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Kinder der Ewigkeit - Die Magier 4 - Roman

Pierre Grimbert

 

Verlag Heyne, 2009

ISBN 9783641024536 , 464 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

In meinem zweihundertjährigen Leben habe ich so viele Namen getragen, dass ich mich nicht mehr an alle erinnern kann. Wie viele mögen es erst in zwanzig Jahrhunderten sein? Oder in dreißig? In tausend?
Im Grunde ist mir das so egal wie der pelzige Hintern eines Margolins. Wichtig ist nur, dass ich so lange leben werde. Alles andere ist belangloses Geschwätz.
Als Kind riefen mich meine Eltern je nach Laune Maajo oder Maako. Mein Hauslehrer und die Diener nannten mich »gnädiger Herr von Kermond«. Mein erster Magiemeister wiederum gab mir den Beinamen »der Ökonom«. Hätte ich damals gewusst, dass mich dieser alberne Name mein ganzes sterbliches Dasein lang begleiten würde, hätte ich mir diesen bärtigen Dummkopf mit seinen lächerlichen Moralvorstellungen viel früher vom Hals geschafft.
Mein zweiter Meister sprach kaum mit mir, herrschte mich dafür aber umso häufiger an und warf mir allerlei Schimpfwörter und Beleidigungen an den Kopf. Die Meister des Feuers pflegen ihre Schüler Unterwürfigkeit zu lehren. Ich ertrug seine Demütigungen, bis er mir nichts mehr beibringen konnte. Rache ist süß …
An der Kaiserlichen Akademie wurde ich dann nur noch »Kermond« genannt. Manchmal musste ich dumme Spitznamen wie »Kehrbesen«, »Kehrblech« oder Ähnliches über mich ergehen lassen. Es war mir ein Rätsel, wie sich die anderen Schüler, die doch Gorans klügste Köpfe sein sollten, an derartigem Unsinn ergötzen konnten. Ich hatte nichts als Verachtung für sie übrig und konzentrierte mich ganz auf den Unterricht. Nach sechs Jahren an der Akademie hatte ich mein Ziel erreicht und trat direkt in den Dienst von Kaiser Mazrel ein.
Fortan wurde ich bis zu meinem siebenundsechzigsten Jahr »Exzellenz« genannt – jedoch nur offiziell. Hinter meinem Rücken fanden die Höflinge, Wachen und Diener weniger schmeichelhafte Bezeichnungen: Am beliebtesten waren »Hexer«, »falscher Hund« und »Heuchler«.
Geschwätz habe ich immer verabscheut. Es ist so belanglos. Zum Glück können einige Auserwählte dank der Magie nicht nur über gewöhnliche Sterbliche triumphieren, sondern zugleich jene bestrafen, die sich der Geschwätzigkeit schuldig machen.
Die Goroner haben schwache Herzen. So mancher wähnte sich im Kaiserlichen Palast in Sicherheit und starb im Kreise seiner Freunde einen elenden Tod, nachdem ich ihm aus der Ferne einen kurzen Blick zugeworfen hatte. Die Ehrerbietung, die mir die Überlebenden entgegenbrachten, war dafür umso aufrichtiger. Sie ergingen sich in Respektsbekundungen wie »Exzellenz« und »Hoheit«, und aus ihren Stimmen sprach die Furcht.
Wenn ich es mir recht überlege, wurde ich während meines gesamten sterblichen Daseins niemals Saat genannt.
Und so wie mein Dasein als Unsterblicher begonnen hat, wird sich daran in absehbarer Zeit wohl nichts ändern.
 
 
 
Unermüdlich suchte der Lorelier den Horizont ab, doch er sah nichts als das endlose Meer. Bei dem Gedanken, dass seine Reise gerade erst begonnen hatte, seufzte er laut auf. Wie lang würde es dauern, bis er die lorelische Küste erreichte? Sechs Tage? Acht? Und dabei zählte jeder Dekant. Jede noch so kleine Verzögerung konnte den Untergang der Oberen Königreiche bedeuten.
Unfassbar. Den Untergang der Oberen Königreiche, wiederholte er in Gedanken.
Der Mann gehörte der Grauen Legion an, einer Spezialeinheit der lorelischen Armee. Wie die Jelenis und die Königlichen Wachen unterstanden die Grauen Legionäre unmittelbar König Bondrians Befehl. Aber sie kämpften nicht mit Waffen, jedenfalls nicht nur. Die Legionäre arbeiteten stets allein, und ihre Missionen führten sie häufig in fremde Länder, in Friedens- wie in Kriegszeiten. Während die Königlichen Wachen Bondrians Leben beschützten und die Jelenis seinen Palast, war die Graue Legion dafür zuständig, seine Interessen zu wahren. Dazu mussten sie ihre Augen und Ohren überall haben. Böse Zungen hätte sie als Spione bezeichnet.
Im Grunde war die Mission in La Hacque ein Erfolg gewesen.
Seit Monden waren aus den Unteren Königreichen keine besonderen Vorkommnisse gemeldet worden. Wie schon seit zwanzig Jahren überfielen die Yussa unter Aleb dem Ramgrith die Nachbarländer im Süden und Westen. Doch nach zwei Jahrzehnten schienen selbst die gefürchteten Plünderer die Eroberungen leid zu sein. Alle Herrscher der bekannten Welt rechneten damit, dass die Yussa eines Tages die Fürstentümer angreifen würden, doch die Angriffslust des Königs von Griteh hatte offenbar mit der Zeit nachgelassen.
Daher hatte der Legionär eigentlich nur nach dem Rechten sehen sollen. Doch plötzlich hatten seine Feinde ihn von Yiteh bis Mythr gehetzt, durch die öde Steppe von Quesraba, die engen Gassen Gritehs und die breiten, glutheißen Straßen La Hacques. Er war seinen Häschern, pledischen Söldnern und Seeleuten aus Yérim, nur knapp entronnen.
Der einäugige ramgrithische König hatte sich als Meister der Geheimhaltung entpuppt. Der Legionär war aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen, als er immer mehr Hinweise darauf entdeckte, dass Aleb einen Angriff auf die Oberen Königreiche plante – und dass er genug Männer hatte, um den Sieg davonzutragen, falls Lorelien und Goran ihn nicht rechtzeitig aufhielten.
Erneut ließ der Mann seinen Blick über das Mittenmeer schweifen. Der Zweimaster war schnell, aber war er schnell genug? Er musste sein Ziel so rasch wie möglich erreichen und konnte nur hoffen, dass seine Verfolger ihn nicht einholten. Denn er wusste, dass der Ramgrith ihm noch immer auf den Fersen war.
Die Untätigkeit und Schweigsamkeit der Besatzung zerrten an seinen Nerven. Die Matrosen gehörten allesamt der Grauen Legion an, in unterschiedlichen Dienstgraden. Doch sie waren schon so lange fort aus Lorelien, dass ihnen das Königreich fremd geworden war. Untereinander sprachen sie Ramyth, und mehrere Männer beteten Alioss an. Mindestens einen hatte er im Verdacht, vom Gift der Daï-Schlange abhängig zu sein. Und zu allem Überfluss hingen die Matrosen einem törichten Aberglauben an. Zum Beispiel fürchteten sie sich vor einem schwarzen Ungeheuer, das angeblich die Gewässer heimsuchte, die sie soeben durchquerten. Sie machten sich vor Angst geradezu in die Hosen.
Der Legionär zuckte mit den Schultern und begab sich in seine Kajüte, um aus seinen verschlüsselten Aufzeichnungen einen anständigen Bericht zu schreiben. Doch er kam einfach nicht voran. Er vermochte nicht zu sagen, wie viele Galeeren, Großsegler, Kutter, Schoner, Fregatten und andere Kriegsschiffe im Hafen von Mythr vor Anker lagen. Er fand keine Worte für den überwältigenden Anblick, den die Flotte bot. Die Schiffe waren mit schwer bewaffneten Yussa und Horden von Rekruten von der Gefängnisinsel Yérim bemannt, und sein Bericht blieb zwangsläufig hinter der Wirklichkeit zurück. Für das Söldnerheer, das an der Mündung des Aòns lagerte, kamen ihm nur Vokabeln wie »gewaltig«, »ungeheuerlich« und »unfassbar« in den Sinn. Im Grunde hatte er das Bedürfnis, mit lauter Stimme davon zu erzählen und dabei mit den Händen zu fuchteln.
Nur ein Rätsel blieb ungelöst. Warum hatten sie Alebs Absichten nicht früher durchschaut? Die Kriegsvorbereitungen mussten seit mindestens sechs Monden im Gange sein.
Selbst bei allergrößter Vorsicht musste etwas von einem Plan derartigen Ausmaßes durchsickern. Auf die eine oder andere Art hätte Lorelien davon erfahren müssen.
Plötzlich ertönte von der Brücke ein Schrei, gefolgt von eiligen Schritten und einem lauten Platschen. Der Legionär stürzte zu einer Luke und sah gerade noch, wie der Körper eines Menschen in den Fluten versank.
Ein Mensch, dem der Unterleib fehlte.
Der Mann packte sein Rapier und streifte hastig das Kettenhemd über, ohne die offene Tür und die Treppe zum Deck aus den Augen zu lassen. Waren sie von einem anderen Schiff gekapert worden? Er hatte nichts gehört, und das Meer ringsum war spiegelglatt. War unter den Besatzungsmitgliedern eine Prügelei ausgebrochen? So brutal waren seine Männer nicht. War es ein Unfall? Ein zu straff gespanntes Seil?
Nein – an Deck wurde gekämpft. Matrosen jammerten, brüllten und flehten vergeblich um Hilfe. Der Legionär stellte einen Fuß auf die unterste Treppenstufe und blieb wie angewurzelt stehen. Der Angreifer brüllte vor Wut, dass es ihm in den Ohren dröhnte.
Es klang wie ein tiefes, durchdringendes und feindseliges Knurren, zehnmal so laut wie das eines ausgewachsenen Bären. Der Schrei verhallte über dem Meer.
Während der Angreifer dem letzten Matrosen den Garaus machte, stürzte der Legionär zurück in die Kabine und begann mit heftig zitternden Händen, seine Aufzeichnungen einzusammeln. Dann erkannte er, wie nutzlos sein Tun war.
Was nützte...