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Der Dreißigjährige Krieg - Europa im Kampf um Glaube und Macht, 1618-1648 - Ein SPIEGEL-Buch

Dietmar Pieper, Johannes Saltzwedel

 

Verlag Deutsche Verlags-Anstalt, 2012

ISBN 9783641079314 , 288 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,49 EUR


 

LEHREN DES ENTSETZENS

Bis heute wirkt die Schockwelle nach – was aber war
der Dreißigjährige Krieg überhaupt? Historiker entwirren Mythos
und Realität einer Zeit, die Europa brutal verändert hat.

Von

Johannes Saltzwedel

Zwei Jahre ist der Page schon im Dienst, als 1618 der Protest von Böhmens Ständen in Krieg umschlägt. Doch von solchen Malaisen merkt Hans Christopher von Königsmarck im beschaulichen Wolfenbüttel nicht sehr viel. Gerade 13 Jahre ist er alt; die keineswegs reichen Eltern hatten Glück, dass ihr Söhnchen am Hof des schwelgerischen, politisch ahnungslosen Herzogs Friedrich Ulrich von Braunschweig und Lüneburg unterkam. Gewiss, auch in der Sphäre eines Duodezherrschers kann man Hofregeln begreifen und die Standesgesellschaft durchschauen lernen. Aber ein Mitläufer möchte der kleine Königsmarck offenbar nicht bleiben. Schon mit 15 Jahren nimmt er die Gelegenheit zum Aufstieg wahr: Er wird Kavallerist in der Kaiserlichen Armee, wo er es unter Wallenstein bis zum Fähnrich bringt.

Fortan heben die blutigen Zeitläufte ihn empor: 1632, nun im Dienst des Schwedenkönigs Gustav Adolf, ist der 27-Jährige mit einer selbstgeworbenen Kompanie Dragoner unter den Besetzern des Erzstifts Bremen. 1634 wird er Oberstleutnant, 1636 Oberst, 1640 Generalmajor. 1645 erobert er wiederum Bremen und Verden und hat als Generalleutnant beste Chancen, Schwedens militärischer Oberbefehlshaber für ganz Norddeutschland zu werden.

Als ein Jüngerer den Posten erhält, gibt sich Königsmarck verstimmt. Die Ernennung zum Feldmarschallleutnant befriedigt dann aber wieder seinen Ehrgeiz, und so gelingt ihm schließlich noch einer der allerletzten Militärcoups in diesem verheerenden Krieg: Im Juli 1648 nimmt er im Handstreich die Prager Kleinseite, Prags wichtigsten Stadtteil, macht dabei reiche Beute und verschafft den Schweden einen finalen Trumpf bei den Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück.

Lange schon hat der Haudegen mit Weitblick mehr als gut am Krieg verdient; hinterher zahlt sich sein Dienst erst recht aus. Er bleibt Gouverneur von Bremen und Verden, bekommt obendrein auf schwedischem Grund eine Grafschaft verliehen und wird sogar ausnahmsweise in den Stockholmer Reichsrat aufgenommen. Bald ist er so wohlhabend, dass er seinem fortwährend klammen Arbeitgeber große Summen vorstrecken kann. Bei seinem Tod 1663 hinterlässt Königsmarck Grundbesitz und Vermögen im Wert von fast zwei Millionen Reichstalern.

Natürlich ist dieser Lebenslauf nicht repräsentativ, ganz im Gegenteil. Aber er belegt, dass jene Epoche, der unauslöschlich das Siegel des Grauens anhaftet, wohl kaum so leicht zu durchschauen sein kann, wie landläufige Vorstellungen es suggerieren.

Dreißigjähriger Krieg: Damit verbinden sich im Schulbuchwissen Konfessionshader und plündernde Landsknechte, Massenschlachten, Verwüstungen, Hungersnot und politisches Chaos. Teuerung, Seuchen und Schübe von Hexenwahn vervollständigen das Horrordrama zum Urbild im kollektiven Unbewussten vor allem der Deutschen: Diese Ballung des Schreckens war ein grauenhaftes Naturereignis, ein »Strafgericht Gottes«, Vorschein der Hölle auf Erden.

Sogleich treten vor das geistige Auge Szenen aus Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausens bedrückend anschaulicher Geschichte vom »Abenteuerlichen Simplicissimus« (1668), in der ein entwurzelter Bauernsohn durch das Miterleben von Folter, Verheerung, Drangsal und Leid denkbar hart im bösen Irrgarten der Welt umhergeschleudert wird. Oder die dumpfen Worte der Titelheldin aus Bertolt Brechts Schauspiel »Mutter Courage und ihre Kinder« (1941) klingen nach: »Ich muss wieder in den Handel kommen«, das ist alles, was dieser vom Elend gezeichneten Marketenderin, die ihre drei Kinder im Krieg verloren hat, noch zu denken übrig bleibt.

Spezialisten arbeiten seit langem daran, das Szenario vom katastrophalen »Tiefpunkt« menschlicher Existenz – wie es der Historiker Anton Schindling ausdrückt – durch einen nüchternen, analytischen Blick erklärlicher zu machen. Leicht ist das nicht, denn kaum eine Epoche bleibt auch bei näherer Betrachtung so verwickelt wie diese. Experten gliedern die einschüchternd komplexe Ereignisvielfalt darum heute je nach Ansatz

•regional: Gegen den spätestens seit 1635 erkennbaren Korridor erheblicher Verwüstungen, der sich von Südwestdeutschland bis an die mecklenburg-pommersche Ostseeküste erstreckte, hoben sich viele weithin unbehelligte, ja florierende Landstriche zwischen Nordwestdeutschland und Kärnten ab, und außerdem gab es heikle Gemengelagen wie in Oberitalien oder Polen;

•nach Ursachen und Interessen: Von der Zuspitzung konfessioneller Gegensätze bis zum knallharten Profitdenken cleverer Söldnerführer, von schlechten Ernten bis zur globalen Großmachtpolitik etwa des Hauses Habsburg kann man für jede Partei und jeden Akteur des Dramas, ja sogar für seine Opfer ein individuelles Geflecht der Motive und Ziele aufschlüsseln;

•zeitlich: Die Rekonstruktion des Wegs von der Frühphase über die Ausweitung zur europäischen Dauerkrise mit Beteiligung Schwedens, Frankreichs, Spaniens und weiterer Mächte bis zu den späten Jahren bleibt die klassische Methode, der chaotisch anmutenden Fülle Herr zu werden.

In einem Punkt sind alle Forscher einig: Den Krieg als böse Macht darzustellen, die »aus den tiefsten Untergründen der Zeitseele hervorbrechend« schließlich »wahllos überallhin züngelt«, wie einst der große Essayist Egon Friedell schrieb, hat mit wissenschaftlicher Erkenntnis nichts zu tun. Mag auch auf den ersten Blick seine Beobachtung einleuchtend erscheinen, dass sich im Verlauf der Krise etwas »Amorphes, Asyndetisches, Anekdotisches« zeige, ein Wust von Einzelgeschichten ohne höhere Logik; mag es tatsächlich viele zweitrangige »Genrefiguren und Chargenspieler« gegeben haben, ja oft der pure Zufall am Werk gewesen sein: Friedells Beschränkung auf wolkige Stimmungsbilder und nur zwei dubiose »Helden«, Wallenstein und Gustav Adolf, erweist sich selbst bei größtem Wohlwollen als irreführend.

Gegen solch eingängige, schwer ausrottbare Mythen setzen heutige Historiker den nüchternen Blick auf Strukturen, zum Beispiel das verschachtelte Gebilde des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation: Kurfürsten, Fürsten und die Reichsstände (Adel, Geistlichkeit und freie Reichsstädte) berieten und verabschiedeten im Reichstag die Gesetzesinitiativen der vom Kaiser ernannten Regierung, zehn Reichskreise unter gewöhnlich zwei Landesherren sorgten regional für Ordnung; Streitfälle entschied das Reichskammergericht. Auch ein Reichsheer gab es schon seit dem 15. Jahrhundert – allerdings nahezu ausschließlich für den Verteidigungsfall.

Zum Glück war dieses kaum allzu flinke, dafür flexible Netz von Institutionen seit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 in einer Periode relativer Ruhe mit stetigem wirtschaftlichem Aufstieg nicht überdehnt worden. Ringsum hatte es desto mehr blutige Auseinandersetzungen gegeben: Im Ostseeraum rangen die Königreiche Polen, Dänemark, Schweden und Russland trotz der Verwandtschaft etlicher Herrscher seit Jahrzehnten militärisch um die Macht, speziell um Livland. In den Niederlanden schwelte oder tobte seit 1564 der Widerstand gegen das spanische Regiment. Und Frankreich war von 1562 an immer wieder durch Hugenottenkriege erschüttert worden. Nachdem das Konzil von Trient (1545 bis 1563) die katholische Kirche gegenreformatorisch auf Kurs gebracht hatte, waren in Europa immer deutlicher zwei große konfessionelle Lager erkennbar geworden: Habsburg, dessen beide Zweige Österreich und Spanien auch Italien weitgehend kontrollierten, bildete in Dauer-Rivalität mit Frankreich die katholische Bastion. Gegen den römischen Primat standen eine große Zahl deutscher Souveräne, die skandinavischen Länder, das anglikanisch gewordene England sowie die Reformierten in den Niederlanden und anderswo.

Übersichtlich war die Lage damit freilich keineswegs; jede Macht und Gruppierung suchte hektisch ihren Vorteil. Im Reich, wo religiöse Zersplitterung und politische Kleinteiligkeit besonders eng zusammenhingen, blockierte der Bekenntnisgegensatz Ende des 16. Jahrhunderts schon große Teile der politischen Arbeit; spätestens als 1608 die calvinistische Kurpfalz mit anderen Abordnungen im Protest den Reichstag verließ, wuchs sich die Stagnation zur Krise aus. So formierte sich nun eine protestantische »Union« – pikanterweise mit Rückendeckung des pragmatisch romtreuen Heinrichs IV. von Frankreich – gegen die Interessen insbesondere der kaiserlich-katholischen Partei. Diese brachte daraufhin im folgenden Jahr unter Federführung Maximilians von Bayern prompt auch eine »Liga« ihrer Anhänger zusammen. Dennoch verstrich fast ein weiteres Jahrzehnt, bis der Prager Fenstersturz das Signal zum böhmischen Stände-Aufstand und damit zur militärischen Konfrontation gab.

»Verschiedene Konfliktreihen verbanden sich zu einem auch zeitgenössisch so wahrgenommenen Kontinuum« – so blass und zaghaft umschreibt die Frankfurter Historikerin Luise Schorn-Schütte in einem kürzlich erschienenen Band zur Geschichte der frühen Neuzeit, wie Mitteleuropa den lange gewahrten Frieden nun Zug um Zug vertat. Weder Schuldige noch Helden mag sie namhaft machen, allenfalls Phasen der Auseinandersetzung; immerhin nennt sie das Geschehen, so sehr es auch um Verfassungsideen und Machtbalancen ging, in der Summe einen »Konfessionskrieg«. Aber nicht einmal dieses schon von Friedrich Schiller erörterte Gesamturteil würden die Kollegen im In- und Ausland vorbehaltlos unterschreiben. Spätestens seit der Brite Geoffrey Parker in den siebziger Jahren den Kampf um die »Spanische Straße«, den bislang wenig...