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Die Bilanz - Eine wirtschaftliche Analyse der Deutschen Einheit

Karl-Heinz Paqué

 

Verlag Carl Hanser Fachbuchverlag, 2009

ISBN 9783446421967 , 312 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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1 Schwieriges Erbe (S. 1)

1.1 Der große Irrtum

Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer. Damit begann das schnelle Ende der deutschen Teilung. nur noch wenige Monate bestand sie fort: wirtschaftlich bis zur Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion am 1. Juli 1990, politisch bis zur deutschen Vereinigung am 3. Oktober desselben Jahres.

Vier Dekaden lang hatte die Teilung überdauert, fast drei davon – seit dem Bau der Mauer 1961 – mit einer nahezu vollständigen Abschottung der DDR-Wirtschaft vom marktorientierten Westen. Mit der Maueröffnung begann ein intensives Rätselraten: Wo stand die ostdeutsche Wirtschaft mit ihrer Leistungs kraft, und zwar im Vergleich zum Westen?

Die Wissenschaft lieferte geschätzte Zahlen dazu, nach bestem Wissen und Gewissen. Sie lieferte mit den Zahlen auch mahnende Gebrauchsanweisungen. Diese wurden wie üblich ignoriert. So waberten schnell Ost-West-Vergleiche der Arbeitsproduktivität als Maß für die wirtschaftliche Leistungskraft durchs Land.

Die meistgenannten Zahlen lagen bei einem Verhältnis von etwa eins zu drei bis eins zu zwei. Also: eine Ostdeutsche Arbeitskraft produziert pro Stunde etwa ein Drittel des wirtschaftlichen Wertes ihres westdeutschen Kollegen. Oder die Hälfte. So oder ähnlich lautete die Diagnose im Jahr der Vereinigung. Das war die entscheidende Ost-West-Lücke, die es zu überwinden galt.

Die zahlen wurden damals in Politik und Öffentlichkeit breit diskutiert, aber nicht wirklich hinterfragt. Sie hatten eine merkwürdige psychologische Wirkung. Sie führ ten nämlich – wie häufig bei einfachen zahlen – zu einer art illusion der Machbarkeit. Denn allein das Benennen der Ost-West-lücke schuf die Vorstellung, es handele sich um einen messbaren abstand zum Westen, den es nur mit entschlossenen Schritten zu überwinden galt, und fertig war die Deutsche einheit.

Dabei war der Abstand zwar groß und die Aufgabe damit anspruchsvoll, denn immerhin musste die Produktivität in etwa verdreifacht beziehungsweise verdoppelt werden. Aber mit neuesten Maschinen, mit einer modernisierten Ausbildung, mit viel Fleiß und mit der hohen Motivation, die alle hatten, würde das wohl schon klappen. Jedenfalls innerhalb von ein paar Jahren.

So weit die Vorstellung. Ein großer Irrtum, der zur bitteren Illusion wurde. Ob diese vermeidbar war, muss offenbleiben. Wahrscheinlich war sie es nicht. Heutzutage gieren Politik und Öffentlichkeit nach zahlen. Und wenn die Wissenschaft sich geweigert hätte, zahlen zu liefern, dann hätten andere geliefert – mit noch schlimmeren Folgen.

Allerdings waren im Fall der Deutschen Einheit die Folgen schlimm genug: Millionen von Ostdeutschen Arbeitskräften mussten schon nach wenigen Jahren fest stellen, dass die Welt nach ganz anderen Gesetzen funktionierte, als es 1990 den Anschein hatte. Die Illusion der Machbarkeit zerstob schnell. Sie hinterließ einiges an Frustration, die in Teilen der Bevölkerung bis heute spürbar ist.

Aber zurück zur Ausgangslage. Wenn schon nicht eins zu drei oder eins zu zwei, wie groß war dann 1990 der West-Ost-Abstand in der wirtschaftlichen Leistungskraft? Die ehrliche Antwort lautet: Wir wissen es nicht. Mehr noch: Wir können es gar nicht wissen. Warum? Weil die vier Dekaden deutscher Teilung zu Veränderungen geführt hatten, die sich im Ergebnis jenseits der messbaren Statistiken abspielen.