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Leichensache - Roman

Norbert Horst

 

Verlag Goldmann, 2009

ISBN 9783641032050 , 288 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR


 

MITTWOCH

1 Uhr 12


Das Telefon klingelt.
01.12 Uhr auf der Digitalanzeige. Oh, Mann!
»Kirchenberg.«
»K-Wache, Zimmermann. Die Nacht ist zu Ende, Junge. Wir haben’ne Leiche mit Löchern im Rücken.«
»Na, prima! Wo denn?«
»Schillerstraße, in der neuen Siedlung draußen an der Sporthalle.«
»Okay, ich komme.«
Eine Stunde geschlafen oder fünf Minuten? Kaffee trinke ich im Präsidium. Anziehen, drei Äpfel in die Tasche. Keinen Bock mehr, jetzt noch’ne Kniffte zu schmiern, kauf ich’n paar Brötchen.
Im Treppenhaus hallt jeder Schritt. Der alte Siele kommt nach Hause, schau an. Er lallt einen Gruß, hat mich wahrscheinlich gar nicht erkannt. Die Stadt sieht noch genauso aus wie vorhin, es regnet. Wo steht denn bloß der Wagen?
Im Radio läuft Black Velvet vom Alannah Miles, das muss lauter, danach Locomotive Breath von Tull. Stark. Zwischendurch nervt der Sprecher mit ziemlich öden Scherzen.
Endlich gibt’s mal reichlich Parkplätze hier.
Vor der Wache ziehen zwei Grüne einen Besoffenen aus dem VW-Bulli. Er ist gut gekleidet, Anzug, Krawatte, Trenchcoat, der Mantel ist vorne voll gekotzt. Selber gehen kann er nicht mehr, die beiden Beamten halten ihn an den Armen auf Abstand, aber er wehrt sich vehement und lallt was von »in Ruhe lassen«. Dafür öffnet er die Schwingtür zur Wache mit der Stirn.
In der Kriminalwache ist es ruhiger. Zimmermann blättert in Fernschreiben, nebenan vernimmt jemand zwei Rumänen mit Dolmetscher.
»Morgen, ist schon jemand von der Mordkommission da?« Zimmermann steht auf.
»Atze ist schon oben, hallo erst mal. Ulla hab ich auch alarmiert.«
»Weißt du schon was Näheres?«
»Nicht viel. Die Tote ist siebenundzwanzig, Studentin, hat mehrere Einstiche, lebt mit’ner Freundin zusammen. Die war mit’m Hund raus, als sie zurückkam, hörte sie ein Geräusch und stand dem Täter gegenüber.«
»Was, wir haben’ne Zeugin! Warum sagt mir das denn keiner?«
»Tu ich ja jetzt. Hat wahrscheinlich Schwein gehabt, dass sie den großen Köter dabei hatte. Der Typ ist sofort abgehauen, durch die Terrassentür, die Fahndung läuft noch.«
»Wie lange ist das her?«
»Die Freundin hat um 00.48 Uhr angerufen, konnte sogar’ne gute Personenbeschreibung geben. Sie ist auf’m Weg hierher. Hab ich aber alles aufgeschrieben. Atze hat den Vermerk schon mitgenommen.«
»Na gut. Ich geh mal hoch.«
Still ist es nachts im Treppenhaus, richtig komisch. Im Geschäftszimmer brennt Licht, die Tür steht auf. Atze sucht hektisch die Klamotten zusammen, sieht flüchtig rüber.
»Grüß dich. Du siehst ja auch prima aus. Gesoffen gestern?« Er zieht eine Fratze. »Ich fahr schon mal hin. ED-Mann und Fotomensch fahren gleich zum Tatort. Wer hat eigentlich noch Bereitschaft diese Woche?«
»Ulla.«
»Ach, ja.« Er nimmt seine Tasche, steckt das Memocord ein. »Bis gleich.«
»Denk an Ersatzbatterien.«
Atze nickt, nimmt die Wagenschlüssel und geht. Ulla kommt bestimmt gleich. Hat auch den längsten Weg. Der Koffer steht bei mir. Gerade noch bei der Einsatzleitstelle anrufen.
»Kirchenberg, Mordkommission, irgendwas Neues?«
»Ne. Wir fahren schon knapp eine Stunde in der Gegend rauf und runter, bisher aber alles negativ.«
»An die Haltestellen und den Bahnhof habt ihr gedacht …?«
»Natürlich, aber auch negativ bis jetzt. Außerdem fährt jetzt keine Straßenbahn mehr.«
Ist ja gut.
»Die Zeugin ist auf dem Weg hierher?«
»Die sitzt jetzt noch beim 11/20 im Wagen und fährt mit die Gegend ab. Ist aber ziemlich beschissen da unten, viele Einfamilienhäuser, tausend Gärten und über den Fluss kann er auch abgehauen sein.«
»Habt ihr’nen Hund heute Nacht?«
»Ja, haben wir, aber so ohne irgendwas brauchst du den auch nicht ins Gelände zu jagen.«
»Okay erst mal. Ich fahre jetzt auch hin. Bis später.«
Viertel nach zwei. Angenehm still ist es hier. Gleich geht die verdammte Hektik los. Hoffentlich haben die nicht wieder alles platt getrampelt. Siebenundzwanzig Jahre, schön jung. Wie alt Ayse wohl ist? Anfang zwanzig? Älter als fünfundzwanzig bestimmt nicht. Schöne Hände hat sie, und diese Haare überall.
Zurück ins Geschäftszimmer.
Ullas Absätze hallen hart und eilig über den Flur, sie bleibt in der Tür stehen.
»Immer mitten in der Nacht, und dann noch dieses verdammte Scheißwetter.« Sie schüttelt den Schirm aus, hängt ihn auf. Versuche, müde zu lächeln. Sie holt ihre Sachen, losfahren.
 
Es regnet noch, aber die Straßen sind fast leer. Ulla fährt ziemlich schnell. Die Straßenlaternen glänzen in Intervallen auf ihren roten Lippen, sie ist reichlich und gekonnt geschminkt. Im Gesicht sieht man ihre zehn Kilo zu viel gar nicht.
»Was ist überhaupt passiert?« Ihre Hand fährt durch die kurzen, roten Haare. Kurzer Lagebericht. Sie stellt noch ein paar Fragen, bekommt ein paar Antworten. Eine hektische Stimme am Funk bellt dazwischen. Der 11/32 hat einen Mann in der Nähe vom Bahnhof aufgegriffen und fragt, in welchem Fahrzeug die Zeugin sitzt.
Genauso habe ich mir das vorgestellt.
»Hier ist der 88/10, macht jetzt bloß keine Gegenüberstellung auf der Straße. Bringt beide ins Präsidium, aber passt auf, dass die sich auf keinen Fall sehen.«
Ein gequälter Blick zu Ulla.
Sie zieht die Schultern hoch. »Die lernen’s nie.«
Der Notarztwagen steht halb auf dem Bürgersteig, die Sanitäter rauchen gelangweilt.
»Die Ärztin ist noch drin.«
Nachbarn stehen in Bademänteln und Jogginganzügen unter Schirmen in den Gärten und palavern. Der Regen hat aufgehört. An der Tür zur Parterrewohnung steht ein junger Wachtmeister mit furchtbar adrettem Haarschnitt. Er kommt eilig entgegen.
»Hallo, hallo. Kein Zutritt hier, oder gehörn Sie zum Haus, ansonsten raus!«
»Kirchenberg, Mordkommission, ich glaub, ich werde erwartet.«
Ulla straft ihn mit einem scharfen Blick.
Schöne Wohnung, kein Teppichboden. Fliesen sehen doch besser aus. Neben dem Spiegel hängt »Mädchen mit Taube«. Der Flur ist lang und schmal, alle fünf Türen stehen offen. Atze steht rechts im Badezimmer und spricht ins Memocord, sieht her, unterbricht.
»Da seid ihr ja. Der Typ ist durch die Terrassentür gekommen und auch wieder abgehauen. Draußen ist ein gro ßer Garten mit Büschen und einem hohen Zaun. Ich habe schon den Lima-KW angefordert, müsste auch in einer Stunde etwa da sein. Vorher brauchen wir da gar nicht raus, man sieht nichts. Außerdem ist alles klitschenass.«
Aus der Tür hinten links kommt die Ärztin, wechselt die Zigarette in die andere Hand, kurze Begrüßung.
»Herr Kirchenberg, lange nicht gesehen.« Weiche, frauliche Stimme.
»Frau Dr. Schwarz, so früh schon unterwegs?« Blöder Scherz, zu spät. Sie lacht artig und nimmt einen tiefen Zug. Raucht tatsächlich Rote Hand, eindeutig.
»Den Todeszeitpunkt haben wir ja relativ genau. An der Leiche habe ich nicht viel gemacht.« Sie geht wieder ins Zimmer. »Die linke Hand habe ich losgebunden, damit ich sie auf den Rücken drehen konnte. Sie hat vorne zwei Einstiche und hinten sechs, ist’n bisschen kurios. Außerdem hat sie vaginale Verletzungen. In den Blutschmieren an den Oberschenkeln und auf dem Gesäß könnte Sperma sein, sieht jedenfalls so aus.«
»Bleibt bitte vor dem Bett stehen und nichts berühren, wenn’s geht.« Beckmann vom ED pinselt an der Terrassentür. Sieht ziemlich wichtig aus in seinem weißen Overall.
Müller stellt Nummerntafeln auf und fotografiert, auch im weißen Overall. Er sieht nicht rüber, macht auf konzentriert. Ein Wichtigtuer ist das. Die Zwölf legt er aufs Bett neben einen Blutfleck, klemmt die Dreizehn in der Analfalte fest, weil sie immer vom Hintern herunterrutscht.
Die Ärztin erklärt weiter, Atze brabbelt im Hintergrund die Wohnungsbeschreibung runter.
Die Frau liegt auf der Seite, das blaue T-Shirt ist vorne blutgetränkt. Auf dem Bett ist gar nicht so viel Blut. Ziemlich sportliche Figur, scheint auch hübsch zu sein, aber die blonde Mähne hängt überm Gesicht, die Haarspitzen blutverklebt. Der Slip fehlt, die Schamhaare sind stark anrasiert und...