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Codex Alera 1 - Die Elementare von Calderon

Jim Butcher

 

Verlag Blanvalet, 2009

ISBN 9783641027964 , 608 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

1
Amara saß auf dem schwankenden Rücken eines riesigen alten Gargantenbullen und ging ihren Plan noch einmal im Geiste durch. Die Morgensonne schien ihr ins Gesicht, vertrieb die Kälte aus der dunstigen Luft und wärmte ihre dunklen Wollröcke. Hinter ihr quietschten und ächzten die Achsen des Karrens unter dem Gewicht der Ladung. Der Sklavenring, den sie trug, scheuerte ihr die Haut auf; bei der nächsten Mission würde sie daran denken, ihn einige Tage vorher anzulegen, um sich daran zu gewöhnen.
Vorausgesetzt, sie überlebte diese hier.
Die Angst kroch ihr über den Rücken, und Amara zog die Schultern zusammen. Sie holte tief Luft und stieß sie wieder aus, schloss die Augen für einen Moment, verdrängte alle Gedanken und konzentrierte sich auf das, was sie mit ihren Sinnen wahrnehmen konnte: Sonnenlicht auf dem Gesicht, das Wanken des stinkenden Garganten mit seinen langen Schritten, das Ächzen der Karrenachsen.
»Nervös?«, fragte der Mann, der neben dem Garganten ging. In seinen Händen baumelte ein Stachelstock, den er allerdings im Laufe der ganzen Reise noch nicht ein einziges Mal benutzt hatte. Er führte das Tier nur mit den Riemen, obwohl er dem alten Bullen kaum bis zu den braunbehaarten Oberschenkeln reichte. Der Mann trug die einfache Kleidung eines fahrenden Händlers: braune enge Hose, robuste Sandalen und eine gesteppte Jacke über dem Hemd – dunkelgrün auf naturfarben. Den langen Umhang, schmutziggrün mit Stickereien, hatte er auf die Seite geschoben, während die Sonne höher stieg.
»Nein«, log Amara. Sie öffnete die Augen wieder und starrte nach vorn.
Fidelias lachte. »Du lügst. So schlecht ist der Plan allerdings gar nicht. Er könnte funktionieren.«
Amara warf ihrem Lehrer einen skeptischen Blick zu. »Aber du hättest noch einen Vorschlag?«
»Bei deiner Abschlussübung?«, fragte Fidelias. »Bei den Krähen, nein. Das würde mir nicht im Traum einfallen, Akadem. Damit würde ich ja deine Leistung herabsetzen.«
Amara fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Trotzdem meinst du, ich hätte vielleicht etwas übersehen?«
Fidelias warf ihr einen unschuldigen Blick zu. »Mir stellen sich da lediglich ein paar Fragen.«
»Fragen?«, sagte Amara. »Wir sind gleich da.«
»Ich kann sie auch für mich behalten, bis wir angekommen sind, falls dir das lieber ist.«
»Wenn du nicht mein Patriserus wärest, ich glaube, ich könnte dich nicht leiden«, seufzte Amara.
»Nett, wie du das sagst«, erwiderte Fidelias. »Du hast schon viel erreicht, seit du an der Akademie angefangen hast. Erinnerst du dich noch, wie schockiert du warst, als dir dämmerte, dass die Kursoren nicht nur Sendschreiben überbringen?«
»Musst du immer noch auf dieser Geschichte herumreiten? Du weißt, ich mag das nicht.«
»Nein«, meinte Fidelias und grinste. »Eben deshalb reite ich so gerne darauf herum, weil du es nicht magst.«
Sie warf ihm einen spitzbübischen Blick zu. »Deshalb schickt dich der Kursor Legatus immer fort auf Missionen, glaube ich.«
»Das liegt an meinem einnehmenden Wesen«, stimmte Fidelias zu. »Also gut. Meine erste Sorge -«
»Frage«, berichtigte Amara.
»Frage«, räumte er ein, »betrifft unsere Tarnung.«
»Was stellt sich da für eine Frage? Armeen brauchen Eisen. Du bist ein Erzschmuggler, ich bin deine Sklavin. Als du gehört hast, dass du hier draußen etwas verkaufen könntest, bist du hergekommen, um ein wenig Geld zu machen.«
»Ach«, meinte Fidelias, »und was erzähle ich ihnen, wenn sie nach der Herkunft des Erzes fragen? Man findet so was ja schließlich nicht einfach am Straßenrand, oder?«
»Du bist ein Kursor Callidus. Dir fällt da doch bestimmt was Schönes ein.«
Fidelias lachte. »Immerhin hast du schon gelernt, Aufgaben zu delegieren. Wir nähern uns also dieser abtrünnigen Legion mit unserem wertvollen Erz.« Er deutete mit dem Kopf auf den quietschenden Karren. »Wie hindern wir sie daran, uns unsere Ladung einfach abzunehmen?«
»Du bist der Erste einer ganzen Gruppe von Schmugglern und vertrittst in dieser Angelegenheit mehrere Händler. Man wartet, bis du mit Ergebnissen zurückkommst, und wenn es sich lohnt, sind die anderen bereit, ihre Vorräte ebenfalls zu verkaufen.«
»Genau das verstehe ich nicht«, sagte Fidelias mit unschuldiger Miene. »Wenn es sich tatsächlich um eine abtrünnige Legion handelt, die, wie die Gerüchte behaupten, unter dem Befehl eines Hohen Fürsten steht und bereits Vorbereitungen trifft, den Ersten Fürsten zu stürzen... werden sie nicht um jeden Preis verhindern wollen, dass man von ihrer Existenz erfährt? Gleichgültig, ob im Guten oder im Schlechten?«
»Ja«, stimmte Amara zu. Sie blickte ihn an. »Was hervorragend zu unseren Plänen passt. Verstehst du? Wenn du nicht von deinem kleinen Ausflug zurückkehrst, wird man überall in Alera von der Existenz dieses Lagers erfahren.«
»Unausweichlich, denn man weiß ja sowieso schon darüber Bescheid. Eine ganze Legion kann man kaum lange geheim halten.«
»Das ist jedenfalls die beste Geschichte, die mir einfällt«, sagte Amara. »Oder hast du einen besseren Vorschlag?«
»Wir schleichen uns mit Hilfe unserer Elementarkräfte ins Lager, sammeln Beweise und verschwinden so schnell, als wären die Krähen hinter uns her.«
»Oh«, meinte Amara. »Daran habe ich auch schon gedacht. Allerdings finde ich es zu einfallslos und vorhersehbar.«
»Der Vorteil liegt in der Einfachheit«, hielt Fidelias dagegen. »Wir teilen der Krone alles mit, was wir herausgefunden haben, geben ihnen die schlagkräftigen Beweise und überlassen es dem Ersten Fürsten, einen umfassenden Feldzug gegen die Abtrünnigen zu führen.«
»Ja, einfacher ist es schon. Aber sobald derjenige, der dieses Lager leitet, erfährt, dass er von Kursoren beobachtet wurde, wird er es einfach auflösen und die Unternehmung an anderer Stelle fortsetzen. Die Krone wird einfach nur Geld und Mühe und Leben verschwenden müssen, um die Legion wieder aufzuspüren. Und wer auch immer es ist, der sein Geld ausgibt, um eine eigene Armee aufzustellen, könnte einfach verschwinden.«
Fidelias blickte zu ihr hoch und pfiff leise. »Du willst dich also einschleichen, ohne entlarvt zu werden, die Krone informieren, und dann?«
»Dann kann man einige Kohorten Ritter Aeris herführen und die Legion an Ort und Stelle zerschlagen«, meinte Amara. »Die Gefangenen werden verhört, um die Hintermänner aufzudecken, und damit wäre die Sache erledigt.«
»Ganz schön ehrgeizig«, erwiderte Fidelias. »Äußerst ehrgeizig. Und gefährlich dazu. Wenn sie uns erwischen, sind wir so gut wie tot. Man sollte davon ausgehen, dass sie ebenfalls Ritter haben – und nach dem einen oder anderen Kursor Ausschau halten.«
»Eben deshalb lassen wir uns nicht erwischen«, sagte Amara. »Wir spielen den armen, gierigen Schmuggler und seine Sklavin und feilschen, so gut wir können, um möglichst viel Geld aus ihnen herauszuholen. Danach ziehen wir wieder ab.«
»Und behalten das Geld.« Fidelias runzelte die Stirn. »Im Prinzip gefällt mir eine Mission, bei der ich etwas dazuverdienen kann. Aber, Amara, bei dieser hier könnte eine Menge schiefgehen.«
»Wir sind die Gesandten des Ersten Fürsten, oder nicht? Seine Augen und Ohren?«
»Du brauchst den Codex für mich nicht zu zitieren«, brummte Fidelias verärgert. »Ich war schon Kursor, noch bevor deine Mutter und dein Vater ihre ersten Elementare gerufen hatten. Bilde dir nur nicht ein, der Erste Fürst habe deshalb einen Narren an dir gefressen, weil du besser Bescheid weißt als ich.«
»Aber das Risiko wäre es wert, findest du nicht?«
»Ich finde, du kennst noch nicht die ganze Geschichte«, entgegnete Fidelias und wirkte plötzlich sehr alt. »Überlass die Sache mir, Amara. Ich gehe ins Lager. Du bleibst hier, und ich hole dich auf dem Rückweg wieder ab. Wozu sollen wir beide unser Leben riskieren?«
»Nein«, sagte sie. »Erstens ist dies meine Mission. Zweitens darfst du dich nicht ablenken lassen, während du deine Rolle spielst. Ich kann inzwischen alles genau beobachten – von hier oben sogar besonders gut.« Sie tätschelte den breiten Rücken des Garganten, und der Bulle schnaubte zur Antwort und wirbelte eine Staubwolke auf. »Außerdem kann ich uns den Rücken freihalten. Wenn ich den Eindruck habe, sie kommen uns auf die Schliche, verschwinden wir einfach.«
Fidelias murmelte: »Ich dachte, wir würden uns als Reisende tarnen. Uns dem Lager nähern und uns...