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Fremdkörper

Miriam Pielhau

 

Verlag mvg Verlag, 2009

ISBN 9783864151514 , 216 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR

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1. 
Hochzeitstag


Auf der Spüle steht ein Teller mit Essensresten. Eingetrocknete, plastikharte Nudeln, rötlich-braune Soße und fleischige Krümel. Kombiniere, kombiniere: Diese Indizien weisen auf die Spaghetti bolo vom Dienstagabend hin. Nicht gestern. Sondern Dienstag vor einer Woche Dienstag. Also: eine hübsche, 8 Tage alte, farblich absolut nicht mehr ansprechende, organische Kruste. Ein Seufzen wogt sich durch meinen Brustkorb. Mein Liebster ist absoluter Experte solcher – ich nenne sie mit dem Humor der Resignation – Projekte. Die Fragestellung und zur wissenschaftlichen Überprüfung freigegebene These ist dabei immer die gleiche: Was passiert wohl mit Biomüll in Raumtemperatur bei ausreichender Sauerstoffzufuhr und der konsequenten Verweigerung von Spülmittel und Schwamm? Auch wenn sich die Antwort (»Vergammeln!«) nicht verändert hat, seit wir uns Träume, Bett und Miete teilen, nimmt diese Versuchsreihe irgendwie kein Ende. Mich macht das kirre. So was. Und so kommt es, wie es in einem anständigen Haushalt halb zehn abends in Deutschland kommen muss: Das Weib meckert. Laut. Und lang. Und vor allem langweilig. Weil er die Sätze schon so gut kennt, dass er sie mitsprechen kann. Taktisch total unklug finden sich im Schimpfschauer überproportional oft die Worte »immer« und »nie« und »du«. Die ganzen BRIGITTE-Dossiers über harmonische Partnerschaften, sie haben nichts genützt. Natürlich nicht. Die Dame des Hauses echauffiert sich also aufs Feinste. Dabei weiß sie genau, dass das gar nichts bringt. Außer Ärger. Und zwar ihr. Und das auch noch doppelt. Wut, über seine Unordentlichkeit und ihre Kleinkariertheit. Danach geht es weiter wie immer. Sie grunzt. Er schmunzelt. Beide jeweils ein wenig vor sich hin. Dann nimmt er sie voller Liebe in den Arm und gelobt hoch und heilig Besserung. Das Versprechen hält. Zumindest bis zur nächsten biochemischen Studie. Zwei wie ganz schön viele auf der Welt. Ein Mittwochabend im frühen Frühling. Eigentlich alles ziemlich normal. Wenn da nicht diese Un-Normalität in ihrer Brust wäre.

Während der Groll sich trollt, macht er Platz für Gedanken an morgen. Morgen ist der 27. März. Und der ist besonders. Besonders schön. Aber auch besonders aufregend. Schön, weil wir an diesem Tag vor einigen Jahren geheiratet haben. Herrlich heimlich. In Las Vegas. Ohne Elvis. Mit Herzklopfen. Zwei, die nicht aus dem Spiele-Paradies abgeholt werden wollten. Und aufregend wird der morgige Tag, weil die Ärztin dann sagt, was das für ein dummes Ding ist, das mir seit geraumer Zeit Kummer macht.

Der Tag beginnt – natürlich – da, wo der vorangegangene aufgehört hat: extrem gemütlich im Bett. Wir haben uns beide heute freigenommen. Beim Versuch, zu planen, wie die nächsten Stunden schön und möglichst schön romantisch gestaltet werden können, muss ich mir ziemlich schnell eingestehen: Meine Gedanken sind so klar wie die WG-Fenster meines Bruders. Gar nicht. Ich bin ziemlich zerzaust – auf wie im Kopf. Heute um 14 Uhr kann ich das Ergebnis meiner Biopsie, also der Gewebeprobe, erfragen. Um 14 Uhr. Erst. Es ist jetzt 8 Uhr. Das bedeutet noch grauenvolle sechs Stunden der auf die Probe gestellten Geduld vor mir. Bäh. Heute fühlt sich Warten so endlos und quälend lang an, wie als 5-jähriges Kind das Warten aufs Christkind. Wenigstens liefen damals super Sachen im Fernsehen. Mein TV-Überbrückungsprogramm dagegen ist jämmerlich. Ich muss mir Menschen ansehen, die sich unhöfliche Sachen mit grammatikalisch fragwürdiger Syntax an den Kopf werfen. Oder Seifenopern, die das auslösen, was Seife so tut, wenn man sie schluckt: Brechreiz.

Daher nehmen sich meine Gedanken die ihnen zustehende Freiheit und schweifen ab. Die vergangenen Tage gehen mir durch den Kopf. Und, sagen wir mal so, es gab wirklich angenehmere in meinem Leben. Gestern musste eine Gewebeprobe aus der Brust entnommen werden, weil auf dem zuvor angefertigten Mammografie-Bild zwar kein Knoten, aber verdächtige Verästelungen zu sehen waren. DCIS – ein duktuales Carcinoma in situ, wie wir schnell lernen müssen. Eine Karzinom-Vorstufe. Nichts Gutes, aber kein Grund, den Glauben daran zu verlieren. Eine Vorstufe. Noch kein »echter« K ... Das sage ich seit dem Befund meinem Herzenskerl immer wieder mal laut – und mir selbst innerlich, leise tausendmal hintereinander. Auch heute. Erst recht jetzt. Dann ist es endlich halb zwei. Ich befinde, dass ich getrost eine halbe Stunde zu früh dran sein darf und wähle die Nummer meiner Radiologin. Nach außen mache ich mein bestes Es-wird-schon-nichts-sein-Gesicht. Ich weiß nicht, wie überzeugend meine Vorstellung ist, vertraue aber auf mein darstellerisches Talent, während sich in mir Angst und Hoffnung ein packendes Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Es kommen durchaus Ellenbogen zum Einsatz.

Während es tutet, muss ich an den Knubbel denken, den ich vor zwei Wochen in meiner Brust gefühlt, dem ich aber keine weitere Bedeutung beigemessen habe. Es lebe die Devise: »Was ich nicht wichtig nehme, ist es auch nicht.« Das Gesicht meiner Internistin taucht vor mir auf. Nicht besonders glücklich. Sie hatte bei mir vor einigen Tagen, kurz nach der Entdeckung des Knubbels, aufgrund meiner stark geschwollenen Lymphknoten am Hals eine Art Pfeiffer’sches Drüsenfieber diagnostiziert. (Das war zu meiner Studentenzeit sehr verbreitet. Jaja. Weil man als Student die Lebensabschnittsgefährten pro Semester zwei bis sieben Mal wechselt. Schon klar. Was hatte das bitte schön jetzt in meiner schon vor Langem eingeläuteten postakademischen Ära zu suchen?) Als ich ihr von meinem Tastbefund in der Brust berichte, bleibt das fest einkalkulierte: »Ach, das ist nichts«, aus. Stattdessen schickt sie mich zu meiner Gynäkologin. »Am besten heute noch.« Die sucht per Ultraschall nach der Ursache meines Übels. Findet nichts – und genau deswegen, dass ich dringend zur Mammografie gehen soll. Noch am selben Tag. Die plötzliche Eile allerorts hätte mich stutzig werden lassen müssen. Doch das schier endlose Vertrauen in mein persönliches Happy End wirkt wie ein Tranquilizer für die Seele. Spitzensystem mit prima Sicherheitsprogramm, unser Körper. Kaum etwas, das mich aus der Ruhe bringen kann. Noch nicht einmal dieser doch recht würdelose und durchaus schmerzvolle Vorgang des Brustscreenings, dem ich mich plötzlich ausgesetzt sehe. Meine schönen Stücke Fraulichkeit werden also abwechselnd zwischen diese Plexiglas-Platten gequetscht, bis sie trotz ihrer Fülle den flachestmöglichen Zustand erreicht haben. Das sieht nicht nur scheußlich aus, sondern tut mindestens genauso scheußlich weh. Allein: das Wissen um den Sinn dieser Übung macht die Sache aushaltbar. Die Bilder meines Busens machen auf den ersten Blick einen fantastischen Eindruck. Allerdings leider nur auf mich. In den Zügen der Ärztin lese ich Besorgnis. Das gute, gesunde Gewebe sieht gleichmäßig scheckig-fleckig aus. Eine Mammografie-Sinfonie in dunkel- und hellgrau. Was ihr nicht gefällt, das sind die weißen, zackigen, Ypsilon-ähnlichen Linien. Mikroverkalkungen. Aha. Zur Sicherheit soll das Gewebe probiert werden. Wieder geht alles ganz schnell. Termin schon am übernächsten Tag. Die Stunden jener Ungewissheit hätten quälend sein können. Waren sie aber nicht. Unerschütterlich meine Überzeugung, dass das alles gut ausgeht. Was soll denn schon sein? Sind wir nicht alle ein bisschen Wonderwoman? Bis jetzt immer unverwundbar. Selten beim Arzt. Nie wirklich krank. Ich treibe Sport, esse gesund und gut und habe auch keine familiäre Vorbelastung bei diesem Thema. Im Gespräch sage ich zu Thom: »Außerdem bin doch noch viel zu jung für ... für ... für diese Sache.« Versuch der Beruhigung, bei dem es mir schwerfällt, das Wort auszusprechen. Das fiese K-Wort. Das für eine Krankheit steht, mit der ich allzu oft kahle Köpfe, fahle Gesichter und den Tod in Verbindung gebracht habe. Das passt nicht in das Bild, das ich mir von meiner kleinen Welt gemalt habe. Denn im Pielhau’schen Paradies fließen Milch und Honig in Strömen, Bambis dopsen wie Doktor Schnaggels über Felder und Wiesen und alle sind glücklich und gesund. Diese K-Krankheit aber, die ist furchtbar. Und furchtbar weit weg. Menschen bekommen leider K ... . Andere. Aber doch nicht ich.

Am Tag der Biopsie laufe ich mit dem Selbstvertrauen wie nach einem Bad in Drachenblut in der Klinik auf. Erst im Wartezimmer kriechen langsam Zweifel an meiner Wird-schon-Theorie in mir nach oben. Warum ist die Lächelquote der mich betreuenden Ärzte in den vergangenen Tagen so niedrig? Warum muss alles so schnell gehen? Warum hat mich bis jetzt keiner entwarnt oder ermutigt? Und: Warum hat noch keiner gesagt, was auch im Internet steht, dass nämlich 80 Prozent aller Biopsien einen gutartigen Befund liefern? (Und damit bestimmt natürlich unbedingt auch bei mir.) Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht weiß, später aber durch vermutlich nervtötendes Nachfragen erfahren sollte: Schon damals befürchten alle das Schlimmste. Die Prinzessin würde unglücklicherweise nicht glücklich bis an das Ende ihrer Tage leben.

Zunächst muss die Prinzessin sich allerdings einmal mehr ganz und gar unmajestätisch bäuchlings in die Horizontale begeben. Die betroffene Brust entblößt und durch eine Öffnung im Tisch dem Arzt zur Gewebeentnahme freigegeben. Immer wieder knallt die spießähnliche Gerätschaft in mein weibliches Weichteil, wovon ich (Halleluja, Betäubung) weder etwas spüre noch sehe. Aber die Geräusche reichen, um den Vorhang in meinem Kopfkino zu heben. Der Film, der sich da abspielt, kreist um eine naive, gänzlich unmedizinische Frage: »Kann der mit dieser Kanüle nicht die...