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Die Show - Roman

Richard Laymon

 

Verlag Heyne, 2009

ISBN 9783641029128 , 528 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

1
Als ich sechzehn Jahre alt war, kam im Sommer eine reisende Vampirshow in unseren Ort.
Ich hörte es von Rusty und Slim, meinen besten Freunden.
Rusty hieß eigentlich Russell, aber er mochte den Namen nicht.
Und Slim hieß in Wirklichkeit Frances, aber sie ließ sich nur von ihren Eltern und den Lehrern so nennen. »Frances ist ein Name für einen sprechenden Esel«, sagte sie immer, und wenn man sie fragte, wie sie denn stattdessen genannt werden wollte, hing ihre Antwort meistens davon ab, was sie gerade las. »Nancy«, sagte sie dann zum Beispiel, oder »Holmes« oder »Scout« oder »Zock« oder »Phoebe«. Im Sommer zuvor hatten wir sie Dagny nennen müssen und in jenem Sommer eben Slim. Ich glaubte daraus erkennen zu können, dass sie gerade irgendwelche Western las, aber ich fragte nicht nach.
Ich selbst heiße übrigens Dwight. Benannt nach Dwight D. Eisenhower, dem Oberkommandierenden der Alliierten Streitkräfte in Europa – zum Präsidenten hatte man ihn erst nach meiner Geburt und Taufe gewählt.
Wie dem auch sei, jedenfalls war es ein heißer Augustmorgen, wir hatten noch einen ganzen Monat Ferien vor uns, und ich musste im vorderen Teil des Gartens den Rasen mähen. Wir waren damals vermutlich die einzige Familie in Grandville, die noch keinen motorbetriebenen Rasenmäher hatte. Dabei hätten wir uns locker einen leisten können, denn mein Dad war der Polizeichef der Stadt und meine Mom Englischlehrerin an der Highschool. Finanziell gesehen wäre sogar ein kleiner Gartentraktor drin gewesen, aber mein Dad lehnte so was aus Prinzip ab.
Schon bevor es den Begriff akustische Umweltverschmutzung gab, tat er alles in seiner Macht Stehende, um solchen »verfluchten Lärm« zu vermeiden. Außerdem war er ohnehin gegen Gerätschaften aller Art, die mir oder meinen zwei Brüdern das Leben leichter gemacht hätten. Er wollte, dass wir hart arbeiteten, und weil er die Weltwirtschaftskrise und den Zweiten Weltkrieg mitgemacht hatte, hatte er eine ziemlich rigide Auffassung davon, was harte Arbeit war. Seiner Meinung nach hatte es »die heutige Jugend« viel zu leicht, und deshalb tat er alles, um uns das Leben so schwer wie möglich zu machen.
Und so kam es, dass ich an jenem heißen, diesigen Vormittag, an dem sich die Sonne hinter einer grauen Wolkendecke verborgen hielt und man die Abkühlung durch das aufziehende Gewitter geradezu herbeisehnte, beim Schieben des Handrasenmähers im halbhohen Gras gehörig ins Schwitzen kam.
Ich hatte mein T-Shirt ausgezogen und über das Geländer der Veranda geworfen, und fühlte mich, als ich Rusty und Slim durch den Garten auf mich zu kommen sah, mit meinem nackten Oberkörper ein wenig unbehaglich. Das war ziemlich seltsam, denn eigentlich gingen wir jeden Tag miteinander zum Baden, aber trotzdem wäre ich am liebsten losgelaufen und hätte mir mein T-Shirt geholt. Doch ich blieb, wo ich war, und wartete in Turnschuhen und Jeans, bis die beiden bei mir waren.
»Hallo, Leute«, rief ich.
»Hallo, Dwight«, antwortete Rusty. »Geht dir dabei einer ab?« Ihm gefiel diese Art zu sprechen, voller lahmer sexueller Anspielungen.
»Wohl kaum«, gab ich zurück.
»Arbeitest du wirklich oder tust du nur so?«, fragte Rusty weiter, während Slim mit einem Blick auf meinen schwitzenden Oberkörper meinte: »Ist doch viel zu heiß zum Rasenmähen.«
»Das solltest du lieber meinem Dad sagen.«
»Gern. Wo ist er?«
»In der Arbeit.«
»Dann hat er Glück, sonst hätte ich ihn mir mal ordentlich zur Brust genommen.«
Wir alle grinsten, weil wir wussten, dass sie nur Spaß machte. Slim mochte meinen Dad – und meine Mom – sehr, auch wenn ihre Sympathie für meine Brüder sich in Grenzen hielt.
»Wie lang brauchst du denn noch?«, fragte Rusty.
»Ich kann’s mir einteilen«, entgegnete ich. »Hauptsache, der Rasen ist gemäht, wenn Dad heute Abend nach Hause kommt.«
»Dann komm mit uns«, sagte Slim.
Ich nickte rasch und rannte ins Haus. Dort war niemand, denn meine Mom war zum wöchentlichen Einkauf im Supermarkt und meine Brüder – einer von ihnen war bereits verheiratet – wohnten nicht mehr zu Hause.
»Bin gleich wieder da!«, rief ich und schnappte mir, während ich die Stufen zur Veranda hinaufrannte, mein T-Shirt vom Geländer. Drinnen wischte ich mir damit den Schweiß von Stirn und Brust, bevor ich hinauf in mein Zimmer ging, den Kamm von der Kommode nahm und mich vor den Spiegel stellte. Dank meines Vaters waren meine Haare viel zu kurz. Meine Söhne laufen nicht herum wie Mädchen. Ich durfte nicht einmal Koteletten tragen. Meine Söhne laufen nicht herum wie Halbstarke. Dank meines Vaters hatte ich nicht viel Haar, das ich hätte kämmen können. Weil es aber verschwitzt und zerzaust war, fuhr ich ein paarmal mit dem Kamm durch und achtete darauf, dass der »Scheitel« kerzengerade war und ich wenigstens andeutungsweise eine Stirnlocke hatte.
Danach steckte ich meine Geldbörse ein, holte mir ein kurzärmeliges Hemd aus dem Schrank und zog es an, während ich die Treppe wieder nach unten eilte.
Rusty und Slim warteten auf der Veranda.
»Wo wollt ihr hin?«, fragte ich, während ich mir die Schuhe zuband.
»Das wirst du schon sehen«, antwortete Slim.
Ich schloss die Tür und folgte meinen Freunden hinunter in den Garten.
Rusty trug Jeans und ein altes Hemd, aber das hatten wir eigentlich alle an, wenn wir nicht gerade in die Kirche oder zur Schule gehen mussten. Jungs in unserem Alter trugen so gut wie nie kurze Hosen. Kurze Hosen waren was für Kinder, alte Säcke oder Mädchen.
Slim trug eine kurze Hose, eine abgeschnittene Bluejeans, die so ausgewaschen war, dass sie fast weiß aussah. Die Fransen hingen ihr wie ein ultrakurzes Baströckchen über die Oberschenkel. Über der Hose trug Slim ein weißes, weites T-Shirt, das ihr, weil sie es nicht in den Hosenbund gesteckt hatte, bis über den Hintern herabhing. Durch den dünnen Stoff konnte man ihr weißes BikiniOberteil sehen. Es war eines von diesen ziemlich knappen Dingern, die man am Rücken und oben am Hals zuband. Slim trug es anstatt eines Büstenhalters. Wahrscheinlich war es bequemer als ein BH und auf jeden Fall war es sehr viel praktischer.
Im Sommer trugen wir alle Badezeug anstatt Unterwäsche, schließlich konnte man niemals sagen, wann man am Freibad oder am Fluss vorbeikam … von Wolkenbrüchen, die einen bis auf die Knochen durchnässten, ganz zu schweigen.
Auch ich hatte an diesem Vormittag meine Badehose an, die noch ganz nass vom Schweiß war und mir an den Pobacken klebte, als ich mit Rusty und Slim die Straße entlangging.
»Also, was habt ihr vor?«, fragte ich nach einer Weile.
Slim sah mich an und hob eine Augenbraue. »Stufe eins ist bereits abgeschlossen.«
»Wie bitte?«, fragte ich.
»Wir haben dich aus den Ketten der Knechtschaft befreit.«
»An einem Tag wie heute kann man doch nicht rasenmähen«, erklärte Rusty.
»Danke, dass ihr mich befreit habt.«
»Gern geschehen«, meinte Rusty.
»War uns ein Vergnügen«, sagte Slim und klopfte mir wohlwollend auf den Rücken.
Es war nichts weiter als eine freundschaftliche Geste, aber ich verspürte dabei ein verzehrendes Gefühl voller Erregung und Einsamkeit. Ich hatte das in diesem Sommer ziemlich häufig gehabt, wenn ich mit Slim zusammen gewesen war, und es hatte nicht unbedingt etwas damit zu tun, dass sie mich berührte. Manchmal brauchte ich sie bloß anzusehen, und schon fühlte ich mich komisch.
Natürlich behielt ich das für mich.
»Jetzt gehen wir Stufe zwei an«, sagte Slim. »Wir schauen, was auf Janks Lichtung los ist.«
Ein eiskalter Schauder lief mir den Rücken hinab.
»Hast du etwa Angst?«, fragt Rusty.
»Und wie! Siehst du nicht, wie ich zittere?«
Ich zitterte tatsächlich, aber nicht so stark, dass man es hätte sehen können.
»Wir müssen da nicht hin«, sagte Slim.
»Also ich will auf alle Fälle«, sagte Rusty. »Wenn ihr zu viel Schiss habt, dann gehe ich eben alleine.«
»Was ist denn da draußen so Tolles?«, fragte ich.
»Das hier«, erwiderte Rusty.
Bis jetzt waren wir in einer Reihe mit Slim in der Mitte die Hauptstraße entlanggegangen, nun kam Rusty herüber zu mir und zog ein zusammengefaltetes Stück Papier aus der hinteren Hosentasche.
»Die Dinger hängen hier überall rum«, sagte er, während er es auseinanderfaltete.
An der Art, wie er mir das Stück Papier...