dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Gewalt entsteht im Kopf

Michael Günter

 

Verlag Klett-Cotta, 2011

ISBN 9783608101942 , 171 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

11,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

Derzeit können über den Shop maximal 500 Exemplare bestellt werden. Benötigen Sie mehr Exemplare, nehmen Sie bitte Kontakt mit uns auf.


 

Gewalt - ein menschliches Grundproblem Wie kommen Menschen dazu, Gewalt auszuüben? Warum beschäftigen sie sich in ihrer Fantasie mit Gewalt? Was sind das für Menschen, die unvermittelt einen anderen einfach zu Tode treten? Warum findet jemand Freude daran, andere zu quälen, vielleicht sogar zu töten? Was lässt Menschen Spaß empfinden an sexueller Gewalt gegen Kinder, an einer Vergewaltigung? Wie ist so etwas überhaupt möglich? Handelt es sich bei diesen Menschen einfach nur um Monster, oder lassen sich selbst bei solch extremen Verhaltensweisen ein Motiv bzw. bestimmte seelische Voraussetzungen für die Gewalt ergründen? Wie Gewalt im Kopf, wie Fantasien über Gewalt entstehen, wie es dazu kommt, dass sie schließlich in die Ausübung von Gewalt münden - darum soll es in diesem Buch gehen. Dabei wird das komplizierte Zusammenwirken vorangehender, oft prägender Lebenserfahrungen, psychischer Dispositionen und sozialer und situativer Einflussfaktoren aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet. Der Leser wird in verständlicher Weise über das in menschlichen Gesellschaften allgegenwärtige Phänomen Gewalt aufgeklärt. Durch ein umfassenderes Verständnis des Problems und der psychischen Mechanismen, die Gewalt bedingen, soll er in die Lage versetzt werden, zu einer rationaleren Diskussion in der Öffentlichkeit beizutragen. Es besteht nämlich beim Thema Gewalt immer die Gefahr, dass es uns ebenso ängstigt wie fasziniert und wir emotional so ergriffen werden, dass vernünftige Überlegungen, wie der Gewalt zu begegnen sei, von Angst, Wutgefühlen, Rachebedürfnissen und Vergeltungswünschen über lagert werden. Trotz des schwierigen und komplexen Themas soll dieses Buch nicht trocken und zu theoretisch ausgerichtet, sondern interessant und spannend zu lesen sein und dem Leser auch mögliche praktische Anwendungen aufzeigen, wie Gewalt wirksam begrenzt werden kann. Diesem Ziel dient folgende Vorgehensweise: Zum einen werden die wichtigsten Gewaltmechanismen anhand populärer Filme dargestellt und erläutert. Zum zweiten illustrieren in den meisten Kapiteln Fallbeispiele aus der beruflichen Tätigkeit des Autors die diskutierten Probleme. Schließlich werden am Ende jedes Kapitels die wichtigsten Überlegungen zusammengefasst und daraus Konsequenzen für den Umgang mit Gewalt abgeleitet: Wie kann das Verstehen der zugrundeliegenden Mechanismen zu einem wirksamen Begrenzen der Gewalt im Einzelfall führen? Und wie kann es vor allem konkrete und umsetzbare Hinweise auf notwendige Veränderungen in der gesellschaftlichen Diskussion und Praxis geben? Zunächst zu den Filmen: Sie ergreifen uns affektiv und lassen uns die Gefühle der dargestellten Protagonisten miterleben. Im Vergleich zu Werken aus der Literatur oder der bildenden Kunst und Fotografie entfalten sie eine besondere Wucht, indem sie Bild, Bewegung, Sprache und Musik kombinieren, sodass ein dichtes Gewebe von Sinneseindrücken entsteht, denen sich unsere Psyche oft kaum entziehen kann. In Filmen ist es außerdem möglich, unsere innere Welt der Fantasie, unsere Phantasmen, in sichtbarer Form in der Außenwelt abzubilden und uns für einen Moment fast vergessen zu lassen, dass sie nicht zur Realität geworden sind. Als Artefakte, vom Menschen gemacht, erlauben Filme eine Vereinfachung der Verhältnisse, und häufig arbeiten sie damit, dass die Protagonisten holzschnittartig in ihrer Psychologie in Szene gesetzt werden. Das mag zuweilen plump wirken, wenn es jedoch gut gemacht ist, werden die zugrundeliegenden psychischen Mechanismen umso schärfer und eindrucksvoller herausgearbeitet. Dies ist einer der Gründe, weswegen ich mich in meinen Überlegungen zu den psychischen Mechanismen der Gewalt vielfach auf sehr erfolgreiche Filme beziehe. Viele meiner Leser werden diese Filme kennen und können das, was ich erläutere, aus eigener Anschauung beurteilen. Filme sind trotz einer gigantischen Werbeindustrie, die die großen Kinoereignisse populär macht, nur dann erfolgreich, wenn es ihnen gelingt, die Gefühle vieler Menschen anzusprechen. Dies setzt voraus, dass die über die Geschichten transportierten Affekte bei den Zuschauern bereitliegende Gefühle abrufen. Wenn es dem Drehbuchautor, dem Regisseur, den Schauspielern und den Kameraleuten gelingt, intuitiv etwas davon einzufangen und in Szene zu setzen, wie wir Menschen Gefühle erleben und verarbeiten, funktioniert der Film. Diese Korrespondenz zwischen dem intuitiven Erfassen seelischer Mechanismen, ihrer grandiosen Inszenierung im Film und der Resonanz im Zuschauer geschieht weitgehend jenseits rational gesteuerter Prozesse, also zu großen Teilen unbewusst. Der Erfolg eines Filmes sagt allerdings nicht unbedingt etwas über seine künstlerische Qualität aus. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass Filme nur dann erfolgreich sind und von vielen Menschen gesehen werden, wenn sie auf irgendeiner Ebene Menschen in ihren seelischen Prozessen zu berühren und zu faszinieren vermögen. Filme eröffnen uns den Zugang zu einem »Zwischenreich der Fantasie«, wie Freud dies ausdrückte (1916 - 1917), bzw. einem Zwischenbereich zwischen innerer Erlebniswelt und realer äußerer Welt, einem »intermediären Bereich«, wie es der berühmte englische Kinderarzt und Psychoanalytiker Donald W. Winnicott 1971 formulierte. Reinhart Lempp, der sich intensiv mit jugendlichen Gewalttätern beschäftigte, sprach 2003 in diesem Zusammenhang von der »Nebenrealität«. Er wies darauf hin, dass wir alle, Kinder noch stärker als Erwachsene, zunehmend durch die Bildmedien der modernen Welt in unseren Nebenrealitäten geprägt werden. Diese Nebenrealitäten haben eine entlastende Funktion, da sie uns zeitweise von der Mühsal des Alltags befreien und unsere Abwehr gegen diffuse Ängste in einer zunehmend komplexeren Welt unterstützen. Sie können aber auch gefährlich werden, wenn sie übermächtig werden und die Hauptrealität zu verdrängen beginnen. Dies wirft natürlich die Frage auf, inwieweit Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene durch Gewaltdarstellungen in den Medien in Richtung eines gewalttätigen Verhaltens beeinflusst werden. Nicht nur die Rolle der sogenannten Egoshooter bei der Auslösung von Amokläufen (siehe Kapitel 9) wird in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert, sondern generell die Gewaltdarstellungen und Gewaltfilme. Aus soziologischer Perspektive tendiert die Forschung derzeit zu der Einschätzung, dass der Einfluss umso größer ist, je realistischer die abgebildete Gewalt dargestellt wird und je positiver deren Darstellung erscheint. Michael Kunczik und Astrid Zipfel argumentieren anhand einer Studie (2006), dass die in Comic-Serien dargestellte Gewalt als recht unproblematisch einzuschätzen ist, da sie eindeutig als Fiktion erkannt wird. Dagegen können Thriller mit gewalttätigen Helden, die als Identifikationsfiguren angeboten werden, vermutlich gewaltbereite Kinder und Jugendliche in eine entsprechende Richtung stimulieren. Befunde aus der neurowissenschaftlichen Hirnforschung legen nahe, dass der Konsum von Gewalt in Bildmedien, also in Filmen und in Computerspielen, das kindliche und jugendliche Gehirn so prägt, dass einerseits eine Abstumpfung gegen Gewalt eintritt und andererseits die Hemmschwelle erniedrigt und eine entsprechende Handlungsbereitschaft erhöht wird. Außerdem entsteht dadurch, so stellte Manfred Spitzer (2005) fest, ein verstärkter Appetit auf mehr Gewalt in den Medien, aber genauso im realen Leben. Diese Theorien sind jedoch in ihrer Bedeutung für das reale Verhalten von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen umstritten. Man kann allerdings feststellen, dass es einen zwar geringen, aber doch messbaren statistischen Zusammenhang zwischen dem Konsum von gewalttätigen Video- und Computerspielen auf der einen Seite und realer Gewaltanwendung auf der anderen Seite gibt. Ältere Untersuchungen gingen davon aus, dass dieser Zusammenhang wahrscheinlich vor allem bei Jugendlichen besteht, bei denen mehrere Risikofaktoren für aggressives Verhalten zusammentreffen, die bereits zuvor aggressive Handlungsdispositionen aufwiesen und die sich über das exzessive Spielen von Gewaltspielen in eine soziale Isolation brachten. Neuere Studien und zusammenfassende Analysen mehrerer Studien legen jedoch nahe, dass unabhängig davon der Konsum gewalthaltiger Videospiele einen kausalen Risikofaktor für eine Zunahme aggressiven Verhaltens, aggressiver Gedanken und aggressiver Affekte und für eine Abnahme von Empathie und sozialen Verhaltensweisen darstellt (Anderson et al. 2010, Barlett et al. 2009). Psychologisch gesehen kommt die Gefährdung durch eine mögliche Induktion von Gewalt wohl dann zustande, wenn die Betreffenden sich immer weiter in derartige Nebenrealitäten einspinnen und reale soziale Bezüge mehr und mehr vernachlässigen bzw. sich von ihnen ausgeschlossen fühlen. Dann werden realistische Filme mit grausamem Charakter aufgrund der Macht der Bilder, ihrer permanenten Verfügbarkeit und ihres potentiell antisozialen Sogs gefährlich (man kann solche Videos problemlos stundenlang Tag für Tag alleine anschauen). Diese Gefährdung entspringt einer komplexen psychosozialen Problemlage, bei der exzessiver Gewaltkonsum aus Filmen oder Computerspielen nur einen Faktor darstellt und betrifft daher vermutlich nur eine kleine Minderheit. Es ist dennoch zu fragen, ob nicht die Gefährdung dieser kleinen Gruppe und die potentielle Gefahr, die von ihr und ihrem Konsum gewalttätiger Filme ausgeht, Anlass geben müsste, über eine erheblich restriktivere Handhabung von Gewaltdarstellungen in Fernsehen, Film und Computermedien ernsthaft nachzudenken. Um ein mögliches Missverständnis gleich auszuschließen: Die im Folgenden verwendeten Filmbeispiele sollen das, was ich aus wissenschaftlicher Sicht zum Thema Gewalt entwickeln werde, anschaulich darstellen und für den Leser nachvollziehbar machen. Sie sind jedoch nicht dazu da, meine Überlegungen zu beweisen. Fallbeispiele aus meiner klinischen Arbeit erfüllen die Argumentation mit Leben. Dabei habe ich aus Diskretionsgründen die Namen der Betroffenen und ihre biografischen Details verändert. Die meisten Falldarstellungen sind so entstanden, dass ich mehrere meiner Patienten, die in ihrer Biografie vergleichbare Probleme aufwiesen, in der Darstellung miteinander kombiniert habe. So konnten nicht nur die Anonymität und Privatsphäre der Betreffenden gewahrt, sondern auch typische Elemente besser herausgearbeitet werden. Grundsätzlich ist festzuhalten: Gewalt beschäftigt uns Menschen über alle Zeiten hinweg. Sie entsteht zunächst im Kopf. Die großen Mythen der Menschheit handeln zu großen Teilen von Mord und Totschlag, Kriegen und tödlichen Gefahren. Das erste bedeutende Epos des Abendlandes, Homers »Ilias«, der Krieg zwischen den Griechen und Trojanern, der durch den Raub Helenas ausgelöst wurde, handelt nahezu ausschließlich von meist exzessiver Gewalt. Auch die Bibel lässt die Menschheitsgeschichte mehr oder weniger mit der Ermordung Abels durch Kain beginnen, nachdem Gott das Opfer Abels dem des Kain vorgezogen hatte. Der Ödipus-Mythos handelt von Gewaltverhältnissen, Angst und Neid: Ödipus wurde aufgrund der Weissagung, dass er seinen Vater töten und seine Mutter heiraten werde, als Kind von seinen Eltern auf einem Berg ausgesetzt. Seine Füße wurden zusammengebunden und durchstochen. Daher der Name Ödipus, »Schwellfuß«. Schließlich begegnete er seinem Vater auf dem Weg und erschlug ihn, als dieser nicht weichen wollte, heiratete seine Mutter und blendete am Ende sich selbst. Gewalt vermag, wie wir Tag für Tag in den Medien feststellen können, die meisten von uns zu faszinieren. Sie erregt Angst in uns, die uns Schauer über den Rücken jagt, dann jedoch genussvoll erlebt werden kann, wenn es die begründete Zuversicht gibt, dass am Ende doch alles gut ausgeht. Dies macht den Reiz von Gewalt in der Fiktion aus: im Mythos, im Theater, im Märchen, im Roman und heutzutage in den modernen Bildmedien Fernsehen, Film und Computerspielen. Gewalt wird allerdings nicht immer nur als böse Macht dargestellt und erlebt, sondern sie wird auch - wie immer man im Einzelfall dazu stehen mag - dazu eingesetzt, Gerechtigkeit, Sicherheit und Freiheit von Angst wiederherzustellen, dem Recht und der Freiheit Geltung zu verschaffen. Der Gewaltexzess vor Troja einigte die Griechen und verschaffte ihnen eine kulturelle Identität, ein Wir-Gefühl, auf dem sich die klassische griechische Kultur aufbauen ließ. Gewalt also als Gründungsmythos der abendländischen Kultur, man könnte sogar sagen als Kitt, der überhaupt erst eine bestimmte Gesellschaft mit einer von anderen abgegrenzten Identität entstehen ließ. Diese Möglichkeit, Gewalt zu verstehen, arbeitete der Tübinger Literaturwissenschaftler Jürgen Wertheimer (2004) heraus. Gewalt ist daher in unserem Erleben womöglich noch schillernder als alle anderen psychischen Phänomene, die uns beschäftigen. Die Beschäftigung der Menschen mit Gewalt ist ebenso allgegenwärtig wie ihre Auseinandersetzung mit der Frage nach Gut und Böse und nach Leben und Tod. Gewalt ist nicht nur in ihren realen Erscheinungsformen - Mord und Totschlag, Gewaltkriminalität, Krieg, Terrorismus, Folter, Staatsterror, Todesstrafe, Verfolgung bis hin zur rechtsstaatlich abgesicherten Bekämpfung der Gewalt mit Gewaltmitteln und Naturgewalten - eines der zentralen, wenn nicht das zentrale Thema in allen Medien, in Literatur, Film und Unterhaltungsindustrie. Gewalt ist auch etwas, was uns in unserem Fanta sie leben ständig beschäftigt, ebenso fasziniert wie beunruhigt und erschreckt. Bewusst lehnt die Mehrzahl der Menschen Gewalt ab und verknüpft sie mit Abscheu und Ekel. Dennoch konsumieren wir gerne Kriminalromane oder Krimis im Fernsehen, Actionthriller oder Psychothriller, und wir sehen Nachrichten, die von Gewaltereignissen nur so strotzen. Nicht wenige lesen als erstes in der Tageszeitung die Berichte über Verbrechen. Viele von uns sehen gerne Boxkämpfe, Autorennen oder Fußballspiele, bei denen uns ab gemilderte, sublimierte Formen der Gewalt unterhalten sollen. Gerne distanzieren wir uns allerdings von Gewalt und schieben sie anderen zu. Nicht wir sind es, die die böse Tat begehen, um unsere Interessen durchzusetzen, sondern die anderen sind die Bösen. Nicht wir neigen zu Gewalt, sondern die anderen, und wir müssen uns schließlich zur Wehr setzen. Die Bernwardstüre im Hildesheimer Dom, eine romanische Bronzetüre von 1015, zeigt eindrücklich diesen Mechanismus der Projektion anhand der Verurteilung Adams und Evas durch Gott. Nachdem Eva durch die Schlange verführt wurde und Adam und Eva den Apfel vom Baum der Erkenntnis gegessen haben, zeigt Gott mit seinem Finger vorwurfsvoll auf Adam. Der wiederum hält sich mit der linken Hand ein Feigenblatt vor die Scham und zeigt unter seinem Arm hindurch mit der rechten Hand auf Eva, die sich ebenfalls ein Feigenblatt vor die Scham hält und mit dem Finger auf die Schlange zeigt. Auf diese Weise entlasten wir uns durch Projektion der bösen Tat und der bösen Gedanken auf die anderen. Die Jugendlichen sind es, die Gewalttaten ausüben, die arabischen Terroristen oder der gewaltgeneigte frühere amerikanische Präsident Bush, wir haben jedoch keine Affinität zur Gewalt. Es bleibt also festzuhalten: Unsere Kultur und alle uns bekannten Kulturen hatten und haben sich mit dieser menschlichen Grundproblematik der Gewalt auseinanderzusetzen. Aggression und ihr Ausfluss, die Gewalt, scheinen zur Grundausstattung des Menschen zu gehören. Kultur hat also die Aufgabe, denkbare Lösungen für dieses beunruhigende Phänomen, das die menschliche Entwicklung ebenso wie das gesellschaftliche Zusammenleben kennzeichnet, zu entwickeln (Günter 2008). Gewalt verstehe ich dem heutigen Sprachgebrauch entsprechend in ihrer negativen Bedeutung als die unrechtmäßige Ausübung von psychischem oder physischem Zwang auf Menschen. Durch Gewalt werden andere Menschen vorsätzlich geschädigt und in ihren Rechten beeinträchtigt. An diesen Gewaltbegriff angelehnt ist auch der Begriff der strukturellen Gewalt, bei der gesellschaftliche und institutionelle (Herrschafts-)Strukturen dazu führen, dass Menschen in ihrer Entwicklung und der Verwirklichung ihrer legitimen Rechte eingeschränkt werden. Derartige Gewaltstrukturen verwirklichen sich ebenfalls durch menschliches Handeln, wobei jedoch die gesellschaftlich-institutionell-ideologische Einbindung des Gewaltausübenden gegenüber seiner individuellen Motivation zur Gewalt in den Vordergrund tritt. Der Begriff der Aggression unterstreicht die subjektive Seite von Gewalt. Er bezeichnet ein affektbedingtes Angriffsverhalten, betont also die emotionalen Reaktionen und das Verhalten des betreffenden Menschen. Destruktivität bezeichnet in dem Zusammenhang zerstörerische Aspekte aggressiven menschlichen Verhaltens. Sie kann sich bis zur Lust an der Zerstörung steigern. In der wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion stehen sich im Kern zwei Positionen gegenüber: Die einen sehen Aggressivität und Destruktivität als eine menschliche Grundeigenschaft. Die Argumente dafür stammen aus unterschiedlichen Disziplinen, können biologisch, ethologisch, ethisch, philosophisch oder religiös hinterlegt sein. Berühmt geworden ist Thomas Hobbes (1588 - 1679) durch seine Überzeugung »Homo homini lupus« (Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf), auf dieser Erkenntnis begründete er seine Staatslehre. Die Gegenposition sieht menschliche Destruktivität vor allem als Reaktion auf Traumatisierungen, in der klassischen Formulierung als Frustrationsaggressionshypothese der Yale-Schule oder aktuell im Zuge der Diskussionen über die Rolle traumatischen Erlebens für die Entwicklung aggressiver Handlungsbereitschaften. Ich selbst halte prinzipiell beide Positionen für richtig. Dabei gehe ich davon aus, dass uns Menschen ein aggressives Potential zu eigen ist. Dieses aggressive Potential ist für unsere Entwicklung notwendig. Bei einer günstigen Entwicklung kann es konstruktiv eingesetzt bzw. in seinen destruktiven Aspekten weitgehend in der Fantasie gehalten werden. Bei Traumatisierungen kann es zu einem Rückgriff auf primitive aggressive Funktionsmuster kommen. Gewalt beginnt im Kopf. Unsere Fantasien, unsere Mythen, unsere Erzählungen, die von Gewalt handeln, eröffnen aber ebenso wie die Bilder, die uns mit Gewalt zu beeindrucken vermögen, auch die Möglichkeit, Gewalt sozial verträglich zu machen. Ihre Darstellung kann auch als Versuch verstanden werden, sich über dieses zutiefst beunruhigende Thema in einer Gesellschaft zu verständigen. Nicht immer allerdings wird das Ergebnis günstig sein, sondern es ist davon auszugehen, dass jede Beschäftigung mit Gewalt zwiespältige Gefühle und Reaktionen erzeugt. Die Auseinandersetzung mit Gewalt wird uns daher auch in diesem Buch mit den Ambivalenzen unseres Gefühlslebens konfrontieren. Sie wird uns bewusst machen, in welchem Ausmaß wir die Möglichkeit zur Gewalt in uns tragen. Ein weiteres Anliegen dieses Buches ist es, Wege aufzuzeigen, mit Hilfe derer das Umsetzen von Gewalt in Handlungen wirksam zu begrenzen ist.