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Nur ich sag ich zu mir

Ellis Kaut

 

Verlag LangenMüller, 2009

ISBN 9783784481142 , 225 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz DRM

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15,95 EUR


 

Ernstfall - Abschied Hals über Kopf (S. 67-68)

Und dann kam der 1. September 1939. Um zehn Uhr war die Generalprobe für Goldonis »Fächer« angesetzt, abends sollte die feierliche Premiere sein. Ich erwachte an diesem Tag morgens gegen fünf Uhr, weil eine Männerstimme auf der Straße laut rufend immer näher kam: »Ernstfall! Verdunkeln! Ernstfall! Verdunkeln! «, dröhnte es in die morgendliche Stille. Ernstfall! Ich zweifelte keinen Augenblick daran, was dieser Ernstfall bedeutete. Krieg. Die Einberufungen liefen ja schon längere Zeit. Auch Kurt war bereits seit ein paar Tagen in Uniform. Seine Division, das Bayerische Infanterieregiment, stand in Markt Schwaben bei München.

»Ernstfall« hieß aber nicht nur, dass verdunkelt werden musste, es hieß auch, dass die Soldaten, wenn nicht sofort, dann in kürzester Zeit abrücken mussten. Also auch Kurt. Vielleicht war er schon abgerückt und ich würde ihn nie mehr wiedersehen. Ich sollte in Wiesbaden in einer belanglosen Komödie auftreten und das Entsetzlichste geschah – Krieg! Kurt war als Soldat in Markt Schwaben naturgemäß telefonisch nicht zu erreichen. Ich überlegte kurz und tat dann einfach das Naheliegendste: Ich packte meinen Koffer. Es muss ungefähr sechs Uhr früh gewesen sein, als ich das Haus verließ. Von meinen Vermietern habe ich mich nicht verabschiedet – hatte ich überhaupt die Miete bezahlt?

Wie ich mit dem Koffer von meiner Bleibe am Stadtrand Wiesbadens an den Bahnhof in der Stadtmitte kam, weiß ich nicht mehr. Ich wusste auch nicht, wel che Züge wann gingen. Irgendeiner würde jedenfalls in Richtung München fahren, oder wenigstens in die Nähe, dachte ich. Es ging keiner, jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. Ich stieg in den nächstbesten Zug Richtung Frankfurt. Frankfurt hatte zumindest einen größeren Bahnhof, von dort würde es schon irgendwelche Verbindungen nach München geben. Ich sehe noch deutlich vor mir, wie ich, auf meinem Koffer sitzend, auf den Zug nach München wartete.

Rings um mich aufgeregte Menschenmassen und dann die dröhnenden Lautsprecher: »Seit fünf Uhr wird zurückgeschossen«, brüllte Hitlers Stimme über alle Lautsprecher. Ich habe nicht geweint. Ich war betäubt und gleichzeitig mit großer Energie geladen. Ich fand den direkten Zug nach München. Er war überfüllt und ich musste bis München stehen. Ich brachte das dröhnende »Seit fünf Uhr wird zurückgeschossen« nicht mehr aus meinen Ohren. Ich verschwendete keinen Gedanken an die um zehn Uhr in Wiesbaden beginnende Generalprobe. Keinen daran, ob man mich suchen würde, ob man einen Ersatz finden könnte, ja, ob überhaupt abends die Premiere stattfinden würde.

In mir war nichts als der unbeugsame Wille, dem Schicksal, wenn auch nur kurz, Einhalt zu gebieten, wenigstens so lange, bis ich Kurt noch einmal gesehen hatte, bevor er in den Krieg zog. Irgendwann einmal war die Bahnfahrt zu Ende und irgendwann läutete ich bei meinen Eltern. Sie kamen nicht dazu, viel zu fragen. Ja, Kurt wäre noch in Markt Schwaben, jedenfalls soviel sie wüssten. Ich stellte lediglich meinen Koffer ab und fuhr nach Markt Schwaben.