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Der verborgene Garten - Roman

Kate Morton

 

Verlag Diana Verlag, 2009

ISBN 9783641027797 , 656 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

2 Brisbane Australien, 1930
Am Ende einigten sie sich darauf, Nells Geburtstagsparty in der Aula der Fakultät für Kunst zu feiern. Hamish hatte vorgeschlagen, die Party im neuen Veteranenklub auf der Given Terrace abzuhalten, doch Nell hatte sich der Meinung ihrer Mutter angeschlossen und erklärt, es sei Unsinn, so viel Geld auszugeben, vor allem in so schwierigen Zeiten. Hamish hatte schließlich nachgegeben, jedoch darauf bestanden, dass sie sich aus Sydney die spezielle Spitze kommen ließ, von der er wusste, dass sie sie so gern für ihr Kleid haben wollte. Lil hatte ihm kurz vor ihrem Tod diesen Floh ins Ohr gesetzt. Sie hatte sich zu ihm herübergebeugt, seine Hand genommen und ihm in der Zeitung die Anzeige von dem Geschäft in der Pitt Street gezeigt. Wie edel die Spitze sei, hatte sie gegurrt, wie sehr Nellie sie sich wünschte. Die Spitze sei vielleicht ein bisschen extravagant, aber man könne sie auch noch für ein Hochzeitskleid verwenden, wenn es so weit sei. Als Lil ihn angelächelte hatte, war sie ihm wieder vorgekommen wie sechzehn, und er war dahingeschmolzen.
Damals arbeiteten Lil und Nell schon seit Wochen an dem Kleid. Nach Feierabend im Zeitungsladen und nach dem Nachmittagstee, wenn die jüngeren Mädchen sich träge auf der Veranda kabbelten und so viele Mücken in der schwülen Luft herumschwirrten, dass das Summen einen ganz verrückt machte, nahm Nell ihren Stickkorb und setzte sich zu ihrer Mutter ans Krankenbett. Manchmal hörte Hamish sie über etwas lachen, was sich im Zeitungsladen zugetragen hatte: ein Streit zwischen Max Fitzsimmons mit irgendeinem Kunden oder Mrs Blackwells genüssliche Klagen über ihre neueste Krankheit. Er blieb an der Tür stehen, stopfte seine Pfeife und lauschte, als Nell mit gedämpfter Stimme aufgeregt von etwas erzählte, das Danny gesagt hatte. Mal ging es um das Haus, das er ihr bauen würde, wenn sie erst einmal verheiratet waren, mal um ein Auto, auf das er ein Auge geworfen hatte und das er nach Meinung seines Vaters zu einem Spottpreis würde erwerben können, oder um den neuesten Mixer aus dem Kaufhaus McWhirters.
Hamish mochte Danny – einen besseren Mann konnte er sich für Nell nicht wünschen -, und das war gut so, denn seit sie sich kennengelernt hatten, waren Nell und Danny unzertrennlich. Seit zwei Jahren gingen sie nun schon miteinander. Die beiden zusammen zu erleben, erinnerte Hamish immer an seine erste Zeit mit Lil. Sie waren glücklich und zufrieden und immer füreinander da gewesen. Nur selten war in all den Jahren ein böses Wort zwischen ihnen gefallen. Ja, sie führten eine gute Ehe. Anfangs, ehe die Kinder geboren wurden, hatte es ein paar Zerreißproben gegeben, aber auf die eine oder andere Weise hatten sie alle Klippen umschifft.
Wenn seine Pfeife gestopft war und er keinen Vorwand mehr hatte, an der Tür stehen zu bleiben, ging Hamish weiter und suchte sich einen stillen Platz am hinteren Ende der Veranda, eine schattige Stelle, wo er seinen Frieden hatte oder zumindest so viel Frieden, wie man finden konnte in einem Haus voller zänkischer Töchter, eine reizbarer als die andere. Nur er allein und seine Fliegenklatsche auf der Fensterbank für den Fall, dass die Mücken allzu lästig wurden. Und dann hing er seinen Gedanken nach, die unweigerlich zu dem Geheimnis wanderten, das er jetzt schon all die Jahre über hütete. Der Zeitpunkt würde bald kommen, das spürte er. Der Druck, dem er so lange standgehalten hatte, wurde stärker. Hatte sie nicht ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren? Sie war fast einundzwanzig, eine erwachsene Frau, verlobt und drauf und dran, ihr eigenes Leben zu führen – hieß das nicht, dass es so weit war? Was Lil dazu sagen würde, wusste er, und deswegen erwähnte er ihr gegenüber nichts von seinem Vorhaben. Auf keinen Fall wollte er, dass sie sich Sorgen machte und ihre letzten Tage mit dem Versuch zubrachte, es ihm auszureden, wie sie es in der Vergangenheit schon so oft getan hatte.
Manchmal, wenn er sich erneut fragte, wie er es anstellen sollte, welche Worte er für sein Geständnis wählen würde, ertappte er sich dabei, wie er sich insgeheim wünschte, es würde eine seiner anderen Töchter treffen. Und dann verfluchte er sich dafür, dass er eine Tochter den anderen vorzog, auch wenn er es sich nach außen hin nicht anmerken ließ.
Aber Nellie war schon immer etwas Besonderes gewesen, so völlig anders als die anderen. Energischer, fantasievoller. Sie kam viel mehr nach Lil, dachte er immer wieder, auch wenn das natürlich Unsinn war.
Sie hatten die Dachsparren mit Girlanden geschmückt – weiße, die zu ihrem Kleid passten, und rote, die zu ihrem Haar passten. Die alte, aus Holz errichtete Halle mochte vielleicht nicht so elegant sein wie die neuen Backsteingebäude in der Stadt, aber sie machte durchaus etwas her. Im hinteren Bereich, in der Nähe der Bühne, hatten Nells vier jüngere Schwestern einen Gabentisch aufgestellt, auf dem sich bereits eine ganze Reihe Päckchen stapelten. Einige Frauen aus der Kirchengemeinde hatten gemeinsam das Abendessen bereitet, und Ethel Mortimer entlockte dem Klavier romantische Tanzweisen aus der Kriegszeit.
Anfangs standen die jungen Männer und Frauen verlegen in Grüppchen am Rand des Saals herum, aber als die Musik lebhafter wurde und die etwas kontaktfreudigeren Frauen in Stimmung kamen, begaben sie sich paarweise auf die Tanzfläche. Nells kleine Schwestern schauten dem Treiben sehnsüchtig zu, bis sie abkommandiert wurden, um das Essen auf Tabletts aus der Küche zu holen und auf dem Tisch anzurichten.
Als die Zeit für die Reden gekommen war, hatten alle bereits glühende Wangen, und die Schuhe trugen die ersten Spuren vom Tanzen. Marcie McDonald, die Frau des Pfarrers, schlug mit der Gabel an ihr Glas, und alle Augen richteten sich auf Hamish, der neben dem Gabentisch stand und ein kleines Blatt Papier auseinanderfaltete, das er aus seiner Brusttasche gezogen hatte. Er räusperte sich und fuhr sich mit der Hand über das ordentlich gekämmte Haar. Öffentliche Reden zu halten, war nie seine Stärke gewesen. Er war eher zurückhaltend, behielt seine Ansichten lieber für sich und überließ das Reden gern den wortgewaltigeren unter seinen Geschlechtsgenossen. Aber seine Tochter wurde nur einmal volljährig, und es war seine Pflicht, zu diesem Ereignis ein paar Worte zu sagen. Er war schon immer ein Verfechter der Pflichterfüllung gewesen, einer, der sich an die Regeln hielt. Meistens jedenfalls.
Er lächelte und hob eine Hand, als einer seiner Kameraden vom Hafen ihn laut aufforderte, endlich das Wort zu ergreifen, dann legte er den kleinen Zettel in seine Handfläche und holte tief Luft. Einen nach dem anderen ging er die Stichpunkte durch, die er sich mit schwarzer Tinte auf dem Zettel notiert hatte: Wie stolz er und seine Frau auf Nell waren, dass ihre Geburt ein Segen für sie gewesen war, die Antwort auf all ihre Gebete, wie sehr sie Danny mochten und wie beglückt Lil gewesen war, als sie kurz vor ihrem Tod von der Verlobung der beiden erfahren hatte. Als er seine kürzlich verstorbene Frau erwähnte, brannten Hamishs Augen, und er musste seine Rede kurz unterbrechen. Er blinzelte mehrmals, um die Worte auf seinem Zettel lesen zu können, dann schaute er die Gäste an. Es sei an der Zeit, sagte er trocken, noch einen Mann in der Familie zu haben, damit er nicht länger auf verlorenem Posten stehe. Alle lachten, und seine Töchter verdrehten theatralisch die Augen, wussten sie doch, wie sehr er seine Mädchen liebte. Hamish ließ den Blick über die Gesichter seiner Freunde und seiner Töchter wandern und schaute schließlich Nell an, die lächelnd zuhörte, während Danny ihr etwas ins Ohr flüsterte. Noch einmal atmete Hamish tief ein, und als sein Gesicht sich kurz verdüsterte, rechneten seine Zuhörer damit, dass er eine wichtige Ankündigung machen würde. Doch dann hellte seine Miene sich wieder auf, Hamish steckte den Zettel zurück in seine Brusttasche und wünschte allen guten Appetit.
Die Damen in der Küche traten in Aktion und servierten den Gästen Tee und Sandwiches, doch während alle anderen an den Tischen Platz nahmen, blieb Hamish noch eine Weile stehen, ließ sich von seinen Freunden mit einem »Gut gemacht, Kumpel!« auf die Schulter klopfen und von einer der Damen eine Tasse Tee in die Hand drücken. Die Rede war gut angekommen, und doch konnte Hamish sich nicht entspannen. Sein Herz schlug zu schnell, und er schwitzte, obwohl es nicht heiß war.
Natürlich kannte er den Grund. Noch hatte er nicht alle Pflichten erfüllt, die sich ihm an diesem Abend stellten. Als er sah, wie Nell allein durch die Seitentür auf die kleine Treppe trat, verstand er das als seine Chance. Er räusperte sich, stellte seine Teetasse zwischen zwei Päckchen auf dem Gabentisch ab und trat aus dem mit behaglichem Stimmengemurmel erfüllten Saal in die kühle Nachtluft hinaus.
Nell stand neben dem silbrig grünen Stamm eines einzelnen Eukalyptusbaums. Früher, dachte Hamish, war der ganze Hügel dicht bewachsen gewesen mit Eukalyptusbäumen, ebenso wie die Täler zu beiden Seiten. All diese geisterhaften Baumstämme mussten in einer...