dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Samurai 4: Der Ring der Erde

Chris Bradford

 

Verlag Ravensburger Buchverlag, 2011

ISBN 9783473384389 , 416 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz DRM

Geräte

9,99 EUR


 

3
Das Iga-Gebirge

Jack sah sich um. Die Wirtsstube bot ein Bild der Verwüstung. Tische waren umgekippt, die Hälfte der Decke war eingestürzt und auf dem Boden breitete sich ein klebriger See von Sake aus.

Der Wirt saß in der Ecke, die Hände in Verzweiflung vors Gesicht geschlagen.

Jacks Blick fiel auf die Münzschnur, die der Samurai zurückgelassen hatte. Er hob sie auf und gab sie dem Serviermädchen. »Das müsste reichen, um den Schaden reparieren zu lassen.«

Das Mädchen verneigte sich dankbar und steckte die Münzen in den Ärmel seines Kimonos.

»Warum hast du mir eigentlich geholfen?«, fragte Jack. Dass das Mädchen den Mut aufgebracht hatte zu kämpfen und darüber hinaus auch noch einem Ausländer geholfen hatte, überraschte ihn.

»Diese drei Samurai schikanieren unsere Gäste schon seit Langem«, erklärte das Mädchen. Mit einem scheuen, bewundernden Blick auf Jack fügte es hinzu: »Du bist der Erste, der sich wehrt… und sie besiegt hat.«

Der unter einem Berg von Bambus begrabene Anführer der Samurai stöhnte.

»Du musst fort«, sagte das Mädchen. »Sein Freund kehrt sicher bald mit Verstärkung zurück.«

Jack lächelte. »Wer glaubt schon einem halb nackten Samurai, der nach Sake stinkt?«

Das Mädchen kicherte, verstummte aber, als draußen die Glocke der Raststation schepperte.

»Geh jetzt!«, drängte es.

Jack schulterte hastig sein Bündel und spähte durch die Eingangstür. Draußen näherte sich ein Trupp Samurai.

»Komm mit«, sagte das Mädchen und führte ihn hinter den Tresen und durch eine kleine Küche zu einer Hintertür. Es griff nach einem mit Reis gefüllten Strohbehälter und drückte ihn Jack in die Hand. »Nimm das und folge diesem Weg nach Süden.«

Das Mädchen zeigte auf einen ungepflasterten Weg, der von der Straße abzweigte und dann in einem Wald verschwand.

»Wohin führt der?«, fragte Jack.

»Ins Iga-Gebirge.«

Jack schüttelte ratlos den Kopf. Das Gebiet der Ninja hatte er um jeden Preis meiden wollen, doch nun blieb ihm nichts anderes übrig. Er hörte das Splittern von Holz; die Samurai waren offenbar dabei, die Wirtshaustür einzutreten.

»Bleib auf dem Weg und nimm dich vor Räubern in Acht«, sagte das Mädchen.

»Danke.« Jack wusste, dass es sein Leben riskiert hatte, um ihn zu retten. »Aber was geschieht jetzt mit dir?«

»Gar nichts.« Das Mädchen scheuchte ihn fort. »Ich werde sagen, du hättest mich gezwungen, dir zu helfen.«

»Wo steckt der Gaijin?«, rief eine barsche Stimme in der Stube.

Jack hörte den Wirt gehorsam antworten und begann zu laufen.

»Und hüte dich vor den Ninja!«, rief das Mädchen ihm nach.

Vor den Samurai des Shoguns in das Kernland seiner Feinde zu fliehen, kommt einem Selbstmord gleich, dachte Jack. Doch das Geschrei in seinem Rücken trieb ihn weiter. Die Samurai hatten wütend die Verfolgung aufgenommen, und das Serviermädchen zeigte in seine Richtung und schrie in einem fort: »Dieb! Dieb! Er hat meinen Reis gestohlen!«

Sie ist so schlau wie Akiko, dachte Jack.

Erleichtert darüber, dass das Mädchen die Samurai von seiner Unschuld hatte überzeugen können, rannte er weiter. Er hatte die ersten Bäume schon fast erreicht, als ihn ein heftiger Schlag zu Boden warf. Benommen kroch er weiter und blickte über die Schulter. Die Samurai kamen rasch näher. Jetzt entdeckte er, was ihn getroffen hatte: Aus seinem Rücken ragte ein Pfeil.

Das war das Ende. Die Samurai würden kein Erbarmen mit ihm haben. Doch er spürte keine Schmerzen. Da begriff er, dass der Pfeil das Bündel auf seinem Rücken getroffen hatte, nicht ihn. Sofort sprang er auf und rannte zwischen die Bäume. Ein zweiter Pfeil flog über seinen Kopf hinweg und bohrte sich mit einem dumpfen Schlag in einen Baumstamm.

Er drehte sich nicht mehr um. Stattdessen rannte er noch schneller. Sein Herz hämmerte und seine Lunge brannte. Der Weg wand sich durch den Wald, wurde schmaler und führte aufwärts in die Berge, die die berüchtigte Provinz Iga säumten. Die Samurai holten weiter auf.

Jack rannte durch ein Bambusdickicht. Er zog sein Schwert und schlug damit im Laufen auf die hohen Stängel rechts und links ein. In Kaskaden fielen sie hinter ihm über den Weg und versperrten ihn. Die Samurai mussten anhalten und sich den Weg frei hauen. Dadurch gewann er ein wenig Zeit. Doch seine Verfolger würden ihn einholen, wenn er auf dem Hauptweg blieb. An einer Kreuzung entschied er sich deshalb für den kleinsten, am wenigsten ausgetretenen Pfad. Auf ihm gelangte er tiefer in den Wald. Das dichte Laub der Bäume verdeckte den Himmel und es wurde immer dunkler.

Jack ging langsamer und lauschte. Die Rufe der Samurai waren nur noch von ferne zu hören und wurden leiser. Er war ihnen entkommen, zumindest vorerst.

Er setzte sein Bündel ab, um zu verschnaufen. Neben dem Pfeil hing das kleine, rotseidene Säckchen, das sein Zen-Meister Sensei Yamada ihm geschenkt hatte. Es enthielt ein buddhistisches Amulett, das seinen Besitzer schützen sollte: ein wirksamer Schutz, wie Jack jetzt wusste. Er packte die Tasche aus und stellte fest, dass der Portolan seines Vaters ihn gerettet hatte. Die Pfeilspitze war in dem Ledereinband des Deckels stecken geblieben. Jack musste lachen. Er hatte den Portolan mit seinem Leben verteidigt und nun hatte sich das Buch revanchiert.

Mit einem solchen Portolan konnte man die Weltmeere sicher befahren. Das Logbuch seines Vaters war aufgrund der genauen Angaben besonders begehrt. Doch es war noch viel mehr als ein Hilfsmittel zur Navigation. Das Land, in dessen Besitz es gelangte, würde die Handelswege zwischen den Ländern und damit die Meere kontrollieren. Sein Vater hatte ihm eingeschärft, das Buch ja nie in falsche Hände geraten zu lassen. Einmal war es trotzdem passiert. Jacks Erzfeind, der einäugige Ninja Drachenauge, hatte den Portolan im Auftrag eines portugiesischen Jesuiten namens Pater Bobadillo gestohlen. Doch mithilfe von Akiko und Masamotos Sohn Yamato hatte Jack ihn wiederbeschaffen können; Yamato hatte dafür mit seinem Leben bezahlt. Drachenauge und Pater Bobadillo waren inzwischen ebenfalls tot und nur noch wenige Menschen in Japan wussten von der Existenz des Logbuchs. Einer davon war leider der Shogun.

Vorsichtig zog Jack den Pfeil heraus. Zu seiner Erleichterung waren nur die ersten Seiten beschädigt. Mit dem Portolan konnte er nach Hause zurückkehren, Steuermann werden wie sein Vater und für seine Schwester Jess sorgen. Außerdem war das Buch die letzte Erinnerung an seinen Vater. Jack spürte auch nach drei Jahren noch eine schreckliche Leere in seinem Herzen, wenn er an ihn dachte. Sein Kummer war mit dem Tod Drachenauges, der seinen Vater ermordet hatte, nicht verschwunden, doch der Portolan linderte die Trauer zumindest ein wenig. Immerhin lebte sein Vater in den vielen handgezeichneten Karten, persönlichen Aufzeichnungen und chiffrierten Botschaften weiter.

Jack wickelte das kostbare Logbuch wieder in das schützende Öltuch und verstaute es ganz unten in der Tasche, zusammen mit einem braunen Ersatzkimono, einer Schnur Kupfermünzen und zwei leeren Reisbehältern, die Akikos Mutter ihm mitgegeben hatte. Auch den frischen Reis, den das Mädchen ihm geschenkt hatte, legte er dazu. Anschließend überprüfte er seinen Inro, den an seiner Hüfte hängenden kleinen Holzbehälter. Der Inro enthielt einen aus Papier gefalteten Kranich, einen Glücksbringer seines Freundes Yori, sowie eine seltene schwarze Perle, ein Geschenk Akikos, das Jack besonders viel bedeutete.

Jack vermisste seine Freunde. Täglich fragte er sich aufs Neue, ob die Entscheidung, sie und vor allem Akiko zu verlassen, richtig gewesen war.

Der Abschied von Akiko war ihm am schwersten gefallen. Seit seiner Ankunft in Japan war sie ein wichtiger Teil seines Lebens gewesen und er fühlte sich verloren ohne sie. Doch er hatte keine andere Wahl, er musste gehen. Seine Schwester in England brauchte ihn und außerdem galt es in Daimyo Kamakuras neuem Japan als Verbrechen, einen Ausländer bei sich aufzunehmen. Wenn Jack in Toba geblieben wäre, hätte er gewiss das Leben seiner Freunde gefährdet.

Er selbst musste zu seiner Sicherheit unbedingt die Hafenstadt Nagasaki tief im Süden des Landes erreichen. Dorthin war er unterwegs. Und noch hatte er eine lange und gefährliche Reise vor sich.

Akiko hatte ihm geraten, die großen Straßen und Städte zu meiden, doch das war nicht immer möglich. Ohne Wegweiser und auf den meist schlechten Wegen kam er nur quälend langsam voran und lief jederzeit Gefahr, eine falsche Abzweigung zu nehmen. Außerdem musste er essen und seinen Proviant auffüllen. Deshalb hatte er die Raststation Shono am Tokaido aufgesucht.

Solche Raststationen für Reisende waren allerdings zugleich staatliche Kontrollpunkte. Und jetzt waren ihm die Samurai des Shoguns auf den Fersen und es bestand kaum noch Hoffnung, dass er Nagasaki erreichen würde. Er konnte nicht damit rechnen, ungeschoren durch den Süden Japans zu kommen.

Vielleicht...