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Küsse im Morgenlicht - Roman

Stephanie Laurens

 

Verlag Blanvalet, 2009

ISBN 9783641029098 , 704 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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5,99 EUR


 

1
Mount Street, London 25. Mai 1825 3 Uhr früh
Er war betrunken. Herrlich betrunken. So betrunken, wie er überhaupt noch nie in seinem Leben gewesen war. Nicht, dass er sich für gewöhnlich regelmäßig betrank, nein, das nun wirklich nicht. Es war nur so, dass die vergangene Nacht, oder vielmehr speziell dieser Morgen, ein ganz besonderer Anlass gewesen war, ein einmaliges Ereignis, das entsprechend hatte gefeiert werden müssen. Nach acht langen Jahren war er nun endlich frei.
Lucien Michael Ashford, Sechster Vicomte Calverton, schlenderte die Mount Street entlang und ließ dabei lässig seinen Spazierstock aus Ebenholz durch die Luft wirbeln, auf seinen Lippen ein Lächeln reiner, unverfälschter Freude.
Er war neunundzwanzig Jahre alt, und dennoch hatte sein Leben als Erwachsener im Grunde erst mit dem heutigen Tage begonnen. Der heutige Tag war quasi der erste, an dem er besagtes Leben endlich mit Fug und Recht sein Eigen nennen durfte. Und es kam sogar noch besser: Denn seit dem gestrigen Tag war er nicht nur frei, sondern auch noch reich. Sagenhaft, fantastisch – und noch dazu absolut rechtmäßig – reich. Eigentlich gab es nicht viel mehr, was er sich noch hätte wünschen können; oder zumindest fiel ihm nicht mehr viel ein. Und hätte er nicht befürchten müssen, auf die Nase zu fallen, so wäre er vor lauter Übermut die menschenleere Straße hinuntergehüpft.
Der Mond stand hoch am Himmel, erhellte mit seinem Licht die Bürgersteige und warf tiefe Schatten. Die Stadt um ihn, Luc, herum lag in tiefem Schlaf; tatsächlich jedoch herrschte in der Metropole London niemals wirkliche Stille, selbst jetzt nicht, um diese nächtliche Stunde. Aus einiger Entfernung ertönte, verzerrt durch die Steinfassaden ringsumher, das Klirren von Pferdegeschirr, das dumpfe Trappeln von Hufen, eine geisterhafte Stimme, die irgendetwas rief. Und obgleich selbst hier, in einem der vornehmsten Viertel Londons, in der Dunkelheit zuweilen Gefahren lauerten, empfand Luc die einsame nächtliche Straße nicht als bedrohlich. Seine Sinne waren alle noch durchaus funktionsfähig, und trotz seines berauschten Zustandes achtete er sorgfältig darauf, mit festen, gleichmäßigen Schritten zu gehen. Falls also irgendwo in den Schatten jemand auf der Lauer lag und ihn in verbrecherischer Absicht beobachtete, so würde dieser keinen Betrunkenen sehen, sondern einen groß gewachsenen, ausnehmend gut gebauten, eleganten, athletischen Gentleman, der lässig einen Spazierstock schwenkte – einen Spazierstock, in dem sich womöglich ein Stockdegen verbergen könnte und auch in der Tat verbarg. Woraufhin jeder Dieb, der auch nur halbwegs bei Verstand war, sich lieber ein anderes Opfer suchen würde.
Luc hatte eine halbe Stunde zuvor seinen Club in St. James verlassen, wo er mit einer Gruppe von Freunden zusammengesessen hatte. Sie hatten eine nicht unbeträchtliche Menge allerfeinsten französischen Kognaks genossen, und um die benebelnde Wirkung wieder abzuschütteln, hatte Luc beschlossen, keine Droschke nach Hause zu nehmen, sondern besser zu Fuß zu gehen. Alles in allem war seine Feier jedoch noch relativ maßvoll gewesen. War Lucs Euphorie doch ein klein wenig gedämpft worden durch die simple Tatsache, dass ja keiner der besagten Freunde – tatsächlich sogar niemand außer seiner Mutter und seinem gewieften alten Bankier, Robert Child – je irgendetwas über seine vorherigen, bedrückenden Lebensumstände gewusst hatte, über die ernste Notlage, in die Luc und alle seine unmittelbaren Angehörigen durch seinen vor mittlerweile acht Jahren verstorbenen Vater gebracht worden waren, über die äußerst riskante und bedrohliche Situation, aus der Luc sich und die seinen die gesamten vergangenen acht Jahre mühsam und Schritt für Schritt wieder herauszukämpfen versucht hatte, und die er erst mit dem gestrigen Tage endgültig hatte überwinden können.
Die Tatsache, dass Lucs Freunde keine Ahnung hatten, was genau er da eigentlich feierte, hatte sie aber natürlich nicht davon abgehalten, ihm Gesellschaft zu leisten. Und daraus hatte sich dann eine lange Nacht voller Wein, Gesang und den schlichten Freuden einer in Kameradschaft verbundenen Männerrunde ergeben.
Es war nur jammerschade, dass sein ältester Freund, sein Cousin Martin Fulbridge, jetzt Dexter, Graf von Dexter, gegenwärtig nicht in London weilte. Andererseits amüsierte Martin sich ganz zweifellos in seinem Heim oben im Norden, schwelgte in den Freuden und Vergnügungen, wie sie einem Frischvermählten zukamen. Seine Hochzeit mit Amanda Cynster lag schließlich erst eine Woche zurück.
Still vor sich hingrinsend, schüttelte Luc im Geiste voller Überheblichkeit den Kopf über die Schwäche seines Cousins, über dessen Kapitulation vor der Liebe. Kurz darauf kam Luc bei seinem Haus an und wandte sich ein wenig unsicher der Treppe mit den flachen Stufen zu, die zur Eingangstür hinaufführte. Für einen kurzen Augenblick drehte sich alles in seinem Kopf, dann legte sich der Schwindelanfall wieder. Vorsichtig stieg Luc die Stufen hinauf, blieb vor der Tür stehen und kramte in seiner Tasche nach den Schlüsseln.
Zweimal glitten sie ihm wieder aus den Fingern, bis es ihm endlich gelang, den schweren Bund zu fassen zu bekommen und aus der Tasche herauszuzerren. Er hielt den Ring in seiner Hand und mühte sich stirnrunzelnd damit ab, die diversen Schlüssel zu sortieren und den einen zu identifizieren, der zur Haustür gehörte. Schließlich fand Luc ihn. Er packte ihn ganz fest, kniff die Augen zusammen, führte ihn in Richtung Schlüsselloch... nach dem dritten Versuch traf er denn auch endlich sein Ziel, und der Schlüssel glitt ins Loch. Luc drehte ihn herum und hörte, wie die Riegel des Türschlosses nachgaben.
Er schob den Schlüsselbund wieder in seine Tasche, drehte den eisernen Knauf und ließ die Haustür weit aufschwingen. Dann trat er über die Schwelle -
In genau diesem Moment schoss plötzlich eine Art Derwisch aus dem gähnenden schwarzen Loch der Souterraintreppe hervor. Luc konnte nur einen ganz flüchtigen Blick auf die Erscheinung erhaschen, wurde nur den Bruchteil einer Sekunde vorgewarnt, bevor die Gestalt auch schon an ihm vorbeiflitzte und ihn dabei so unsanft mit dem Ellenbogen anrempelte, dass er das Gleichgewicht verlor. Er taumelte vorwärts und landete an der Wand der Eingangshalle.
Dieser flüchtige menschliche Kontakt, wenngleich auch durch diverse Stoffschichten gedämpft, sandte einen jähen Stromstoß der Erregung durch seinen Körper und verriet ihm unmissverständlich, wer dieser nächtliche Wirbelwind war: Nämlich Amelia Cynster, Zwillingsschwester der frisch angetrauten Ehefrau seines Cousins und langjährige Freundin seiner, Lucs, Familie. Er hatte Amelia schon gekannt, als sie noch in den Windeln gelegen hatte. Genau wie er, so war auch Amelia noch ledig, und sie besaß ein wahrhaft stählernes Rückgrat. In einen Umhang gehüllt, die Kapuze tief in die Stirn gezogen, stürmte sie in die matt erleuchtete Eingangshalle, kam abrupt zum Stehen, wirbelte herum und heftete ihren Blick auf Luc.
Die Wand hinter seinen Schultern war das Einzige, was ihn noch aufrecht hielt. Er starrte die Erscheinung an, verdutzt und ganz und gar verwirrt... wartete darauf, dass die Nachwirkungen ihrer Berührung abklangen...
Sie gab ein ärgerlich-frustriert klingendes Geräusch von sich, flitzte wieder zur Haustür zurück, packte den Knauf und ließ die Tür mit einer energischen Bewegung ins Schloss fallen. Nachdem das Licht des Mondes auf diese Weise jäh ausgesperrt worden war, musste Luc ein paarmal blinzeln, während er darauf wartete, dass seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten. Und schon fuhr Amelia abermals zu ihm herum; lehnte sich dann mit dem Rücken gegen die Türfüllung und funkelte Luc wütend an – er konnte es deutlich spüren.
»Was zum Teufel ist eigentlich mit dir los?«, zischte sie.
»Mit mir?« Er löste seine Schultern von der stützenden Wand und schaffte es, sein Gleichgewicht wiederzugewinnen. »Die Frage sollte doch wohl eher lauten: Was, verdammte Pest noch mal, machst du denn hier?«
Er hatte keine Ahnung, was sie wollte, konnte es sich noch nicht einmal ansatzweise vorstellen. Durch das fächerförmige Oberlicht über der Tür strömte das Mondlicht herein und fiel über ihrer beider Köpfe hinweg auf den mit hellen Fliesen ausgelegten Fußboden der Halle. In dem diffusen Licht konnte Luc nur gerade eben Amelias ovales Gesicht mit den fein geschnittenen Zügen ausmachen, umrahmt von üppigen blonden Locken, die unter ihrer Kapuze hervorquollen.
Sie straffte die Schultern, reckte energisch das Kinn und schob ihre Kapuze in den Nacken zurück. »Ich wollte mit dir unter vier Augen sprechen.«
»Es ist drei Uhr morgens!«
»Das weiß ich selbst! Ich habe schließlich schon seit ein Uhr auf dich gewartet. Aber ich wollte unbedingt mit dir sprechen, ohne dass sonst irgendjemand davon weiß. Und ich kann ja schließlich schlecht während des Tages herkommen und darauf bestehen, dass ich mal ungestört mit dir reden möchte, oder?«
»Nein, und zwar aus einem sehr guten Grund.« Sie war schließlich noch unverheiratet und er desgleichen. Und wenn Amelia sich nun nicht unmittelbar vor der Tür postiert hätte, dann hätte Luc diese am liebsten gleich wieder geöffnet und Amelia... plötzlich runzelte er die Stirn. »Bist du etwa allein gekommen?«
»Natürlich nicht. Ich habe einen Lakaien mitgebracht, der draußen wartet.«
Luc fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Ach so. Gut.« Allmählich wurde die Sache kompliziert.
»Herrgott im Himmel noch mal! Nun hör dir doch...