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Hitzewelle - Roman

Anne B. Ragde

 

Verlag btb, 2009

ISBN 9783641033163 , 320 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

  • In seinen Händen - Thriller
    Tiefe Wunden
    Schneewittchen muss sterben
    Vollidiot - Der Roman
    Millionär - Der Roman
    Der verborgene Garten - Roman

     

     

     

 

 

Er riss ein Stück Papier aus dem Behälter am Waschbecken, drehte es zu einer Spitze zusammen und trocknete gründlich das Loch ab, in dem er das weiße Kreuz festschraubte. Wenn sich dort über längere Zeit Wasser ansammelte, würde er Rost auf dem Autodach haben. Als er sicher war, dass alles ganz trocken war, stopfte er ein weiteres Stück Papier ins Loch und zog eine Rolle Klebeband aus der Tasche. Mit den Zähnen riss er etwas hellbraunes Paketklebeband ab und zog es über das Papierstück. Es könnte Regen geben, man konnte nie wissen, auch wenn die Sonne schien. Die Welt war unvorhersagbar.
 
Er liebte dieses Auto. Und er pflegte es sorgfältig. Er erinnerte sich daran, wie er diese Autowerkstatt entdeckt hatte, kurz nachdem sie eröffnet wurde. Bis dahin hatte er selbst die Reifen gewechselt und die acht unbenutzten im Sarglager in Fossegrenda aufbewahrt. Es hatte ihm jeden Frühling und Herbst vor dem Reifenwechsel gegraut, es war Schwerstarbeit bei diesen großen Autos, und es erschien ihm als eine Niederlage, diese Arbeit anderen zu überlassen. Bis er den Neffen des Inhabers begraben hatte, Stein-Ove, der ihm – während sie darauf warteten, dass die Kirche sich füllte – in einem verzweifelten Versuch von nichtssagendem Smalltalk alle Details über die Sonderangebote vorgetragen hatte, die sie für Autobesitzer vorbereitet hatten. Seither war er dort Stammkunde. Nicht nur für Reifenwechsel und Reifenaufbewahrung, sondern auch, wenn der Chevrolet gründlich poliert werden musste. Ein Chevrolet Caprice 84-Modell, noch immer und hoffentlich noch bis weit in die Zukunft hinein Gold wert.
Ein Leichenwagen musste bei jedem Wetter sauber sein und glänzen. Auch Taxis mussten sauber sein, sie fuhren ja Touren, für die die Kundschaft bezahlte, aber bei richtig schlechtem Dreckswetter würde kein Fahrgast auch nur die Augenbraue heben, wenn er an den Seitentüren ein paar Dreckspritzer entdeckte. Ein Leichenwagen dagegen, der mit dem Verstorbenen unendlich langsam über die Kieswege vor einer Kapelle oder einer Kirche fahren musste, während die Trauernden ihn nicht aus den Augen ließen, durfte an keiner Stelle einen Schmutzflecken aufweisen. Er hatte oft genug vor Kirchen gehalten und festgestellt, dass der Wagen auf der Hinfahrt schmutzig geworden war, und er hatte zu Sprühflasche und weichem Flanell gegriffen und vorsichtig an den Rändern unter den Türen den Lack gesäubert. Gründliches Polieren war deshalb wichtig, weil der Schmutz sich dann leichter löste.
Das Beste an dieser Werkstatt war, dass sie Waschstra ßen mit Selbstbedienung hatten, er verabscheute Waschautomaten, die die Wagen fast vergewaltigten. Wasser und Seife, darum ging es, nicht darum, dass riesige Bürsten loslegten und das Auto unter ihnen fast ohne Schonung in die Mangel nahmen. So wenig Berührung wie möglich, dann wurde es am saubersten. Das hatten sie hier, wo sogar die Waschautomaten die schonendsten in der ganzen Stadt waren, begriffen.
 
Das Telefon klingelte. Er schob die Hand unter die durchsichtige Wegwerfschürze aus Kunststoff, die er sich umgebunden hatte, um seine Kleider vor dem schmutzigen Wasser zu schützen. Er hatte sie im Kreuz und im Nacken gebunden, die Angestellten hier lachten immer über ihn, wenn er sich so zurechtmachte. Sie begriffen sehr gut, dass diese Schürze eigentlich dazu diente, ihn beim Zurechtmachen von Toten zu schützen. Aber jetzt hatten so viele »Six Feet Under« gesehen, jedenfalls die, die hier arbeiteten und von seinem Beruf wussten, dass ihnen die Arbeit an einem Leichnam ebenso vertraut zu sein schien wie Ingrid Espelid Hovigs Fernsehküche. Immer wollten sie mit ihm darüber diskutieren, obwohl er stets erklärt hatte, in einem Bestattungsunternehmen in Norwegen zu arbeiten, sei – im Vergleich zu den USA -, wie sich auf einem anderen Planeten zu befinden.
 
»Margido Neshov.«
Es war Frau Marstad aus dem Büro. Sie wollte wissen, ob er sich an diesem Tag mit ihrem Neffen zusammensetzen könne. Es gehe um diese Homepage für das Internet.
»Heute? Ich wasche gerade die Wagen. Mit dem CX habe ich nicht einmal angefangen, ich bin noch mit dem Caprice beschäftigt. Und sie müssen auch noch von innen gereinigt werden.«
Das könne er doch den Angestellten der Werkstatt überlassen, das sei doch schließlich der Sinn der Sache.
»Sicherlich, aber sie haben hier Selbstbedienungs-Waschhallen, und da lege ich doch lieber selbst Hand an. Dann weiß ich, dass es richtig gemacht wird.«
Aber es eile mit der Homepage, die werde ja nur immer weiter aufgeschoben. Und an diesem Tag habe ihr Neffe eben Zeit. Er brauche lediglich ein bisschen Input, dann werde er einen Vorschlag machen.
»Kannst nicht du ihm diesen... Input geben?«
Das könne sie durchaus.
»Du kennst dich doch mit Computern aus.«
Es gehe hier aber nicht um Computer, sondern um Inhalte. Könne er die Sache nicht einfach wie eine Broschüre behandeln? Nur, dass die Seiten eben auf dem Bildschirm stünden?
Es ärgerte ihn wahnsinnig, dass sie mit ihm sprach wie mit einem Kind. Er schaute sich doch bei der Arbeit immer wieder im Internet die Websites der Konkurrenz an, er wusste, worum es dabei ging. Frau Marstad redete nun schon seit einer Ewigkeit darüber, natürlich mit gutem Grund. Sie waren das einzige Bestattungsunternehmen der Stadt, das keine Homepage hatte. Er wusste auch genau, was ihn zurückhielt, nämlich die Angst zu expandieren und mehr Aufträge zu erhalten als er, Frau Marstad und Frau Gabrielsen ausführen könnten. Dann würden sie neue Leute einstellen müssen, und diese Vorstellung war ihm zuwider. Sie hatten in der Mittagspause darüber gesprochen, er hatte den anderen einfach nur nach dem Munde geredet. Entweder sie nahmen jemanden, der als Lehrling anfing, oder einen festen Blumendekorateur; das würde die Damen für andere Aufgaben freistellen. Die einzige Möglichkeit, die ihm nicht unangenehm erschien, war, einen jungen Menschen aus einem der großen Familienunternehmen bekommen zu können. Er wusste, dass der jüngste Sohn von Lasse Bovin bei Bovins mitarbeitete, aber eigentlich waren sie dort voll belegt, immerhin gab es noch drei ältere Brüder. Frau Gabrielsen hatte das erzählt, sie hielt sich auf dem Laufenden über die Branche und deutete immer wieder an, dass sie noch jemanden einstellen müssten. Aber wie sollten sie hier vorgehen? Einfach den alten Bovin anrufen, um die Möglichkeiten zu sondieren? Sich erkundigen, was der Junge für ein Bursche sei?
»Na gut. Wenn wir vier Uhr sagen? Dann kriegt dein Neffe seinen Input.«
Er heiße Ola, was Margido sehr gut wisse, erinnerte sie ihn. Und vier Uhr ginge sicher in Ordnung, Ola habe derzeit nicht viel zu tun, er bekomme nur kleine Freelancejobs.
»Dann ist das abgemacht. Und du kümmerst dich um die Programme für morgen?«
Natürlich werde sie das tun, warum er frage.
»Ich dachte nur...«
Jetzt solle er die Wagen waschen, damit sie für den nächsten Tag schön sauber sind. Der Caprice werde ja gleich zweimal zum Einsatz kommen, das dürfe er nicht vergessen.
Da hatte sie es ihm gegeben. Er wusste genau, dass er die Damen ärgerte, wenn er immer wieder an Selbstverständlichkeiten erinnerte. Sie übersahen nie auch nur ein einziges Detail, aber dennoch rutschten sie ihm immer wieder heraus, diese kleinen Ermahnungen. Und jetzt würde vielleicht noch ein Mensch Teil dieser engen Dreierbeziehung werden, dessen Aufgaben er diskret und unsichtbar überwachen müsste – zusätzlich zu seinen eigenen.
Mit großer Erleichterung steckte er das Telefon in die Tasche, nahm sich Wischleder und Silikonlappen, und ließ die Hände über die eleganten Linien des Caprice fahren, die blanken Felgen, die Verchromungen, die glänzende Motorhaube, die seine eigene Silhouette widerspiegelte. Jetzt fehlte es nur noch, dass die Damen ernsthaft wegen eines neuen Wagens herumquengelten, zusätzlich zu Internet und neuen Angestellten. Und es ärgerte ihn, dass sie so gute Argumente hatten: die Aufträge, die ihnen entgingen, wenn jemand bei einem Auslandsaufenthalt gestorben war und mit dem Flugzeug nach Værnes gebracht wurde. Die Fluggesellschaften verlangten einen Zinksarg in einem Holzsarg, und dazu noch weitere Verpackung. Ein Sarg konnte damit über hundert Kilo schwer und zweieinhalb Meter lang werden, und das konnten weder der Caprice noch der Citroën CX transportieren. Er brauchte einen spezialkonstruierten Mercedes. Aber der würde sicher über eine Million kosten. Es würde ganz schön viele tote Mittelmeertouristen brauchen, um das zu amortisieren, sagte er dann immer, auch wenn man für Leichenwagen keinen Einfuhrzoll bezahlen musste und nach drei Jahren vom Staat einen Teil der Kaufsumme zurückbekam. Es war aber schon ein wenig peinlich, nein sagen zu müssen, wenn jemand wegen einer Heimholung aus dem Ausland anfragte, nur, weil der Fuhrpark nicht gut genug bestückt war.
 
Er hatte eben den Caprice herausgefahren und den Citroën in die Waschhalle gebracht, als Torunn anrief. Er fühlte sich nie wohl in...