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Preußen - Kleine Geschichte eines großen Mythos

Wolfgang Wippermann

 

Verlag Verlag Herder GmbH, 2011

ISBN 9783451338502 , 200 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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10,99 EUR


 

1. „Ich bin ein Preuße“

Prussen und Ordensritter


„Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben? Die Fahne schwebt mir weiß und schwarz voran; dass für die Freiheit meine Väter starben, das deuten, merkt es, meine Farben an“ – heißt es im „Preußenlied“. Über seine Schönheit kann man streiten. Doch das wollen wir nicht tun. Stattdessen fragen wir, wer denn dieser „Preuße“ war und warum seine „Farben“ „weiß und schwarz“ sind.3 Wir beginnen mit der ersten Frage und hören zunächst einmal, was Peter von Dusburg in seiner 1324 fertiggestellten „Chronicon terre Pruscie „ – Chronik des Preußenlandes – über die „Preußen“ zu berichten wusste: „Die Preußen schnitten Bruder Johannes den Nabel aus dem Leib, nagelten diesen an einen Baum an und trieben den Unglücklichen mit Keulenschlägen so lange um den Baum herum, bis alle Eingeweide herausgewunden waren und der Mensch tot danieder fiel“.4

Die „Preußen“ trieben aber noch andere schlimme Dinge. So sollen sie einem gefangenen Priester den Hals zwischen zwei Stangen gepresst haben, bis dieser qualvoll starb. Vor Beginn einer ihrer vielen Heerzüge sollen sie Gefangene an einen Baum gefesselt haben, um dann mit Pfeilen oder Spießen auf ihr Herz zu zielen. Wenn sogleich viel Blut aus der Wunde heraus quoll, soll dies als gutes Omen gegolten haben. Die „preußischen“ Männer sollen das Recht gehabt haben, ihre kranken Frauen, Kinder, Brüder und Schwestern ohne weiteres zu verbrennen. Das gleiche Schicksal soll auch Ehefrauen ereilt haben, die ihren ehelichen Pflichten nicht nachkamen. Und dies obwohl die „preußischen“ Männer gleichzeitig drei Ehefrauen haben durften.

Genug dieser Schauergeschichten über „die Preußen“. Sie handeln ohnehin nicht von „den Preußen“ des Preußenliedes, sondern von den Angehörigen des Volkes, die in den lateinischen Chroniken als „pruteni“ und in den mittelhochdeutschen als „pruzin“ oder „pruzzen“ bezeichnet wurden. Die, wie die korrekte Aussprache lautet, „Prussen“ waren längst nicht so barbarisch und blutrünstig, wie sie von ihren Feinden dargestellt wurden. Das waren die Ritter des Deutschen Ordens, der offiziell „ordo fratrum domus Sanctae Mariae Teutonicorum Ierosolimitanorum“ (= Orden der Brüder vom Deutschen Haus Sankt Mariens in Jerusalem) hieß. Seine Mitglieder trugen auf ihren weißen Mänteln ein schwarzes Kreuz. Und von dieser weiß-schwarzen Mantelfarbe hat der Preuße des Preußenliedes seine „Farben weiß und schwarz“.

Das ist nun wirklich sehr verwirrend und bedarf der näheren Erklärung. Dabei müssen wir tief in die Geschichte zurück und zunächst weit weg von Preußen gehen. Genauer in das Jahr 1190 und vor die Stadt Akkon im Heiligen Land. Denn hier wurde in einem Zeltlager vor der belagerten Stadt Akkon der erwähnte Deutsche Orden gegründet. Er sollte sich der Krankenpflege widmen. 1198 wurde aus diesem Krankenpflege- ein Ritterorden. Seine Hauptaufgabe bestand in der Bekämpfung der Heiden, zu denen vor allem die Muslime gerechnet wurden. Wohlgemerkt im notorisch unfriedlichen Heiligen Land und nicht im schönen (Ost-)Preußen. Seine Bewohner, die bereits erwähnten Prussen, waren aber im beginnenden 13. Jahrhundert auch noch Heiden. Hatten sie sich doch gegen die Bekehrungsversuche ihrer polnischen Nachbarn heftig und erfolgreich gewehrt. Dies missfiel einem polnischen Herzog namens Konrad von Masowien sehr, der zudem danach trachtete, sich in den Besitz des Landes der heidnischen Prussen zu setzen. Um dieses höchst eigennützigen und keineswegs christlichen Ziels willen, rief Konrad von Masowien den Deutschen Orden zur Hilfe. Das war im Jahr 1224.

Der Deutsche Orden kam jedoch nicht sofort, sondern sicherte sich erst einmal die Unterstützung Kaiser Friedrichs II., der dem Orden im Jahr 1226 das gesamte noch zu erobernde Land der Prussen schenkte, weil es schon immer „unter der Herrschaft des Reiches“ (sub monarchia imperii) gestanden hätte. Eine sehr gewagte Behauptung, was schon einigen mittelalterlichen Zeitgenossen durchaus bewusst war. Zu ihnen gehörte der polnische Vertreter auf dem Konzil von Konstanz von 1414 bis 1418, Paulus Wladimiri, der kühl und trocken darauf hingewiesen hat, das niemand etwas verschenken könne, was ihm gar nicht gehöre – „nihil dat, quod non habet“.5 Doch diese staatsrechtlichen Fragen und die sonstigen Ansprüche der Polen auf das Land der Prussen haben den Orden nicht weiter interessiert. 1230 begann er mit dem Krieg gegen die Prussen. Der Krieg erwies sich als blutig und lang. Die mit Keulen, dann aber auch mit Lanzen, Schilden und selbst Armbrüsten bewaffneten Prussen wehrten sich tapfer. Doch schließlich war alle Mühe umsonst. Die Prussen mussten sich ergeben und zum Christentum übertreten. Ausgerottet wurden sie jedoch nicht. Allerdings hatten sie eine andere und schlechtere Rechtsstellung als die vom Orden ins Land geholten deutschen Siedler, so dass in den Quellen zwischen „Pruzin“ und „Dutschin“ unterschieden wurde. Doch diese „Pruzin“ und „Dutschin“ glichen sich dann doch rechtlich und kulturell einander an und wurden zu „Preußen“.

Dies geschah nicht gegen, sondern mit dem Willen der Landesherren, der Ritter des Deutschen Ordens, die sich schon im ausgehenden 13. Jahrhundert nach dem von ihnen unterworfenen prussischen Volk benannten. Ihr Landmeister wurde „magister terre Prussie“ oder „Preußenland meyster“ genannt. Die in Preußen eingesetzten Ordensritter wurden ebenfalls als „Preußen“ bezeichnet, obwohl sie in der Regel aus allen Teilen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation stammten. Nachdem der Deutsche Orden im Jahr 1309 auch Danzig und das zwischen Preußen und Pommern gelegene Pommerellen erobert hatte, wurden aus den dort lebenden Deutschen, Polen und Kaschuben ebenfalls „Preußen“.

Der preußische Ordensstaat war jetzt zu einer Großmacht geworden, die in ganz Europa beneidet und bewundert, aber auch gefürchtet wurde. Letzteres vor allem von Polen, das sich schon bei der Eroberung des Landes der alten Preußen – dem späteren Ostpreußen – übergangen fühlte und dem Deutschen Orden den Besitz Danzigs und Pommerellens, das später Westpreußen genannt wurde, missgönnte. Es kam zu verschiedenen Kriegen zwischen Polen und Preußen, die zunächst zugunsten Preußens ausgingen. Doch dann verlor der Deutsche Orden die entscheidende Schlacht von Tannenberg im Jahr 1410. Dem siegreichen und inzwischen mit Litauen vereinigten Polen gelang es jedoch nicht, sich in den Besitz von Danzig und Pommerellen sowie des restlichen Ordensstaates zu setzen.

Der Deutsche Orden überwand die Niederlage von Tannenberg, sann auf Rache und rüstete auf. Dazu erhöhte er die Steuern. Das missfiel naturgemäß seinen Untertanen. Allen voran den reichen und mächtigen Bürgern Danzigs und den selbstbewussten Angehörigen des preußischen Adels. Sie verübelten dem Orden außerdem, dass dieser keine „inzcogelinge disses landes“, d. h. Preußen, sondern nur „auslender“, womit Deutsche aus dem Reichsgebiet gemeint waren, in seine Reihen aufnahm.

1453 kam es zum Bruch. Unter Führung Hans und Stibor von Baysens gründeten die preußischen Stände einen „Bund vor“, d. h. gegen die Gewalt des Ordens und kündigten ihm die Gefolgschaftstreue auf. Dies war Revolution. Eine preußische Revolution! Doch da sie sich allein für zu schwach hielten, riefen die aufständischen preußischen Stände den polnischen König zur Hilfe, dem schließlich 1466 nach einem verheerenden 13-jährigen Bürgerkrieg die westlichen Teile des Ordensstaates und das Ermland unterstellt wurden. Damit war Preußen geteilt, was die aufständischen Preußen aber keineswegs gewollt hatten.

Das Gemeinschaftsgefühl der Preußen im königlich polnischen Teil Preußens und im Rest-Ordensstaat, aus dem dann 1525 das ebenfalls polnische Herzogtum Preußen wurde, hielt auch in der Folgezeit an. Aus Prussen und Deutschen sowie aus den im 15. Jahrhundert aus Masowien ins südliche Ostpreußen eingewanderten Masuren waren Preußen geworden. Ein deutscher Neustamm mit einem eigenen Dialekt und einem, wenn man will, multikulturellen Charakter.6 Aus Sicht des Heiligen Römischen Reiches vielleicht etwas abgelegen, aber mit einer wirklichen Metropole – Danzig, mit dem das Berlin des 16. und auch noch 17. Jahrhunderts nicht im entferntesten zu vergleichen war. Außerdem mit einer Universität, der Albertina in Königsberg, die weit nach Westen und noch mehr nach Osten ausstrahlte, und für die es in Berlin überhaupt kein Äquivalent gab.

In Königsberg ließ sich der brandenburgische Kurfürst Friedrich III. 1701 zum König Friedrich I. „in Preußen“ krönen. Die merkwürdige Formulierung „König in Preußen“ erfolgte aus Rücksicht auf Polen, das ja noch im Besitz der westlichen Teile des ehemaligen preußischen Ordensstaates war – dem späteren Westpreußen. Die Preußen im damaligen Herzogtum Preußen – dem späteren Ostpreußen – fühlten sich durch die Königsberger Krönung geehrt und wiesen stolz darauf hin, dass es mit dem sagenhaften prussischen Waidewuth schon einmal einen preußischen König gegeben habe, nämlich den, wie sich der Historiker Johann Peter von Ludewig ausdrückte, „ersten großen Souverän in Preußen“.7 Tatsächlich zog ein gewisser Johann Georg Grüwel in einem Gedicht auf die Königsberger Krönung eine Art monarchische Kontinuität vom prussischen Waidewuth bis zum brandenburgischen...