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Sniper - Ein Jack-Reacher-Roman

Lee Child

 

Verlag Blanvalet, 2009

ISBN 9783641028299 , 480 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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10,99 EUR

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1
Freitag. Fünf Uhr nachmittags. Vielleicht die schwierigste Zeit, um sich unbeobachtet durch eine Stadt zu bewegen. Oder vielleicht die für diesen Zweck beste. Weil am Freitagnachmittag um fünf Uhr kein Mensch auf irgendetwas achtet. Außer auf die Straße vor ihm.
Der Mann mit dem Gewehr fuhr nach Norden. Nicht schnell, nicht langsam. Ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Ohne irgendwie aufzufallen. Er saß allein in einem beigen Minivan, der bessere Tage gesehen hatte. Er trug einen hellen Trenchcoat und einen formlosen hellgrauen Pepitahut, wie ihn alte Kerle auf dem Golfplatz tragen, wenn die Sonne sticht oder Regen fällt. Oberhalb der kurzen Krempe wurde der Hut von einem hell- und dunkelroten Band eingefasst. Er war tief in die Stirn gezogen. Der Mantel war bis oben zugeknöpft. Obwohl der Van getönte Scheiben hatte und der Himmel bewölkt war, hatte der Mann eine Sonnenbrille auf. Und er trug Handschuhe, obwohl der Winter erst in drei Monaten kommen würde und das Wetter nicht kalt war.
Wo die First Street den Hügel hinaufführte, begann der Verkehr zu stocken. Dann kam er ganz zum Stehen, wo die beiden Fahrspuren sich wegen Straßenbauarbeiten zu einer vereinigten. Überall in der Stadt waren Straßen aufgerissen. Seit ungefähr einem Jahr machten diese Baustellen das Autofahren zu einem Albtraum. Schlaglöcher, Kieslaster, Betonmischer, Asphaltdeckenfertiger. Der Mann mit dem Gewehr nahm die linke Hand vom Lenkrad. Streifte die Manschette zurück. Sah auf seine Uhr.
Elf Minuten.
Nur Geduld.
Er nahm den Fuß von der Bremse und kroch weiter. Dann musste er nochmals halten, weil die Fahrbahn sich verengte und die Gehsteige breiter wurden, wo die innerstädtische Einkaufsmeile begann. Zu beiden Seiten der Straße standen große Geschäfte und Kaufhäuser, jedes wegen des Hügels ein wenig höher als das vorige. Auf den breiten Gehsteigen war reichlich Platz für flanierende Shopper. Wie Wachposten aufgereihte Poller, Fahnenmasten und Straßenlaternen aus Gusseisen bildeten eine durchlässige Barriere zwischen Passanten und Autos. Die Menschen hatten mehr Platz. Die Autoschlange kam nur mit Schrittgeschwindigkeit voran. Er sah wieder auf seine Uhr.
Acht Minuten.
Geduld!
Hundert Meter weiter ließ der Wohlstand etwas nach. Der Stau löste sich allmählich auf. Die First Street wurde breiter und zugleich wieder etwas schäbiger. Hier gab es Bars und Discountläden. Dann ein Parkhaus auf der linken Straßenseite. Anschließend die nächste Baustelle, wo das Parkhaus erweitert wurde. Danach wurde die Straße durch eine niedrige Barriere abgesperrt, hinter der die »Plaza« lag: eine stets windige Fußgängerzone mit einem Zierteich und einer kleinen Fontäne. Am linken Rand der Plaza befand sich die alte Stadtbücherei; rechts wurde sie von einem neuen Bürogebäude flankiert, hinter dem ein schwarzer Glasturm aufragte. Die First Street bog vor der Barriere rechtwinklig ab und verlief an unordentlichen Hintereingängen und Ladebuchten vorbei nach Westen und dann unter dem auf Stelzen geführten State Highway hindurch.
Der Mann in dem Minivan bremste jedoch, bevor die Straße vor der Plaza abbog, und setzte den linken Blinker, um ins Parkhaus zu fahren. Er wollte geradewegs die Rampe hinauf. An der Einfahrt gab es keine Schranke, weil vor jedem Stellplatz eine eigene Parkuhr stand. Deshalb gab es keinen Kassierer, keinen Augenzeugen, keinen Parkschein, keine Papierfährte. Das alles wusste der Mann in dem Minivan. Er folgte der Wendelrampe aufs zweite Parkdeck hinauf und fuhr in die hinterste Ecke. Dort ließ er den Van einen Augenblick lang mit laufendem Motor stehen, stieg aus und entfernte einen orangeroten Markierungskegel von dem Stellplatz vor ihm, der letzte Platz in dem alten Gebäude – gleich neben dem noch unfertigen Anbau.
Er parkte sein Fahrzeug und stellte den Motor ab. Blieb einen Moment ruhig sitzen. In der Garage war es still. Die Fläche, die er mit dem Markierungskegel abgesperrt hatte, war der letzte verfügbare Stellplatz gewesen. Das Parkhaus war immer voll. Auch das wusste er. Deshalb wurde es jetzt aufs Doppelte der ursprünglichen Größe erweitert. Hier parkten vor allem Leute, die einkaufen wollten. Deshalb war es hier so still. Kein vernünftiger Mensch hätte versucht, um fünf Uhr nachmittags wegzufahren. Nicht im dichtesten Berufsverkehr. Nicht während Straßenbauarbeiten den Verkehr behinderten. Wer’s nicht vor vier Uhr schaffte, wartete klugerweise bis sechs.
Der Mann in dem Minivan sah auf seine Uhr.
Vier Minuten.
Kinderspiel.
Er öffnete die Fahrertür und stieg aus. Holte einen Quarter aus der Tasche und warf ihn ein. Drehte den Griff kräftig nach rechts, hörte die Münze fallen und sah auf der Anzeige, dass er eine Stunde lang parken durfte. Andere Geräusche gab es nicht. In der Luft hing nur der Geruch parkender Autos: Benzin, Gummi, kalte Auspuffschwaden.
Er stand unbeweglich neben dem Van. Seine Füße steckten in alten Wüstenstiefeln. Lohfarbenes Wildleder, geschwärzte Messingösen, weiße Kreppsohlen, von Clarks in England hergestellt und von Angehörigen vieler Special Forces bevorzugt. Mustergültiges Design, das seit schätzungsweise sechzig Jahren nicht mehr geändert worden war.
Er sah sich kurz nach der Parkuhr um. Neunundfünfzig Minuten. Aber er würde keine neunundfünfzig Minuten brauchen. Er zog die seitliche Schiebetür des Vans auf, beugte sich hinein und schlug die Wolldecke auseinander, sodass das Gewehr sichtbar wurde. Es war ein Springfield M1A Super Match Autoloader, Kolben aus amerikanischem Walnussholz, schwerer Präzisionslauf, Kastenmagazin für zehn Schuss, für Kaliber.308 eingerichtet. Diese Waffe war das genaue kommerzielle Gegenstück zu dem automatischen Scharfschützengewehr M14, das während seiner langen Dienstzeit bei den US-Streitkräften eingeführt gewesen war. Eine gute Waffe. Vielleicht beim ersten Schuss mit noch kaltem Lauf nicht ganz so zielgenau wie ein erstklassiges Gewehr mit Ladehebel, aber sie würde genügen, locker genügen, weil die Schussweiten nicht sehr groß sein würden. Geladen war das Gewehr mit Patronen Lake City M 852, seiner liebsten Munition. Spezialmessing Lake City Match, Standardtreibladung, rund elf Gramm schwere Geschosse Sierra Matchking mit Hohlspitze und spitz zulaufendem Ende. Die Munition war vermutlich besser als das Gewehr. Beides passte nicht recht zusammen.
Er horchte auf die Stille um ihn herum, dann nahm er das Gewehr von der hinteren Sitzbank. Nahm es mit zu der Stelle, wo das alte Parkhaus aufhörte und der noch unfertige Anbau begann. Zwischen der alten und der neuen Stahlbetondecke lag ein Spalt, der ungefähr einen Zentimeter breit war. Wie eine Demarkationslinie. Er vermutete, dies sei eine Dehnungsfuge. Wegen der Sommerhitze. Vermutlich würde sie mit Asphalt ausgegossen werden. Unmittelbar darüber verwehrte gelb-schwarzes Absperrband mit dem Aufdruck »Vorsicht – Zutritt verboten« den Durchgang. Er ließ sich auf ein Knie nieder und rutschte darunter hindurch. Stand wieder auf und ging durch den Anbau weiter.
Teile des neuen Betonbodens waren bereits glatt abgezogen, während andere noch auf die letzte Schicht Feinbeton warteten. Hier und da verliefen Brettersteige. Volle Zementsäcke waren auf Paletten gestapelt, neben denen sich leere Säcke türmten. Der Boden war von weiteren Dehnungsfugen durchzogen. An der Decke hingen Lichterketten mit nackten Glühbirnen, die jedoch nicht brannten. Überall leere Schubkarren, zerdrückte Limonadendosen, Kabeltrommeln, zu ungeklärten Zwecken abgesägte Kanthölzer, stehende Betonmischer. Und der allgegenwärtige Zementstaub, fein wie Talkumpuder, und der Geruch nach feuchtem Kalk.
Der Mann mit dem Gewehr ging durch die Dunkelheit weiter, bis er die neue Nordostecke erreichte. Dort blieb er stehen, lehnte sich an einen Betonpfeiler und stand kurz still. Dann schob er sich mit zur Seite gedrehtem Kopf nach rechts weiter, bis er sehen konnte, wo er sich befand: etwa zweieinhalb Meter von der neuen Umfassungsmauer des Parkhauses entfernt. Mit Blickrichtung nach Norden. Die etwa hüfthohe Mauer war unfertig. In den Beton waren Halterungen für die Leitplanken eingegossen, die später verhindern sollten, dass Autos die Mauer rammten. In den Boden eingelassene Quadrate zeigten, wo einmal Parkuhren stehen würden.
Der Mann mit dem Gewehr schob sich vorwärts, bis er die Kante des Pfeilers zwischen seinen Schulterblättern spürte. Er drehte nochmals den Kopf zur Seite. Jetzt blickte er nach Nordosten. Genau auf die Plaza der Fußgängerzone hinunter. Der Zierteich war ein langes schmales Rechteck, das von ihm wegführte. Seine Größe mochte fünfundzwanzig mal sechs bis acht Meter betragen. Er glich einem großen Löschwasserteich, der einfach nur da war. Wie ein Schwimmbecken mit Fünfundzwanzigmeterbahnen. Umgeben war er von vier hüfthohen Klinkermauern, gegen deren Innenflächen das Wasser plätscherte. Die Blickrichtung des Mannes mit dem Gewehr verlief...