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Der Fuchs - Thriller

Frederick Forsyth

 

Verlag C. Bertelsmann, 2019

ISBN 9783641246969 , 336 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

EINS


Niemand sah sie. Niemand hörte sie. So sollte es auch sein. Die schwarz gekleideten Special-Forces-Soldaten schlichen unbemerkt durch die pechschwarze Nacht auf das Zielobjekt zu.

Im Zentrum der meisten Klein- und Großstädte bleibt selbst in tiefster Nacht immer ein Lichtschimmer, aber dies war der äußere Rand eines englischen Provinzstädtchens, und um ein Uhr morgens war die gesamte öffentliche Beleuchtung abgeschaltet worden. Jetzt, um zwei Uhr, war es am dunkelsten. Ein einsamer Fuchs beobachtete, wie sie vorbeigingen, doch sein Instinkt riet ihm, anderen Jägern aus dem Weg zu gehen. Aus keinem Fenster fiel Licht ins Dunkel.

Sie begegneten zwei einzelnen Menschen, beide zu Fuß, beide betrunken nach langen Partys mit Freunden. Die Soldaten verschmolzen schwarz in schwarz mit dem Gebüsch der Gärten, bis die Wanderer auf ihrem Heimweg vorübergestolpert waren.

Sie wussten genau, wo sie waren, denn sie hatten die Straßen und das Zielobjekt viele Stunden lang bis ins kleinste Detail studiert. Die Fotos waren aus vorbeifahrenden Autos und von hoch fliegenden Drohnen aufgenommen worden. Stark vergrößert hingen sie an der Wand des Besprechungsraums in Stirling Lines, der SAS-Zentrale am Rande von Hereford, und sie hatten sich die Aufnahmen bis auf den letzten Randstein eingeprägt. Die Männer mit den weichen Stiefeln stockten und stolperten nicht.

Sie waren ein Dutzend, und unter ihnen waren zwei Amerikaner, auf Drängen des US-Teams dabei, das sich in der Botschaft in London einquartiert hatte. Und zwei kamen vom britischen SRR, dem Special Reconnaissance Regiment, einer noch geheimeren Einheit als SAS und SBS, des Special Air Service und des Special Boat Service. Die Leitung hatte entschieden, das schlicht »Regiment« genannte SRR einzusetzen.

Eines der beiden SSR-Mitglieder war eine Frau. Die Amerikaner nahmen an, dies diene der Gendergerechtigkeit. Aber es war das Gegenteil. Bei der Observation hatte sich gezeigt, dass sich unter den Bewohnern des Zielhauses eine Frau befand, und selbst die harten britischen Einsatztrupps bemühten sich um ein bisschen Ritterlichkeit. Sinn der Anwesenheit des SRR, im Club mitunter auch als »Einbrecher Ihrer Majestät« bezeichnet, war die Ausübung eines seiner zahlreichen Talente – nämlich des verdeckten Eindringens.

Die Mission bestand nicht nur darin, in das Zielobjekt einzudringen und die Bewohner zu überwältigen; sie mussten auch dafür sorgen, dass sie drinnen von niemandem beobachtet wurden und dass keiner entkam. Sie näherten sich von allen Seiten, tauchten gleichzeitig rings um den Gartenzaun auf, vorn, hinten und zu beiden Seiten, durchquerten den Garten und umzingelten das Haus, immer noch unbemerkt von Nachbarn und Bewohnern.

Niemand hörte das leise Kreischen der Diamantspitze, die einen säuberlichen Kreis in die Scheibe des Küchenfensters ritzte, oder das leise Knacken, als das runde Glasstück mit einem Saugnapf herausgebrochen wurde. Eine Hand im Handschuh langte durch das Loch und entriegelte das Fenster. Eine schwarze Gestalt kletterte über den Fenstersims ins Spülbecken, sprang lautlos zu Boden und öffnete die Hintertür. Das Team schlüpfte herein.

Zwar hatten sie alle den Bauplan studiert, der beim Katasteramt eingereicht worden war, als das Haus gebaut wurde, aber sie benutzten trotzdem kleine Stirnlampen für den Fall, dass der Eigentümer Hindernisse oder gar Sprengfallen eingebaut hatte. Mit dem Erdgeschoss fingen sie an; sie bewegten sich von Zimmer zu Zimmer und vergewisserten sich, dass weder Wachtposten noch schlafende Bewohner, Stolperdrähte oder lautlose Alarmanlagen vorhanden waren.

Nach zehn Minuten nickte der Teamführer zufrieden und führte eine fünfköpfige Kolonne im Gänsemarsch die schmale Treppe hinauf in den ersten Stock dieses anscheinend völlig alltäglichen Eigenheims mit vier Schlafzimmern. Die beiden Amerikaner blieben unten. Sie waren zunehmend ratloser: Das hier war nicht die Art und Weise, wie sie ein hochgefährliches Terroristennest ausgeschaltet hätten. Zu Hause wären beim Eindringen in ein solches Haus bereits mehrere Magazine Munition verbraucht worden. Die Tommys waren eindeutig ziemlich verrückt.

Von oben hörte man erschrockene Rufe, die aber rasch aufhörten. Dann ein paar gemurmelte Befehle, und nach zehn Minuten erstattete der Teamführer seinen ersten Bericht. Er benutzte kein Internet und kein Handy – beides war nicht abhörsicher –, sondern ein altmodisches, verschlüsseltes Funkgerät. »Ziel unter Kontrolle«, sagte er leise. »Anwesende Personen: vier. Warten auf Sonnenaufgang.« Wer ihn hörte, wusste, was als Nächstes passieren würde. Alles war geplant und geprobt.

Die beiden Amerikaner, zwei U.S. Navy SEALs, berichteten ebenfalls an ihre Botschaft in London, am Südufer der Themse.

Für die »harte« Übernahme des Gebäudes gab es einen einfachen Grund. Auch nach einer Woche verdeckter Beobachtung war es in Anbetracht des Schadens an den Abwehreinrichtungen der ganzen westlichen Welt, der seinen Ursprung in diesem harmlos aussehenden Vororthaus hatte, noch nicht auszuschließen, dass sich hier Bewaffnete aufhielten. Möglicherweise versteckten sich Terroristen, Fanatiker oder Söldner hinter der unschuldigen Fassade. Darum hatte man dem »Regiment« erklärt, es gebe keine Alternative zu einem »Worst-Case«-Einsatz.

Aber eine Stunde später war der Teamführer wieder am Funkgerät.

»Sie werden nicht glauben, was wir hier gefunden haben.«

Sehr früh am Morgen des 3. April 2019 klingelte das Telefon in einem bescheidenen Schlafzimmer unter dem Dach des Special Forces Club in einem anonymen Townhouse in Knightsbridge, einem reichen Stadtteil im Londoner West End. Beim dritten Klingeln ging die Nachttischlampe an. Der Schläfer war jetzt hellwach und einsatzfähig – die Folge eines lebenslangen Trainings. Er schwenkte die Füße auf den Boden und warf einen Blick auf das leuchtende Display, bevor er das Gerät ans Ohr hielt. Dann schaute er auf die Uhr neben der Lampe. Vier Uhr früh. Schlief diese Frau denn nie?

»Ja, Prime Minister?«

Die Person am anderen Ende war anscheinend gar nicht im Bett gewesen.

»Adrian, tut mir leid, dass ich Sie um diese Zeit wecke. Könnten Sie um neun bei mir sein? Ich muss die Amerikaner begrüßen. Vermutlich werden sie auf dem Kriegspfad sein, und da brauche ich Ihre Einschätzung und Ihren Rat. Sie kommen um zehn.«

Immer diese altmodische Höflichkeit. Es war ein Befehl, keine Bitte. Aus alter Freundschaft nannte sie ihn beim Vornamen, aber er würde sie immer mit ihrem Titel anreden.

»Selbstverständlich, Prime Minister.«

Weiter gab es nichts zu sagen. Die Verbindung wurde getrennt. Sir Adrian Weston stand auf und ging in das kleine, aber ausreichende Badezimmer, um zu duschen und sich zu rasieren. Um halb fünf schritt er die Treppe hinunter, vorbei an den schwarz gerahmten Porträts aller Agenten, die sich vor so langer Zeit in das von den Nazis besetzte Europa aufgemacht hatten und nie zurückgekommen waren. Er nickte dem Nachtportier hinter der Rezeptionstheke im Foyer zu und trat ins Freie. Er kannte ein Hotel in der Sloane Street mit einem Café, das die ganze Nacht geöffnet war.

Kurz vor neun an einem strahlenden Herbstmorgen, am 11. September 2001, kurvte ein zweistrahliges amerikanisches Passagierflugzeug mit der Flugnummer American Airlines 011 auf dem Flug von Boston nach Los Angeles aus dem Himmel über Manhattan und raste in den Nordturm des World Trade Centers. Es war in der Luft von fünf Arabern im Dienst der Terrorgruppe al-Qaida gekapert worden. Der Mann am Steuerknüppel war ein Ägypter. Seine Helfer waren vier Saudis, die, bewaffnet mit Teppichmessern, das Kabinenpersonal überwältigt und den Ägypter ins Cockpit gebracht hatten.

Minuten später erschien eine weitere Linienmaschine viel zu tief über New York. Es war der United-Airlines-Flug Nummer 175, ebenfalls unterwegs von Boston nach Los Angeles, ebenfalls gekapert von fünf Al-Qaida-Terroristen.

Amerika, und wenige Augenblicke später die ganze Welt, sah voller Entsetzen zu, als sich das, was wie ein tragischer Unfall ausgesehen hatte, als etwas ganz anderes entpuppte. Die zweite Boeing 767 flog zielstrebig in den Südturm des World Trade Centers. Beide Wolkenkratzer wurden im mittleren Bereich massiv beschädigt. Unterstützt durch den Treibstoff aus den vollen Tanks der Maschinen brachen rasende Feuer aus und ließen die Stahlträger in den Gebäuden schmelzen. Eine Minute vor zehn sackte der Südturm zu einem Berg von rot glühendem Schutt zusammen, eine halbe Stunde später folgte der Nordturm.

Um 9:37 Uhr bohrte sich der American-Airlines-Flug Nummer 77, mit vollen Tanks unterwegs vom Dulles International Airport in Washington nach Los Angeles, in Virginia ins Pentagon. Auch dieses Flugzeug war von fünf Arabern entführt worden.

Die vierte Maschine, United Airlines 93, auf dem Weg von Newark nach San Francisco und ebenfalls in der Luft gekapert, wurde durch eine Passagierrevolte zurückerobert, aber zu spät, um das Flugzeug noch zu retten. Der fanatische Entführer saß immer noch am Steuer und ließ die Maschine auf den Feldern von Pennsylvania abstürzen.

Vor Sonnenuntergang dieses Tages, der heute schlicht als 9/11 bekannt ist, waren knapp dreitausend Menschen amerikanischer und anderer Nationalität tot, darunter die Besatzungen und Passagiere aller vier Flugzeuge, fast alle, die sich in den beiden Türmen des World Trade Centers aufgehalten hatten, sowie hundertfünfundzwanzig Personen im...