dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Lebensverläufe, Lebensbewältigung, Lebensglück - Ergebnisse der LifE-Studie

Helmut Fend, Fred Berger, Urs Grob

 

Verlag VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2009

ISBN 9783531915470 , 469 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

42,99 EUR


 

Die Entwicklung politischer Orientierungen vom Jugend- ins Erwachsenenalter – Ist die Jugend eine spezifisch sensible Phase in der politischen Sozialisation? (S. 329-330)

Urs Grob

1 Einleitung

Ob sich jemand für Politik interessiert und welche politikbezogenen Wertvorstellungen dieser Person wichtig sind, kann in individueller Perspektive als Frage des Lebensstils gesehen und damit wertfrei beschreibend erörtert werden. Auf gesellschaftlicher Ebene hingegen erhalten diese Fragen eine andere, erweiterte Bedeutung: Demokratien setzen bei ihren Bürgerinnen und Bürgern deshalb ein grundlegendes Interesse an Politik, ein politikbezogenes Wissen, eine Akzeptanz gegenüber Grundwerten und Verfahrensregeln sowie eine kritische Wachheit und Beteiligungsbereitschaft voraus, weil sie von ihrer Konstruktionslogik her darauf angewiesen sind.

Über die vordergründige legitimatorische Bedeutung hinaus haben die individuelle Partizipation der Bürgerinnen und Bürger und deren psychologische Voraussetzungen eine demokratietheoretisch zentrale Funktion im Sinne der Kontrolle der an die Volksvertreter/-innen delegierten Macht. Die Entwicklung eines politischen Bewusstseins kann deshalb demokratischen Gesellschaften nicht gleichgültig sein, sondern liegt in deren ureigenem Interesse. Aus diesem Grund entsprechen den demokratischen Rechten bestimmte Partizipationspflichten, die jedoch, ihrer Bedeutung zum Trotz, in demokratischen Gesellschaften nicht systematisch eingefordert werden.

Dem Individuum wird mit anderen Worten das Recht, politisch uninteressiert zu sein, nicht abgesprochen. Allerdings nimmt sich der Staat seinerseits das Recht heraus, in der Institution Schule die Nutzung bestimmter Angebote zur politischen Bildung für verbindlich zu erklären, um auf diese Weise politischer Abstinenz entgegenzuwirken. Politisches Lernen findet jedoch nur zum kleineren Teil in der organisierten politischen Bildung statt. Weit bedeutsamer sind unangeleitete Lernprozesse, wie sie unter dem Begriff der politischen Sozialisation gefasst werden.

Diese vollzieht sich alltäglich in verschiedensten Kontexten. Während in Konzeptionen der institutionalisierten politischen Bildung primär Fragen der Inhalte und der geeigneten Vermittlungsweisen kontrovers diskutiert werden, beziehen sich divergente Sichtweisen im Bereich der hier im Vordergrund stehenden politischen Sozialisation vorrangig auf die theoretischen Annahmen zur Relevanz bestimmter Sozialisationsinstanzen und zur Bedeutung bestimmter Lebensphasen (Claußen/Wasmund 1982, Claußen/Geißler 1996, Hopf/Hopf 1997, Sapiro 2004). Hierzu besteht nicht nur eine Reihe konkurrierender Modellvorstellungen sondern – als Ergebnis diskrepanter Grundannahmen und unterschiedlicher methodischer Zugänge – auch eine Vielzahl von sich zum Teil widerspechenden empirischen Befunden.

Die Bandbreite der Modellvorstellungen reicht von der Annahme einer überragenden Bedeutung früher Prägungen im Kindesalter in Verbindung mit einer baldigen Kristallisation entspre chender Bereitschaften und Haltungen und einer langfristigen hohen Stabilität bis zur diametral entgegengesetzten Annahme einer lebenslangen Plastizität. Zwischen diesen Polen liegen Vorstellungen von Lebensphasen mit besonderen Empfindlichkeiten und Empfänglichkeiten, was den Aufbau politischer Orientierungen betrifft. In einer pädagogisch interessierten und entwicklungspsychologisch fundierten Perspektive kommt hierbei dem Jugendalter eine Sonderrolle zu als für die politische Sozialisation speziell sensible Phase (Fend 1991).

Während aus Arbeiten, die diesem Paradigma folgten, bezogen auf das Jugendalter selbst zahlreiche Belege für das wachsende politische Interesse und für Einflüsse der Eltern, der Gleichaltrigen und der Schule vorliegen (Fend 1991, Kuhn/Weiss/Oswald 2001, Buhl 2003, Reinders 2003, Schmid 2004), ist die Frage nach deren langfristigen Auswirkungen erst ansatzweise geklärt. An diesem Punkt setzt der vorliegende Beitrag an.

Er geht der Frage nach, welche Bedeutung das Jugendalter und bestimmte in der Jugend bedeutsame soziale Kontexte für den Prozess der politischen Sozialisation in langfristiger Perspektive haben. Über die bereits festgehaltenen demokratietheoretischen Implikationen hinaus steht dahinter das Interesse an der Klärung einer möglichen pädagogischen Relevanz: Wäre nämlich das Jugendalter in einem so hohen Grade sensibel für den Zugang zur Politik, dass das Verpassen dieser Chance später kaum mehr kompensiert werden kann, hätte dies weitreichende Folgen für die Bedeutung pädagogischer Bemühungen um Vermittlung und Erschließung dieser Sphäre.