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Das Diamantenmädchen (eBook)

Ewald Arenz

 

Verlag ars vivendi, 2011

ISBN 9783869131610 , 316 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

 

1

Die Photographen brachten sich in Stellung. Die beiden Saaldiener huschten mit hastigen Verbeugungen von einem zum anderen und gaben sich vergeblich Mühe, die Herren zu bitten, den Boden zu schonen: Die großen Holzstative schurrten trotzdem mit ihren Stahlspitzen auf dem Parkett der Halle. Lilli sah den alten Männern in ihren viel zu großen Uniformen mit einem flüchtigen Mitleid zu. Denen steckte noch die alte Zeit in den Knochen, noch vor zehn Jahren hatte man wohl niemanden darauf aufmerksam machen müssen, welches Benehmen bei solchen Anlässen angebracht war. Sie hatte schon viel zu oft gesehen, wie nachlässig, überheblich und schnodderig sich die Bildreporter der großen Berliner Zeitungen gerne gaben. Es hatte auch kaum einer von ihnen die Mütze oder den Hut abgenommen, obwohl die Saaldiener mit lächerlich übertriebenen Handzeichen immer wieder vormachten, was die Höflichkeit eigentlich gebot. Auch die meisten ihrer Kollegen hatten den Hut noch auf. Vielleicht lag es einfach daran, dass sie neben Notizblock und Bleistift nicht noch etwas in der Hand halten wollten, aber wahrscheinlich waren es einfach die modernen Tage. Alles hastete, eilte, telephonierte; jeder war so beschäftigt, dass er keine Zeit mehr hatte, den Hut zu ziehen – oder auf diese Weise wenigstens so tun konnte, als ob er wichtig sei. Berlin war zu einer Stadt geworden, in der die Uhren nicht mehr gemächlich gingen und gewichtig die Stunden schlugen, sondern nervös tickten und unruhig läuteten. Der Verkehr rauschte Tag und Nacht, die Straßenlaternen brannten bis zum Morgen, irgendein Café hatte immer auf. Es war wunderbar, aufregend, spannend – und trotzdem war da etwas von der Gelassenheit des Kaiserreichs verloren gegangen. Lilli musste auf einmal über die Saaldiener lächeln, die so gar nicht aufgeben wollten. Es hatte etwas Rührendes, wie sie nicht wahrhaben wollten, dass Livree, Adel und Etikette nicht mehr galten, dass sie Überbleibsel einer alten, versunkenen Zeit waren. Sie sah sich um. An den Wänden entlang standen einige mit rotem Samt bezogene Stühle, darüber hingen Porträts der großen Außenminister des alten Reichs; allen voran Bismarck, von dem es zwei Gemälde gab. Die hohen Fenster des Auswärtigen Amtes hatte man der kühlen Vormittagsluft geöffnet. Blendend weiß leuchteten schiefe Vierecke auf dem hellen Holzboden. Eine strahlende Herbstsonne war an diesem klaren Morgen über die Wilhelmstraße gestiegen und zeichnete sogar hier im Saal alle Konturen überscharf. Es war wunderbares Wetter, aber kein ideales Licht für Photos, dachte sie flüchtig, die Photographen würden dagegen blitzen müssen, und das machte die Schatten hart.

Die großen Flügeltüren öffneten sich, und Lilli konnte Staatssekretär von Schubert sehen, den sie bei einem Wohlfahrtsessen ihrer Redaktion kennengelernt hatte. Er war in der Tür stehen geblieben und sah über die bunte Versammlung der Reporter. Von Schubert trug einen tadellos sitzenden Cutaway, wie es sich für Staatsbesuche gehörte, und Lilli meinte, einen ganz leisen Spott in seinen Mundwinkeln sehen zu können, als er all die karierten Knickerbockers, die zu kurzen Jacketts, die zweifarbigen Budapester Schuhe und die zerknautschten Jagdmützen und Hüte sah. Sie machte sich eine Notiz darüber. Das konnte man vielleicht brauchen. Von Schubert sagte nichts, aber er erreichte innerhalb weniger Sekunden das, was die beiden Saaldiener in der letzten Viertelstunde nicht geschafft hatten: Es wurde still.

»Meine Damen und Herren«, sagte er dann, ohne die Stimme zu erheben, aber mit professioneller, präziser Artikulation, »Seine Majestät, der König von Irak, Emir Faisal.«

Er trat einen Schritt beiseite, und aus dem Dunkel des Konferenzraumes kam der erste wirkliche König, den Lilli in ihrem Leben sah. Komisch, dachte sie belustigt, als der Emir in die Helligkeit des Saales trat, ich bin im Kaiserreich geboren und aufgewachsen, aber erst in der Republik begegne ich dem ersten lebenden Monarchen. Doch dann riss sie plötzlich ganz unerwartet ein kollektives, scharfes Einatmen aus ihren Gedanken. Zwei Meter hinter dem Emir, der einen makellos weißen Burnus mit einem blauen Mantel darüber trug, einen beeindruckenden Dolch im Gürtel hatte und ziemlich gut aussah, wie Lilli fand, strich lautlos ein Panther in den Raum. Er war angekettet, aber der Emir hielt das Ende nur lose in der linken Hand. Seine Schulterblätter bewegten sich beim Gehen in einem so weichen Rhythmus auf und ab, dass Lilli unwillkürlich und unvermittelt ein völlig anderes, sehr erotisches Bild vor Augen hatte und merkte, wie ihr eine flüchtige Hitze in die Wangen stieg. Ein Panther. Mitten in Berlin. Lilli verstand jetzt, worüber von Schubert vorhin fast unmerklich gelächelt hatte. Es war ein fast diebisches Vergnügen gewesen, eine Vorfreude auf die Gesichter der ach so weltstädtischen Herren.

»Ein Panther!«, sagte jetzt einer von ihnen in einem Ton völliger Verblüffung, und ein paar andere lachten. Der Bann war gebrochen. Plötzlich brauste es. Alle riefen durcheinander.

»Sprechen Sie Deutsch?«

»Euer Majestät …«

»Müller, Die Weltbühne. Wie stehen Majestät zur Judenfrage …«

Dann, klar und hell und in Berliner Schnauze:

»Kiek ma hier rüber!«

Das war einer der Photographen gewesen. Von Schubert hatte es förmlich herumgerissen, und er war wohl schon drauf und dran, den Delinquenten für immer aus dem Haus zu weisen, aber dann sah er, dass der den Panther gemeint hatte und nun mit hochrotem Gesicht dastand. Der Emir hatte sich ihm nämlich zugewandt, wortlos, und dann wieder zu den anderen gesehen. Lilli unterdrückte ein Lachen und machte sich eilig Notizen. Was für ein Glück, dass sie auf die Schule der Englischen Fräulein gegangen war.

»May I ask a question, Your Majesty?«, rief sie klar und deutlich.

Blitzlichter glühten auf. Kameraverschlüsse klickten. Die Saaldiener zuckten zusammen, als sie das eilige Schleifen von Stativbeinen auf dem Parkett hörten.

Der Emir hatte sich zu Lilli gedreht und nickte knapp. Er sah wirklich gut aus, fand sie.

»Kornfeld, Berliner Illustrirte Zeitung«, stellte sie sich kurz vor, »would you mind telling our readers what you brought a panther for?«

Der Emir sah Lilli kurz und prüfend an. Sie gab dem Blick nicht nach. Dann hob er flüchtig die Augenbraue, wandte sich um und sagte leise zwei Sätze zu von Schubert. Dieser lächelte kurz und richtete sich auf. Es wurde leiser. Nur die Kameraverschlüsse klickten immer weiter.

»Seine Majestät, der Emir Faisal, meint«, sagte von Schubert jetzt wieder völlig gefasst, »dass die arabische Politik viel zu schwierig sei, um sie bei einem Pressetermin von einer Viertelstunde zu erklären; noch dazu in Europa. Deshalb hat sich Seine Majestät angewöhnt, zu solchen Anlässen regelmäßig einen Panther mitzunehmen, um für die Damen und Herren der Presse ein geeignetes Gesprächsthema zu haben.«

Der Saal lachte. Der Emir verzog keine Miene, aber von Schubert sah zu Lilli hinüber und nickte ihr zu. Lilli lächelte. Von Schubert rief jetzt einen Reporter nach dem anderen auf, und dann kam es doch noch zur Politik. Lilli schrieb fleißig mit. Es lohnte sich, die anderen fragen zu lassen; man bekam dann meist mehr mit, als wenn man selber fragte. Aber die Leser ihrer Zeitung wollten sowieso nicht wissen, was in Palästina geschah. Die wollten den Panther des Emirs auf einem möglichst großen Bild sehen und wissen, wo der Emir essen war und ob er den Dolch an seinem Gürtel schon mal gebraucht hatte. Sensationen. Exotische Bilder. Sie sah hinüber zu Hertwig, aber der war schon auf die Knie gegangen, um den Panther von unten zu bekommen, auf den konnte man sich verlassen. Faisal sprach von der Notwendigkeit, sich mit Weizman zu versöhnen, wenn man dauerhaften Frieden im Nahen Osten wollte. Von Schubert übersetzte für die Kollegen, die nicht Englisch sprachen. Lilli hatte den Notizblock in die Handtasche gesteckt. Sie war fertig. Der Panther hatte sich in eines der hellen Vierecke unter den Fenstern gesetzt. Es war etwas von Verlorenheit um ihn. Die Haarspitzen seines Fells glitzerten in der Sonne, und Lilli empfand zum zweiten Mal an diesem Tag das Gefühl eines flüchtigen Mitleids – der Panther passte hier genauso wenig hin wie die beiden Saaldiener. Schließlich war die Pressekonferenz beendet. Der Emir hatte sich kaum zum Gehen umgedreht, der Panther war kaum widerwillig aufgestanden, als alles Interesse schon wieder verflogen war, die Photographen schon geräuschvoll ihre Stative zusammenklappten, die Kollegen schon aus dem Saal drängten und Zigaretten angesteckt wurden. Von Schubert fing Lillis Blick auf und gab ihr ein Zeichen, sie solle noch bleiben. Dann hielt er dem Emir die hohen Türen auf und begleitete ihn durch den Konferenzraum aus dem Saal. Für einen Augenblick war Lilli allein. Die plötzliche Stille, zusammen mit der kühlen, reinen Herbstluft, die durch die offenen Fenster kam, war wie ein Aufatmen. Das gibt es so selten, dachte sie, alles ist schnell geworden, und ich renne mit.

Von Schubert kam zurück, diesmal allein.

»Fräulein Kornfeld«, sagte er lächelnd und schüttelte ihr die Hand. Die Förmlichkeit von vorhin war verschwunden und hatte einer natürlichen Höflichkeit Platz gemacht. Von Schubert bewegte sich im Cut völlig unbefangen.

»Der Panther war eine Überraschung, was?«, grinste er bubenhaft. »Da waren die Herren nicht drauf vorbereitet.«

»Na, ich auch nicht«, sagte Lilli und lächelte ebenfalls, »was verschafft mir denn die Ehre dieser kleinen Privataudienz?«

»Ach«, sagte von Schubert mit gut gelaunter Nachlässigkeit,...