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Das Lied von Eis und Feuer 10 - Ein Tanz mit Drachen

George R.R. Martin

 

Verlag Penhaligon, 2012

ISBN 9783641085186 , 784 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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12,99 EUR


 

JON

Val wartete in der Kälte vor der Morgendämmerung am Tor und hatte sich in ein Bärenfell gehüllt, das von der Größe her auch Sam gepasst hätte. Neben ihr stand ein Bergpferd gesattelt und gezäumt, ein zotteliger Grauschimmel mit einem weißen Auge. Mully und der Schwermütige Edd standen bei ihr, zwei Wachen, die gar nicht zu dieser Aufgabe passten. Ihr Atem gefror in der kalten schwarzen Luft.

»Ihr habt ihr ein blindes Pferd gegeben?«, fragte Jon.

»Nur halb blind, M’lord«, erwiderte Mully. »Ansonsten ist es gesund.« Er tätschelte dem Pferd den Hals.

»Das Pferd ist vielleicht halb blind, aber ich nicht«, sagte Val. »Ich weiß, wohin ich muss.«

»Mylady, Ihr müsst das nicht tun. Das Risiko …«

»… liegt bei mir, Lord Schnee. Ich bin keine Lady aus dem Süden, sondern eine Frau aus dem Freien Volk. Deshalb kenne ich den Wald besser als all Eure Grenzer in ihren schwarzen Mänteln. Für mich gibt es dort keine Geister.«

Hoffentlich nicht. Jon zählte darauf, und er vertraute darauf, dass Val dort Erfolg haben würde, wo der Schwarze Hans Bulwer und seine Gefährten gescheitert waren. Und sie musste auch das Freie Volk nicht fürchten, so hoffte er … doch sie beide wussten, dass in diesen Wäldern nicht nur die Wildlinge lauerten. »Habt Ihr genug Vorräte?«

»Hartes Brot, harten Käse, Haferkuchen, gesalzenen Dorsch, gesalzenes Rind, gesalzenen Hammel und einen Schlauch mit süßem Wein, der mir das ganze Salz aus dem Mund spülen wird. Ich werde nicht verhungern.«

»Dann ist es Zeit, dass Ihr aufbrecht.«

»Ihr habt mein Wort, Lord Schnee. Ich kehre zurück, mit Tormund oder ohne ihn.« Val schaute zum Himmel. Es war Halbmond. »Haltet am ersten Tag des Vollmonds Ausschau nach mir.«

»Das werde ich.« Lasst mich nicht im Stich, dachte er, sonst wird Stannis sich meinen Kopf holen. »Habe ich Euer Wort, dass Ihr unsere Prinzessin in der Nähe behaltet?«, hatte der König gefragt, und Jon hatte es ihm versprochen. Aber Val ist keine Prinzessin. Ich habe es ihm hundertmal gesagt. Das war nur eine schwache Ausrede, ein trauriger Lappen, mit dem er sein gebrochenes Wort verbunden hatte. Sein Vater hätte dem niemals zugestimmt. Ich bin der Schild, der die Reiche der Menschen schützt, rief sich Jon in Erinnerung, und letzten Endes muss das mehr Wert haben als die Ehre eines Mannes.

Die Straße unter der Mauer war so dunkel und kalt wie der Bauch eines Eisdrachens, und sie wand sich in Kurven wie eine Schlange. Der Schwermütige Edd führte sie mit einer Fackel in der Hand hindurch. Mully hatte die Schlüssel für die drei Tore, wo Stangen aus schwarzem Eisen, dick wie der Arm eines Mannes, den Durchgang versperrten. Die Speerträger an jedem Tor neigten den Kopf vor Jon Schnee, starrten Val und ihr Pferd jedoch unverhohlen an.

Als sie nördlich der Mauer durch eine dicke Tür aus frischgeschlagenem grünem Holz ins Freie traten, hielt die Wildlingsprinzessin einen Moment lang inne und ließ den Blick über das schneebedeckte Feld schweifen, auf dem König Stannis seine Schlacht gewonnen hatte. Jenseits davon wartete düster und schweigend der Verfluchte Wald. Im Schein des Halbmondes glänzte Vals honigblondes Haar silbern, und ihre Wangen wirkten weiß wie Schnee. Sie holte tief Luft. »Die Luft schmeckt süß.«

»Meine Zunge ist zu taub, um das zu erkennen. Ich schmecke nur die Kälte.«

»Kälte?« Val lachte geringschätzig. »Nein. Wenn es kalt ist, schmerzt das Atmen. Wenn die Anderen kommen …«

Der Gedanke daran war beunruhigend. Sechs der Grenzer, die Jon ausgeschickt hatte, wurden noch vermisst. Es ist zu früh. Sie kommen sicher noch zurück. Doch eine andere Stimme in ihm beharrte: Sie sind tot, jeder Einzelne. Du hast sie zum Sterben hinausgeschickt, und das Gleiche machst du mit Val. »Teilt Tormund mit, was ich Euch gesagt habe.«

»Er wird Euren Worten vielleicht nicht zustimmen, aber er wird sie anhören.« Val küsste ihn leicht auf die Wange. »Vielen Dank, Lord Schnee. Für das halb blinde Pferd, den gesalzenen Dorsch und die freie Luft. Für die Hoffnung.«

Ihr Atem vermischte sich zu weißem Dunst. Jon Schnee zog sich zurück. »Was ich als Dank möchte, ist allein …«

»… Tormund Riesentod. Ja.« Val setzte sich die Kapuze ihres Bärenfells auf. Der braune Pelz war mit grauen Sprenkeln überzogen. »Eine Frage noch, bevor ich gehe. Habt Ihr Jarl getötet, Mylord?«

»Die Mauer hat Jarl getötet.«

»Das habe ich auch gehört. Aber ich musste sicher sein.«

»Ihr habt mein Wort. Ich habe ihn nicht getötet.« Obwohl ich es möglicherweise getan hätte, wenn alles anders verlaufen wäre.

»Dann sagen wir einander also Lebewohl«, meinte sie beinahe ausgelassen.

Jon Schnee war nicht in der rechten Stimmung. Es ist zu kalt und zu dunkel für Ausgelassenheit und überhaupt viel zu spät. »Nur für eine Weile. Ihr werdet zurückkehren. Des Jungen wegen, wenn schon aus keinem anderen Grund.«

»Crasters Sohn?« Val zuckte mit den Schultern. »Ich bin nicht mit ihm verwandt.«

»Ich habe gehört, Ihr singt für ihn.«

»Ich habe für mich gesungen. Kann man mir die Schuld geben, wenn er zuhört?« Ein leises Lächeln huschte über ihre Lippen. »Es bringt ihn zum Lachen. Oh, na gut. Er ist ein süßes kleines Ungeheuer.«

»Ein Ungeheuer?«

»Sein Milchname. Ich musste ihn irgendwie nennen. Sorgt dafür, dass er in Sicherheit ist und es warm hat. Um seiner Mutter willen und für mich. Und haltet ihn von der Roten Frau fern. Sie weiß, wer er ist. Sie sieht Dinge in ihren Feuern.«

Arya, dachte er und hoffte, es stimmte. »Asche und Kohlen.«

»Könige und Drachen.«

Schon wieder Drachen. Einen Moment lang konnte Jon sie fast ebenfalls sehen, wie sie sich durch die Nacht schwangen, die dunklen Schwingen als Silhouette vor einem Meer aus Flammen. »Wenn sie Bescheid wüsste, hätte sie uns den Jungen weggenommen. Dallas Jungen, nicht Euer Ungeheuer. Ein Wort in des Königs Ohr hätte allem ein Ende gemacht.« Und auch mir. Stannis hätte es als Verrat ausgelegt. »Warum sollte sie es zulassen, wenn sie Bescheid weiß?«

»Weil es ihr passt. Feuer ist ein launisches Ding. Niemand weiß, in welche Richtung die Flamme wandert.« Val stellte einen Fuß in den Steigbügel, schwang sich in den Sattel und schaute herunter. »Erinnert Ihr Euch, was meine Schwester zu Euch gesagt hat?«

»Ja.« Ein Schwert ohne Heft, das man auf keine Art sicher halten kann. Aber Melisandre hatte recht. Selbst ein Schwert ohne Heft ist besser als eine leere Hand, wenn man von Feinden umzingelt ist.

»Gut.« Val drehte das Pferd in Richtung Norden. »Dann also bis zur ersten Nacht des Vollmonds.« Jon schaute ihr nach, wie sie davonritt, und fragte sich, ob er sie je wiedersehen würde. Ich bin keine Lady aus dem Süden, hallte es in seinen Ohren wider, sondern eine Frau aus dem Freien Volk.

»Mir ist es gleich, was sie sagt«, murmelte der Schwermütige Edd, als Val hinter einer Gruppe Soldatenkiefern verschwand. »Die Luft ist so kalt, dass es beim Atmen wehtut. Ich würde ja damit aufhören, aber das würde noch mehr wehtun.« Er rieb die Hände aneinander. »Diese Sache wird ein böses Ende nehmen.«

»Das sagst du über alles.«

»Ja, M’lord. Und für gewöhnlich behalte ich recht.«

Mully räusperte sich. »M’lord? Weil Ihr die Wildlingsprinzessin gehen lasst, sagen die Männer …«

»… dass ich selbst ein halber Wildling bin, ein Abtrünniger, der das Reich an die Räuber, Kannibalen und Riesen verkaufen will.« Jon brauchte nicht ins Feuer zu starren, um zu wissen, was man sich über ihn erzählte. Und, was das Schlimmste war, sie lagen nicht einmal falsch damit, jedenfalls nicht gänzlich. »Worte sind Wind, und an der Mauer weht immer der Wind. Kommt.«

Als Jon in seine Gemächer hinter der Waffenschmiede zurückkehrte, war es noch dunkel. Geist war noch nicht zurückgekommen. Immer noch auf der Jagd. Der große weiße Schattenwolf war in der letzten Zeit häufiger unterwegs als zu Hause und zog auf der Suche nach Beute immer größere Kreise. Zwischen der Wache und den Wildlingen in Mulwarft waren die Hügel und Felder nahe der Schwarzen Festung leergejagt, und es hatte hier schon immer sehr wenig Wild gegeben. Der Winter naht, dachte Jon. Und zwar bald, viel zu bald. Er fragte sich, ob er je einen Frühling erleben würde.

Der Schwermütige Edd wanderte hinüber zur Küche und kehrte bald mit einem Krug braunen Biers und einem Teller mit Haube zurück. Unter dem Deckel fand Jon drei gebratene Enteneier, eine Scheibe Speck, zwei Würste, Blutwurst und einen halben Laib Brot, der noch warm vom Ofen war. Er aß das Brot und ein halbes Ei. Den Speck hätte er auch gegessen, aber der Rabe machte sich damit davon, ehe Jon Gelegenheit dazu bekam. »Dieb«, sagte Jon, während der Vogel zum Sims über der Tür hinaufflatterte und sich dort über seine Beute hermachte.

»Dieb«, stimmte der Rabe zu.

Jon biss von einer Wurst ab. Er spülte den Geschmack gerade mit einem Schluck Bier hinunter, als Edd wieder hereinkam und ihm mitteilte, dass Bowen Marsch draußen wartete. »Othell ist bei ihm, und Septon Cellador...