen, zuzuhören, aufzufangen, was mir anfangs innerhalb einer solchen militärischen ›Spezialtruppe‹ wie den Feldjägern mit ihren Personenschützern, Diensthundeführern und Ermittlern nicht einfach erschien. In der Vorstellung der meisten Menschen sind Soldaten nur harte Kerle. Aber so war es nicht. Bei jedem spürte man eine so tiefe Betroffenheit, eine Nachdenklichkeit, wie ich sie vorher nie erlebt hatte. Unser Aufenthaltsraum wurde zu einer Art Krisencenter, in dem die neuesten Nachrichten aus Koblenz ankamen und besprochen wurden. Aus der ganzen Bundesrepublik kamen Anfragen der anderen Feldjägerstandorte, Hilfsangebote und Grüße. Wir entdeckten, dass die Bundeswehr eine große Familie sein kann, die hilft, wenn einer von uns in Not ist. Das war ein starker Trost.