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Langoliers

Stephen King

 

Verlag Heyne, 2009

ISBN 9783641032869 , 560 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

KURZ VOR MITTERNACHT
Eine Vorbemerkung
Nun, sieh einer an – wir sind alle da. Wir haben es wieder einmal geschafft. Ich hoffe, Sie freuen sich nur halb so sehr darüber, wieder hier zu sein, wie ich. Allein das zu sagen, erinnert mich an eine Geschichte, und da ich Geschichten erzähle, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen (und nicht den Verstand zu verlieren), möchte ich sie weitergeben.
Anfang dieses Jahres – ich schreibe dies Ende Juli 1989 – saß ich vor der Glotze und sah das Spiel der Boston Red Sox gegen die Milwaukee Brewers. Robin Yount von den Brewers trat aufs Schlagmal, und die Berichterstatter aus Boston fingen an, über die Tatsache zu staunen, daß Yount erst Anfang Dreißig ist. »Manchmal scheint es, als hätte Yount schon Abner Doubleday geholfen, die allerersten Foul-Linien zu ziehen«, sagte Ned Martin, während Yount in die Box trat und sich Roger Clemens stellte.
»Jawoll«, stimmte Joe Castiglione zu. »Ich glaube, er kam gleich nach der Schule zu den Brewers – er spielt seit 1974 für sie.«
Ich richtete mich so schnell auf, daß ich fast eine Dose Pepsi-Cola verschüttete. Moment mal! dachte ich. Einen verdammten Moment mal! 1974 habe ich mein erstes Buch veröffentlicht! So lange ist das noch nicht her! Was soll der Mist von wegen Abner Doubleday helfen, die ersten Foul-Linien zu ziehen?
Dann fiel mir auf, daß die Wahrnehmung, wie die Zeit verrinnt – ein Thema, das in den nachfolgenden Geschichten immer wieder auftaucht -, eine höchst individuelle Angelegenheit ist. Es stimmt, die Veröffentlichung von Carrie im Frühjahr 1974 (das Buch wurde tatsächlich zwei Tage vor Beginn der Baseball-Spielzeit veröffentlicht, als ein Teenager namens Robin Yount sein erstes Spiel für die Milwaukee Brewers ausfocht) scheint mir selbst noch nicht lange her zu sein – kaum mehr als ein rascher Blick zurück über die Schulter -, aber es gibt andere Möglichkeiten, die Jahre zu zählen, und manche sprechen dafür, daß fünfzehn Jahre wahrhaftig eine lange Zeit sein können.
1974 war Gerald Ford Präsident, und der Schah hatte im Iran noch das Sagen. John Lennon lebte noch, ebenso Elvis Presley. Donny Osmond sang mit hoher Säuselstimme mit seinen Brüdern und Schwestern. Videorecorder waren bereits erfunden, aber nur in einigen wenigen Geschäften erhältlich. Fachleute sagten voraus, daß Sonys Beta-Maschinen binnen kürzester Zeit das als VHS bekannte Konkurrenzsystem in Grund und Boden stampfen würden. Es war noch unvorstellbar, daß die Leute einmal populäre Filme ausleihen könnten, wie sie früher populäre Romane in öffentlichen Bibliotheken ausgeliehen hatten. Die Benzinpreise waren in unvorstellbare Höhen geklettert: elf Cent pro Liter Normalbenzin, dreizehn für bleifreien Sprit.
Die ersten weißen Haare auf meinem Kopf und in meinem Bart waren noch nicht da. Meine Tochter, die mittlerweile das College besucht, war vier. Mein ältester Sohn, der inzwischen größer ist als ich, Blues-Harp spielt und wallende, schulterlange Sammy-Hagar-Locken trägt, war gerade von Windeln zu normalen Höschen übergewechselt. Und mein jüngster Sohn, der heute als Werfer und erster Schläger für eine Jugendliga-Mannschaft spielt, sollte erst drei Jahre später geboren werden. Die Zeit hat so eine seltsame Plastikeigenschaft, und alles, was geht, kommt wieder. Wenn man in den Bus steigt, denkt man, daß er einen nicht weit bringt – vielleicht quer durch die Stadt, nicht weiter -, und auf einmal ist man schon auf dem nächsten Kontinent. Finden Sie diesen Vergleich ein wenig naiv? Ich auch, aber der Knaller ist: Das spielt gar keine Rolle. Das grundlegende Rätsel der Zeit ist so perfekt, daß selbst triviale Beobachtungen wie die, die ich gerade angestellt habe, eine seltsam schallende Resonanz bekommen.
Eines hat sich im Lauf dieser Jahre nicht geändert – was meines Erachtens der Hauptgrund dafür ist, daß es mir (und Robin Yount wahrscheinlich auch) manchmal so vorkommt, als wäre überhaupt keine Zeit verstrichen. Ich mache immer noch dasselbe: Geschichten schreiben. Und das ist für mich immer noch mehr als nur das, was ich kann; es ist das, was ich liebe. Oh, verstehen Sie mich nicht falsch – ich liebe meine Frau, und ich liebe meine Kinder, aber es ist immer noch ein Vergnügen, diese speziellen Nebenstraßen zu suchen, sie zu befahren und festzustellen, wer dort lebt, was sie machen, mit wem sie es machen und vielleicht sogar, warum sie es machen. Ich finde immer noch Gefallen daran, wie seltsam das alles ist – und an den überwältigenden Augenblicken, wenn das Bild klar wird und Ereignisse sich zu einem Muster zusammenfügen. Und Geschichten haben immer einen langen Schwanz. Das Tier ist schnell, und manchmal bekomme ich es nicht zu fassen, aber wenn ich es zu fassen bekomme, klammere ich mich daran fest … und das Gefühl ist großartig.
Wenn dieses Buch 1990 veröffentlicht wird, bin ich sechzehn Jahre im Geschäft des schönen Scheins. Auf halbem Weg durch diese Jahre, als ich durch einen Prozeß, den ich immer noch nicht völlig verstehe, zum literarischen Schreckgespenst Amerikas geworden war, veröffentlichte ich ein Buch mit dem Titel Frühling, Sommer, Herbst und Tod. Es handelte sich um eine Sammlung von vier bis dahin unveröffentlichten Kurzromanen, von denen drei keine Horror-Stories waren. Der Verleger hat das Buch frohen Herzens akzeptiert, aber ich glaube, auch mit einigen geistigen Vorbehalten. Ich hatte auf jeden Fall welche. Wie sich herausstellte, hatten wir beide keinen Grund zur Sorge. Manchmal veröffentlicht ein Schriftsteller ein Buch, das einfach von Natur aus Glück hat, und ich glaube, mit Frühling, Sommer, Herbst und Tod war es bei mir so.
Eine Geschichte (›Die Leiche‹) wurde verfilmt (Stand By Me), und zwar recht erfolgreich … die erste wirklich erfolgreiche Verfilmung eines meiner Werke seit Carrie (ein Film, der in die Kinos kam, als Abner Doubleday und Siewissen-schon-wer die ersten Foul-Linien gezogen haben). Rob Reiner, der bei Stand By Me Regie geführt hat, ist einer der mutigsten, klügsten Filmemacher, die ich je kennengelernt habe, und ich bin stolz auf meine Zusammenarbeit mit ihm. Er hat vor, Sie zu verfilmen, nach einem wirklich ausgezeichneten Drehbuch von William Goldman; ich bin schon sehr gespannt auf das Ergebnis. Und ich durfte amüsiert feststellen, daß die Firma, die Mr. Reiner nach dem Erfolg von Stand By Me gegründet hat, Castle Rock Productions heißt, ein Name, der meiner Stammleserschaft nicht unbekannt sein dürfte.
Die Kritiker mochten Frühling, Sommer, Herbst und Tod im großen und ganzen auch. Fast jeder hat eine Novelle in Grund und Boden gedonnert, aber da sich jeder eine andere Geschichte zum Bombardieren ausgesucht hat, dachte ich mir, daß ich mich dreist über alle hinwegsetzen könnte, und das habe ich auch getan. Aber ein solches Verhalten ist nicht immer möglich. Als sämtliche Besprechungen von Christine einhellig zum Ergebnis kamen, daß es wirklich ein gräßlicher Roman sei, habe ich mir widerwillig überlegt, daß er vielleicht wirklich nicht so gut geworden ist, wie ich gedacht hatte (was mich freilich nicht daran gehindert hat, die Tantiemenschecks einzulösen). Ich kenne Schriftsteller, die behaupten, daß sie ihre Rezensionen nicht lesen, oder falls doch, daß die Verrisse sie nicht verletzen, und von allen glaube ich zweien das sogar. Ich gehöre zur anderen Kategorie – ich denke besessen über die Möglichkeit schlechter Besprechungen nach und brüte darüber, wenn ich sie lese. Aber sie machen mich nicht lange fertig, ich bringe einfach ein paar Kinder und alte Omas um, und dann stehe ich wieder da wie eine Eins.
Am wichtigsten aber ist, den Lesern hat Frühling, Sommer Herbst und Tod gefallen. Ich kann mich an keinen einzigen Brief aus der Zeit erinnern, in dem ich gescholten worden wäre, weil ich etwas anderes als Horror geschrieben habe. Die meisten Leser wollten mir sogar sagen, daß eine der Geschichten in irgendeiner Weise ihre Gefühle angesprochen, sie zum Nachdenken gebracht oder Empfindungen in ihnen ausgelöst hat, und solche Briefe sind der wahre Lohn an den Tagen (und das sind eine ganze Menge), wenn das Schreiben schwerfällt und die Inspiration dünn bis nicht vorhanden ist. Gott segne und erhalte mir meine Stammleser; der Mund kann sprechen, aber es gibt keine Geschichte, wenn nicht auch ein interessiertes Ohr zum Zuhören vorhanden ist.
Das war 1982. Das Jahr, in dem die Milwaukee Brewers ihren einzigen Siegerwimpel der American League gewannen – angeführt von (ja, Sie haben es erraten) Robin Yount. Yount schaffte neunundzwanzig Homeruns und wurde zum besten Spieler der American League gewählt.
Es war ein gutes Jahr für uns zwei alte Halunken.
Frühling, Sommer, Herbst und Tod war kein geplantes Buch; es kam einfach zustande. Die vier darin enthaltenen Geschichten entstanden in unregelmäßigen Abständen über einen Zeitraum von fünf Jahren hinweg; es waren Geschichten, die zu lang waren, sie als Kurzgeschichten zu veröffentlichen, aber ein klein wenig zu kurz für eigene Bücher. Wie bei einem Fehlschlag oder einem Kampf um den Zyklus (einen Einser, Zweier, Dreier und Homerun in einem einzigen Spiel) war es kein geplanter Spielzug, sondern mehr eine statistische Absonderlichkeit. Der Erfolg und die Aufnahme des Buches haben mir viel Spaß gemacht, aber ich empfand eine gewisse...